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Eine Frage der Souveränität

International Indigene Landschützer*innen aus ganz Kanada unterstützen die Wet'suwet'en Nation, die sich gegen den Bau einer Gaspipeline auf ihrem Land wehrt

Interview: Lukas Martin

Am frühen Morgen des 6. Februar begann die kanadische Bundespolizei RCMP (Royal Canadian Mounted Police) mit der Räumung mehrerer Checkpoints und eines Camps auf dem Gebiet der Wet’suwet’en Nation im Norden der Provinz British Columbia. Die Räumung soll den Weg für eine Pipeline frei machen, die Erdgas an die Westküste Kanadas transportieren könnte. Das Camp mit dem Namen Unis’tot’en Village wurde als Wiederbesetzung traditionellem Territoriums durch eine Gruppe der Wet’suwet’en über die letzten zehn Jahre aufgebaut. Neben mehreren Blockhäusern, einem Permakulturgarten und einem Gewächshaus beherbergt das Camp zudem ein »healing center« – einen Ort, an dem das kollektive Trauma des Kolonialismus geheilt werden soll. Die Politik der Assimilierung und die Enteignung indigener Gebiete durch den kanadischen Staat haben tiefe Spuren hinterlassen. Viele indigene Gemeinden sind infolge des Kolonialismus überproportional stark von Armut, Depression und Suchterkrankungen sowie von hohen Suizidraten unter Jugendlichen betroffen. Dass der Staat nun einmal mehr versucht, Indigene von ihrem eigenen Land zu vertreiben, stößt in Kanada und darüber hinaus auf große Empörung. Dem Slogan »Shut down Canada« folgend besetzen Menschen Fährenterminals, Brücken und Ministerien und fordern den sofortigen Abzug der RCMP. Danielle Guerrero ist Teil einer Gruppe von Jugendlichen, die seit dem 6. Februar den Eingang zum Parlamentsgebäude British Columbias besetzt hält. Im Gespräch erklärt Danielle, worum es den Landschützer*innen geht.

Kannst du einige Worte dazu sagen, in welchem Verhältnis du zu den Wet’suwet’en stehst?

Danielle Guerrero: Ich bin eine von vielen indigenen Jugendlichen, die hier ihre Solidarität mit den Wet’suwet’en ausdrücken. Ich selbst habe keine Verwandten dort oben im Norden, aber ich habe viele Freunde, die dort Verwandte haben. Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, dass das, was dort oben gerade passiert – die Invasion durch die RCMP und die Pipelinefirma Coastal GasLink -, uns allen auch auf unseren Territorien passieren könnte.

Die Wet’suwet’en wehren sich gegen Pipelineprojekte auf ihrem Gebiet, aber das ist nur ein Aspekt des Kampfes. Es wird oft gesagt, es ginge vor allem um indigene Souveränität. Was bedeutet indigene Souveränität für dich, und warum ist es dir so wichtig, dafür zu kämpfen?

Indigene leben seit undenklichen Zeiten auf diesem Land. Es ist wichtig anzuerkennen, dass dieses Land niemals durch Verträge an die Regierung abgetreten oder irgendwie sonst aufgegeben wurde. Wir besetzen Orte wie das Parlament, um Kanada zu zeigen, dass wir immer noch hier sind, und dass wir immer noch auf diesem Land leben. Hier üben wir unsere Traditionen aus und sprechen unsere Sprachen. Wir sind immer noch hier, trotz der Assimilierung durch die »residential schools« und den »Sixties Scoop«. (1) Wir sind immer noch hier, trotz der unzähligen vermissten und ermordeten indigenen Frauen, Mädchen und »two spirit people«. (2) Alles in allem: Trotz des Genozids leben wir weiter auf diesem Land. Wir tun das nicht nur, um uns selbst zu schützen, sondern auch um die Zukunft für uns und künftige Generationen zu sichern. Ohne unser Land und ohne unser Wasser wären überhaupt keine Menschen hier, und wir tun alles, um das zu bewahren.

Danielle Guerrero

gehört der Squamisch Nation und der Lil’wat Nation an. Gemeinsam mit der Gruppe Youth for Yintah (Yintah bedeutet in etwa Land oder Umwelt), die sich vor kurzem als Reaktion auf den Angriff auf die Wet’suwet’en Nation gegründet hat, setzt sie sich für indigene Rechte und Souveränität ein.

Wenn wir an die Zukunft junger Menschen und an die künftigen Generationen denken, sollten wir auch über den Klimawandel sprechen. Wie hängt der Kampf für Klimagerechtigkeit mit der Verwirklichung indigener Rechte und Souveränität zusammen?

