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|ak 667 | Ökologie |Reihe: Planwirtschaft

Ein Plan allein reicht noch nicht

Andreas Malms öko-leninistisches Plädoyer vergibt die Chance, Planwirtschaft von den sozialen Kämpfen aus zu erneuern

Von Milo Probst und Florian Skelton

Protest für eine agraökologische Wende: Andreas Malms Öko-Leninismus ignoriert soziale Bewegungen wie die der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von La Vía Campesina. Foto: MIKI Yoshihito CC BY 2.0

Marxist*innen sind eigentlich dafür bekannt, Krisen voraussagen und einordnen zu können. Doch zur Beurteilung der Corona-Pandemie fehlte es auch ihnen häufig an theoretischem Rüstzeug. Umso wichtiger sind deshalb Interventionen wie das neue Buch »Klima|x« des schwedischen Humanökologen und Ökosozialisten Andreas Malm. Verfasst auf dem Höhepunkt der ersten Infektionswelle in Europa, vermittelt das Buch entscheidende Einsichten in die Verschränkungen von Pandemien, Umweltzerstörung und Kapital. Er argumentiert eindrücklich, dass weder Corona-Pandemie noch Klimawandel schicksalhafte oder unvorhersehbare Krisen sind, sondern dass beide aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringen.

Malm, bekannt für seine wegweisende Studie über den fossilen Kapitalismus, formuliert am Ende seiner vor allem im englischsprachigen Raum viel beachteten Schrift sein politisches Programm für diese Krisenzeiten: den Öko-Leninismus. Es ist ein Plädoyer, mit Lenins Strategien nicht nur die Symptome, sondern vielmehr die Ursachen von Pandemien und Klimakrise zu bekämpfen. Gemeint ist damit eine ökosozialistische Planung, die die Krisen mit der nötigen Dringlichkeit und (internationalen) Koordination zu bekämpfen vermag.

Planungsfragen verweisen auf die Frage des Staates – Malm nimmt dazu eine öko-leninistische Position ein. Er macht deutlich, dass eine ökosozialistische Strategie nicht auf die vollständige Demokratisierung des Staatengefüges warten kann, bis für die Reduktion der Treibhausgase gesorgt wird. Malm zieht also radikale Konsequenzen aus den bereits eintretenden Umweltkatastrophen. Er zwingt uns zur Einsicht, dass auch eine ökosoziale Transformation mit zerstörten Ökosystemen umgehen muss.

Doch während Malm die notwendige Nutzung der bestehenden Staatsstrukturen herausstreicht, geht die Frage unter, wer genau diese öko-leninistische Politik vorantreibt und auf der Demokratisierung aller Lebensbereiche beharren kann und soll. Der Verzicht, die Frage des Subjekts zu behandeln, ist ein wenig verzeihliches Versäumnis. Leider kein Einzelfall in der Debatte um ökologische Planwirtschaft; auch in den Beiträgen dieser Artikelserie finden sich Beispiele.

Öko-Leninismus

Malm ist überzeugt: Heute wie zu Lenins Zeiten besteht bzw. bestand grundsätzlich bei allen Klarheit darüber, was zur Bekämpfung der Krisen unternommen werden muss. Durch die Gebietsverluste infolge des Friedensvertrags von Brest-Litowsk 1918 war Sowjetrussland beinahe vollständig von seinen Kohle- und Erdölreserven abgeschnitten worden. Binnen kürzester Zeit musste die sowjetische Kriegswirtschaft ohne fossile Energien auskommen; Fluten und Krankheiten verschärften die Situation weiter. Unter Lenins Führung wurden Unternehmen verstaatlicht, die Nahrungsmittelversorgung gesichert und Brennholz herbeigeschafft, kurz: Produktion und Staat wurden drastisch reorganisiert.

Die materiellen Mittel sind vorhanden, um nun wie einst bei Lenin und den Bolschewiki die notwendige Transformation einzuleiten. Der revolutionierte Staat als Urheber einer nicht-autoritären Planwirtschaft – Malms Vision wird dem Ausmaß der ökologischen Krisen mit Sicherheit gerecht. Umso einfacher ist es, den Verlockungen des Öko-Leninismus zu erliegen.

