Gegen die Logik der Guillotine
Warum die Pariser Kommune das Mordinstrument verbrannte und wir es auch tun sollten
Von CrimethInc.
Am 6. April 1871 beschlagnahmten bewaffnete Teilnehmer*innen der revolutionären Pariser Kommune die in der Nähe des Gefängnisses von Paris gelagerte Guillotine. Sie brachten sie an den Fuß der Statue Voltaires, wo sie sie zunächst in Einzelteile zerbrachen und anschließend unter dem Applaus einer riesigen Menschenmenge verbrannten. Zu jener Zeit kontrollierte die Kommune Paris, die französische und die preußische Armee hatten die Stadt umstellt und bereiteten einen Einmarsch vor, um die konservative republikanische Regierung Adolphe Thiers einzusetzen. Unter diesen Umständen war das Verbrennen der Guillotine eine Geste, die die Herrschaft von Terror ebenso zurückwies wie die Idee, positiver sozialer Wandel könne durch das Abschlachten von Menschen erreicht werden.
»Was?«, sagst du schockiert. »Die Kommunard*innen haben die Guillotine verbrannt? Ich dachte, die Guillotine sei ein Symbol der Befreiung!«
Wenn die Guillotine kein Symbol der Befreiung ist, warum wurde sie dann zu einem Standardmotiv der radikalen Linke in den vergangenen Jahren? Warum ist das Internet voller Guillotine-Memes? Warum singen The Coup »We got the guillotine, you better run« (Wir haben die Guillotine, ihr haut besser ab) oder ist die bekannteste sozialistische Zeitschrift in den USA, Jacobin, nach Befürworter*innen der Guillotine, den Jakobinern, benannt? Die Guillotine hat unsere kollektive Vorstellungskraft in Beschlag genommen. In einer Zeit, in der sich die Gräben innerhalb unserer Gesellschaft ausweiten, repräsentiert sie kompromisslose blutige Rache. Sie steht für die Idee, dass staatliche Gewalt etwas Gutes sein könnte, wenn nur die richtigen Menschen an der Macht wären. Aber wenn wir es ernst meinen damit, die Welt verändern zu wollen, sind wir es uns selbst schuldig sicherzustellen, dass unsere Vorschläge nicht ebenso grausam sind wie die, die wir zu überwinden versuchen.
Du dachtest, die Guillotine sei ein Symbol der Befreiung?
Es überrascht nicht, dass Menschen heute blutige Rache wollen – für viele ist das tägliche Leben zunehmend erniedrigend und lässt sie sich immer ohnmächtiger fühlen.
Will ich mich rächen an den Polizeibeamt*innen, die ungestraft morden, an den Milliardär*innen, die Kapital aus Ausbeutung und Gentrifizierung schlagen, an den Fanatiker*innen, die Menschen schikanieren? Ja, selbstverständlich will ich das. Wenn ich an all das Leid denke, das sie verursachen, ist mir wirklich danach, ihnen ihre Knochen zu brechen, sie mit meinen bloßen Händen umzubringen.
Aber dieses Verlangen unterscheidet sich von meiner Politik. Ich verurteile andere Menschen nicht dafür, Rache zu wollen. Dennoch verwechsle ich solche Gelüste nicht mit einem Plan zur Befreiung.
Eine sehr kurze Geschichte der Guillotine
Lasst uns einen Blick auf die »revolutionäre« Rolle werfen, die die Guillotine in der Vergangenheit spielte. Die Guillotine ist mit radikaler Politik verknüpft, weil sie in der ersten Französischen Revolution genutzt wurde, um am 21. Januar 1793, einige Monate nach seiner Verhaftung, den Monarchen Ludwig den XVI. zu köpfen. Aber wenn die Büchse der Pandora – in diesem Fall der verheerenden Gewalt – einmal geöffnet wurde, ist es schwer, sie wieder zu schließen.
