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Den Regierenden die Feierlaune verdorben

Immer mehr Menschen in Angola und Mosambik gehen 50 Jahre nach der Befreiung wieder gegen die Politik auf die Straße

Von Andreas Bohne und Fredson Guilengue

Bild eines Marktes. Oben zwischen den Pfeilern sind zahlreiche Plakate der Regierungspartei Frelimo zu sehen.
Die Proteste gegen das Wahlergebnis in Mosambik waren Ausdruck einer größeren Unzufriedenheit. Foto: lucianf / Flickr, CC BY 2.0

Eigentlich sollte das Jahr 2025 für Mosambik und Angola ein Jubiläumsjahr werden. Dann sind es genau 50 Jahre her, seitdem beide Länder nach bewaffneten Befreiungskämpfen ihre Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Portugal erlangten. Überschattet werden die Feierlichkeiten jedoch von der zunehmenden Ablehnung der Bevölkerung gegen die autoritär regierenden Parteien. Diese sitzen jedoch fest im Sattel, weil sie repressiv gegen die Proteste vorgehen.

Proteste von ungekanntem Ausmaß

Nach einem zweimonatigen Wahlkampf um die Präsidentschaft und das Parlament in Mosambik, der von Spannungen, Missbrauch öffentlicher Mittel und Unregelmäßigkeiten bei der Wählerregistrierung sowie einer intransparenten Stimmenauszählung geprägt war, wurden am 24. Oktober 2024 die offiziellen Ergebnisse bekannt gegeben. Sie ergaben einen überwältigenden Sieg für die seit 1975 herrschende Frelimo und ihren Kandidaten Daniel Chapo. Mit 71 Prozent lag er auf dem Papier deutlich vor dem Zweitplatzierten Venâncio Mondlane von der bis dato kleinen, erst 2019 gegründeten Partei Podemos, der knapp über 20 Prozent erhielt.

Seit der Verkündung der Ergebnisse kommt Mosambik, insbesondere die Hauptstadt Maputo, aber auch einige Provinzen wie Nampula und Niassa im Norden des Landes nicht zur Ruhe. Vier mehrtägige Demonstrationswellen folgten. Zuletzt rief Mondlane zu acht weiteren Protesttagen ab dem 4. Dezember gegen die umstrittenen Wahlergebnisse auf. Trotz der Mobilisierung durch Mondlane erfolgen viele Proteste spontan und selbstorganisiert.

Die Protestierenden beschränken sich mittlerweile nicht mehr nur auf die Forderung nach einer erneuten und offenen Stimmenauszählung, sondern üben grundsätzliche Kritik an der regierenden Frelimo, der zunehmenden politischen Repression und der sich den in den letzten Jahren verschlechterten sozioökonomischen Situation. Das unterstreicht die Zusammensetzung der Demonstrierenden, bestehend aus Jugendlichen, armen Bevölkerungsschichten und Vertreter*innen der Mittelschicht. Entsprechend vielfältig sind die Aktionsformen: Auf den Straßen äußert sich der Protest lautstark mit dem Schlagen auf Kochtöpfen und hupenden Autos zu bestimmten Tageszeiten, aber auch durch Formen des Ungehorsams, wenn Lkw- und Busfahrer Kreuzungen und Straßen temporär blockieren. Andere Protestierende gehen sogar bis an die Schwelle zum Vandalismus, erste Schulen wurden verwüstet und Frelimobüros in Brand gesteckt.

Deutlich kleiner fallen aktuelle Proteste noch in Angola aus. Ende November demonstrierten 4.000 Personen in der Hauptstadt Luanda. Auf der ersten größeren Demonstration seit zwei Jahren prangerten sie Hunger, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot als Symbole der sozioökonomischen Krise an. Adressaten der Proteste waren die seit der Unabhängigkeit regierende MPLA und der Präsident João Lourenço. Entsprechend waren Plakate mit Losungen wie »Lourenço raus« oder »Die Menschen sterben vor Hunger« zu sehen. Zur Überraschung vieler Beobachter*innen hielt sich die Polizei im Hintergrund und griff nicht gewaltsam ein.

