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»Die Leute überwinden ihre Angst«

In Guinea gehen die Proteste gegen die dritte Amtszeit von Alpha Condé weiter

Interview: Dorette Führer

Tausende Menschen auf einer breiten Straße
FNDC Demonstration am 24.10.2019 in der Hauptstadt Conakry Foto: Aboubacar Keita / Wikimedia, CC-BY-SA-4.0

Weltweit ist es 2019 zu spektakulären Aufständen gekommen. Weniger bekannt ist jedoch, dass auch in Westafrika die Menschen massenhaft auf die Straße gehen – ob gegen Langzeitherrscher oder hyperprekäre Lebensbedingungen. In Bremen hat ak mit zwei Aktivisten der guineischen Oppositionsbewegung gesprochen.

Zusammen mit der Initiative »Together we are Bremen«, zu der viele junge Migrant*innen aus Guinea gehören, habt ihr im Dezember in Bremen eine Veranstaltung zur Bewegung gegen die dritte Amtszeit des guineischen Präsidenten Alpha Condé gemacht. Wie kam es zu diesen Protesten und warum eine Veranstaltung in Bremen?

Ibrahim Sory Baldé: Es ist das erste Mal, dass wir eine solche Veranstaltung gemacht haben, wir wollten den anderen jungen Guineern und der Öffentlichkeit in Bremen unsere Wut zeigen, weil die Dinge in unserem Land nicht gut laufen. Denn wenn wir das nicht anprangern würden, würden wir selber zu Komplizen des dortigen Geschehens werden. Worum geht’s konkret? Alpha Condé ist seit fast zehn Jahren an der Macht, allerdings ohne etwas für das Land zu tun. Und jetzt hat er im Fernsehen angedeutet, dass er die Verfassung ändern will, um sich ein drittes Mal zur Wahl aufstellen zu lassen. Die Bevölkerung ist damit überhaupt nicht einverstanden. Sie will keinen weiteren Präsidenten, der bis zu seinem Tod an der Macht bleibt, wie schon unsere ersten beiden Präsidenten, die jeweils 24 Jahre regiert haben. Alpha Condé war unser erster frei gewählter Präsident, doch er hat uns seitdem noch schlimmeres Elend gebracht!

Ismael Diallo: Unglaublich ist vor allem, dass er bis zu seiner Wahl 40 Jahre lang in der Opposition friedlich für Demokratie gekämpft hat. Und dieser Mensch erlaubt sich nun, wie ein Diktator junge Menschen bei Protesten zu töten! Deshalb hat sich die Nationale Front für die Verteidigung der Verfassung (FNDC) zusammengefunden. Es ist eine Volksbewegung, die alle gesellschaftlichen Schichten, Oppositionsparteien und die Zivilgesellschaft zusammenbringt. Die ersten Demonstrationen fanden am 14. und 15. Oktober 2019 statt – anfangs nur in der Hauptstadt Conakry, dann haben sich die Proteste ins Landesinnere ausgebreitet. Auch in den europäischen Ländern und in den USA wurden Ableger der FNDC gegründet.

Die Gesprächspartner*innen

Ibrahim Sory Baldé ist 2017 aus Guinea gekommen, wo er in der Oppositionsbewegung engagiert war und Internationale Beziehungen studiert hat. In Bremen gehört er ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern der UFDG, zudem ist er im Verein der guineischen Studierenden aus Bremen aktiv.

Ismael Diallo ist 2011 aus Guinea nach Bremen gekommen und hat Logistik studiert. Er ist aktiv bei verschiedenen guineischen Vereinen und hat 2019 die Bremer Sektion der Oppositionspartei UFDG (Union de Forces Democratiques à Guinée) mitgegründet.

In den deutschen Medien hört man kaum etwas aus westafrikanischen Ländern. Könnt ihr einige Stichworte zu Guinea sagen?

Ibrahim Sory Baldé: Guinea ist ein kleines Land mit circa zwölf Millionen Einwohnern, von denen 65 Prozent jünger als 25 Jahre sind. Unser Land ist sehr reich an natürlichen Ressourcen: an fruchtbarem Boden, an Bodenschätzen, vor allem hat Guinea riesige Bauxitvorkommen, aus dem Aluminium hergestellt wird. Aus Guinea kommen zwar 25 Prozent des Bauxits für den Weltmarkt, doch die Bevölkerung ist extrem arm, und während der Regierung von Alpha Condé ist die Misere noch größer geworden. Die Staatsangestellten und ihre Familien veruntreuen Millionen. Umgekehrt ist deine eigene Lage hoffnungslos, wenn du nicht dazugehörst. Du findest einfach keine Arbeit, noch nicht einmal mit Diplom.

