Das K in KPÖ
Österreichs Kommunist*innen feiern Wahlerfolge – woran liegt’s?
Von Anselm Schindler
Tobias Schweiger, Bundessprecher der KPÖ, ist gerade im österreichischen Innsbruck Flyer verteilen, als das Handy klingelt. »Läuft!«, antwortet er, nach dem Wahlkampf in der Landeshauptstadt von Tirol gefragt. Das Bundesland ist nicht unbedingt dafür bekannt, sonderlich links zu sein, »läuft!« muss man deshalb in Relation sehen. Es ist schon ein Erfolg, dass die KPÖ in Innsbruck, der fünftgrößten Stadt Österreichs, überhaupt Akzente setzen kann und im Wahlkampf für die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl am 14. April wahrgenommen wird.
Die Stadt hat die höchsten Mieten Österreichs, viele Innsbrucker*innen müssen die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen aufbringen. Deshalb ist die KPÖ auch in Tirol zur Wohnpartei geworden. »Es pfeift von den Bergen für leistbares Wohnen« ist einer der Slogans auf dem Wahlmaterial, das Tobias Schweiger gemeinsam mit der Innsbrucker Spitzenkandidatin Pia Tomedi und vielen weiteren Genoss*innen in der Stadt verteilt. Viele KPÖler*innen sind bereits seit Monaten im Dauerwahlkampf. In mehreren österreichischen Bundesländern wurde und wird dieses Jahr gewählt, außerdem stehen Nationalrats- und EU-Wahlen an.
Einen Monat vor der Wahl in Innsbruck im 7Stern, einem Wiener Café, das der KPÖ gehört: Dutzende Menschen sitzen in einem halbdunklen Raum und schauen gespannt auf die Beamer-Projektion an der Wand. Dort werden die Ergebnisse der Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen in Salzburg angezeigt. Die KPÖ schneidet an diesem Abend mit einem Rekordergebnis ab: 23,1 Prozent. Kai Michael Dankl, Spitzenkandidat der Salzburger Kommunist*innen für das Amt des Bürgermeisters, erreicht sogar 28 Prozent und landet auf Platz zwei, knapp hinter dem SPÖ-Kandidaten Bernd Auinger. Zwei Wochen später tritt er in der Stichwahl gegen seinen sozialdemokratischen Kontrahenten an und verliert. Ein Erfolg ist es trotzdem, nicht zuletzt, weil die KPÖ die SPÖ von links unter Druck setzt und mit ihrem Fokus auf Wohnraum und öffentlichen Nahverkehr die Kulturkampfthemen der rechten Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ) aus den Medien verdrängt.
Arbeit an der Basis
Neben enttäuschten Anhänger*innen von SPÖ und Grünen sowie Nichtwähler*innen laufen auch FPÖ-Wähler*innen zur KPÖ über, eigentlich eine der ältesten kommunistischen Parteien überhaupt, die aber von vielen trotzdem als Newcomer wahrgenommen wird. Vielleicht ist es auch eine Mischung aus beidem, eine Wiederauferstehung.
Die KPÖ will, auch wenn sich gerade viel um Wahlen dreht, keine gewöhnliche Partei sein, kein Wahlverein, wie es bei Veranstaltungen immer wieder heißt. Ist das nicht ein Widerspruch? Und ist der Fokus auf Wahlen nicht auch ein Risiko? Die Gefahr, angesichts von Wahlerfolgen »den Boden unter den Füßen zu verlieren«, gebe es immer, sagt dazu Tobias Schweiger. Aber es gebe auch Gegenmittel. Das zentralste sieht er in »solidarischen Projekten von unten«. Ein etwas sperriger Begriff für Volksküchen oder die Sozialsprechstunden, die die Partei in Wien, Graz und anderen Städten anbietet.
Wir glauben nicht, dass wesentliche gesellschaftliche Veränderungen über Wahlen herbeigeführt werden, sie kommen aus der gesellschaftlichen Dynamik.
Tobias Schweiger, Bundessprecher der KPÖ
Verbindende Klassenpolitik nennt man in der KPÖ das Selbstverständnis der Partei, das sie »anders« macht. Das Konzept: Projekte an der Basis sollen Solidarität praktisch erfahrbar machen und es den Aktiven in der Partei ermöglichen, mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, um so zu erfahren, welche Probleme die Menschen vor Ort beschäftigen. Um dann gemeinsam zu versuchen, diese Probleme zu beheben. Dabei sei Ehrlichkeit wichtig, sagt Tobias Schweiger, man dürfe den Menschen nicht das Blaue vom Himmel versprechen, sondern müsse immer auch zeigen, dass die eigene Wirkmächtigkeit systemische Schranken habe. Es geht also nicht darum, eine linke Caritas aufzubauen, sondern gemeinsam Bewusstsein über die eigene Lage zu entwicklen – und darüber, was diese Lage mit der kapitalistischen Gesellschaft, in der man lebt, zu tun hat. Ein Ansatz, der an den viel beschworenen italienischen Kommunisten Antonio Gramsci angelehnt ist, der »Massenarbeit« als zentrales Mittel für die Schaffung von Klassenbewusstsein sah.