Doch die Analogie krankt. Lenins Krisenbekämpfung und Malms anvisierte ökosozialistische Wende unterscheiden sich fundamental: Während damals massive Mobilisierungen eine Revolution ermöglichten, sieht sich heute weder die herrschende Klasse noch der Staat mit nennenswerten oppositionellen Kräften konfrontiert. Ein revolutionäres Projekt basiert grundlegend auf real existierenden Menschen, die Konflikten ausgesetzt sind und sich gegen ihre Unterdrückung zur Wehr setzen.

Malms Plädoyer läuft Gefahr, zu einem technokratischen Programm zu verkommen.

In der Debatte um Planwirtschaft ist es jedoch symptomatisch, die Frage nach dem Subjekt außen vor zu lassen. Zu bequem ist es, die Struktur einer nachhaltigen und gerechten Produktionsweise auf bloß hypothetischer Ebene zu bestimmen. Diese Auslassung strukturiert maßgeblich Malms politisches Programm: Aus scheinbar pragmatischen Gründen siedelt er die allermeiste Verantwortung sowie die Planung für die Transformation beim Staat an. Sein Plädoyer läuft dadurch Gefahr, zu einem technokratischen Programm zu verkommen.

Malm aktualisiert eine Eigenschaft des Leninismus, die wir besser hinter uns lassen sollten: ein abgehobenes und instrumentelles Verhältnis zu den konkreten sozialen und politischen Kämpfen. Diese können nicht einfach als das notwendige Hintergrundgeräusch für eine antikapitalistische Klimaschutzpolitik angenommen werden. Vielmehr sind sie es, die den Ton für eine emanzipatorische Politik angeben müssen.

Deshalb ist es vermutlich nicht nur der Kürze des Buches geschuldet, dass der Autor an keiner Stelle die zahlreichen Kämpfe erwähnt, die seit Jahren stattfinden. Von den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von La Vía Campesina, die für eine agrarökologische Landwirtschaft einstehen, bis zu zahlreichen Gruppen von Indigenen, die sich seit Jahrzehnten dem fossilen Kapitalismus widersetzen. Malm verliert ebenfalls kein Wort über die feministischen Bewegungen, die die globale Arbeiterbewegung wiederbeleben und den Antikapitalismus und Internationalismus neu erfunden haben. Nichts zeigt dies deutlicher als die Aktionsform des feministischen Streiks. Mit der Arbeitsverweigerung knüpfen Feministinnen weltweit an eine alte Widerstandsform an. Doch gleichzeitig erweitern sie auf radikale Weise den Arbeitsbegriff und entwickeln dadurch eine neue Form der Kritik der politischen Ökonomie, wie etwa die argentinische Feministin Verónica Gago in ihren »8 Thesen zur feministischen Revolution« schreibt. Genau diese Mobilisierungen zeigen eindrücklich auf, wie radikale und sozial verankerte Forderungen entstehen, wenn Konflikte und Bewegungen in die antikapitalistische Theoriebildung mit einfließen.

Fehlende Dialogbereitschaft

Ebenfalls fehlt in Malms Buch die antirassistische Bewegung, die die autoritäre Kontrolle der Körper von People of Colour als Grundlage kapitalistischer Verhältnisse bekämpft und dadurch zentrale Anknüpfungspunkte für die Klimagerechtigkeitsbewegung bietet. So zeigt sich etwa, dass der Kampf gegen Wasser- oder Luftverschmutzung auch antirassistisch sein muss, da Nicht-Weiße besonders von Umweltzerstörung betroffen sind. In Bezug auf die Klimabewegung leistet Malm also gerade nicht das, was marxistische Feministinnen sowie Vertreter*innen des »Black Marxism« seit Jahrzehnten versuchen: von den sozialen Kämpfen aus zu theoretisieren.

Der Einwand ist berechtigt, dass die dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen noch lange nicht aus aktuell ausgetragenen Kämpfen folgen müssen. Doch diese Entgegnung erfährt nur dann Berechtigung, wenn wir anschließend politisch und strategisch darüber sprechen, wie dieser Sprung gelingen könnte. Denn eine emanzipatorische Strategie kommt nicht darum herum, Konflikte und die Bewegungen darin als ihren Ausgangspunkt zu bestimmen. Es reicht nicht aus, bloß lapidar anzunehmen, dass Krisen schon den nötigen Widerstand provozieren werden. Schließlich kann dieser auch nationalchauvinistisch ausfallen, wie Grenzregime gegen Klimaflüchtlinge dies bereits jetzt zeigen.

