analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 705 | Deutschland

Mit der falschen Jacke zur Demo

Beim G20-Rondenbarg-Prozess in Hamburg stehen Aktivist*innen vor Gericht, ohne individuellen Tatvorwurf – ein Gespräch mit einem Angeklagten

Interview: Gaston Kirsche

Solikundgebung vor dem Hamburger Oberlandesgericht, wo die Behörden nun zum dritten Mal versuchen, G20-Gegner*innen, die 2017 beim Rondenbarg waren, zu kriminalisieren. Foto: Gaston Kirsche

Zwölf Krankenwagen stehen kreuz und quer auf der Straße Rondenbarg; dicht daneben auf dem Boden liegen Verletzte. Auf dem Asphalt verstreut: Transparente, Rucksäcke, Trinkflaschen. Wer immer dieses Foto gemacht hat; es ist eine beklemmende Momentaufnahme der Folgen von Polizeigewalt – die es laut Bundeskanzler Olaf Scholz rund um den G20-Gipfel vom 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg angeblich nie gegeben hat. Am ersten Tag des Gipfels versuchten Gipfelgegner*innen, mit Mitteln des zivilen Ungehorsams an fünf Stellen die Zugänge zum Tagungsort der G20 gewaltfrei zu blockieren. Die Polizei ging hiergegen massiv vor. Auch in der Straße Rondenbarg, auf der eine kleine Demo zum Blockadepunkt unterwegs war. Mit dabei war auch Nils Jansen. Der damals 22-jährige Aktive aus dem geschäftsführenden ver.di-Bezirksjugendvorstand NRW-Süd ist inzwischen 29 Jahre alt und studiert Wirtschaft in Berlin. Seit dem 18. Januar 2024 steht er wegen seiner Teilnahme an der Demonstration auf der Straße Rondenbarg in Hamburg als Angeklagter vor einer Großen Strafkammer am Landgericht Hamburg. Mit ihm sprach Gaston Kirsche.

Warum war es dir wichtig, 2017 in Hamburg gegen den G20-Gipfel zu protestieren?

Nils Jansen: Insgesamt sind die G20 die wirtschaftlich mächtigsten Länder, und sie haben diese wirtschaftliche Vormachtstellung eben auf Kosten des Rests der Welt, auf Kosten der wirtschaftlich abhängigen Länder. Ich war, wie viele andere Menschen auch, in Hamburg für grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen auf der Straße: Die G20 sind für mich nur die Spitze eines ganzen Systems der Ausbeutung, die Spitze dieses globalisierten Kapitalismus, unter dem die Mehrheit der Weltbevölkerung zu leiden hat. Ich war in Hamburg deshalb auch auf der Straße für grundsätzliche Alternativen zum Kapitalismus.

Weswegen wurdest du jetzt angeklagt?

Am Morgen des 7. Juli 2017 wurde in Hamburg breit aufgerufen, zu demonstrieren und mit zivilem Ungehorsam die Zufahrtswege zum G20-Gipfel zu blockieren. Eine der G20-kritischen Demonstrationen wurde in der Straße Rondenbarg von einer Sondereinheit der Polizei eingekesselt und aufgelöst. Aus der Berichterstattung ergibt sich das Bild eines regelrechten Überfalls der Polizei auf die Demonstration: Es waren zwölf Rettungswagen nötig, um die 14 teils schwer verletzten Demonstrant*innen ins Krankenhaus zu bringen. Trotz der dokumentierten Polizeigewalt wurde nach wie vor keiner der beteiligten Beamten des Berliner BFE Blumberg angeklagt. 

Mit BFE meinst du: eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit?

Ja. Aber stattdessen stehen jetzt die Demonstrierenden vor Gericht; 86 Menschen wurden angeklagt, meist wegen schwerem Landfriedensbruch. Der Großteil wurde direkt vor Ort festgenommen, ein anderer Teil wurde im Rahmen der haarsträubenden Öffentlichkeitsfahndung im Nachhinein ermittelt. Schlagzeilen gemacht hat das Verfahren gegen den jungen italienischen Azubi Fabio – er saß über fünf Monate in U-Haft; sein Verfahren ist dann geplatzt, weil die Richterin in Mutterschutz ging. Keinem der Angeklagten wird eine individuelle Tat vorgeworfen. Die bloße Anwesenheit auf der Demonstration soll für eine Verurteilung reichen. Das würde Kollektivstrafen gegen Demonstrierende zunehmend als Standard etablieren. Allein die Möglichkeit für die bloße Teilnahme an einer Demonstration vor Gericht zu landen, kann schon heute abschrecken, überhaupt an Versammlungen teilzunehmen. Das Verfahren bedroht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit; gerade heutzutage ist das brandgefährlich. Beim Rondenbarg-Prozess geht es deshalb nicht nur um uns Angeklagte, sondern um das Recht auf freie Versammlung überhaupt.

Ohne die großartige Solidarität würde man das kaum schaffen. Ich bin total überwältigt von der Unterstützung, die wir Angeklagten gerade bekommen.

Seit fünf Monaten läuft jetzt der Prozess gegen euch – kann die Staatsanwaltschaft ihre Argumentation aus der Anklageschrift noch aufrechterhalten, dass Gewalttätigkeiten allen anwesenden Demonstrant*innen zuzurechnen seien?