Indigene Rechte und Klimagerechtigkeit sind im Grunde ein und dasselbe. Ich bin sicher, dass viele Leute die Statistik gesehen haben, dass Indigene weniger als fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, aber über 80 Prozent der globalen Biodiversität schützen. Es sind Indigene, die ihr Leben für den Erhalt unserer Umwelt aufs Spiel setzen, und sie sind es, die beim Klimaschutz die Führungsrolle einnehmen sollten. Sie sind auch die, die direkte Aktionen durchführen und an vorderster Front kämpfen. Ich denke, dass indigenen Stimmen mehr Gewicht zukommen sollte.

Ihr habt die Überwachungskameras hier vor dem Parlamentsgebäude mit roten Kleidern abgedeckt. Warum habt ihr das gemacht, und wofür stehen die roten Kleider?

Sie stehen für die vermissten und ermordeten indigenen Frauen, Mädchen und »two spirit people«. Durch unsere Geschichte hindurch gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Präsenz von Polizei und Bauarbeitercamps auf unserem Land und dem Verschwinden unserer Frauen und Jugendlichen. Wir haben die roten Kleider über die Kameras gehängt, weil uns die Polizei vom Inneren des Gebäudes beobachtet hat.

Vor ungefähr zwei Wochen haben indigene Jugendliche bereits das Ministerium für Energie, Bergbau und natürliche Ressourcen von British Columbia besetzt. Was waren eure Forderungen dort, und wie ist die Aktion verlaufen?

Wir haben das Ministerium besetzt und verlangt, dass der Premier von British Columbia, John Horgan, sich mit den Hereditary Chiefs trifft, also mit den verantwortlichen Vertretern gemäß dem traditionellen Regierungs- und Rechtssystems der Wet’suwet’en. Er weigert sich aber immer noch, das zu tun. Und wir haben wie auch jetzt gefordert, dass Coastal GasLink und die RCMP das Territorium der Wet’suwet’en sofort verlassen. Aber anstatt mit uns zu reden, verhaftete die Polizei gewaltsam elf meiner Freunde. Dabei hatte das Verhalten der Polizei durchaus Strategie: Sie kamen in der Nacht, nachdem alle nicht-indigenen Unterstützer weg waren. Dann verhaften sie zuerst die Älteren und Männer, bis nur noch eine Person, die gerade einmal 18 Jahre alt ist, alleine übrig war. Auch verbreiteten sie hinterher Lügen, wie wir es schon so oft erlebt haben, und behaupteten, es wären keine Minderjährigen verhaftet worden.

Welche Rolle spielt eine internationale Öffentlichkeit, und was für Möglichkeiten gibt es, sich auch aus der Ferne mit den Wet’suwet’en zu solidarisieren?

Ich denke, dass internationale Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle dabei spielt, indigene Stimmen zu verstärken und ihnen mehr Gehör zu verschaffen. Um die Wet’suwet’en zu unterstützen gibt es einen Spendentopf für Gerichtskosten, der auf der Webseite unistoten.camp zu finden ist. Und es können natürlich Solidaritätsaktionen auf die Beine gestellt und Informationen über Soziale Medien verbreitet werden. Mehr Hintergrundinformationen und Aktuelles gibt es auch auf unistoten.camp und auf Twitter unter @unistotencamp.

Lukas Martin

Lukas Martin ist Sozialwissenschaftler und freier Autor. Er schreibt zu den Themen Antikolonialismus und Umweltgerechtigkeit und ist im Arbeitsschwerpunkt Gesellschaftliche Naturverhältnisse der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) aktiv.

Anmerkungen
1) »Residential schools« waren ein bis Mitte der 1980er bestehendes System von Internaten, das durch die kanadische Regierung und kirchliche Einrichtungen organisiert wurde. Vornehmliches Ziel dieser Schulen war es, indigene Kinder von ihren Familien und Gemeinden zu isolieren und sie an die dominante Kultur anzupassen, sie zu assimilieren. Der »Sixties Scoop« bezeichnet die von den 1950ern bis in die 1980er verbreitete Praxis, indigene Kinder aus ihren Familien zu entführen und für Familien – vor allem der weißen Mittelklasse – zur Adoption freizugeben. Es wird geschätzt, dass so insgesamt über 20.000 indigene Kinder entführt wurden.
2) »Two spirit people« bezeichnet ein Reihe von Geschlechterrollen, die nicht oder nicht ausschließlich dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können. Solche Identitäten hatten und haben in vielen indigenen Gemeinschaften wichtige Rollen und Funktionen. Das binäre Geschlechtersystem, welches ausschließlich das männliche und das weibliche Geschlecht anerkennt, wurde erst im Zuge kolonialer Herrschaft zur bestimmenden Norm.