Nachdem Maximilien de Robespierre, einst Präsident der Jakobiner, die Guillotine zunächst als ein Instrument des sozialen Wandels benutzt hatte, setze er ihren Einsatz fort, um die Macht seiner Fraktion der republikanischen Regierung zu festigen. Wie für Demagogen üblich machten Robespierre, Georges Danton und andere Radikale davon Gebrauch, dass sie die Unterstützung der Sansculottes, der wütenden Armen, hatten, um die moderatere Fraktion der Jakobiner, die Girondisten, im Juni 1793 von der Macht zu verdrängen. Nach der Massenguillotinierung der Girondisten machte sich Robespierre daran, seine Macht auf Kosten Dantons, der Sansculottes und allen anderen auszubauen.
Zu Beginn des Jahres 1794 schickten Robespierre und seine Verbündeten eine große Zahl Menschen, die mindestens so radikal waren wie sie selbst, unter die Guillotine, darunter Anaxagoras Chaumette und die sogenannten Enragés, Jacques Hébert und die sogenannten Hébertisten, die frühe Feministin und Abolitionistin Olympe de Gouges, Camille Desmoulins (der so frech war, seinem Kindheitsfreund Robespierre vorzuschlagen, dass »Liebe stärker und länger anhaltend ist als Angst«) – und Desmoulins Frau obendrein, obwohl ihre Schwester Robespierres Verlobte gewesen war. Sie sorgten auch für die Guillotinierung von Georges Danton und Dantons Unterstützern sowie diverser anderer früherer Verbündeter. Um all dieses Blutvergießen zu zelebrieren, organisierte Robespierre das Fest des höchsten Wesens, eine öffentliche Pflichtzeremonie, mit der eine erfundene Staatsreligion eingeführt wurde.
Von da an dauerte es lediglich anderthalb Monate, bis Robespierre selbst guillotiniert wurde, nachdem er zu viele von denen, die an seiner Seite gegen die Konterrevolution hätten kämpfen können, ausgerottet hatte. Dies legte den Grundstein für eine Zeit der Reaktion, die in der Machtergreifung Napoleon Bonapartes und dessen Selbstkrönung zum Kaiser gipfelte. Dem republikanischen Kalender nach (einer Neuerung, die sich nicht durchsetze, aber während der Pariser Kommune kurzzeitig wiedereingeführt wurde) fand die Exekution Robespierres im Monat Thermidor statt. Infolgedessen ist der Name Thermidor auf ewig mit dem Beginn der Konterrevolution verbunden.
Aber es ist ein Fehler, sich auf Robespierre zu fokussieren. Robespierre war kein übermenschlicher Tyrann. Bestenfalls war er ein eifriger Apparatschik, der eine Rolle ausfüllte, um die zahlreiche Revolutionäre wetteiferten; eine Rolle, die eine andere Person ebenso gespielt hätte, wenn er es nicht getan hätte. Das Problem war systemisch – der Wettbewerb um zentralisierte diktatorische Macht –, nicht eine Frage individuellen Fehlverhaltens.
Die Tragödie der Jahre 1793 bis 1795 bestätigt, dass jedwedes Werkzeug, das du benutzt, um eine Revolution herbeizuführen, mit Sicherheit gegen dich verwendet werden wird. Aber das Problem ist nicht ausschließlich das Werkzeug, sondern die Logik dahinter. Statt Robespierre – oder Lenin, Stalin oder Pol Pot – zu dämonisieren, müssen wir die Logik der Guillotine auseinandernehmen.
Bis zu einem gewissen Ausmaß können wir nachvollziehen, wie Robespierre und seine Zeitgenossen darauf kamen, sich auf Massenmord als politisches Werkzeug zu verlassen. Sie waren bedroht durch die Invasion eines fremden Heeres, interne Komplotte und konterrevolutionäre Aufstände; sie trafen Entscheidungen in einer extrem stressigen Umgebung. Aber selbst wenn es möglich ist, dies nachzuvollziehen, so bleibt es unmöglich zu argumentieren, all die Morde seien notwendig gewesen, um ihre Position abzusichern: Ihre eigenen Exekutionen entkräften das Argument mit Nachdruck.