Nein. Gleich zu Beginn des Prozesses wies die Vorsitzende Richterin Sonja Boddin einen Großteil der Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft zurück: Sie lehnte den Vergleich der Demonstration mit einem Hooligan-Aufmarsch – in Referenz auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes von Mai 2017 – ab und erkannte an, dass es sich bei der Demonstration am Rondenbarg grundsätzlich um eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes handelte. Unklar sei, ob sich das im Laufe der Demo geändert habe. Das nimmt für uns Angeklagte einen Teil des Drucks, politisch ist die Gefahr damit aber noch nicht gebannt. Die Gefahr einer Einschränkung des Demonstrationsrechts durch Kollektivstrafen ist eher sogar noch gewachsen: In Zukunft könnte schon die falsche Jacke auf einer Demo zum Problem werden.

Wie das? 

Der Demozug am Rondenbarg war als Teil des Farbkonzepts von Block G20 größtenteils dunkel gekleidet. Es gab einen roten, blauen, grünen, pinken und schwarzen Finger – wir waren der Schwarze. Daraus konstruiert das Gericht jetzt eine psychische Beihilfe und zieht eine kollektive Verurteilung wegen Landfriedensbruch in Betracht. Wenn schon ähnliche Kleidung für eine kollektive Strafbarkeit ausreicht, was bleibt dann übrig von selbstbestimmter Gestaltung politischer Versammlungen? Insbesondere Aktionen des zivilen Ungehorsams mit einheitlichen Outfits geraten so ins Visier der Justiz. Dabei braucht diese Gesellschaft angesichts von Kriegen, Klimakrise und rechter Hetze gerade jetzt mehr mutige Menschen, die ihr demokratisches Recht auf Versammlungsfreiheit kreativ und vielfältig nutzen.

Hat die bisherige Beweiserhebung euch als Angeklagte denn entlastet?

Ja, viele Behauptungen von Staatsanwaltschaft und SOKO Schwarzer Block sind schnell ins Wanken geraten. Insbesondere hat sich durch die Befragung zweier Polizisten aus Eutin ergeben, dass es, anders als von der Staatsanwaltschaft behauptet, vor dem Rondenbarg keine Steinwürfe auf die Polizei gegeben hat. Auch viele der angeblichen Beschädigungen an Polizeiautos stammten von völlig anderen Einsätzen. 

Wie kam es zur Ladung des Protestforschers Sebastian Haunss?

Die Vorsitzende Richterin erhoffte sich dadurch Hintergründe zum vermeintlichen schwarzen Block. Haunss bestätigte dann genau das, was auch wir von Beginn an erklärten: Die Farbe Schwarz war hier Teil der Fünf-Finger-Taktik der angekündigten Blockaden. Roter, blauer, grüner, pinker und schwarzer Finger wollten frühmorgens in Richtung Innenstadt demonstrieren, um die Zufahrtswege zum Gipfel durch zivilen Ungehorsam zu blockieren. 

Wie lief die gerichtliche Vernehmung Ende Mai des Hundertschaftsführers und zweier Beamter der Einheit der Bundespolizei Blumberg? 

Der Auftritt der BFE Blumberg war ernüchternd. Ein eingesetzter Beamter sagte am 30. Mai, er habe nach dem Einsatz nicht schlecht geschlafen, auch nicht, nachdem er die schweren Verletzungen gesehen hatte. Es sei ein normaler Einsatz gewesen. Auch der Hundertschaftsführer sagte, aus seiner Sicht sei der Einsatz nicht aus dem Ruder gelaufen. Immerhin konnte der Fahrer des Führungsfahrzeuges der BFE Blumberg aufklären, dass die in der Akte dokumentierten Schäden am Fahrzeug aus einem vollkommen anderen Einsatz stammen. 

Wie gehst du mit der Belastung durch den Prozess um, alle zwei Wochen für zwei Werktage vor Gericht zu stehen? 

Der Prozess kostet mehr als nur Nerven, das Ganze läuft ja schon seit Jahren: Du wirst festgenommen, dann sperren sie dich tagelang in die Gefangenensammelstelle ein, dann kommst du nach Hause, kriegst diese Anzeige. Und Ende letzten Jahres war es dann so weit, seit Januar fahren wir zweimal im Monat für mehrere Tage nach Hamburg – das ist eine enorme Belastung, sowohl persönlich als auch finanziell. 

Wie wichtig ist die Solidaritätsbewegung für dich?

Ohne die großartige Solidarität würde man das kaum schaffen. Ich bin total überwältigt von der Unterstützung, die wir Angeklagten gerade bekommen.

Wird der Prozess noch vor dem siebten Jahrestag des G20-Gipfels in Hamburg um den 7. Juli herum zu Ende gebracht?  

Wahrscheinlich dauert es sogar noch bis August. Am Samstag vor dem Tag X der Urteilsverkündung sind in Hamburg und Karlsruhe Demonstrationen geplant; am Tag des Urteils selbst soll es eine Kundgebung in Hamburg am Gericht geben.

Gaston Kirsche

ist freier Journalist, war Mitglied im Kommunistischen Bund (KB) und ist in der außerparlamentarischen Linken und bei ver.di aktiv.

Anmerkung:

Mehr Infos dazu auf gemeinschaftlich.noblogs.org