Gleichzeitig versteht sich Malms »Klima|x« als Versuch, die »Saatgutbibliothek« des Sozialismus erneut zum Blühen zu bringen, wie er schreibt. Erleichtert erfahren Lesende mit libertärer Sensibilität dabei, dass Malms Öko-Leninismus augenscheinlich weder eine Tscheka noch die militärische Niederschlagung von Streikenden voraussetzt. In diesem Sinne spricht er mit Bezug auf den trotzkistischen Philosophen Daniel Bensaïd von einem »libertären Leninismus«, dem auch individuelle Selbstentfaltung und kollektive Mitbestimmung ein Anliegen sind.

Ein Strang der antikapitalistischen Tradition scheint in Malms Augen allerdings nicht der Aktualisierung würdig zu sein: der Anarchismus. Dessen Staatskritik stellt er als politisch vollkommen naiv dar. Die Sozialdemokratie hingegen kommt deutlich besser weg. Trotz Kritik bleibt sie für Malm womöglich »unsere größte Hoffnung«, sofern sie über sich hinauswächst und sich radikalisiert. Was er aber in seinem Anarchismus-»Nachruf« in den Mülleimer der Geschichte entsorgt, ist nicht nur ein ausgesprochen einseitiges Bild der vielfältigen anarchistischen Praktiken und strategischen Herangehensweisen. Vor allem verkennt er die Wiederaneignung und Weiterentwicklung libertärer Ideen und Praktiken in der Klima- und Umweltschutzbewegung: von Ende Gelände in Deutschland, die Zones à défendre in Frankreich bis hin zu den Kämpfen von Indigenen in den Amerikas.

Ökologie als Erneuerungschance

Malms Verhältnis zum Staat ist insofern verständlich, als unter den existierenden nationalstaatlichen Bedingungen letztlich nur mithilfe der bestehenden staatlichen Strukturen ökologische Sofortmaßnahmen getroffen werden können. Doch den Staat als notwendigen Bestandteil einer griffigen Klimaschutzpolitik zu definieren, darf von der Kritik an staatlichen Strukturen und der Forderungen nach Demokratisierung und Dezentralisierung nicht entbinden. Durch seine Glättung der theoretischen Diversität ignoriert Malm, dass gerade in der Klimabewegung libertäre und anarchistische Strömungen existieren, die sich zuweilen weitaus pragmatischer gegenüber dem Staat positionieren, als Malm ihnen dies zugestehen will.

Die ökologische Frage bietet der Linken die Gelegenheit, das Konzept der Planwirtschaft von den sozialen Kämpfen aus theoretisch zu erneuern. Denn sie besitzt das Potenzial, die Nutzung von Staatsstrukturen nicht gegen die Staatskritik auszuspielen, sondern in einer pragmatischen Position zusammenzuführen.

Doch diese Möglichkeit lässt der Öko-Leninismus ungenutzt verstreichen. Malm verbaut sich die Chance des Dialogs und der gegenseitigen Bereicherung mit anderen politischen Traditionen. Sein Buch gleicht dem Versuch, auf einen nahezu ausgedörrten Ast des antikapitalistischen Stammbaums zu steigen, statt das Risiko zu wagen und sich durch die dünnen, aber noch grünen Zweige einer mehrtönigen Tradition zu hangeln.

So verzweifelt die Situation auch ist und umso schwieriger die Abwendung der Klimakrise mit jedem verstrichenen Monat wird – eine subjektlose und damit technokratische Politik kann nicht die erhoffte Verheißung bedeuten. Wenn nicht einmal geklärt ist, wer eine nachhaltige und solidarische Planwirtschaft erkämpfen kann, wird sich die Distanz zum anvisierten Zustand nur weiter vergrößern.

Milo Probst

Milo Probst promoviert zur Geschichte des Anarchismus und ist ökosozialistisch aktiv.

Florian Skelton

studiert Politische Theorie und ist ökosozialistisch aktiv.