Ebenso falsch wäre es anzunehmen, die Guillotine sei hauptsächlich gegen die herrschende Klasse eingesetzt worden. Als vollkommene Bürokraten führten die Jakobiner detailliert Buch. Zwischen Juni 1793 und Ende Juli 1794 wurden offiziell 16.594 Menschen in Frankreich zum Tode verurteilt, darunter 2.639 in Paris. Von den formal unter dem Terror verhängten Todesstrafen wurden nur sparsame acht Prozent an Aristokrat*innen ausgeteilt, sechs Prozent trafen Mitglieder des Klerus. Der Rest verteilte sich auf die Mittelschicht und die Armen, mit einer großen Mehrheit der Opfer aus den unteren Schichten.
Was sich während der ersten Französischen Revolution abgespielt hatte, war kein Zufall. Ein halbes Jahrhundert später nahm die Französische Revolution von 1848 eine ähnliche Entwicklung. Im Februar verhalf eine von wütenden armen Menschen angeführte Revolution republikanischen Politiker*innen zu staatlicher Macht. Im Juni, als sich herausstellte, dass das Leben unter der neuen Regierung kaum besser war als das Leben unter einem König, revoltierten die Menschen in Paris erneut, und die Politiker befahlen der Armee, sie im Namen der Revolution zu massakrieren. Das legte den Grundstein für den Wahlsieg des Neffen Napoleons bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 1848, der versprach, die Ordnung wiederherzustellen. Drei Jahre später, nachdem alle republikanischen Politiker ins Exil geschickt worden waren, schaffte Napoleon III. die Republik ab und krönte sich selbst zum Kaiser – womit er Marx zu dessen berühmter Bemerkung veranlasste, dass Geschichte sich selbst stets wiederhole – »das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce«.
Ähnlich lief es, nachdem die Französische Revolution von 1870 Adolphe Thiers an die Macht brachte: Er schlachtete skrupellos die Pariser Kommune ab, aber auch das ebnete nur den Weg für noch reaktionärere Politiker als ihn selbst, die ihn 1873 ersetzten. Diese drei Fälle verdeutlichen, wie Revolutionär*innen, die fest entschlossen sind, staatliche Macht auszuüben, sich die Logik der Guillotine zu eigen machen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Dann, nachdem sie (in der Hoffnung, ihre Kontrolle zu festigen) brutal andere Revolutionär*innen vernichtet haben, werden sie jedoch selbst unvermeidbar von reaktionäreren Kräften bezwungen.
Die Guillotine ist also kein Instrument der Befreiung. Das war bereits 1795 klar, deutlich über ein Jahrhundert, bevor die Bolschewiken ihren eigenen Terror starteten, fast zwei Jahrhunderte bevor die Roten Khmer rund ein Viertel der Bevölkerung von Kambodscha ermordeten.
Staatsgewalt als Fetisch
Es ist vor diesem Hintergrund einerseits schockierend, dass sich Radikale selbst heute noch mit den Jakobinern zusammentun würden, obgleich es bereits Ende 1793 reaktionär war. Aber die Erklärung dafür ist andererseits nicht so kompliziert. Denn es gibt (damals wie heute) Menschen, die sich selbst als radikal begreifen möchten, ohne einen wirklich radikalen Bruch mit den Institutionen und Praktiken, die ihnen vertraut sind, herbeiführen zu wollen. »Die Tradition aller toten Generationen lastet wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden«, drückte Marx es aus.
