Es sollte keine Vermieter geben
Rose Lenehan von der Mietergewerkschaft Los Angeles Tenants Union über Mietstreiks und die Blockade von Zwangsräumungen
Interview: Enno Hinz und Franz Wachtel
Mieterinitiativen versuchen, der Vereinzelung der Mieter*innen durch kollektive politische Aktion zu begegnen. In Bremen etwa das Bremer Bündnis Zwangsräumungen Verhindern oder die Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Gröpelingen. In anderen Ländern gibt es bereits Mietergewerkschaften. Zum Beispiel in den USA. Im Interview berichtet Rose Lenehan von den Erfahrungen der Los Angeles Tenants Union.
Von der Los Angeles Tenants Union dürften die meisten deutschsprachigen Leser*innen noch nichts gehört haben. Wer oder was seid ihr?
Die Los Angeles Tenants Union, abgekürzt LATU, ist eine Mietergewerkschaft, die es seit ungefähr fünf Jahren gibt. Ihr gehören 13 Stadtteiltreffen (Locals) an, die meisten davon treffen sich zweimal im Monat. Im Verlauf der Corona-Pandemie hat sich unsere Mitgliederzahl von 400 Mitgliedern auf 2.000 zahlende Mitglieder erhöht. LATU ist Teil des Autonomous Tenants Union Network, in dem etwa 20 Mietergewerkschaften aus den USA vernetzt sind.
Welche Rolle spielen die Stadtteiltreffen?
Dort finden sich Mieterinnen und Mieter zusammen, die aus Überzeugung gegen Vermieter kämpfen, ein Problem mit ihrem Vermieter haben und Hilfe benötigen. Es treffen sich Mieter mit einfachen Fragen und aktive Mitglieder, die gerade ihr Wohngebäude organisieren. Die unterschiedlichen Stadtteiltreffen agieren halb autonom. Es müssen nicht alle das Gleiche machen oder dieselbe politische Ausrichtung haben. Aber die meisten von uns sind sich einig darin, dass es keine Vermieter geben sollte (lacht). Etwas Besonderes ist, dass die Gewerkschaft dank ihrer guten Übersetzungsausrüstung normalerweise zweisprachig arbeitet. Auf den Treffen gibt es Headsets, und es wird vom Spanischen ins Englische und umgekehrt übersetzt. Los Angeles ist die US-Stadt mit dem höchsten Anteil von Spanisch sprechenden Bewohnern, Schätzungen zufolge sollen es rund 45 Prozent sein.
Was gibt es noch für Organisationsstrukturen?
Neben den Stadtteiltreffen gibt es noch Komitees der Gesamtgewerkschaft, bestehend aus Mitgliedern aus unterschiedlichen Stadtteiltreffen. Zum Beispiel das Pressekomitee, das sich um Grafikdesign und Presseanfragen kümmert. Oder das Outreach-Komitee, das Leute unterstützt, die versuchen, in anderen Städten Mietergewerkschaften aufzubauen. Außerdem gibt es einmal im Monat eine Vollversammlung, zu der alle kommen können, und einen Sprecherrat, in dem Informationen aus unterschiedlichen Stadtteiltreffen ausgetauscht werden.
Was ist das Ziel der LATU?
Die Gewerkschaft ist ein langfristiges Projekt zum Aufbau der Infrastruktur der Arbeiterklasse. Sie soll Institutionen und Möglichkeiten schaffen, durch die die Menschen sich aufeinander beziehen können und sich wohlfühlen, wenn sie sich wehren. Sie sollen wissen, dass sie in Solidarität mit allen anderen stehen, die sich in der gleichen Position befinden wie sie selbst. Wir wollen Beziehungen aufbauen zwischen Leuten, die kein (Wohnungs-)Eigentum haben und nur am Gebrauchswert des Wohnens und unseren Nachbarschaften interessiert sind. So wie man sich an jedem Arbeitsplatz gewerkschaftlich organisieren sollte, sollte es in jedem Wohngebäude eine Mietergruppe (tenants association) geben und in jeder Stadt eine Mietergewerkschaft. Davon sind wir zwar noch weit entfernt, aber das ist das Ziel: Orte des Klassenkampfes in jedem Wohngebäude schaffen. Wenn das gelingt, können Mieter sich selbst als eine ausgebeutete Klasse sehen, die Miete an die landbesitzende Klasse zahlt.
