Grüne Landnahme
Die Ökonomisierung des Naturschutzes nimmt zu – bedenklich ist, dass NGOs dabei mitmachen
Von Paul Dziedzic
Auf einer Konferenz in Stockholm wird ein brandneues Produkt lanciert. Im Veranstaltungsbericht dankt die Koalition der Regenwaldländer (CfRN) dem Sponsor, eine schwedische Burger-Kette, die vorgibt, an der Rettung der Welt interessiert zu sein. Das Produkt heißt »Carbon Souvereign«. Damit sollen Staaten, die ihre Wälder schützen, CO2-Zertifikate erhalten und verkaufen können.
Bei der Konferenz treffen sich Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und der Zivilgesellschaft und diskutieren, wie dieses neue Finanzprodukt den Klimawandel bekämpfen soll. Dass auch die Zivilgesellschaft dabei ist – darunter auch Personen, die sich als Klimaaktivist*innen sehen, mag verwundern, ist aber längst Realität, diese Partnerschaft ist über Jahrzehnte gewachsen. Das Ergebnis: Die Schlüsselplayer, Kapital, Politiker*innen und Teile der Zivilgesellschaft, verhandeln die Integration der Weltrettung in den Kapitalismus. Das lässt sich bei Ereignissen wie dem in Stockholm oder bei Klimagipfeln wie zuletzt dem in Ägypten beobachten.
Fernab der Treffen von Interessensvertreter*innen kämpfen indigene Gemeinschaften, Kleinbäuer*innen, Menschen, die von der Fischerei oder dem Wald leben, um ihre Existenz. Denn der Wettlauf um Afrika ist zurück, um die nächste Phase der Landnahme einzuläuten. Die Frontlinien im Kampf gegen den Klimawandel verlaufen nicht zwischen den größten CO2-Emittenten und den neuen Industrien der Energiewende, nicht einmal zwischen Staaten in Nord und Süd. Sie verlaufen zwischen denen, die dazu gewinnen und denen, die mehr und mehr verlieren. Das Kapital will expandieren, der Staat Gesetze schreiben oder verhindern und die Zivilgesellschaft dafür sorgen, dass es moralisch über die Bühne geht.
Umso wichtiger ist es nachzufragen, was Gruppen meinen, wenn sie Solidarität mit dem Globalen Süden propagieren. Meinen sie einen Platz im brennenden Haus? »Diejenigen, auf die wir uns konzentrieren sollten, sind die Graswurzelbewegungen, die das Kapital direkt angreifen«, sagt Aby L. Sène im Gespräch mit ak. Aby forscht zu Naturschutz an der Clemson University in South Carolina in den USA. Während ihrer Forschung merkte sie, dass es dabei um mehr ging als um den Schutz von Biosphären. Wenn sich Gemeinschaften in gleicher Weise gegen Nationalparks, neue Großplantagen oder Bergbauprojekte wehren, dann, weil sie alle drei Land brauchen und nur wenig im Austausch bieten.
Blühende, verdorrte Landschaften
Der Bergbau erlebt eine PR-Wiedergeburt. Hing ihm lange ein schmutziges Image an, ist er heute die Basis, auf der die Energiewende vollzogen wird. Ohne Kupfer, Nickel, Eisenerz, Kobalt keine Windräder oder Solarzellen, keine sogenannten erneuerbaren Energien. Das ist paradox, weil die Rohstoffe eben nicht erneuerbar sind. Wie bei allen anderen Gütern zeigen die Prospekte das Endprodukt, ob Windkraftanlage oder die Solarzelle auf dem Dach, und nicht die Geschichte der Produktion.
Auch die Energiewende braucht also fossile Brennstoffe. Und sie ist davon abhängig, dass Menschen die Rohstoffe aus der Erde extrahieren und dass das Land, aus dem sie extrahiert werden, verfügbar ist. Diese Extraktion bildete die Basis des Wohlstands der Zentren auf Kosten der Peripherien. Die Solardächer und Windturbinen an einem Ort bedeuten umgewälzte Erde, kontaminierte Wasserquellen, traumatisierte Menschen anderswo.