Wenn – um Max Webers berühmte Definition zu nutzen – sich eine aufstrebende Regierung qualifiziert, den Staat zu repräsentieren, indem sie das Monopol auf die Berechtigung zur Gewaltanwendung in einem bestehenden Gebiet erreicht, dann ist einer der überzeugendsten Wege, ihre Souveränität zu demonstrieren, ungestraft tödliche Gewalt auszuüben. Das erklärt die diversen Berichte darüber, dass öffentliche Enthauptungen während der Französischen Revolution als festliche oder sogar religiöse Veranstaltungen wahrgenommen wurden. Vor der Revolution waren Enthauptungen Bekräftigungen der heiligen Autorität der Monarchen; während der Revolution, als die Repräsentanten der Revolution den Exekutionen vorstanden, bekräftigte dies, dass sie die Souveränität innehatten – im Namen des Volkes natürlich. »Ludwig muss sterben, damit die Nation leben kann«, hatte Robespierre verkündet, bestrebt, die Geburt des bourgeoisen Nationalismus zu weihen, indem er ihn wörtlich mit dem Blut der vorhergehenden sozialen Ordnung taufte. Ab dem Moment ihrer Einführung auf dieser Basis benötigte die Republik fortlaufend Opfer, um ihre Herrschaft zu bekräftigen.
Als Radikale*r die Guillotine zum Fetisch zu erheben heißt, den Staat zu fetischisieren.
Hier sehen wir die Essenz des Staates: Er kann umbringen, aber kein Leben geben. Als Konzentration politischer Legitimität und Gewalt kann er verletzen, aber er kann nicht die Sorte positiver Freiheit herstellen, die Individuen erfahren, wenn sie in Gemeinschaften verwurzelt sind, die auf gegenseitiger Unterstützung aufbauen. Er kann nicht die Art von Solidarität schaffen, die zur Folge hat, dass Harmonie zwischen Menschen wächst. Alles, was wir anderen mit staatlichen Mitteln antun können, können andere uns mit staatlichen Mitteln antun – wie Robespierre auf die harte Tour lernen musste –, aber keine*r kann den Gewaltapparat des Staates zum Zweck der Befreiung nutzen. Als Radikale*r die Guillotine zum Fetisch zu erheben ist, wie den Staat zu fetischisieren: Es bedeutet, ein Mordinstrument zu feiern, das immer hauptsächlich gegen uns genutzt werden wird.
Wer einen positiven Bezug zur eigenen Tätigkeit verloren hat, sucht oft nach einem Ersatz, um sich mit diesem zu identifizieren – einem Führer, dessen Gewalt den Platz einnehmen kann für das eigene Verlangen nach Rache als Konsequenz der eigenen Machtlosigkeit. In Zeiten von Trump bekommen wir deutlich zu spüren, wie sich das Leben unter sich entrechtet fühlenden Unterstützer*innen rechter Politik anfühlt. Aber es gibt in der Linken ebenso Menschen, die sich ohnmächtig und wütend fühlen, Menschen, die Sehnsucht nach Rache haben, Menschen, die wollen, dass der Staat, der sie gebrochen hat, gegen ihre Feinde gerichtet werden möge.
Heute, da die Sowjetunion bereits seit 30 Jahren Geschichte ist – und der Schwierigkeit geschuldet, Informationen aus erster Hand von der ausgebeuteten chinesischen Arbeiterklasse zu erhalten –, erleben viele Menschen in Nordamerika autoritären Sozialismus als ein komplett abstraktes Konzept, so weit weg von ihrer erlebten Erfahrung wie Massenexekutionen mit der Guillotine. Sie wünschen sich nicht ausschließlich Rache, sondern darüber hinaus eine*n Erlöser*in, um sie sowohl aus dem Alptraum des Kapitalismus als auch aus der Verantwortung, selbst eine Alternative dazu aufbauen zu müssen, zu retten. Sie erträumen den autoritären Staat als den Erlöser, der in ihrem Namen kämpfen könnte. Erinnern wir uns an das, was George Orwell über die bequemen britischen stalinistischen Autoren der 1930er Jahre in seinem Essay »Im Inneren des Wals« sagte: »Menschen dieser Art sind Dinge wie Säuberungen, Geheimpolizei, standrechtliche Hinrichtungen, Haft ohne Verfahren etc., etc. viel zu fremd, um furchteinflößend zu sein. Sie können Totalitarismus schlucken, weil sie keinerlei Erfahrungen außer Liberalismus haben.«
Die Schuldigen bestrafen
Im Großen und Ganzen tendieren wir dazu, uns des Unrechts, das uns angetan wird, stärker bewusst zu sein, als des Unrechts, das wir anderen antun. Wir sind gefährlicher, wenn wir das Gefühl haben, uns sei das meiste Unrecht angetan worden, da wir uns dann am stärksten berechtigt fühlen, selbst zu urteilen, selbst grausam zu sein.