Welche Strategien und Taktiken werden von der Gewerkschaft eingesetzt?
Wir blockieren Zwangsräumungen und veranstalten große Demonstrationen. Manchmal organisieren wir Mietstreiks. Wir versuchen, in jeder Nachbarschaft Stadtteiltreffen aufzubauen, 2020 gelang das drei Mal. Eine weitere Taktik ist, dass wir Mieter aus demselben Haus organisieren, die ihren gemeinsamen Vermieter als kollektive Verhandlungseinheit unter Druck setzen können. Durch den kollektiven Verhandlungsprozess entwickeln wir neue Fähigkeiten und Führungsqualitäten für neue Organizer. Wir gewinnen dadurch Leute, die die Mieter im nächsten Gebäude dabei unterstützen, sich zu organisieren.
Wie müssen wir uns das konkret vorstellen?
In einer Gruppe von Gebäuden, die ich gerade organisiere, bietet der Vermieter den Mietern Geld, damit sie ausziehen. Für die ist das ein schlechtes Geschäft, weil sie nirgendwo sonst so billige Wohnungen finden werden. Deshalb droht der Vermieter ihnen mit Räumung. Das ist zwar rechtlich kaum möglich, aber der Vermieter verlässt sich darauf, dass die Leute das nicht wissen. Vor allem die Spanisch sprechenden Mieter oder Leute ohne Papiere, von denen sie annehmen, dass sie sich nicht wehren, werden unter Druck gesetzt. Darauf hin haben wir so viele Leute aus dem Block wie möglich zu einem Treffen eingeladen, sie über ihre Rechte aufgeklärt und ihnen unsere Unterstützung zugesichert, wenn sie sich wehren.
Und mit welchem Ergebnis?
Ein paar haben das Geld vom Vermieter angenommen, andere haben sich entschieden zu bleiben. Die haben wir dann mit Leuten aus zwei anderen Häusern vernetzt, die demselben Vermieter gehören. In diesen Gebäuden gab es schon Mietergruppen, die in Kontakt zu unterschiedlichen Stadtteiltreffen der Gewerkschaft standen. Die Leute aus allen drei Häusern wurden zu einem Treffen eingeladen, und die schon länger in den Häusern wohnenden Mieter erklärten den Neueren, dass der Vermieter bei ihnen das Gleiche versucht hat und dass sie zusammen dagegen kämpfen können. Die nächsten Schritte waren: der Versand von gemeinsamen Forderungen an den Vermieter und eine große Aktion mit den Mietern aus den anderen Häusern vor dem Gebäude. Da auch die Presse da war, kamen wir ins Fernsehen. Dort haben wir den Namen des Vermieters genannt, erzählt, welche Firma ihm gehört und dass er unsere Leute schikaniert.
Hoffentlich hat er sich beeindruckt gezeigt.
Er hat das Geldangebot verdoppelt (lacht). Und die übleren Belästigungen hörten auf. Uns hat das dabei geholfen, die Mieter ins Boot zu holen. Sie haben gemerkt, dass zur Mietergewerkschaft eine Menge Leute gehören und dass auf uns Verlass ist.
Wie läuft denn ein Mietstreik ab?
