Zwischen Unterkunftsuche und Lobbyarbeit
In Berlin kämpft ein Netzwerk von BPoC-Organistionen für die Gleichbehandlung von rassifizierten Geflüchteten aus der Ukraine
Von Laurence Meyer und Mihir Sharma
Fast unmittelbar nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine machten sich Schutzsuchende in den Westen auf – sie gingen nach Polen, in die Slowakei und zu Hunderttausenden nach Deutschland. Unter ihnen waren viele, die rassistisch diskriminiert werden. Ein Bericht aus Berlin, wo sich ein Netzwerk von Organisationen formierte, um Ankunftshilfe zu leisten.
»Sie mussten stunden-, teils tagelang in der Schlange am Grenzübergang warten, während weiße Ukrainer*innen an ihnen vorbei durchgelassen wurden«, berichtet Jeff Klein von EOTO, einem Berliner Verein, der als Teil eines Nothilfe-Bündnisses am Grenzübergang Medyka in Polen war, der taz.
Rassismus auf der Flucht und danach
Nachdem die Geflüchteten es lebend aus der Ukraine geschafft hatten, kamen viele von ihnen nach Polen. Die dortige Polizei griff gezielt rassifizierte Menschen raus und brachte sie an inoffizielle und unbekannte Orte. Erst nach Protesten von Aktivist*innen, Menschenrechtsorganisationen und Häftlingen, die gegen ihre Ingewahrsamnahme protestierten, sowie dem Erscheinen erster Medienberichte beugte sich die polnische Regierung dem Druck, die Gefangenen freizulassen. Anschließend brachten sich viele Geflüchtete weiter westwärts nach Deutschland in Sicherheit. Doch auch hier bleibt ihre Zukunft aufgrund bürokratischer Hürden und systemischen Rassismus ungewiss.
Während sich infolge des Krieges in Deutschland und ganz Europa Initiativen aus Einzelpersonen, Verbänden und Regierungsorganen formierten, um Menschen, die aus der Ukraine fliehen, zu unterstützen, meldeten schon Anfang März Journalist*innen, Aktivist*innen und Organisationen wie die Afrikanische Union rassistische Diskriminierung auf der Fluchtroute. »Viele dieser Initiativen berücksichtigten nicht die in der Ukraine lebenden Schwarzen und People of Color oder Menschen, die aus der Ukraine flohen, aber nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit besaßen. So haben wir angefangen, uns hier in Berlin zu organisieren«, erzählt Jennifer von International Women* Space ak.
Die Ankunft in Berlin war nicht einfach. »Wir und andere mussten uns darum bemühen, dass Menschen mit multinationalen Familien und Menschen ohne ukrainische Pässe, die aber trotzdem aus der Ukraine fliehen mussten, wie Student*innen oder Arbeiter*innen aus Nigeria, Indien oder Kamerun, auch vom deutschen Staat anerkannt werden, um Anspruch auf ihre Leistungen erheben zu dürfen«, erzählt Iman Abdikarim, eine der Gründer*innen der Ankunftshilfe am Berliner Hauptbahnhof.
In Berlin begann ein Netzwerk aus BPoC-geführten Organisationen (EOTO, Migrationsrat, International Women* Space, ISD, Casa Kuà und das Tubman Network) aufgrund der Berichte über Diskriminierung an den Grenzen mit dem Aufbau von Strukturen, um gezielt BPoC-Personen aufzunehmen und zu unterstützen.
Das Netzwerk richtete in der ersten Woche einen Stand am Berliner Hauptbahnhof ein. Personen, die dort ankamen, wurden dann zu Organisationen wie EOTO umgeleitet, wo Freiwillige und Mitarbeiter*innen den Zugang zu vorübergehenden Unterkünften, rechtliche und finanzielle Unterstützung sowie Kleidung, Bettzeug usw. koordinierten. Freiwillige Fahrer*innen fuhren die Menschen zu den jeweiligen Wohnungen, wo sie meistens nur kurzzeitig bleiben durften. Später entstanden zwei neue Ankunftspunkte, die für eine längerfristige Koordination besser geeignet waren: das Centre Français im Wedding und das Tubman Center in Kreuzberg.