Die Solardächer und Windturbinen an einem Ort bedeuten umgewälzte Erde, kontaminierte Wasserquellen, traumatisierte Menschen anderswo.
Die Landnahme findet nicht nur dort statt, sondern auch im Landwirtschaftssektor. Hier agieren mal kleinere, mal ausländische, quasi-staatliche oder multinationale Unternehmen, indem sie sich Zugang zu fruchtbarem Land verschaffen. Die arbeitsintensive Landwirtschaft produziert en masse und meist für den Export. Wie schon der Bergbau hinterlässt die intensive Landwirtschaft alle möglichen Gift- und Schadstoffe in Wasser und Land. Und sie produziert Ausschlüsse, im Gegenzug gibt es für die Wenigen, die dann noch »Glück« haben, schlecht bezahlte Lohnarbeit.
Das Wirtschaftsmodell, das von primären Rohstoffen abhängt, wird Extraktivismus genannt. »Die Grundlagen dieses Modells wurden während des Kolonialismus gelegt, als sich die imperialen Mächte durch Eroberung und Zwang souveräne Vorrechte aneigneten, von der Erhebung von Steuern und Zöllen bis hin zur Unterzeichnung von Verträgen und der Rechtspflege«, schreibt die Politikwissenschaftlerin Amy Niang über den Extraktivismus in Afrika. Der Extraktivismus ist ihr zufolge nach wie vor das beständigste Wirtschaftsmodell in Afrika. Der Kontinent versorge die Welt mit Körpern und Gehirnen, Kupfer und Kobalt, Öl und Gas, Diamanten und Gold, Holz, Fisch, Artefakten und Kulturerbe. »Dieses Modell verschlingt nicht nur Ressourcen, sondern blockiert auch die Fähigkeit Afrikas, etwas zu schaffen, zu produzieren und zu entwickeln«, so Niang.
Der Kampf gegen die Landnahme auf diesen Gebieten, so Aby Sène, sei aber auch ein Kampf gegen CO2-intensive Industrien. Und das Blockieren solcher Projekte sei eine effektivere Methode, als die Industrieländer beim Weltklimagipfel darum zu bitten, ihre Emissionen zu senken.
Naturschutz als Extraktivismus
Der Naturschutz genießt im Gegensatz zu industrieller Landwirtschaft und Bergbau einen besseren Ruf. Wo CO2 produziert wird, helfen Wälder, diese Emissionen teilweise zu absorbieren. Folglich muss der Naturschutz unterstützt werden. Finanztitel wie die Carbon Souvereign Credits werden mittlerweile von der Deutschen Bank unterstützt und sollen laut der auf Klimafragen spezialisierten Website Carbon Brief zu einer neuen Anlegeklasse werden. Daneben gibt es noch viele weitere Markt-Mechanismen zum An- und Verkauf von CO2-Zertifikaten, die sich als Kompensation für Naturschutz ausgeben. Bedenklich ist, dass Teilen der Zivilgesellschaft in der Ökonomisierung des Naturschutzes eine wichtige Rolle zukommt. Den Firmen aus dem Norden wird somit ein Status quo garantiert. Besorgniserregender ist aber, dass sich NGOs aus dem Naturschutz in den Rang wirtschaftlicher Akteure erheben und ihnen auch Zugang zu Land gewährt wird.
Der Naturschutz unterhält, genauso wie andere Wirtschaftszweige, ein rigoroses Regime. Die Modelle sehen vor, jegliche menschliche Aktivität aus den ausgewiesenen Naturschutzgebieten auszuschließen. Doch dass gerade zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem Westen sich um den Zustand der Natur kümmern sollen, stößt vielen vor Ort sauer auf. »80 Prozent der am besten erhaltenen Wälder befinden sich auf indigenem Land. Ihr Wissen und ihre Techniken haben dafür gesorgt, dass das Land intakt blieb. Aber sie werden von diesem Land vertrieben, damit es an den Meistbietenden im Globalen Norden versteigert werden kann, von dem wir nicht einmal wissen, wer das ist«, sagt Aby. Die Organisation Survival International berichtete 2017, wie vom World Wildlife Fund (WWF) finanzierte Park Ranger im Kongobecken zwischen 1989 und heute versuchten, indigene Gemeinschaften gewaltsam aus den Wäldern vertreiben. Ähnliche Fälle, auch von anderen Organisationen, wurden überall auf dem Kontinent gemeldet.
