»Die vielen Aktiven sind unsere größte Ressource«
Was will Deutsche Wohnen & Co enteignen jetzt machen, damit die Vergesellschaftung nicht auf die lange Bank geschoben wird?
Interview: Jan Ole Arps
Volksentscheid geschafft – und jetzt? Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und der von ihr geführte neue rot-grün-rote Senat spielen auf Zeit: Eine Expert*innenkommission soll die Umsetzung prüfen, aber noch wurde die Kommission nicht einmal berufen. Statt mit den Aktivist*innen trifft sich Giffey mit Vertreter*innen der Wohnungswirtschaft. Isabella Rogner aus dem Kiezteam Tempelhof-Schöneberg und Elmer van der Wel aus dem Kiezteam Neukölln berichten, was die Kampagne nun tun will, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Die Frage, ob und wie Berlin den Volksentscheid zur Vergesellschaftung der großen Wohnungskonzerne umsetzt, soll jetzt ein Jahr lang von einer Expertenkommission geprüft werden. Wie ist da der Stand?
Isabella Rogner: Die Einsetzung der Expert*innenkommission ist ja Teil des 100-Tage-Programms des neuen Senats. Am 9. Februar waren die ersten 50 Tage rum, und bisher hat sich nicht viel getan. Als Kampagne warten wir noch darauf, dass wir mal zu einem Gespräch eingeladen werden.
Stattdessen macht der Senat beim Bündnis für Wohnungsneubau Tempo. Ende Januar gab es das erste Treffen von Bürgermeisterin Franziska Giffey und Wohnungssenator Andreas Geisel, beide SPD, mit Vertretern der Wohnungswirtschaft, Genossenschaften etc. Die SPD wird nicht müde zu betonen, dass Neubau absolute Priorität habe.
Elmer van der Wel: Neubau löst das Problem nicht. Es geht darum, die Stadt für Mieter*innen bezahlbar zu machen. Neubau kann zwar extra Wohnungen schaffen, ändert aber nichts daran, dass die Innenstadt für Mieter*innen immer unbezahlbarer wird, vor allem, wenn in dem Segment, der tatsächlich leistbar ist für einen Großteil der Berliner*innen, kaum gebaut wird.
Isabella Rogner: Andreas Geisel rollt der Immobilienlobby den roten Teppich aus, statt sich um den Volksentscheid zu kümmern, für den mehr als eine Million Menschen abgestimmt haben. Das ist nicht das, womit der Senat beauftragt worden ist.
Elmer van der Wel: Und dann redet Geisel noch von einem freiwilligen Mietenmoratorium für fünf Jahre. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso sich irgendeine profitgesteuerte Firma darauf einlassen würde.
Ihr fordert, entsprechend dem Ergebnis des Volksentscheids, mit 59 Prozent an der Kommission beteiligt zu werden. Das hat Andreas Geisel bereits abgelehnt.
Isabella Rogner: Er hat auf jeden Fall gesagt, das halte er nicht für den richtigen Weg. Wie wir stattdessen beteiligt sein sollen, hat er dagegen noch nicht gesagt. Es gibt da einfach fundamental unterschiedliche Auffassungen. Geisel sagt, das sei eine Kommission des Senats. Wir sagen: Es ist eine Expert*innenkommission der Berlinerinnen und Berliner.
Die Linkspartei hat den Kampf für Vergesellschaftung zum Wahlkampfthema gemacht. Wer sich so positioniert hat, sollte dann das Versprechen auch halten.
Isabella Rogner
Wie bewertet ihr das Verhalten der Linkspartei in der Regierung?
Isabella Rogner: Auch die Linkspartei hat den Koalitionsvertrag unterschrieben, in dem die Umsetzung des Volksentscheids in die Expert*innenkommission vertagt wird. Damit können wir nicht zufrieden sein. Aber die Linkspartei hat den Kampf für Vergesellschaftung zum Wahlkampfthema gemacht und die Unterschriftensammlung unterstützt. Wir erwarten natürlich, dass sie sich jetzt auch weiter dahinter klemmt und für die Umsetzung kämpft. Wer sich so positioniert hat, sollte dann ja das Versprechen auch halten.
