Mit Vergesellschaftung gegen Care- und Klimakrise
Die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Winker plädiert für eine Allianz aus Feminismus und Klimabewegung
Interview: Peter Nowak
Im Gespräch mit ak legt die Autorin des kürzlich erschienenen Buchs »Solidarische Ökonomie – revolutionäre Realpolitik für Care und Klima« dar, wo Schnittpunkte zwischen der Care Revolution und der Klimagerechtigkeitsbewegung zu suchen sind.
2015 haben Sie im Transcript-Verlag schon ein Buch zur Care Revolution herausgegeben. Wo ist der Unterschied zu Ihrem aktuellen Buch?
Gabriele Winker: Damals habe ich mit der Analyse der Krise sozialer Reproduktion die Gründe für die Überlastung von Sorgearbeitenden herausgearbeitet und daraus die Transformationsstrategie der Care Revolution entwickelt. Mit dem neuen Buch möchte ich verdeutlichen, wie wir mit dem Eintreten für gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die neue Räume für gelingende Sorgebeziehungen schaffen, auch einen Beitrag zum Abbremsen der Erderwärmung leisten können.
Gabriele Winker
war Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies und ist im Netzwerk Care Revolution aktiv.
»Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima« heißt es im Untertitel. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen beiden Bewegungen?
Damit sich Menschen gut umeinander kümmern können, ist es nicht ausreichend, die Arbeitsbedingungen für Care-Beschäftigte und familiär Sorgearbeitende zu verbessern. Menschen sind Teil der Natur und auf hinreichend intakte Ökosysteme angewiesen. Zudem stellen beide Bewegungen reiche soziale Beziehungen und eine Abkehr vom Wachstumszwang ins Zentrum einer gesellschaftlichen Alternative. Gleichzeitig verdeutliche ich in meinem Buch, dass die ökologische Zerstörung sowie die Gefährdung von Sorgebeziehungen Folgen von parallel verlaufenden Krisen, der Krise sozialer und der Krise ökologischer Reproduktion, sind. Beide werden vom selben kapitalistischen System verursacht und beide, so zeigt es meine Analyse, sind in diesem System nicht lösbar.
Was bedeutet diese Analyse für die Bewegungen?
Zunächst stehen wir mit dieser Gesellschaftsanalyse vor der riesigen Aufgabe, profitorientiertes Wirtschaften zunächst einzuschränken und letztlich zu überwinden, um tatsächlich solidarisch und mit Rücksicht auf die planetaren Grenzen leben zu können. Zudem sind diese grundsätzlichen Veränderungen innerhalb kurzer Zeit notwendig, um den Kollaps der Ökosysteme zu verhindern. Die Chance sehe ich darin, dass die Care- und Klimabewegung zwar gegen unterschiedliche Krisenfolgen kämpfen, aber letztendlich gegen dasselbe kapitalistische System. Das Wissen hierum zu verbreitern, stellt eine zentrale politische Aufgabe dar.
Sehen Sie nicht trotzdem die Gefahr, dass beide Bewegungen mit kapitalismuskonformen Scheinlösungen befriedet werden könnten?
Mit einer staatlichen Austeritätspolitik, die nur dann im Sinne der Sorgearbeitenden eingreift, wenn ansonsten der Fachkräftemangel die Kapitalverwertung einschränkt, oder mit einer Klimapolitik, die die Modernisierung der Industrie ohne Begrenzung des Wachstums betreiben will, werden der Bevölkerung jeden Tag kapitalismuskonforme Scheinlösungen angeboten. Wenn es Kritiker*innen allerdings gelingt, nachvollziehbar darstellen, warum diese politischen Vorhaben nicht ausreichen können oder gar die Probleme auf Kosten anderer lösen, entstehen Resonanzräume in der Bevölkerung, in denen Forderungen nach Vergesellschaftung befürwortet werden. So könnten gesellschaftliche Mehrheiten für eine Vergesellschaftung von Krankenhäusern oder etwa Energiekonzernen entstehen.
Sie sind Mitbegründerin des Netzwerks Care Revolution. Gibt es dort Beispiele für die Kooperation mit der Klimabewegung?
Das Netzwerk Care Revolution arbeitet seit Längerem mit Degrowth-Gruppen, insbesondere mit dem Konzeptwerk Neue Ökonomie in Leipzig, zusammen. Auf der großen Klimastreik-Demonstration im September 2019 gab es an mehreren Orten einen Gesundheitsblock, an dem Care Revolution über die Krankenhausbündnisse beteiligt ist. Denn unbestreitbar bedroht der Temperaturanstieg schon jetzt Leben und Gesundheit. Auf der von Care Revolution initiierten Kampagne »Platz für Sorge«, die am 8. März gestartet ist, kommt es ebenfalls zu ersten Formen der Zusammenarbeit mit Klimagruppen. In Freiburg sind dies Fridays for Future und Extinction Rebellion. Mein Buch hätte seinen Zweck erfüllt, wenn es mit der Krisenanalyse, der Transformationsstrategie der Care Revolution und der konkreten Utopie einer solidarischen Gesellschaft zur Schärfung der eigenen kapitalismuskritischen Argumentation und zur Zusammenarbeit sozialer Bewegungen beitragen kann.