Im Centre Français unterstützen EOTO, Migrationsrat, International Women* Space und ISD nun gemeinsam das Projekt CommUnities Support for BIPoC Refugees Ukraine (CUSBU). Es gibt eine offene Küche mit Essen und warmen Getränken, ein paar Rechner und Tische und Stühle, die an eine Schule erinnern. Daneben gibt es Räume für private Treffen. Junge Leute, meist junge Männer, versammeln sich hier und da um einen der Laptops und versuchen, mit Hilfe der anwesenden Betreuer*innen eine Unterkunft zu finden. Vicky Germain von EOTO springt von einem Anruf zum anderen und jongliert, so scheint es, zwischen Lobbyarbeit und Verhandlungen mit Hostels, um Schlafplätze zu finden.
Die Organisation Les Migras bietet psychosoziale Beratung an. »Wir haben natürlich versucht zu mobilisieren und so viel wie möglich, mit den verfügbaren Mitteln, eine Art von Solidarität zu leisten, insbesondere für LGBTQI BPoCs, weil sie eine der am stärksten gefährdeten Gruppen sind«, sagte uns Syrine von Les Migras.
Vor allem Schwarze cisgeschlechtliche Männer (1) haben Probleme, eine Unterkunft zu finden. Jennifer Kamau vom IW*S erklärt, warum: »Sie sind junge Menschen, Studenten, die verwirrt und gestrandet sind, aber die rassistischen Stereotypen von Schwarzen Männern und Kriminalität machen es schwer, Unterkünfte zu finden.« Laut einem Social-Media-Beitrag des Tubman Netzwerk scheinen die fehlenden Unterkunftsmöglichkeiten auch darauf zurückzuführen zu sein, dass nicht genügend cisgeschlechtliche Männer Unterkünfte anbieten.
Auf die Frage, ob Deutschland ihrer Meinung nach mit zweierlei Maß misst hinsichtlich der Behandlung von Geflüchteten, stimmten alle ohne zu zögern zu. »Deutschland hat eine Geschichte des Teilens und Herrschens, es ist ein sehr koloniales Konzept. Selbst in der Zeit von 2015, als die Syrer*innen kamen, gab es die guten und die schlechten Flüchtlinge, dieses Mal gibt es den VIP-Flüchtling und dann gibt es die BPoC-Gemeinschaften«, so Jennifer von IW*S. Sulti vom Gesundheits- und Communityzentrum Casa Kuà fügt hinzu: »Es ist toll zu sehen, dass die meisten Menschen, die aus der Ukraine flohen, mit offenen Armen empfangen werden. Gleichzeitig ist es eine Schande, dass Menschen aus Afghanistan oder Syrien nach mehreren Jahren immer noch in Container-Wohnungen leben müssen.« Casa Kuà engagiert sich insbesondere für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre BIPoC-Personen. Menschen aus vielen verschiedenen Ländern kämen hierher, doch »überall in Deutschland sind ukrainische Flaggen zu sehen, aber nirgendwo eine Afghanistan-Flagge oder Palästinenser-Flagge – außer in der Sonnenallee«, sagt Sulti und lacht.
Rechtliche Unsicherheit
Der rassistische Doppelstandard zeigt sich auch in den rechtlichen Rahmenbedingungen, die derzeit in Bezug auf die Fluchtbewegung aus der Ukraine entwickelt werden. Wer sich am 24. Februar 2022 – dem Beginn der Invasion – in der Ukraine aufhielt, braucht bis zum 31. August 2022 keine Aufenthaltserlaubnis für die Einreise und den Aufenthalt in Deutschland.
