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Von der PKK lernen heißt verlieren lernen

Der deutschen Linken ist die Fähigkeit abhanden gekommen, sich in Niederlagen zu erneuern – die kurdische Bewegung kann da Vorbild sein

Von Lukas Hofmann

Die kurdische Bewegung musste viel einstecken – PKK-Verbot, Verhaftung von Öcalan, Repression – und hat sich erneuert. Foto: Montecruz Foto / flickr, CC BY-SA 2.0 Deed

Im November jährt sich das Verbot der PKK in Deutschland zum 30. Mal. Dieses Verbot ist ein Zugeständnis an die Türkei. Viele kurdische Aktivist*innen in Deutschland werden deshalb politisch verfolgt. Klar ist: Das PKK-Verbot muss weg, es ist ein Hindernis für Frieden und Demokratie im Mittleren Osten und ein ungerechtfertigter Eingriff in die Grundrechte von Kurd*innen in Deutschland.

45 Jahre nach ihrer Gründung ist die PKK trotz internationaler Ächtung eine einflussreiche revolutionäre Organisation. Die kurdische Befreiungsbewegung symbolisiert die Speerspitze der internationalen Revolution und bietet ein Paradigma …

So oder so ähnlich könnte dieser Text weitergehen. Er könnte eine Geschichte der Erfolge der PKK schreiben, diese Erfolge trotzig gegen die deutsche Repression stellen. Er könnte die Linke in Deutschland aufrufen, die Ideen der kurdischen Bewegung zu übernehmen und auch in Deutschland zu verbreiten. So tun es viele Genoss*innen aus der Kurdistan-Solidaritätsbewegung.

Aber die Politik der PKK hat einen klaren geografischen Bezug. Ihr revolutionäres Projekt wurde für eine bestimmte Region, den Mittleren Osten, entwickelt. Die Bedingungen der Linken in Europa unterscheiden sich sehr von denen im Mittleren Osten. Das Wichtigste, was wir von der PKK und der kurdischen Bewegung lernen können, liegt nicht in ihrem Vorschlag für den Mittleren Osten, nicht in Erfolgen, Sieg und Jubel.

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Unter diesen Erfolgen liegen Niederlagen, Jahrzehnte von Rückschlägen und Enttäuschungen. Den richtigen Umgang damit zu finden, hat die kurdische Bewegung so lange am Leben gehalten. Denn die PKK ist in der Lage, sich in Niederlagen zu erneuern, in Zeiten der Schwäche neuen Anlauf zu nehmen. (1) Das ist eine Qualität, die der deutschen Linken verloren gegangen ist.

In der DDR gab es die Losung »Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen«. Das sollte die deutsch-sowjetische Freundschaft beschreiben. Übertragen auf das Verhältnis der deutschen Linken zur kurdischen Bewegung sollten wir diesen Spruch vom Kopf auf die Füße stellen: Von der PKK lernen heißt verlieren lernen.

Viele Chancen, keine Siege

Verlieren lernen hat die gesellschaftliche Linke in Deutschland bitter nötig: Deutlich wird dies durch den drohenden Verlust der parlamentarischen Repräsentation durch die Linkspartei. Seit Beginn der Coronakrise geht die Mobilisierungsfähigkeit der Linken besorgniserregend stark zurück.

Vor einigen Jahren war das anders. Hunderttausende folgten dem Ruf von Unteilbar, Seebrücke, Fridays For Future oder Black Lives Matter. Ende Gelände konnte Tausende für ungehorsame Aktionen mobilisieren. Und mit dem Mittel des Volksentscheids schaffte Deutsche Wohnen & Co Enteignen eine Mehrheit für sozialistische Wohnungspolitik in Berlin.

Die linken Mobilisierungserfolge der 2000er Jahre führten fast nie zur Durchsetzung linker Politik. Heute findet die Polarisierung zwischen Grünen und AfD statt.

Diese relative Hochphase linker Politik in Deutschland war das Ergebnis neuer Organisierungen Mitte der 2000er Jahre. Die rot-grüne Regierung enttäuschte viele Linke in der SPD mit Kriegsbeteiligung und Hartz IV. Mit der Fusion aus WASG und PDS gelang es, die Linkspartei als parlamentarische Vertretung linker Ideen zu etablieren.