Zu Beginn der Pandemie haben wir einen Mietstreik ausgerufen. Eine Reihe Mitglieder hat seit dem Beginn der Pandemie überhaupt keine Miete mehr gezahlt. Was daraus wird, bleibt abzuwarten. Es werden derzeit wieder einmal Gesetze geändert. Vor ein paar Jahren haben wir den Mariachi-Mietstreik organisiert. Viele Mieter im Gebäude waren Mariachi-Musiker, eine traditionelle mexikanische Musikformation, und das Gebäude liegt in der Nähe der Mariachi Plaza im Stadtteil Boyle Heights. Der Vermieter hat die Miete für sechs Parteien um 80 Prozent erhöht, um sie loszuwerden. Es ging um das kulturelle Erbe der Nachbarschaft, das vom Vermieter verwertet wurde. Gleichzeitig hat er versucht, die Leute zu vertreiben, die es erschaffen haben. Die Mieter haben aufgehört, die Miete zu zahlen, und ihre Mieterhöhung zu einer politischen Frage für die ganze Stadt gemacht. Andere Mieter haben sich dem Mietstreik angeschlossen und den Vermieter zu Verhandlungen gezwungen. Leute haben vor seiner Villa gezeltet, um ihn unter Druck zu setzen. Es war eine großartige Möglichkeit, öffentlich zu demonstrieren, dass Mieter*innen sich wehren können und dass sie Community-Support aufbauen können. Am Ende haben sie einen Teil der Miete nachgezahlt, aber auch eine viel geringere Mieterhöhung durchgesetzt. So konnten einige der Betroffenen bleiben.
Wie hat das Coronavirus eure Arbeit beeinflusst? Wir sind erstaunt, dass es euch geholfen hat.
Es gibt definitiv einen großen Wandel unter den Mitgliedern: Alle sind deprimiert, weil es so schrecklich ist. Also kamen viele Leute schlicht nicht mehr zu den Treffen. Außerdem hat die Situation auch Auswirkungen auf den Klassencharakter der Gewerkschaft. Weil alle Treffen online sind, sind sie viel weniger zugänglich für unsere Mitglieder aus der Arbeiterklasse, die keinen Internetzugang und keinen Computer zu Hause haben. Besonders für unsere Spanisch sprechenden Mitglieder ist das ein Problem. Denn wir benutzen Zoom mit der Übersetzungsfunktion. Aber das ist sehr befremdlich. Außerdem strömen viele Leute aus der Mittelklasse, die plötzlich in die Prekarität geworfen wurden, in die Gewerkschaft. Und die sind Computer und Kommunikation per E-Mail gewohnt.
Was stach besonders hervor in diesem Sommer?
Sehr effektiv war die illegal-lockup-defence (Verteidigung gegen illegales Abschließen). Wegen der Pandemie sind Räumungen in vielen Fällen gerade illegal, Mieter genießen einen besonderen Schutz, wenn sie keine Miete mehr zahlen können. Deshalb haben die fiesesten Vermieter sie einfach ausgesperrt. Sie haben den Leuten gesagt: »Ich komme morgen, um die Schlösser auszutauschen. Dein Zeug muss bis dahin raus sein.« Dann tritt unser Schnelles-Räumungs-Verhinderungs-Team (rapid-response-eviction-defence-team) in Aktion. Es kommt mit einer Box mit einem Bohrer und extra Schlössern und tauscht die Schlösser einfach wieder aus. Das geht superschnell. So gelang es während des Sommers, dass etliche Leute wieder einziehen konnten. Das hat eine Menge Aufmerksamkeit erzeugt. Beigetragen dazu hat auch ein Livestream. Da war der Vermieter zu sehen, wie er die Mieter aufforderte zu gehen. Und Mitglieder von der Mietergewerkschaft, die sagten: »Du kannst die Leute nicht einfach von diesem Grundstück werfen, weil du ein Stück Papier hast mit deinem Namen drauf. Leute haben ein Recht auf ihr Zuhause, und du musst zum Gericht gehen und prozessieren, um Menschen legal zu räumen – und das kannst du gerade nicht!« Das war ziemlich spektakulär und hat das Interesse von vielen Leuten geweckt. Sie sahen, wie Menschen aktiv eine Räumung verhindern. Wenn die Pandemie vorbei ist, machen wir eine Riesenparty und laden diese Tausende Leute ein (lacht) und sagen: »Hey, erinnerst du dich, als wir dir geholfen haben, als du dringend Hilfe brauchtest, warum machst du nicht mit bei der Gewerkschaft?«