Menschen, die ohne ukrainischen Pass aus der Ukraine geflüchtet sind, befinden sich derzeit in einem ständigen Zustand der Unsicherheit, was ihre Wohn-, Bildungs-, Arbeits- und Aufenthaltssituation betrifft. Während Inhaber*innen eines ukrainischen Passes gemäß der Richtlinie über den vorübergehenden Schutz Zugang zum Schulsystem, zur Familienzusammenführung und zum Arbeitsmarkt garantiert wird, ist die Rechtslage für Drittstaatsangehörige, insbesondere für diejenigen, die nicht bereits in der Ukraine als Flüchtlinge oder Asylberechtigte anerkannt wurden, unklar. Pro Asyl rät derzeit deutlich davon ab, einen Asylantrag zu stellen, bis sich die Situation geklärt hat.
Die Regeln ändern sich so häufig, dass es schwierig ist, ihnen zu folgen.
Die Regeln ändern sich so häufig, dass es selbst für die unterstützenden Organisationen schwierig ist, ihnen zu folgen. Die Räumlichkeiten des Centre français sind nicht direkt für eine Rechtsberatung vorgesehen, aber die Aktivist*innen »stellen die Verbindung dafür her«, sagt Rajaa von der Ankunftshilfe. Syrine von Les Migras fügt hinzu: »Der Anwalt hat gestern gesagt, dass wir immer noch keine klare Antwort haben. Wir warten immer noch darauf, dass das Innenministerium die Verfahren klärt, weil sie bis jetzt immer noch unklar sind und die dreimonatige Aufenthaltsgenehmigung bald ausläuft.«
Die Situation für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre BIPoCs ist besonders schwierig. »Sie werden mit den bestehenden und intersektionalen Unterdrückungen von Rassismus, Transphobie, Flüchtlingsfeindlichkeit in Deutschland konfrontiert«, erzählte uns Alex von Casa Kuà. »Sie haben mit der strukturellen Transfeindichlichkeit des medizinischen System, was Hormone, Medikamente und Pflege angeht, zu kämpfen, geraten aber auch in Schwierigkeiten mit den Behörden wegen abweichenden Namen auf Dokumenten, wegen Angaben unter Geschlecht in unterschiedlichen Kontexten und weil das System nicht für sie gedacht und gemacht ist. Bis sie ihren Weg zu uns finden, wurden sie in der Regel schon mehrmals von Sozialarbeiter*innen und Polizist*innen diskriminiert, die eigentlich dafür angestellt sind, ihnen zu helfen.« Auch mit den Gastgeber*innen, die ihr Angebot zurückziehen, sobald sie merkten, dass die Person Schwarz oder Person of Colour sei, gebe es Probleme.
In der letzten Märzwoche veröffentlichten afrikanische und andere internationale Studierende, die aus der Ukraine nach Deutschland geflohen waren, einen offenen Brief an deutsche und EU-Behörden, in dem sie die Erfüllung des Gleichstellungsversprechens als Flüchtlinge aus der Ukraine forderten. Sie verwiesen auf ihren Ausschluss von der Grundversorgung nach ihrer Flucht und forderten das Recht auf Studium, Arbeit und Sozialleistungen, die ukrainischen Passinhaber*innen gewährt werden, nicht aber anderen, die aus der Ukraine fliehen.
Aktivist*innen, die sich für die Unterstützung von BIPoC-Flüchtlingen einsetzen, befinden sich in einer angespannten Lage. Viele Dienste werden von Freiwilligen betrieben, und der Bedarf an Unterstützung ändert sich ständig. Die doppelte Belastung durch die Bereitstellung von Ressourcen wie Lebensmitteln, Unterkunft und Materialien für den Lebensunterhalt bei gleichzeitiger Kampagnen- und Lobbyarbeit bleibt eine der größten Herausforderungen für die Netzwerke. Alex von Casa Kuà kommentiert die Situation vor Ort so: »Momentan haben wir viele Anfragen nach psychologischer Beratung, morgen werden es vielleicht Deutschkurse sein, die wir versuchen werden zu organisieren – aber die Frage bleibt, wie Menschen ein Leben beginnen können, wenn sie sich in einem ständigen Ausnahmezustand befinden mit keinerlei Ende in Sicht.«
Anmerkung:
1) Das Adjektiv »cis« bezeichnet Menschen, die sich mit der Geschlechtsidentität identifizieren, die sie bei ihrer Geburt zugewiesen bekommen haben.