Der Antritt der Letzten Generation zur EU-Wahl ist eine schlechte Idee
Von Anselm Schindler
Zwischen Hoffnung und Ernüchterung vergeht oft nicht viel Zeit. So ist das auch mit der Letzten Generation (LG). Die kündigte Ende Januar einen Strategiewechsel an. Man wolle sich nicht mehr festkleben, hieß es von der deutschen LG-Sprecherin Carla Hinrichs, wobei die österreichische Sektion, um die es hier nicht gehen soll, nicht mitzog. Die bürgerliche Medienlandschaft war entzückt. »Endlich geht es wieder um die Sache«, schrieb die Zeit. Die Letzte Generation beweise »demokratische Reife«.
Aber auch in Teilen der Linken und in jenen Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die aufs Konzerne-Stören und Klassenpolitik setzen, kam kurz Hoffnung auf, weil die Letzte Generation nicht nur ankündigte, ab März zu »ungehorsamen Versammlungen im ganzen Land« aufzurufen, sondern auch verstärkt »Orte der fossilen Zerstörung« für den Protest besuchen wolle, wobei im Strategiepapier, das auf der LG-Website nachzulesen ist, exemplarisch Öl-Pipelines, Flughäfen oder Betriebsgelände von RWE aufgezählt wurden. Letzte Generation goes Ende Gelände?
Wenige Tage später folgte die Ernüchterung, nicht in den bürgerlichen Medien, aber bei jenen Linken, die gehofft hatten. Die Letzte Generation kündigte auf dem Kurznachrichtendienst X und per Pressemitteilung an, die Organisation wolle nun ins EU-Parlament. Aber nicht, um sich integrieren zu lassen, im Gegenteil: »Wir werden keine normale Partei. Uns geht es nicht darum, für ein neues Plastikgesetz abzustimmen. Wir leisten Widerstand«, gab Carla Hinrichs gegenüber dem nd zu Protokoll. Man wolle das EU-Parlament »aufmischen«, schrieb die Letzte Generation auf Twitter, der Antritt zur Wahl ergänze den Widerstand außerhalb der Institutionen.
Die Entscheidung ist fatal. Denn sollte die Organisation es schaffen, ihren medialen Erfolg (misst man Erfolg an der Reichweite) als Sprungbrett nach Brüssel zu nutzen, heißt das freilich nicht, dass ihnen dort das »Aufmischen« gelingt. Das wollten schon andere. Die einst linken Grünen sitzen heute im Außenministerium der Bundesregierung, wo sie Deutschland mit Aufrüstung und einer guten Prise Menschenrechtsimperialismus wieder fit an den Kanonen machen und Gas-Deals mit Despoten aushandeln. Parlamentarische Arbeit im Kapitalismus muss sich eben an der ökonomischen Konkurrenzfähigkeit des »eigenen« Landes oder Machtblocks orientieren, weil der Zweck politischer Institutionen im Kapitalismus die Herstellung von Durchsetzungsfähigkeit innerhalb der Staatenkonkurrenz ist. Einer Konkurrenz, die der Lösung der Klimakrise, welche Kooperation erfordern würde, diametral entgegensteht.
Es kann für Bewegungen trotzdem vernünftige Gründe geben, sich auf das Spiel mit den Parlamentssitzen einzulassen. Wenn man es tut, sollte man sich aber auf eine Strategie einigen. Letzten November traten mehr als 400 Aktivist*innen, viele davon aus der Klimagerechtigkeitsbewegung, in die Partei Die Linke ein. (ak 699) Im selben Monat wurde die Seenotretterin Carola Rackete, ebenfalls immer wieder in Klimakontexten aktiv, zur Linksparteikandidatin für die EU-Wahl gekürt. Man kann auch über diese Entwicklung streiten, aber sie ist immerhin Ergebnis eines Diskussionsprozesses innerhalb der Klimabewegung, in der sich einige hundert Menschen entschlossen, einen gemeinsamen Schritt zu gehen. Die Ankündigung der Letzten Generation, die jetzt auf Unterschriftensuche und am Geldsammeln für ihr Wahlabenteuer ist, war hingegen ein Alleingang.
Mann kann für die Letzte Generation und die klimabewegte Linke nur hoffen, dass es nichts wird mit dem EU-Parlament. Dann kann sich die Organisation auf den außerparlamentarischen Teil ihres Strategiewechsels konzentrieren. Und der klang ja gar nicht so schlecht.