Als ein Symbol der Vergeltung führt die Guillotine uns in Versuchung, uns vorzustellen, wir seien die Richtenden, gesalbt mit dem Blut des Bösen. Die christliche Logik von Rechtschaffenheit und Verdammung ist essenziell in diesem Bild. Im Gegenteil sollte uns die Guillotine – wenn wir sie nutzen wollen, um irgendwas zu symbolisieren – an die Gefahr erinnern, zu dem zu werden, was wir hassen. Wenn jemand bereits deiner Macht ausgeliefert ist, ist es verachtenswert, ihn*sie umzubringen. Das ist der ausschlaggebende Moment einer jeden Revolution, der Moment, an dem die Revolutionär*innen die Möglichkeit haben, unnötig Rache zu üben, auszurotten statt schlicht zu siegen. Wenn sie diesen Test nicht bestehen, wird ihr Sieg tragischer sein als jedes Scheitern.
Die schlimmste Strafe, die wir denen, die uns heute regieren, schikanieren und kontrollieren, zufügen könnten, wäre, sie dazu zu nötigen, in einer Gesellschaft zu leben, in der alles, was sie getan haben, als beschämend betrachtet wird – sie müssten in Versammlungen sitzen, in denen ihnen kein Mensch zuhört, sie müssten weiter unter uns leben, ohne Privilegien und in vollem Bewusstsein all der Schäden, die sie verursacht haben. Wenn wir von irgendetwas fantasieren, dann lasst uns darüber fantasieren, unsere Bewegungen so stark zu machen, dass wir kaum jemanden werden umbringen müssen, um den Staat zu stürzen und den Kapitalismus abzuschaffen. Das passt auch besser zu unserer Würde als Partisan*innen der Befreiung.
Es ist möglich, sich einem revolutionären Kampf mit allen nötigen Mitteln zu verpflichten, ohne das Leben gering zu schätzen. Es ist möglich, den scheinheiligen Moralismus des Pazifismus zu meiden, ohne dabei eine zynische Begierde nach Blut zu entwickeln. Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, Macht auszuüben, ohne Macht über andere als unser wahres Ziel misszuverstehen, das darin besteht, kollektiv die Bedingungen für wirkliche Freiheit für alle zu erschaffen.
Befreiung, nicht Auslöschung
Also weisen wir die Logik der Guillotine zurück. Wir wollen unsere Gegner nicht auslöschen. Wir glauben nicht, dass der Weg zur Harmonie darin besteht, jede*n, der*die unsere Ideologie nicht teilt, von der Erde zu entfernen. Unsere Vision ist eine Welt, in der viele Welten Platz haben, wie Subcomandante Marcos es ausdrückte – eine Welt, in der das einzig Unmögliche ist, zu herrschen und zu unterdrücken.