Aus der Antiglobalisierungsbewegung entstanden überregionale, post-autonome Gruppen wie Ums Ganze und die Interventionistische Linke. Sie schafften es, ein Faktor in den sozialen Bewegungen der Vielfachkrise nach dem Börsencrash von 2007 zu werden. Diese Kombination aus Linken in Parlament und Bewegungen trug zu den Mobilisierungserfolgen bei. Doch sie führten fast nie zur Durchsetzung linker Politik. Die Bildung eines linken Lagers gelang nicht.

Stattdessen findet heute die Polarisierung zwischen Grünen und AfD statt. Auf der einen Seite ein neoliberaler Block, der die Anpassung des Kapitalismus an die Klimakrise versucht. Und auf der anderen ein rechter Block, der die autoritäre Absicherung von Privilegien vertritt. Auf diese Polarisierung findet die gesellschaftliche Linke in Deutschland keine Antwort. Sie steckt in der Krise.

Eine neue Wette

Die letzte große Krise der PKK liegt etwas mehr als 20 Jahre zurück. 1999 wurde ihr Anführer und Vordenker Abdullah Öcalan festgenommen. Seine Festnahme war aber nur der Endpunkt einer Entwicklung. Ursprünglich war die PKK mit der Idee angetreten, durch Guerillakrieg Bakur, also die kurdischen Gebiete in der Türkei, zu befreien. Dort sollte ein sozialistischer Nationalstaat aufgebaut werden. Diese Wette ging nicht auf. Hauptgrund war, dass es zwischen türkischer Armee und Guerilla zu einem Kräftegleichgewicht gekommen war. Keine Seite konnte mehr entscheidende militärische Fortschritte erzielen.

In so einer Situation war die Verhaftung Öcalans ein großer Schock. Für ein paar Jahre herrschte Orientierungslosigkeit. Kontext dieser Niederlage ist auch das Scheitern der beiden großen Projekte der globalen Linken: Der Zusammenbruch der Sowjetunion und das teilweise Scheitern der antikolonialen Befreiungsbewegungen, die nach der Vertreibung der Kolonialherren oft keine befreiten, sozialistischen Gesellschaften, sondern autoritäre Staaten hervorbrachten. Diese Entwicklungen machten deutlich, dass ein eigener Staat nicht unbedingt zu einer revolutionären Befreiung führen würde.

Wie ging die kurdische Bewegung mit dieser Niederlage um? Sie hat sie nicht als Ausrede genommen, um den Kopf in den Sand zu stecken, aufzugeben oder sich aufzulösen. Sie hat sich der Niederlage auch nicht verweigert. Sie hat sie als Ausgangspunkt genommen, eine neue Wette einzugehen, ein neues revolutionäres Projekt zu entwickeln. So entstand das, was innerhalb der Bewegung als »Paradigmenwechsel« bekannt ist.

Öcalan nutzte seine Verteidigung vor Gericht, um seine neuen Ideen zu präsentieren. Die kurdische Bewegung diskutierte sie kollektiv und entwickelte sie weiter: Sie machte die Selbstverwaltung der Gesellschaft, eine Demokratie ohne Staat, zu ihrem neuen Ziel, nicht nur in Kurdistan, sondern im gesamten Mittleren Osten. Der Staat wurde nun verstanden als Ausdruck von Patriarchat, Rassismus und Nationalismus. Dementsprechend zentral wurde die Emanzipation von Frauen und Minderheiten.

Umgesetzt werden soll dieser demokratische Konföderalismus vor allem durch die Basisorganisierung aller gesellschaftlichen Gruppen, geschützt durch militärische Selbstverteidigung. Diese Basisgruppen bilden die Keimformen der späteren Selbstverwaltung. Mit diesem Vorschlag formulierte die PKK Antworten auf zwei große Probleme in der Region: Das brutale Patriarchat und die Unterdrückung der ethnischen und religiösen Vielfalt.

In der Niederlage hat die Partei also erstens ihre Analyse angepasst und neben der Unterdrückung der Kurd*innen die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten ins Zentrum gerückt; zweitens mit den Basisorganisierungen neue Machtressourcen jenseits militärischer Gewalt erschlossen und drittens das revolutionäre Subjekt ausdifferenziert. Nicht mehr nur das kurdische Volk, sondern auch Frauen und Minderheiten wie Jesid*innen und Armenier*innen werden einbezogen.

