»Mehr Personal auch nach der Wahl«
Wie hat sich die Berliner Krankenhausbewegung organisiert – und wie geht es nach vielen Wochen Streik jetzt weiter?
Von Silvia Habekost
Vorbemerkung der Redaktion: Am Samstag, den 9. Oktober, demonstrierten in Berlin knapp 5.000 Menschen von und mit der Berliner Krankenhausbewegung, einem Bündnis aus Beschäftigten der beiden großen kommunalen Kliniken, Vivantes und Charité, die in der Hauptstadt etwa die Hälfte aller Krankenhausbetten stellen. Seit inzwischen vier Wochen streiken die Pflegekräfte, Hebammen, Reinigungsarbeiter*innen, Physiotherapeut*innen, Labormitarbeiter*innen und viele mehr für Entlastung und mehr Personal sowie die Anwendung des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst auch für die ausgegliederten Bereiche, in denen besonders prekäre Verhältnisse herrschen. Um ihren Kampf gewinnen zu können, haben die Streikenden die Stadtgesellschaft um Unterstützung gebeten. Am 5. Oktober gab es eine öffentliche Pressekonferenz an der Berliner Volksbühne – ein wichtiger Schritt für die Verortung in Stadtgesellschaft und Öffentlichkeit. Wenige Tage später dann die gemeinsame Demonstration: Einige, darunter die selbst im Arbeitskampf steckenden Kurierfahrer*innen von Gorillas, Aktivist*innen der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen oder Mitglieder der Bildungsgewerkschaft GEW (auch diese hatte in der zurückliegenden Woche erstmals für Entlastung gestreikt), sind dort dem Ruf der Kolleg*innen gefolgt. Nachfolgend beschreibt Silvia Habekost, selbst im Streik bei Vivantes und Mitglied der Tarifkommission, wie sich die Berliner Krankenhausbewegung organisiert hat und was der aktuelle Stand der Auseinandersetzung ist.
Die Idee, dass sich die beiden großen Berliner Kliniken, Charité und Vivantes, gemeinsam auf den Weg machen, ist nicht neu. Aber sie nahm erstmals während der Corona-Pandemie konkreter Gestalt an, als wir 2020 den Corona Krankenhauspakt – Gesundheitsschutz, mehr Personal und Anerkennung – forderten. Gemeinsam haben wir auch an den Warnstreiks im Rahmen der Tarifrunde TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) im Spätsommer 2020 teilgenommen.
Anfang des Jahres 2021 ging es dann richtig los: Es wurden alle ver.di-Mitglieder von Vivantes und Charité angerufen und gefragt, ob sie sich an einer Auseinandersetzung für mehr Personal und für den TVöD für die outgesourcten Vivantes-Töchter beteiligen wollen. Im März gab es die erste große Videokonferenz und Trainings für die erste Aktivengruppe, an der um die 130 Kolleg*innen teilnahmen. Es wurden systematisch in allen Häusern und Bereichen Kolleg*innen gefunden, die in ihren Teams Unterschriften für eine Mehrheitspetition mit unseren Forderungen gesammelt haben.
Am 12. Mai haben wir diese 8.397 Unterschriften – eine Mehrheit aller Beschäftigten, die unter den TVöD fallen – auf einem großen Plakat der Politik und den Geschäftsführungen von Vivantes und Charité übergeben und ihnen ein Ultimatum von 100 Tagen gestellt: Entweder wir bekommen einen Tarifvertrag Entlastung und den TVöD für die Töchter, oder es streikt. In diesen 100 Tagen haben wir zum einen Kontakte mit Politiker*innen und der Zivilgesellschaft aufgebaut. Zum anderen wurde in den Teams über Forderungen diskutiert und darüber, was die Kolleg*innen brauchen, damit sich ihre Situation konkret verbessert. Wenn die Mehrheit eines Teams sich auf eine Forderung einigte, wurden eine Teamforderung aufgestellt sowie Teamdelegierte gewählt. Die so zusammengetragenen Forderungen beschlossen dann circa 1.000 Teamdelegierte bei einer Versammlung am 9. Juli im Stadion von Union Berlin An der Alten Försterei .
Eckpunkte an der Charité
Der nächste Schritt war die Abfrage der Streikbereitschaft – wieder in den Teams und mit dem Ziel, dass sich möglichst viele Teams mehrheitlich in ver.di organisieren. Das führte zu den ersten Warnstreiks im August. Vivantes versuchte mit insgesamt drei einstweiligen Verfügungen, den Streik zu untersagen. Damit haben sie uns zu noch mehr Aufmerksamkeit verholfen. Als es nach wie vor keine ernsthaften Angebote gab, führten wir die Urabstimmung für den Streik durch. Dort gab es eine 97-98-prozentige Zustimmung für den Arbeitskampf.
