Fortschritt in Wellen
Erschütternde Asylbescheide, ein kippelndes Transsexuellengesetz und eine Selbstverbrennung in Berlin – der Kampf um Trans-Rechte spitzt sich zu
Von Jeja Klein
Als sich am 14. September eine transgeschlechtliche Frau mitten auf dem Berliner Alexanderplatz mit Benzin übergießt und selbst entzündet, hält so manche*r in der Trans-Community den Atem an. Noch am selben Tag berichten Polizei und Medien, sprechen zunächst von einem Mann, dann von einer transgeschlechtlichen Person. Einen »extremistischen« Hintergrund könne man ausschließen. Als die Frau stirbt, betont die Polizei tags darauf noch einmal: politischer Hintergrund ausgeschlossen.
Viele Menschen wollen das jedoch nicht glauben. Denn dass das Leben transgeschlechtlicher Frauen auch in Deutschland zu oft einer seiltänzerischen Existenz an der Schwelle zum Tod gleichkommt, darauf weisen Aktivist*innen seit Langem hin. Dass es zudem tödlich sein kann, Flüchtling in Deutschland zu sein, ist ebenfalls bekannt. Auf Ella, die Frau aus Iran, trifft beides zu. Ihr Tod fällt in eine Zeit, in der nach 40 Jahren erstmals das Sondergesetz für transgeschlechtliche Menschen, das TSG, abgeschafft werden könnte.
Wer war Ella?
Ein Sprecher der Polizei erklärte einem TV-Sender, die Verbrannte habe einen Ausweis mit sich geführt, auf dem ein Frauenname gestanden habe. »Insofern« sei sie, wie der Beamte mutmaßlich reinsten Gewissens weiter erklärte, »für uns eine Frau«. Zunächst hatte es nun den Eindruck, dass die Verstorbene das langwierige und entwürdigende Verfahren nach dem TSG bereits hinter sich hatte.
Doch ein Freund und Unterstützer von Ella widerspricht dieser Darstellung. Georg Matzel ist bei der Rainbow Connection in Magdeburg engagiert und setzt sich für queere Geflüchtete ein. Er weist darauf hin, dass Ella von Ende 2016 an zunächst eineinhalb Jahre auf ihren Asylbescheid habe warten müssen. Doch die Behörden verwehrten ihr die Aufnahme. Ihre Transgeschlechtlichkeit sei in der Ablehnung einfach als Fluchtgrund unterschlagen worden. Zwei weitere Jahre habe die Anfechtung gedauert – Ella war in dieser Zeit abseits einer Grundversorgung von medizinischen Dienstleistungen ausgeschlossen. Ein Zahnarzt wollte ihr darum, wie Matzel beispielhaft erzählt, eine Karies nicht aufbohren. »Ziehen«, das sei schließlich das Angebot gewesen. Erst mit dem positiven Asylbescheid konnte sich Ella dann die obligatorische Begleittherapie zu ihrer Transition suchen. In der Zwischenzeit wurde sie immer wieder attackiert. Ein Nachbar habe beispielsweise einmal versucht, sie mit einer Latte zu schlagen.
Ella fiel auf: als trans Frau und als Geflüchtete, erst recht in Sachsen-Anhalt. Im Zug wurde sie von sechs Männern attackiert. »Bei der mobilen Opferberatung waren wir Stammkunden«, sagt Matzel verbittert. Von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (DGTI) erhielt sie einen Ergänzungsausweis. Im Jobcenter sei sie mal vor allen Leuten angeschrien worden: »Du heißt [Deadname], und bist ein Mann!«. Da wollte sie einfach nur den neuen DGTI-Ausweis vorlegen, um endlich richtig angesprochen zu werden.
Ella wollte weg und ging nach Berlin. Hier ist das queere Leben. Doch die Übergriffe wurde sie nicht los. Für die Abläufe im TSG war der Umzug kaum förderlich. Ella, die unter ihren ersten Schritten im weiblichen Geschlecht regelrecht aufgeblüht war, sich für andere engagiert hatte, baute nun ab. »Mies« sei es ihr gegangen, als Matzel sie zuletzt besucht hatte – eine Woche vor ihrem Tod.