Dieses Konzept verfolgt auch die Junge Linke, eine unabhängige Organisation, die vor einigen Jahren aus den Jungen Grünen hervorging und inzwischen die KPÖ unterstützt. »Es geht darum, solidarische Strukturen aufzubauen«, sagt Alisa Vengerova, Sprecherin der Jugendorganisation, am Telefon. Die Junge Linke hat vor einer Weile das Lernnetz gestartet, das Schüler*innen kostenlose Nachhilfe zur Verfügung stellt. Der Aufbau des Lernnetz ist allerdings kein Selbstläufer. »In Linz hat das von Anfang an sehr gut geklappt, in Wien ist es zu Beginn aber gar nicht gelaufen. Das Angebot wurde am Anfang einfach nicht angenommen«, berichtet Vengerova. »Es ist wichtig, da dann dran zu bleiben, auch wenn man mal auf die Nase fällt. Inzwischen läuft es auch in Wien besser, weil sich das Lernnetz mehr herumgesprochen hat.«
Der Traum von der Massenpartei
Die Junge Linke hat sich von den Grünen ab- und der KPÖ zugewandt, nicht zuletzt deshalb, weil die Jugendorganisation ein dezidiert marxistisches Selbstverständnis entwickelt hat. In bundesweiten Seminaren, aber auch innerhalb der Bezirksorganisationen versucht sie, marxistische Grundlagen zu vermitteln und die theoretische Bildung ihrer Mitglieder voranzubringen. Auch das helfe gegen Illusionen in Wahlen, sagt Alisa Vengerova. Zu Wahlen hat sie ein eher strategisches Verhältnis: »Wie auch die KPÖ schaffen wir es als Junge Linke, durch den Wahlkampf zu wachsen und insgesamt die kommunistische Bewegung zu stärken.«
Was aber ist kommunistisch an der KPÖ? »Unser Grundzugang zu Gesellschaft«, beantwortet das Tobias Schweiger. »Wir glauben nicht, dass die wesentlichen gesellschaftlichen Veränderungen über Wahlen herbeigeführt werden, sie kommen aus der gesellschaftlichen Dynamik. Ins Parlament wollen wir, um die Forderungen, die sich aus den Problemen der Menschen im Alltag ergeben, dort hineinzutragen. Was wir aufbauen wollen, ist eine Massenpartei.« Parlamentarier*innen bewegten sich in einer Bubble, die mit normalen Menschen wenig zu tun habe, erklärt Schweiger. Er selbst kandidiert zusammen mit der Salzburger Pflegerin Bettina Prochaska als Spitzenkandidat für die Nationalratswahl. Falls die KPÖ die in Österreich geltende Vier-Prozent-Hürde knackt, könnten die beiden künftig ebenfalls im Parlament sitzen. Aber wären sie dann nicht Teil der Bubble?
Es ist auch hier wieder die konkrete Arbeit mit den Menschen, die das verhindern soll. So funktioniert das bisweilen recht gut in Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs, wo die kommunistische Bürgermeisterin Elke Kahr Bürger*innensprechstunden anbietet. Und dann ist da noch der Sozialfonds. In den zahlen alle KPÖler*innen, die Ämter bekleiden, einen großen Teil ihrer Bezüge ein; das Geld wird dann an Menschen in Notlagen ausgezahlt. Allein die Gemeinderät*innen in der Steiermark, deren Hauptstadt Graz ist, haben so in den letzten Jahren 3,2 Millionen Euro gesammelt, die dann an Bürger*innen flossen. Tobi Schweiger und seine Genossin Bettina Prochaska wollen es genauso machen, wenn sie in den Nationalrat gewählt werden. 2.300 Euro würden ihnen netto bleiben, der Betrag richtet sich nach dem durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn.
Laut jüngsten Umfragen könnte es die KPÖ schaffen, in den Nationalrat einzuziehen. Sie hat mit ihren paar Prozentpunkten schon jetzt einiges durcheinandergewirbelt in der österreichischen Parteienpolitik. Für die kommenden Wahlen zeichnet sich ein stärkerer Lagerwahlkampf ab, als das in den letzten Jahren der Fall war. Konservative und Liberale warnen vor der roten Gefahr, und die SPÖ blinkt wieder links, mit dem SPÖ-Linken Andi Babler an ihrer Spitze auch recht authentisch. Und dann ist da noch die EU-Wahl am 9. Juni, zu der die KPÖ ebenfalls antritt, auch hier mit einem auf Sozialpolitik zugespitzten Programm. Mit Forderungen zu Wohnen und Energiekosten, aber auch Klimapolitik, feministischen und friedenspolitischen Positionen. Letztere sind in Österreich innerhalb der Linken weniger hart umkämpft als in Deutschland. Weil Österreich zumindest formell neutral und nicht Teil der Nato ist und das Land viel weniger als die Bundesrepublik Deutschland in die Kriege in der Ukraine oder in Gaza involviert ist. Der Einsatz für Frieden ist in Österreich leichter durchhaltbar.
Von den konkreten Wahlergebnissen wolle man sich, wenn es denn gut ausgeht, nicht blenden, und wenn es weniger gut ausgeht, nicht demotivieren lassen, sagt Tobias Schweiger. Der Fokus liege auf dem Aufbau der Parteistrukturen und einer solidarischen Praxis. Es ist wohl vor allem diese Prioritätensetzung, die die KPÖ aktuell von vielen anderen linken Parteien in Europa unterscheidet.