Dies ermöglichte es der PKK gegen Mitte der 2000er Jahre, auf die politische Bühne zurückzukehren. Im kurdischen Teil der Türkei übernahm die Bewegung durch eine munizipalistische Strategie fast alle Städte und Dörfer. Diese begannen gemeinsam mit den Basisorganisierungen, die Selbstverwaltung stufenweise auszuweiten. Nur durch eine extreme Eskalation der Gewalt konnte der türkische Staat dies unterbrechen. Und im syrischen Bürgerkrieg bildete sich das Experiment der Selbstverwaltung von Rojava bzw. Nord- und Ostsyrien heraus, an dem neben Kurd*innen auch Araber*innen, Armenier*innen, Christ*innen und Jesid*innen beteiligt sind. 

Die Erfindung eines anderen Lebens

Was kann die gesellschaftliche Linke in Deutschland davon lernen? Zuerst vielleicht, aufgrund einer Niederlage nicht aufzugeben. Ja, aktuell stehen wir nicht gut da. Aber wir sollten nicht alles für gescheitert erklären oder uns in szeneinternen Streitigkeiten verlieren, sondern unsere Wette auf eine Revolution in Deutschland und Europa erneuern.

Das gilt auch für die Organisierungsversuche der Linken in Deutschland. Fast sprichwörtlich ist unsere Zersplitterung. Das schwächt uns. Anders in der kurdischen Bewegung: Die PKK hat sich nicht aufgelöst, sogar dann nicht, als ihr Anführer festgenommen wurde. Die Transformation der eigenen Politik fand in einer Kontinuität statt. Weiterentwicklung statt Alles auf Anfang.

Ein weiterer Aspekt, den wir aus den Niederlagen der PKK lernen können, ist vielleicht die Erfindung eines anderen Lebens. Eine Genossin hatte den klugen Gedanken, dass die Krise der Linken auch eine persönliche bzw. generationelle Ebene hat: Ich bin Anfang 30, viele Genoss*innen in meinem Alter sind seit zehn oder mehr Jahren politisch aktiv, haben einiges ausprobiert. Davon hat das meiste nicht geklappt, einiges vielleicht schon – ein Dank an dieser Stelle Deutsche Wohnen & Co Enteignen für dieses seltene Gefühl des Gewinnens!

Und viele in dieser Generation Anfang 30 sind damit konfrontiert, dass es leicht passieren kann, nach dem Ende der Jugend auf die schiefe Bahn des (klein)bürgerlichen Lebens zu geraten: Man rutscht hinein in »Familie« oder sogar»Karriere«; Politik wird zur Nebensache, weil sie in diesem Leben nicht vorgesehen ist.

Schauen wir in die kurdische Bewegung, so sieht das anders aus. Sie ermöglicht es vielen Menschen, ihr ganzes Leben der Politik zu widmen. Ein Grund für die Fähigkeit der kurdischen Bewegung, aus Niederlagen zu lernen, ist auch dieser Aspekt der Erfindung eines anderen Lebens. Die internen Beziehungsweisen sind so durch mehr Kontinuität und Stabilität geprägt. Weil es Leute gibt, die Politik mit einem sehr langfristigen Horizont machen und dafür viel einsetzen.

Das ist kein Plädoyer für Berufsrevolutionär*innen, nicht falsch verstehen. Es ist eher eine Erinnerung daran, dass die Erfindung eines anderen Lebens uns persönlich und kollektiv stärken könnte. Mehr Politik muss nicht nur eine Belastung unserer individuellen Kapazitäten sein. Es kann auch etwas Neues entstehen. So etwas wie gegenseitiges Vertrauen, das Hoffnung ermöglicht. Ein Vertrauen, mit dem sich aus Niederlagen lernen lässt.

Die PKK beschreibt die Konsequenzen aus ihrer letzten Niederlage als Paradigmenwechsel. Wie ein Paradigmenwechsel der gesellschaftlichen Linken in Deutschland aussehen könnte, weiß ich nicht. Ich glaube nur, er steht an.

Lukas Hofmann

ist aktiv in der Interventionistischen Linken und twittert (noch) als @hegemonotonie.

Anmerkung:

1) Hierzu lesenswert: Joost Jongerden, Learning from defeat: Development and contestation of the »new paradigm« within Kurdistan Workers’ Party (PKK), Kurdish Studies 7/1 London, Transnational Press 2019.

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