Der Fußball braucht eine linke Flanke
Die Fanproteste gegen die Investorenpläne der Deutschen Fußball Liga waren erfolgreich – wie geht es jetzt weiter?
Von Simon Imhof
Es ist ein Kantersieg für die organisierten Fußballfans, manche Sportkommentator*innen nennen es gar den »erfolgreichsten Sozialprotest der letzten Jahre«: Ende Februar verkündete die Deutsche Fußball Liga (DFL) den im Dezember beschlossenen milliardenschweren Einstieg von Private-Equity-Investoren in die Bundesligen abzubrechen. Zuvor hatten Fankurven in deutschen Stadien wochenlang rebelliert. Tennisbälle, Goldtaler und sogar ferngesteuerte Autos störten den Spielbetrieb. Auf den Rängen wimmelte es von kritischen Bannern und Transparenten.
Der abgewendete Investoreneinstieg in eine ausgegliederte Tochtergesellschaft der DFL wäre eine Teilprivatisierung der Bundesliga gewesen, ein weiterer Schritt Richtung turbokapitalistischer Fußball. Unaufhaltsam scheint die Entwicklung, die den geliebten Sport der neoliberalen Logik genauso unterwirft wie den Arbeitsplatz, die eigene Wohnung oder das Gesundheitswesen. Spieltage am Montag, Millionengehälter, Multi-Club-Ownership und Sportswashing für Milliardär*innen und Autokratien sind die Symptome, die bei Fans zur Entfremdung und bei Außenstehenden, insbesondere in der Linken, zu Unverständnis über die Leidenschaft der verbliebenen Fußballfans führt.
Bei aller pointierter Kritik an Investoren fehlt es in den Kurven noch an einer weit verbreiteten grundsätzlichen Kapitalismuskritik.
Aber genau weil der Fußball der kapitalistischen Logik vollkommen unterworfen ist, sind die Proteste der letzten Wochen für die gesellschaftliche Linke so relevant: Sie sind ein Aufbäumen gegen die Ausrichtung des nächsten elementaren Lebensinhalts an Profitmaximierung und Renditeerwartung, sie sind ein anti-kapitalistischer Protest.
Und wer genau hinhört, bemerkt, dass die Fanszenen bei den jüngsten Protesten einen deutlich treffsicheren Ton anschlugen als in der Vergangenheit. Statt die alten Plattitüden von »Vereinstradition« und dem Feindbild »moderner Fußball« zu bemühen, die wenig hilfreich sind, um die Auswirkungen kapitalistischer Logik zu kritisieren, haben die Ultras in den letzten Monaten explizit die mächtige Rolle eines externen Investors mit hohen Renditeerwartungen als negative strukturelle Bedingung des deutschen Fußballs kritisiert. Für Leser*innen linker Zeitungen mag dies eine Selbstverständlichkeit sein, für zahlreiche junge Menschen, die ohne größere Politisierung in der Kurve stehen, ist dies aber eine wichtige, eine kritische Erkenntnis.
Dass die Ultras mit ihrer Sicht auf die Entwicklungen im Fußball nicht allein stehen, belegen auch Umfragen: Einer Umfrage der Voting-App FanQ zufolge brachten 62,1 Prozent der Fans dem Investoreneinstieg eine hohe Ablehnung entgegen.
Ein Rückhalt, der notwendig sein wird. Denn sicherlich bedeutet der aktuelle Etappensieg noch lange nicht, dass die Kurven auf lange Sicht den politischen Kampf in den Stadien für sich entschieden haben. Im Gegenteil: Weil der Fußball so tief in das kapitalistische System eingebunden ist, wird es bald neue Bemühungen geben, den Sport zu kommerzialisieren. Der Ball ist rund, ein Spiel dauert 90 Minuten, und bald gibt’s wieder hitzige Proteste.
Spätestens dann sollte die gesellschaftliche Linke die Fußballstadien und das Mobilisierungspotenzial der Fanszenen im Blick haben. Denn bei aller pointierter Kritik an Investoren fehlt es in den Kurven noch an einer weit verbreiteten grundsätzlichen Kapitalismuskritik. Gerade wurden mit den erfolgreichen Protesten aber massive Selbstwirksamkeitserfahrungen gemacht und das ewige Primat der Ökonomie entscheidend hinterfragt.
Wenn es gelingt, eine gemeinsame Erzählung zu schaffen, die die verschiedenen Probleme der Fußballfans von der Zersplitterung der Spieltage über steigende Ticketpreise bis hin zur permanenten Polizeigewalt zusammenführt und den Kapitalismus als Ursache klar benennt, entsteht eine Basis für ein breites Bündnis. Hier können die Fanszenen von einer aufmerksamen Linken zumindest viel lernen, wenn nicht sogar praktische Solidarität erfahren.
Das Potenzial für eine intensive Auseinandersetzung ist da: brechend volle Stadien, eine bestens organisierte, radikale Jugendkultur und eine ordentliche Portion Wut. Und wenn der Kampf um das schöne Leben ein Kampf ums Ganze ist, dann schließt das auch die schönste Nebensache der Welt mit ein.