Mit schmutzigen Tricks gegen Selbstorganisation
Gorillas findet viele Werkzeuge, um lästige Beschäftigte loszuwerden – der Erfolg des Widerstandes bleibt eine Frage der Kräfteverhältnisse
Es ging hoch her im großen Saal des Arbeitsgerichts Berlin, als Anfang April über die Klage von drei entlassenen Rider*innen gegen das Startup Gorillas verhandelt wurde. »Sowas habe ich noch nicht erlebt«, rief der Anwalt der Kläger*innen, Benedikt Hopmann, empört, nachdem der Richter der Klägerin Duygu Kaya verweigert hatte, eine Stellungnahme vorzulesen. Eine »Schmähkritik« der Beschäftigten über das Unternehmen sei nicht angebracht. Der vorsitzende Richter warf dem Anwalt vor, es würde ihm im Verfahren nicht um bessere Arbeitsbedingungen beim Lieferdienst gehen, sondern nur um politische Ziele. Dabei ist offensichtlich, dass das Verfahren eine äußerst politische Dimension hat: Geht es doch um die Frage, ob das postfaschistische deutsche Streikrecht vereinbar mit dem Völkerrecht ist. Im Gegensatz zu allen anderen Ländern der EU darf in Deutschland nur gestreikt werden, wenn eine große Gewerkschaft damit versucht, einen Tarifvertrag durchzusetzen – »wilde« Streiks sind demnach illegal. Für Benedikt Hopmann ein klarer Verstoß gegen die Europäische Sozialcharta. Für Gorillas ist das deutsche Streikreicht ein Werkzeug, um den Protest der Belegschaft zu brechen.
Die »wilden« Streiks bei dem Berliner Lebensmittellieferdienst hatten vergangenes Jahr viel Aufmerksamkeit erregt. Die entlassene Riderin Duygu Kaya ging in ihrer geplanten Rede, die sie nicht vor Gericht halten durfte, auf einige Gründe der Arbeitsniederlegungen ein: »Sie unterschlagen die Löhne der Arbeiter*innen. Sie bieten uns keine Sicherheit. Sie geben uns keine Schichten, die es uns ermöglichen würden, unsere Kurse an der Universität oder an der Sprachschule zu besuchen. Sie entlassen uns am Ende unserer Probezeit und geben uns nicht einmal die geringste Chance, Arbeitslosengeld I zu beantragen.« Laut der Riderin hätten die großen Gewerkschaften die Kämpfe nicht unterstützt, da es sich für sie nicht gelohnt habe, Arbeit in diesen prekären Bereich des Arbeitsmarkts zu investieren. Kaya hielt ihre Rede im Anschluss an die Verhandlung vor rund 40 Unterstützer*innen.
Verstoß gegen Völkerrecht
Anwalt Benedikt Hopmann argumentierte vor Gericht, dass der auch von Deutschland ratifizierte Völkerrechtsvertrag das Streikrecht allein den Arbeitnehmer*innen zuspreche – ganz unabhängig von Gewerkschaften. Arbeitskämpfe seien demnach auch nicht auf Tarifverträge beschränkt. Der Richter gab dennoch Gorillas recht und wies die Klage der Beschäftigten ab. Die für Gorllias zuständige DGB-Gewerkschaft ver.di, die eine Legalisierung politischer Streiks befürwortet, will sich zum Verbot von »wilden« Streiks nicht äußern. »Wir kritisieren, dass Leute entlassen werden, die sich für ihre Rechte und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen«, teilte die ver.di-Sekretärin Maren Ulbrich gegenüber ak mit. Das Urteil habe sie aufgrund der aktuellen Gesetzeslage jedoch nicht überrascht. »Es ist sehr mutig und wichtig, dass sich die Beschäftigten bei Gorillas trotz der widrigen Bedingungen gegen die schlechten Löhne und Arbeitsbedingungen organisiert haben«, resümiert Ulbrich. Man hätte jedoch mehr erreichen können, wenn der Betriebsrat früher gegründet worden wäre.