Am 9. September begann der unbefristete Streik bei Charité und Vivantes und ein paar Tage später auch bei den Tochtergesellschaften. Beide Arbeitgeber waren nicht bereit, Notdienstvereinbarungen zu unterzeichnen. Streik im Krankenhaus ist ja nicht vergleichbar mit beispielsweise einem Industriebetrieb. Mit einer Notdienstvereinbarung sorgt die Gewerkschaft dafür, dass Patient*innen nicht gefährdet werden. Am besten geht das, wenn keine Patient*innen in den Betten liegen. Mit unserer Notdienstvereinbarung kündigen wir Stationsschließungen sechs Tage vorher und Bettenschließungen drei Tage vorher an. Für Bereiche, die wir nicht ganz schließen können, werden Notbesetzungen festgelegt. Die Arbeitgeber dagegen wollen Notbesetzungen festlegen, die häufig besser sind, als die normalen Besetzungen in Nicht-Streik-Zeiten, und sie wollen keine Stationen oder Betten schließen. Da es hier zu keiner Einigung kam, halten wir uns einseitig an unsere Notdienstvereinbarung. Für die Töchter wurde eine Notdienstvereinbarung vor dem Arbeitsgericht geeint.
Auch wenn unser Kampf bei Vivantes noch nicht gewonnen ist, haben wir schon viel erreicht: Die Eckpunkte bei der Charité, aber auch den Aufbau unserer Strukturen.
Inzwischen (Stand 9. Oktober) dauert der Streik 31 Tage. Bei der Charité gab es am 7. Oktober einen Abschluss in Form eines Eckpunktepapiers, das von Gewerkschaftsseite als Erfolg gewertet wird – der Streik wurde dort daraufhin ausgesetzt. Bei Vivantes ist der Ausgang auch nach 30-stündiger Verhandlung am 7. und 8. Oktober noch offen. Dabei war und ist der Streik bei Vivantes sogar stärker als an der Charité. Dort waren zwei Stationen geschlossen, bei Vivantes sind 16 Stationen komplett leer und viele Betten gesperrt. Am 11. Oktober wird weiter verhandelt. Bei den Töchtern gibt es zudem von Matthias Platzeck moderierte Verhandlungen am 14. Oktober – auch dort geht der Streik weiter. Eine von Franziska Giffey (SPD) geforderte Schlichtung durch Platzeck hat die Tarifkommission der Vivantes-Töchter abgelehnt, weil sie dann nicht mehr streiken könnten.
Der Druck auf die Politik war und ist wirklich groß. Und wir hatten angenommen, dass bei landeseigenen Unternehmen mit bevorstehenden Abgeordnetenhauswahlen dieser Druck groß genug sein würde, um unsere Forderungen zu erfüllen. Es wurden unzählige Gespräche mit Politiker*innen geführt. Kolleg*innen haben Wahlkampfveranstaltungen besucht. Während der ganzen Zeit des Wahlkampfes haben wir Aktionen, Versammlungen und Demonstrationen organisiert. Es gab und gibt vielfältige Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, wie etwa durch das Bündnis Gesundheit statt Profite. Es gab auch klare Zusagen von der Politik, vor allem von den Spitzenpolitiker*innen. Es gab deutliche Entwicklungen bei den Parteien, z.B. bei den Grünen, dort hat der Druck gewirkt. Aber im Wahlkampf selbst hat das Thema keine wesentliche Rolle gespielt, es ist uns nicht gelungen, es als wahlentscheidendes Thema zu setzen. Zudem ist, wie wir feststellen mussten, der Einfluss einzelner Politiker*innen auf die kommunalen Krankenhausunternehmen doch gering. Trotz vieler Zusagen von Spitzenpolitiker*innen, dass sie auf die Klinikleitungen einwirken wollten, zog das keine konkreten finanziellen Zusagen nach sich. Dazu war der Eigentümer – das Land Berlin – nicht bereit.
Es selbst in die Hand nehmen
Auch wenn unser Kampf bei Vivantes noch nicht gewonnen ist, haben wir schon viel erreicht: Die Eckpunkte bei der Charité, aber auch den Aufbau unserer Strukturen. Die Strukturen der Berliner Krankenhausbewegung sind von viel Kommunikation untereinander geprägt. So tagten die Tarifkommissionen von Vivantes und Charité bis zur Verhandlungsphase gemeinsam, zeitweise auch mit der Tarifkommission der Töchter. Es gab große Teamdelegiertentreffen, wo ein Austausch in Berufsgruppen und nach Häusern stattfand. Die Verhandlungen werden immer von vielen Teamdelegierten begleitet. Die Tarifkommissionen waren nie alleine bei den langen Verhandlungen – die Teamdelegierten waren immer in der Nähe. Das heißt, dass zuerst die Forderungen der Teams mit in die Verhandlungen eingeflossen sind und in den Verhandlungen dann wiederum eine Rückkopplung mit den Teamdelegierten stattfand. Das stärkt diese Bewegung ungemein. Das ist ein Empowerment ohnegleichen bei den Beschäftigten. Sie nehmen ihre Belange selbst in die Hand und sind nicht mehr bereit, unter diesen Bedingungen zu arbeiten.