»Die Zeiten der streikfreien Verhandlungen sind vorbei«
Warum sich die Konflikte in den norddeutschen Häfen derzeit weiter zuspitzen, erzählt Betriebsrat Kay Jäger im Interview
Interview: Lene Kempe
Kay Jäger ist Betriebsrat und Gewerkschafter im Hamburger Hafen. Die Hafenarbeiter*innen gehörten im vergangenen Sommer zu den Ersten, die unter den Bedingungen von Corona, Lieferengpässen und beginnender Inflation in den Streik traten und mit bis zu 9,4 Prozent einen ungewöhnlich hohen Abschluss erkämpfen konnten. Nun deutet sich der nächste Konflikt an: Der Hamburger Hafen soll durch Automatisierung moderner und wettbewerbsfähiger werden, laut ver.di sollen dafür Arbeitsplätze abgebaut und Arbeitsstunden reduziert werden.
Wie siehst du die Zukunft der Häfen, gerade vor dem Hintergrund von Automatisierungsprozessen? Schwächt das die Konfliktbereitschaft, weil der Druck auf die Arbeitsplätze steigt?
Kay Jäger: Ich bin mir sicher, dass genau das Gegenteil der Fall sein wird. Wir haben letztes Jahr das erste Mal seit 1978 gestreikt und hatten zähe Tarifverhandlungen. Die Basis der Beschäftigten der Seehäfen in Hamburg, Bremen und Niedersachsen war streikbereit und hat für ihre Forderungen lange und hart gekämpft. Die Hafenbetreiber*innen versuchen, immer mehr Profit zu erwirtschaften, während die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern und mit Personalabbau durch Automatisierung gedroht wird. Gleichzeitig sind die Arbeitnehmer*innenvertretungen immer mehr Angriffen ausgesetzt. Das lässt die Zukunft noch düsterer erscheinen. All das kommt natürlich auch an der Basis an. Die Zeiten der Verhandlungen ohne Arbeitskämpfe sind seit letztem Jahr endgültig vorbei.
Bislang hat die Sozialpartnerschaft in den Häfen doch gut funktioniert?
Die Arbeitgeber*innen haben die Sozialpartnerschaft schon lange aufgekündigt, und langsam kommt es auch bei der Gewerkschaftsführung an. Nun wollen die großen Hafenfirmen wie zum Beispiel HHLA und Eurogate »Arbeitsstunden« einsparen und mit weniger Beschäftigten mehr »schaffen«. Die einzige Antwort kann von unserer Seite aus nur die Forderung nach einer massiven Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sein. Um die Arbeitsplätze zu den selben oder besseren Bedingungen zu erhalten. Die Frage ist ja, warum die Automatisierung nur den Vorständen und Aktionär*innen zugutekommen sollte?
Warum sollte die Automatisierung nur den Vorständen und Aktionär*innen zugutekommen?
Kay Jäger
Wie wichtig ist in diesem Konflikt aus deiner Perspektive die Vernetzung gewerkschaftlicher Kämpfe, auch auf internationaler Ebene?
Für die Gewerkschaftsbewegung in den Häfen weltweit sind internationale Solidarität und gemeinsame Strategien unerlässlich und schon lange Praxis. Eine entscheidende Rolle spielt hier der internationale Gewerkschaftsdachverband ITF (Internationale Transportarbeiter Föderation), in dem auch ver.di Mitglied ist. Da gibt es immer wieder gemeinsame Konferenzen und Aktionen. Vor ein paar Jahren wurde zum Beispiel ein Schiff in Portugal von Streikbrecher beladen. Dieses Schiff wurde von den Kollegen in Emden nur langsam und verzögert abgefertigt. Natürlich spielen die rechtlichen Rahmenbedingungen vor Ort immer eine Rolle. Schöner wäre es, solche Schiffe gar nicht abzufertigen. Letztlich haben Hafenarbeiter*innen überall auf der Welt mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, und es wird immer wieder versucht, uns gegeneinander auszuspielen, nach dem Motto: In Rotterdam schaffen die Terminals einen Schnitt von 30 Containern die Stunde, Hamburg ist zu langsam und zu unflexibel, zu wenig automatisiert.
Die Automatisierung stellt die Gewerkschaften vor ganz neue Herausforderungen. Dabei geht es um Fragen wie zum Beispiel: Wer steuert die Lagerkräne oder Containerbrücken? Sind das Hafenarbeiter*innen, die zum gültigen Tarifvertrag arbeiten? Und darf auch außerhalb des Hafengebiets gearbeitet werden? Neben der tariflichen Komponente geht es da auch um die Gefahr eines Streikbruchs: Können die Schiffe künftig auch abgefertigt werden, wenn wir in den Streik treten? Auch da gilt es international voneinander zu lernen und zu nutzen, dass es bereits Häfen gibt, in denen die Automatisierung deutlich weiter vorangeschritten ist.
Kay Jäger
ist ver.di-Vertrauensmann und Betriebsrat beim Gesamthafenbetrieb in Hamburg. Er arbeitet seit 14 Jahren im Hamburger Hafen.
Wenig Austausch gibt es bislang ja zwischen Beschäftigten und der Klimabewegung, obwohl das doch gerade im Hafen sinnvoll wäre?
Ich denke, dass die Klimabewegung erfolgreicher wäre, wenn sie die Situation der Beschäftigten klarer im Fokus hätte. Hinter dem großen Missmut gegenüber den Aktivist*innen und auch der Grünen Partei steht vor allem die Frage danach, wer das alles bezahlen soll. Sollte die Antwort weiterhin »der Konsument« beziehungsweise die »normalen« abhängig Beschäftigten lauten, werden viele Beschäftigte weiterhin den Rechten und Konservativen in die Arme laufen, deren Interesse es nicht ist, für einen Wandel zu sorgen, weder ökologisch noch sozial. Erst wenn sich dort was ändert und die Klassenfrage im Fokus steht, sehe ich Chancen für eine Verknüpfung beziehungsweise Zusammenführung der Kämpfe. Auch die Klimakrise ist eine Krise der Reichen, nicht derer, die ihr Leben lang für ein eigenes Haus oder einen bescheidenen Wohlstand ihre Arbeitskraft verkaufen. Diese Leute fühlen sich aber momentan als Ziel der Klimabewegung.