Autoritäre und polizeiliche Ordnung

Die zurückhaltende Haltung der Polizei ist aus zwei Gründen nicht selbstverständlich. Zum einen werden die mosambikanischen Proteste in Angola mit Interesse, Solidarität und Sympathie beobachtet, insbesondere von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Die Plattformen der sozialen Medien sind voll von Solidaritätsbekundungen von Angolaner*innen an die Mosambikaner*innen. Als vier Aktivist*innen vor der mosambikanischen Botschaft in Luanda Solidaritätskundgebungen abhielten, wurden sie verhaftet. Das verdeutlicht die Nervosität der angolanischen Behörden.

Zum anderen gehen in beiden Ländern die Protestierenden ein hohes persönliches Risiko ein, davon zeugt nicht nur die große Anzahl der Toten in Mosambik. Die Plataforma Eleitoral Decide, eine gemeinnützige mosambikanische Organisation, spricht von mehr als 100 Todesfällen seit dem 21. Oktober (Stand: 7. Dezember). Für Bestürzung sorgte ein Video, das viral ging. Es zeigt, wie die Demonstrantin Maria Madalena Matusse frontal auf offener Straße von einem Militärfahrzeug mit hoher Geschwindigkeit und ohne den Versuch auszuweichen überfahren wurde und nur durch ein Wunder die grausame Szene überlebte.

Auch in Angola sind Demonstrierende in Gefahr. Zeitgleich mit der jüngsten Demonstration veröffentlichte Amnesty International einen Bericht, der elf Proteste zwischen 2020 und 2023 analysiert – darunter auch einige im Zusammenhang mit den Wahlen von 2022. In deren Verlauf setzten die Sicherheitskräfte unter anderem Schusswaffen, Granaten, Tränengas und Schlagstöcke ein, was zu Toten, schweren Verletzungen und psychischen Traumata führte. Die Sicherheitskräfte nahmen auch willkürlich Demonstrant*innen fest. Auch Personen mit »kleineren« Unmutsbekundungen sind Risiken willkürlicher Verhaftungen ausgesetzt: Seit mehr als einem Jahr befinden sich die Aktivist*innen Adolfo Campos, Abraão Pedro Santos, Gilson Morreira und Hermenegildo Victor José in Haft, weil sie an einer Solidaritätsdemonstration für Motorradtaxifahrer*innen teilnehmen wollten. Den Fahrer*innen sollte verboten werden, Straßen in der Innenstadt von Luanda zu befahren. Die vier Aktivist*innen wurden ohne jegliche Beweise wegen »Ungehorsam und Widerstand gegen Anordnungen« zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt.

Beide Parteien und ihre Kader übernahmen nach dem Ende der Bürgerkriege die Rolle der Bourgeoisie und pflegten gemeinsam mit dem internationalen Kapital einen oligarchischen Politikstil.

In beiden Ländern finden Proteste gegen ähnliche, repressive Strukturen statt. Seit der Unabhängigkeit stellten die früheren linksorientierten Befreiungsbewegungen Frelimo (Mosambik) und MPLA (Angola) nach bewaffneten Kämpfen gegen Portugal die Regierung. Beide Parteien bekannten sich zum Marxismus-Leninismus, beide Länder wurden Schauplätze von Bürgerkriegen mit den rechtsgerichteten Rebellen der Renamo (Mosambik) und Unita (Angola) und wurden zu Orten von Stellvertreterkriegen bis 1992 (Mosambik) und 2002 (Angola), auf die jeweils Friedensabschlüsse folgten. In beiden Ländern hat sich aus den Parteien eine Elite herausgebildet, die eng mit Medien, der Wirtschaft und den Sicherheitskräften verbunden ist. Beide Parteien und ihre Kader übernahmen nach dem Ende der Bürgerkriege die Rolle der Bourgeoisie und pflegten gemeinsam mit dem internationalen Kapital einen oligarchischen Politikstil. Der Ressourcenreichtum beider Länder beflügelte deren Ausbeutung. Sinnbildlich steht dafür die angolanische Hauptstadt Luanda, die mehrere Jahre als die teuerste Stadt der Welt galt.