Unser Vorschlag ist anarchistische Revolution, da sie endlich Sehnsüchte erfüllen könnte, die die bestehende soziale Ordnung niemals befriedigen wird: den Wunsch, sich und den Liebsten etwas zu bieten, ohne es auf Kosten anderer zu tun; den Wunsch, Wertschätzung für die eigene Kreativität und den eigenen Charakter zu erfahren, statt dafür, wie viel Profit wir generieren können; das Bedürfnis, das eigene Leben rund um das zu strukturieren, was wirklich Spaß macht, anstatt auf der Basis von Konkurrenz.
Überlassen wir es dabei den Antisemit*innen und anderen Fanatiker*innen, den Feind als eine bestimmte Art von Menschen zu beschreiben, und alles, wovor sie sich fürchten, als das Andere zu personifizieren. Unser Gegenspieler ist nicht eine bestimmte Sorte Mensch, sondern die Form sozialer Beziehungen, die Widerstreit zwischen Menschen zum grundlegenden Modell für Politik und Wirtschaft erhebt. Die herrschende Klasse abzuschaffen, bedeutet nicht, alle Menschen zu guillotinieren, die momentan eine Yacht oder ein Penthouse besitzen; es bedeutet, es unmöglich zu machen, dass irgendjemand systematisch Zwangsmaßnahmen gegen andere ausübt. Sobald das unmöglich ist, wird keine Yacht und kein Penthouse lange leer stehen.
Und was unsere direkten Widersacher angeht – jene spezifischen Menschen, die fest entschlossen sind, die bestehende Ordnung um jeden Preis aufrecht zu erhalten –, so streben wir an, sie zu besiegen, nicht sie auszulöschen. Selbst wenn wir uns mit unseren Gegner*innen in einen körperlichen Kampf stürzen, sollten wir einen tiefen Glauben an ihr Potenzial bewahren, denn wir hoffen, eines Tages in anderen Beziehungen zu ihnen zu leben. Als Revolutionär*innen ist diese Hoffnung unsere kostbarste Quelle, die Grundlage von allem, was wir tun. Wenn revolutionärer Wandel sich in der Gesellschaft und weltweit verbreiten soll, so werden diejenigen, die wir heute bekämpfen, morgen schon an unserer Seite kämpfen müssen. Wir predigen weder den Wandel mit dem Schwert, noch stellen wir uns vor, unsere Gegner*innen auf einem abstrakten Markt der Möglichkeiten zu überzeugen; stattdessen zielen wir darauf, die Arten, wie sich Kapitalismus und der Staat derzeit selbst reproduzieren, zu unterbrechen und gleichzeitig die Vorzüge unserer Alternative umfassend und ansteckend zu demonstrieren. Es gibt keine Abkürzungen, wenn es um dauerhafte Veränderung geht.
Wenn wir gezwungen sind, körperliche Gewalt anzuwenden, so ist die einzig mögliche Rechtfertigung, dass dies ein notwendiger Schritt ist, um eine bessere Welt für alle aufzubauen – einschließlich unserer Feind*innen – oder jedenfalls ihrer Kinder. Ansonsten riskieren wir, die nächsten Jakobiner zu werden, die nächsten Schänder der Revolution.
Nachtrag:
Die Guillotine beendete ihre Karriere weder mit dem Abschluss der ersten französischen Revolution, noch als sie während der Pariser Kommune verbrannt wurde. Tatsächlich wurde sie in Frankreich bis 1977 vom Staat als Mittel zum Vollzug der Todesstrafe genutzt. Eine der letzten Frauen, die auf der Guillotine starb, wurde exekutiert, weil sie Abtreibungen anbot. Die Nazis brachten zwischen 1933 und 1945 rund 16.500 Menschen mit der Guillotine um – ebenso viele Menschen, wie zu Hochzeiten des Terrors in Frankreich umgebracht wurden.
Eine längere Fassung des Artikels ist im CrimethInc.-Buch »Writings on the Wall. Communiqués 2012–2020« zu lesen, das Ende 2020 im Unrast Verlag erschien. Das englische Original des Textes erschien im April 2019 unter dem Titel »Against the Logic of the Guillotine« auf crimethinc.com.