Dass ein halbes Jahr von der Betriebsversammlung bis zur tatsächlichen Wahl des Betriebsrates verging, liegt jedoch zu einem großen Teil an der Gorillas-Geschäftsführung. Diese habe etwa versucht, die Betriebsversammlung zu stören und danach den Wahlprozess durch das Zurückhalten von Informationen über Mitarbeiter*innen zu verzögern, berichtete die Vorsitzende des Wahlausschusses, Anna Hicks, dem WDR-Magazin Monitor. Kurz vor den Wahlen strukturierte Gorillas dazu gleich zwei Mal die Organisation des Unternehmens um und reichte Klage gegen die Wahl selbst ein. Das Unternehmen argumentierte, dass aufgrund der Umstrukturierungen der Betrieb, für den der Betriebsrat gewählt wird, nicht mehr existiere. Und daher auch die Wahlen nichtig und unter Androhung von Haftstrafen zu verbieten seien. Begleitet von großen Demonstrationen endschied das Arbeitsgericht im November 2021, dass die Wahlen wie geplant abgehalten werden können. Der Betriebsrat konnte sich gründen.
Betriebsrat allein reicht nicht aus
Nach den Wahlen wurde es dann relativ ruhig um die Organisierung der streikenden Beschäftigten, das Gorillas Workers Collective, und den Betriebsrat. Am Verhalten des Unternehmens hat sich jedoch wenig geändert. Im März kündigte Gorillas 87 Beschäftigte eines Warenlagers am Alexanderplatz, da dieses wegen Verstößen gegen die Denkmalordnung geschlossen werden musste. Unter den Entlassenen befanden sich auch drei Betriebsräte. Zwar konnte die gewählte Belegschaftsvertretung für die Betroffenen einen Sozialplan aushandeln, aber die Geschäftsführung habe sich auch hier wenig kooperativ verhalten, sagt der Anwalt Martin Bechert im Gespräch mit ak. Der Jurist vertritt viele Gorillas-Beschäftigte und unterstützt auch den Betriebsrat. Bechert konnte in mehreren Gerichtsverfahren eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung durchsetzen, aber Gorillas würde die Urteile oft nicht umsetzen, so der Anwalt. »Eine Kollegin bekam ein paar Schichten und wurde dann einfach nicht wieder zum Arbeiten eingeteilt.« Die Beschäftigte hätte auf die Durchsetzung der einstweiligen Verfügung vor dem Arbeitsgericht klagen müssen. »Da sind die meisten dann raus«, sagt Bechert. Das Unternehmen äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu den Vorwürfen.
Im März kündigte Gorillas 87 Beschäftigten eines Warenlagers am Alexanderplatz. Unter den Entlassenen befanden sich auch drei Betriebsräte.
Das unkooperative Verhalten gehe noch weiter: Vereinbarte Abfindungen würde das Unternehmen nicht zahlen, das Mitbestimmungsrecht über die Arbeitszeit werde ignoriert, die Organisierung einer gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsversammlung blockiert. »Gorillas rückt die Mailadressen der Beschäftigten nicht raus, um Einladungen für eine digitale Versammlung zu verschicken«, so Bechert. Grundsätzlich stünde Gorillas einer Betriebsversammlung offen gegenüber, entgegnete auf Anfrage eine Sprecherin des Unternehmens. Gegen die Überlassung privater Email-Verteilerlisten zum Zwecke der Einberufung der Betriebsversammlung habe man jedoch »große datenschutzrechtliche Bedenken«. »Ich halte das für vorgeschoben«, sagt Anwalt Bechert. Zu den anderen Vorwürfen äußerte sich das Unternehmen nicht.
Die Erkenntnis: Die Werkzeuge eines Betriebsrates sind für sich wenig wert, wenn die Geschäftsführung sie konsequent ignoriert. »Gorillas scheint nach dem Motto zu agieren: legal, illegal, scheißegal«, lautet Becherts Einschätzung. Damit bleibe nur der Weg durch die langsam mahlenden Mühlen der Justiz – für einen Job knapp über Mindestlohn. Betriebsratsmitglieder, die anonym bleiben möchten, beschweren sich im Gespräch bereits, dass ihre gesamten Kapazitäten von bürokratischen Problemen aufgefressen werden. »Betriebsräte können ein mächtiges Werkzeug für die Selbsorganisation der Arbeiter*innen sein«, meint Sylvan, ein Aktivist des Gorillas Workers Collectives, gegenüber ak. »Aber alleine haben sie nicht sehr viel Macht.« Er wünscht sich, dass wie am Anfang der Proteste das Kollektiv der zentrale Ort ihrer Politik wird.
Die Kämpfe bei Gorillas besitzen ohne Zweifel das Potenzial, die repressive Rechtsprechung im deutschen Streikrecht zu verschieben. Dass sich Gorillas immer wieder über geltendes Recht hinwegsetzt, zeigt indes, dass eine bessere Rechtsprechung ohne einen kollektiven Kampf der Belegschaft ein stumpfes Schwert bleibt. Letztendlich bleibt auch das Recht eine Frage der Kräfteverhältnisse.