Die Polizei bestätigt auf Nachfrage, dass bei Ella ein DGTI-Ausweis gefunden wurde, in dem sie »als Frau bezeichnet wird«. In den Unterlagen führe man sie als Mann. Eine Fehlkommunikation des Kollegen gesteht die Sprecherin nicht ein. Ein eventueller Abschiedsbrief sei nicht bekannt. Dabei hatte die Polizei einen politischen Hintergrund der demonstrativen Selbsttötung nicht nur bloß offengelassen, sondern ihn dezidiert verneint. Warum, ist bisher unklar
»Jamila bleibt«
In Berlin ist zum Zeitpunkt von Ellas Tod gerade die Bewegung »Jamila bleibt« in vollem Gange. Der trans Frau aus Katar war ebenfalls Asyl verweigert worden. Medienberichte und Proteste sorgten dafür, dass sich das BAMF den brutalen Bescheid noch einmal ansehen will. Dort hatte es unter anderem geheißen, Jamila könne gar nicht verfolgt werden, weil man ihr ihr Transsein nicht ansehe. Dabei schreibt selbst das BAMF Jamila mit einem männlichen Namen an. Denn in ihrer Heimat gibt es nicht mal ein »Transsexuellengesetz«. Jamila sagt: »Lieber bringe ich mich um, als in meine Heimat zurück zu kehren«. Auf einer Demo für sie redete sie über die Gewalt, die ihr »daheim« aus Hass angetan worden ist – und forderte: »no more!«. Aktivist*innen machen daraus »no more death« – keine Toten mehr. Marion-Nur von der Gruppe TransRefugees hatte die Demo organisiert. In Ellas Selbstverbrennung sieht sie auch einen politischen Auftrag.
Auf zeitlich begrenzte Durchbrüche mit neuen Rechten folgen Backlashs.
Wenn Jamila bleiben darf, wartet auch auf sie das TSG. Dabei hätte es das durch Urteile des Verfassungsgerichts durchlöcherte Sondergesetz so gar nicht mehr geben sollen. Die (alte) Regierung hatte sich im Koalitionsvertrag auf eine Reform geeinigt. Als die Union dann eine Neuauflage derselben Menschenrechtsverletzungen wollte, platzte die Vereinbarung. Grüne und FDP scheiterten mit einem eigenen Entwurf im Bundestag. Gegen das »Selbstbestimmungsgesetz«, das die übergriffigen Begutachtungen und den quälenden Wartezustand beendet hätte, stimmte die SPD zusammen mit Union und AfD. Doch seit Grüne und FDP bei den Sondierungen zur nächsten Regierung in eine günstige Verhandlungslage geraten sind, ist ein Selbstbestimmungsgesetz wieder in greifbare Nähe gerückt.
Für viele transgeschlechtliche Frauen bieten die zunächst abgeschmetterten Entwürfe Grund zur Hoffnung. Denn sie enthielten nicht nur ein einfaches Verfahren zur Änderung von Namens- und Personenstand, sondern unter anderem auch eine Festsetzung des Anspruchs auf medizinische Leistungen im Sozialgesetzbuch. Das ist insofern wichtig, als dass die maßgeblichen wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften schon seit Jahren einen wissenschaftlichen Konsens zu Maßnahmen sehen, der über die gegenwärtig von Krankenkassen gewährten Eingriffe deutlich hinausgeht. So sind insbesondere für transgeschlechtliche Frauen gesichtsfeminisierende Operationen und Haarentfernungen mit hochfrequentem Licht als geschlechtsangleichende Maßnahmen anerkannt. Sie können den Leidensdruck signifikant reduzieren, die Lebenszufriedenheit erhöhen und sind eigentlich so wichtig wie die längst anerkannten genitalangleichenden Operationen. Ihre Freigabe wäre ein riesiger Beitrag zur psychischen Gesundheit dieser Frauen – und zu ihrer Sicherheit im öffentlichen Raum. Doch so lange niemand die Krankenkassen politisch dazu zwingt, den wissenschaftlichen Konsens auch umzusetzen, werden sie es nicht tun.
Befürchtet wird, dass die SPD in einer möglichen Ampelkoalition darauf drängen könnte, die Aspekte des Selbstbestimmungsgesetzes aufzustückeln und Verbesserungen nur nach und nach zuzugestehen. Das könnte dazu führen, dass transfeindliche Stimmungsmache im Diskurs wieder neuen Raum erhält und die Verbesserungen, die in der Legislaturperiode real zustande kommen könnten, begrenzt bleiben. Die längere Geschichte der transgeschlechtlichen Emanzipationsbewegung lehrt, dass Fortschritt in Wellen kommt. Auf zeitlich begrenzte Durchbrüche mit neu zugestandenen Rechten und Repräsentationen folgten stets lange Phasen der Stille, Abmoderierung oder gar des Backlashs, der die Menschen wieder zurück auf ihren Platz am absoluten Rand der Gesellschaft drängt. Insofern dürfte sich in den nächsten Wochen und Monaten entscheiden, wie weit der gegenwärtige Emanzipationsschub reichen wird. Hier wie beim Asylrecht für queere Geflüchtete, bei dem momentan ebenfalls Grund zu etwas Hoffnung besteht, hat sich ein Möglichkeitsfenster geöffnet. Es wird sich wieder schließen. Darum kommt es für die Bewegung für Transrechte, die queere und die feministische Bewegung darauf an, den Zeitraum zu nutzen. Damit es nicht noch einmal 40 Jahre dauert.