Ihr spracht von Rohstoffen, welche Rolle spielen dabei ausländische Konzerne?

Ismael Diallo: Es gibt eine große Abhängigkeit. Das merkt man, wenn ein Investor abzieht, wie der russische Konzern Rusal, der eine große Bauxitmine in Fria betrieben hat – zusammen mit der einzigen Fabrik in Guinea, wo Alumin hergestellt wurde, ein Vorprodukt von Aluminium. Dort arbeiteten rund 1.000 Menschen. Nach der Schließung rutschte die ganze Stadt in die wirtschaftliche Depression, bis die Fabrik vor kurzem wieder geöffnet wurde. Bei den anderen Bauxitminen in der Region Boké gibt es ebenfalls viele Probleme, jeder kann eine Abbaulizenz bekommen, so er denn zur gleichen Ethnie wie der Präsident gehört oder Mitglied in dessen Partei ist. Die Abnehmer sind chinesische Unternehmen. Die Einheimischen werden von ihren Feldern vertrieben, und nach dem Abbau, der als Tagebau läuft, bleiben riesige Verwüstungen zurück, weil sich niemand mehr um die Einhaltung der Aufforstungs- und Rückbaumaßnahmen kümmert.

Ibrahim Sory Baldé: Die Regierung wollte auch drei Milliarden Dollar investieren, um rund um die Uhr Strom für alle zu garantieren – aber leider ist das nicht passiert. Nicht in den Städten und schon gar nicht auf dem Land. In der Hauptstadt Conakry wird der Strom von Tag zu Tag in verschiedenen Vierteln abgeschaltet. Weil die Stromzähler fast alle kaputt sind, gibt es willkürliche, oft teure und ungerechte Pauschalpreise. Wenn du nicht bezahlst, wird der Strom sofort abgestellt. Für Gesundheit und Bildung hat die Regierung auch nichts getan. Wenn du also umgerechnet 100 Euro hast, um deine Familie zu ernähren, das Leben aber 300 Euro kostet, dann steckst du schon im Elend. Und genau das zwingt Tausende von jungen Guineern, das Mittelmeer zu überqueren, um später ihren Familien monatlich 50 bis 100 Euro oder auch mehr schicken zu können.

Zurück zu den Protesten gegen die dritte Amtszeit. Wie laufen Wahlen in Guinea überhaupt ab?

Ismael Diallo: Die ersten freien Wahlen seit der Unabhängigkeit fanden 2010 statt. Damals gewann Alpha Condé sehr knapp die Stichwahl gegen Cellou Dallein Diallo, der auch heute noch Oppositionsführer ist. Doch schon damals hielten viele diesen Sieg für Betrug. Dann fing Condé an, massenhaft Leute aus dem Staatsdienst und der Armee zu entlassen, vor allem aus der Bevölkerungsgruppe der Peul, und sie durch Personen aus seiner Region Haute-Guinée zu ersetzen. Dagegen kämpft die Opposition seit vielen Jahren. Aktuell gibt es auch Proteste gegen die anstehenden Parlamentswahlen am 16. Februar, weil keine korrekten Wahllisten vorliegen. Denn die Wahlkommission hat festgestellt, dass in der Region Haute-Guinée Verstorbene und Minderjährige registriert wurden und bei der Wahlregistrierung das Geburtsdatum verändert wurde, sodass Erwachsene aus der Liste ausgeschlossen wurden.

Findet die Opposition mit ihren Protesten Gehör?

Ibrahim Sory Baldé: Ja, bei den Kommunalwahlen im Februar 2018 konnte sie die Neutralität der Wahlkommission durchsetzen und so eine freiere, transparentere Wahl erreichen. Damals verlor Condé wichtige Kommunen, was seine Position bei zukünftigen Wahlen stark geschwächt hätte. Die Regierung reagierte aber mit Tricks und Repression, wodurch sie doch wieder die alten Amtsinhaber einsetzte oder bis jetzt verhindert hat, dass gewählte Quartierchefs ihre Posten einnehmen können. Doch die Oppositionsparteien nehmen das nicht mehr hin, sie klagen, auch vor dem hohen Gerichtshof der westafrikanischen Wirtschaftsunion ECOWAS.

Könnt ihr nochmal genauer über den Charakter der FNDC berichten, der Bewegung gegen die dritte Amtszeit?