Der Volksentscheid ist mit dem Problem konfrontiert, dass zwei der drei Koalitionsparteien ihn gar nicht umsetzen wollen. Habt ihr eine Strategie, wie dafür der Druck aufgebaut werden kann?
Elmer van der Wel: Die Vorarbeit der Kommission ist jetzt unser Fokus. In der Initiative gibt es genug Expertise, um zu wissen, welche Themen auf der Tagesordnung der Kommission stehen müssen. Grundsätzlich wollen wir uns an der Kommission beteiligen, wir werden aber nicht dort sitzen, um etwas abzunicken, was dem Volksentscheid widerspricht. Berlin hat sich schon für die Vergesellschaftung entschieden.
Isabella Rogner: Was die mittelfristige Strategie ist, diskutieren wir jetzt als Kampagne. Für uns ist klar, dass wir diese Kommission auf jeden Fall öffentlich begleiten werden. Und wir werden sehr genau schauen, ob sie auf die Vergesellschaftung hinarbeitet, oder ob das reine Verzögerungstaktik wird. Wir haben die Mehrheit in Berlin hinter uns, im Gegensatz zu allen Parteien. Der Mietendruck in Berlin hört nicht auf, nur weil eine Kommission eingesetzt wird, deshalb wird auch der Druck aus der Bevölkerung bleiben.
Aber wie ist es möglich, die Vergesellschaftung gegen eine zu 85 Prozent feindlich gesinnte Politik durchzusetzen?
Elmer van der Wel: Wir machen weiter das, was wir die ganze Zeit machen: Wir bleiben mit den Leuten in Kontakt und unterstützen sie bei der Organisierung in ihren Häusern. Wir gehen weiter auf die Straße, machen Bündnisarbeit in den Kiezen und berlinweit. Kurz gesagt: Wir halten den Druck aufrecht.
Isabella Rogner: Natürlich sind die Signale, die es gerade gibt, nicht besonders rosig. Und wir kennen die Geschichte von anderen Volksentscheiden, die nicht umgesetzt worden sind. Unser Vorteil ist, dass wir aus diesen Erfahrungen lernen konnten und dass wir Strukturen haben, die auch nach dem Volksentscheid nicht in sich zusammengefallen sind. Wir sind alle noch da, es sind immer noch super viele Leute mit viel Motivation in der Kampagne aktiv. Das ist unsere größte Ressource, da können wir viel rausholen. Das stimmt mich optimistisch.
Ist es auch eine Option, noch einen Gesetzesvolksentscheid zu machen?
Isabella Rogner: Wir konzentrieren uns darauf, dass der Volksentscheid umgesetzt wird, den wir gerade erst mit 59 Prozent gewonnen haben. Alles andere wäre ein demokratischer Skandal.
Wie ist die Stimmung aktuell in der Kampagne?
Elmer van der Wel: Ich sehe eine Menge neue Energie. Es gibt Projekte und Ideen zu den unterschiedlichsten Themen, die mit Vergesellschaftung zu tun haben.
Isabella Rogner: Nach dem Volksentscheid haben wir natürlich erstmal durchgeatmet und gefeiert. In den Kiezteams beschäftigen sich viele jetzt nochmal stärker mit Organizing, um die Mieter*innen in ihren Kämpfen vor Ort konkret zu unterstützen. Wir planen eine Konferenz, wahrscheinlich im Frühsommer. Für uns ist auf jeden Fall wichtig, weiter im Stadtbild präsent zu sein.
Wenn jetzt Leute neu dazukommen wollen, wie können die bei euch einsteigen?
Elmer van der Wel: In den Kiezteams kann man immer mitmachen. Die freuen sich über neue Leute und veranstalten auch regelmäßig Neuen-Treffen. Das gleiche gilt für die verschiedenen Arbeitsgruppen. Das findet man alles bei uns auf der Website unter »Mitmachen« oder auf Instagram.