»Was wir auch bei diesen Kompensationsprogrammen gesehen haben, ist, dass sie manchmal nur ein Vorwand sind, um die Bevölkerung zu vertreiben, denn später wird das Land für Abbaukonzessionen verkauft, weil diese profitabler sind. Deshalb kann man sich nicht darauf verlassen, dass dies dem Umweltschutz dient. Wenn überhaupt, wird es die Macht einiger weniger reicher Akteure im Globalen Norden konsolidieren«, so Aby.
Karten des Aufruhrs
So gesehen ist also auch der Naturschutz, vor allem jener, der die Inwertsetzung der Natur unterstützt, Teil des extraktivistischen Modells. Was bedeutet das also für den Slogan der internationalen Solidarität? Eine solche Solidarität im Zirkus der Klimagipfel zu fordern, ist vergebene Mühe.
Land- und Wasserschützer*innen, Kleinbäuer*innen, alle jenen, denen die Verdrängung droht und die sich dagegen wehren, gelingt es immer wieder, Großprojekte aufzuhalten. So hat die Organisation Green Senegal den Bau eines Kohlekraftwerks im Senegal verhindert. In der Republik Kongo werden Bewohner*innen von über 100 Dörfern von einer Tochtergesellschaft eines kanadischen Multis bedrängt, der auf ihren Ländereien große Palmölplantagen bauen will. Webseiten wie farmlandgrab.org dokumentieren diese Landnahmeversuche und Widerstände dagegen vom ganzen Kontinent. Diesen Prozess führen viele der Gruppen unter Lebensgefahr; im letzten Jahrzehnt sind weltweit über 1.700 Menschen ermordet worden, andere werden drangsaliert, verhaftet oder sozial isoliert.
Solche Aktionen und Kampagnen können einen Unterschied machen. Länder wie Sierra Leone und Liberia bringen eines der modernsten Gesetze auf den Weg, das indigenen Gemeinschaften eine gewichtige Mitsprache bei Landfragen einräumt. Diese fallen unter das zum Gewohnheitsrecht gehörende Konzept des Free, Prior, Informed Consent (FPIC, freie, vorherige, informierte Zustimmung). Gerade das Land Sierra Leone fällt dadurch auf, dass es Lücken in der Repräsentation schließt, denn oftmals wird FPIC vorgetäuscht, indem Verhandlungen mit entweder lokalen Staatsrepräsentant*innen oder einzelnen Anführer*innen von Gemeinschaften geführt werden.
Der Landnahme entgegen stehen auch Konzepte wie die der Ernährungssouveränität, das im Gegensatz zur kommerziellen Landwirtschaft die Kleinproduzent*innen vor dem Ausverkauf schützen soll und ihnen freie Wahl der Mittel gewährt. Viele dekoloniale Forderungen nach einer epistemischen Öffnung, der Anerkennung unterschiedlicher Wissensformen werden lauter. Auch Bündnisse zwischen Zivilgesellschaft und Wirtschaft müssen infrage gestellt, gar gebrochen werden. So lückenhaft diese Konzepte auch sein mögen, sie sind Ergebnisse eines neuen Bewegungszyklus, der den Extraktivismus, ob von Nahrungsmittelmultis, Bergbaugesellschaften oder Naturschutzorganisationen, überwinden will.
In einer früheren Version dieses Artikels stand, die von der Organisation WWF finanzierten Park Ranger hätten in Gabon agiert. Die Angabe wurde korrigiert.