Ismael Diallo: Die FNDC ist unter anderem inspiriert von der Bewegung »y en a marre« in Senegal (1) und den Organisationen in Burkina Faso, die 2014 den Diktator Blaise Compaoré vertrieben haben. Mit beiden gibt es direkte Kontakte. Es geht bei dieser Bewegung in Guinea sehr stark darum, zusammenzukommen und ethnisch aufgeladene Konflikte zu überwinden. Alpha Condé hat mit seiner Politik die Menschen gegeneinander aufgehetzt, vor allem damit, die eigenen Leute – also die Malinke – gegenüber den Peul zu bevorzugen. Es gibt viel Misstrauen und Gewalt. Aber auch Angst vor der Staatsgewalt, durch die in den letzten Jahren über 100 junge Leute bei Protesten umgebracht wurden. Doch die Leute überwinden immer mehr ihre Angst. Sie schließen sich den lokalen FNDC-Gruppen an und gehen gemeinsam gegen das Regime auf die Straße. Es ist keine politische, sondern eine soziale Basisbewegung, wo alle eingeladen sind mitzumachen, egal aus welcher Ethnie, Oppositionspartei oder Gewerkschaft, egal ob Junge, Alte, Frauen oder wer auch immer.

Welche Aktionen gab es, und wie reagiert das Regime?

Ibrahim Sory Baldé: Seit dem 14. Oktober gibt es jeden Monat zahlreiche Großdemonstrationen – in Conakry, aber auch landesweit und in der Diaspora. Die Mobilisierung läuft über die sozialen Medien. Wir fordern ultimativ, dass der Präsident im Fernsehen verkündet, dass er zu den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2020 nicht mehr antritt. Doch die Repression der Regierung ist noch massiver als sonst. Bei der ersten Demo gab es zwölf Tote und 70 Verletzte, außerdem 200 Festnahmen, darunter viele führende Köpfe der Bewegung. Es gibt aber auch verschärft Angriffe in den Vierteln von Conakry mit vielen Toten. Besonders perfide ist, dass währenddessen die Essenstöpfe der Leute, die ja oft nur eine Mahlzeit pro Tag haben, von Sicherheitskräften umgestoßen werden. Das hat eine neue Qualität.

Ismael Diallo: Was die Leute besonders wütend macht, ist der würdelose Umgang mit den Opfern der Proteste und ihren Familien. Die Leichname werden beschlagnahmt, mit der Behauptung, Autopsien für die Gerichte zu machen. Sie werden nur freigegeben, wenn die Familien von der FNDC unterstützt werden. Zum Beispiel konnte die Trauerfeier für die Toten des 14. und 15. Oktober 2019 erst am 4. November stattfinden und wurde obendrein massiv von der Polizei gestört.

Gibt es Reaktionen seitens der internationalen Öffentlichkeit?

Ibrahim Sory Baldé: Grundsätzlich erleben wir wenig Unterstützung. Die internationale Gemeinschaft weiß genau, was passiert. Die EU-Länder und besonders Frankreich haben ihre Botschaften in unserem Land, aber sie tun nichts. Es ist auch nicht in ihrem Interesse. Denn Frankreich ist immer noch dabei, Afrika zu kolonisieren. Frankreich will Präsidenten, die die Geschäfte französischer Großunternehmen wie Total oder Boloré unterstützten – mehr nicht.

Was wünscht ihr euch von linken Bewegungen in Deutschland und Europa?

Ismael Diallo: Wir wollen in der deutschen Öffentlichkeit deutlich machen, was wirklich in unserem Land passiert. Und natürlich hoffen wir, dass Gruppen ihre Solidarität zeigen und Druck auf jene Politiker*innen und Unternehmen ausüben, die mit Guinea zu tun haben. Wir wollen auch weiter mit solchen Bewegungen wie »Together we are Bremen« zusammenzuarbeiten. Denn uns geht es um das Recht auf ein besseres Leben in Guinea, aber auch darum, aus Guinea weggehen und wieder zurückkommen zu können.

Dorette Führer

Dorette Führer ist aktiv bei Afrique-Europe-Interact und »Together we are Bremen«.

Anmerkung:

1) Die Bewegung Y’en a marre (»wir haben es satt«) wurde 2011 von einem Kollektiv von Rapper*innen im Senegal gegründet, um gegen die korrupte Politik und für ein würdiges Leben auf die Straße zu gehen. Anlass waren ständige Stromausfälle. (ak 571)