Um ihren Machterhalt zu schützen, greifen die Eliten auf repressive Gesetze zurück. Zwei davon unterzeichnete der angolanische Präsident Lourenço im vergangenen Jahr. Sie schränken grundlegende Menschenrechte stark ein. Das erste Gesetz sieht Haftstrafen von bis zu 25 Jahren für Personen vor, die sich an Protesten beteiligen, die zu Vandalismus und Unterbrechungen der öffentlichen Ordnung führen. Das zweite erlaubt eine übermäßige staatliche Kontrolle der Medien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und anderer privater Einrichtungen.

Trotz oder gerade wegen der Einschüchterung sind sowohl in Angola als auch in Mosambik die aktuellen Proteste Zeichen der aufgestauten Wut und keine spontanen Äußerungen, auch wenn sie sich derzeit – beispielsweise in Mosambik – an Ereignissen wie manipulierten Wahlen entladen. Es geht um einen Kampf der »Armen« gegen die jahrzehntelang regierenden Eliten.

Linkes Dilemma

Zwar werden die Proteste aus dem Volk heraus getragen, Hauptinitiatoren in beiden Ländern sind jedoch derzeit Parteien und etablierte Oppositionspolitiker. In Mosambik ist es der unterlegene Präsidentschaftskandidat Mondlane von der Partei Podemos, die oft als »sozialdemokratisch« gelabelt wird. Bis vor einem halben Jahr war er jedoch Mitglied der größten rechtsgerichteten und marktliberalen Oppositionspartei Renamo, die er nach seiner Nichtnominierung als Kandidat verließ.

Mondlane selbst ist Pfarrer einer evangelikalen Kirche und kann eher dem konservativ-christlichen Spektrum zugeordnet werden. Auch in Angola wurden die Demonstrationen von Parteien wie der größten und rechts zu verorteten Oppositionspartei Unita und ihre Verbündeten organisiert. Zwar bemühten sich die Parteien, die Demonstrationen als eine von den Bürger*innen geführte Initiative über die Parteigrenzen hinweg zu bezeichnen, und rief zum Tragen von weißen und roten T-Shirts auf, um den Eindruck von Neutralität zu wahren und Einheit zu zeigen. Dennoch waren die Fahnen der Unita präsent.

Aus linker Sicht gibt ergibt sich ein Dilemma: Diese Proteste sind nicht von progressiven (parteipolitischen) Akteur*innen oder Gewerkschaften initiiert worden, auch weil es sie entweder nicht gibt wie in Mosambik – oder sie nur am Rande eine Rolle spielen. Dennoch dreht sich die Kritik um die berechtigten Forderungen nach Meinungsfreiheit, einer unabhängigen Justiz, gegen Korruption und Armut oder für freie und faire Wahlen. Auch wenn es keine eindeutige Kritik am Kapitalismus gibt, sprechen diese Kämpfe aus linker Sicht für den Realitätssinn der Massen und gegen die Folgen des neoliberalen Kapitalismus und der mit ihm verbündeten Bourgeoisie. Dass Worte wie »Sozialismus« nicht vorkommen, liegt auch daran, dass durch die Erfahrungen mit den Regierungsparteien die Worte als »verbrannt« gelten.

Die Demonstrationen in beiden Ländern verdeutlichen, wie wichtig es ist, den sozialen und politischen Kontext zu berücksichtigen, in dem die Bevölkerung für die Verwirklichung ihrer Ziele agiert. Denn während einige Beobachter*innen den Kipppunkt für beginnende Volksaufstände bald überschritten sehen und wirkliche Veränderungen für machbar halten, ist die Gefahr eines totalitären Gegenschlages der Sicherheitskräfte und des politischen Apparates leider nicht auszuschließen. Auch eine dritte Option ist ebenfalls nicht auszuschließen, nämlich dass die Regierungen auf Zeit und den Ermüdungseffekt spielen und versuchen, gerade die parteipolitische Opposition durch einige Posten oder eine mögliche Mehrparteienregierung – wie sie in Mosambik immer wieder gehandelt wird – zu kooptieren.

Andreas Bohne

arbeitet als freier Journalist in Berlin.

Fredson Guilengue

ist Programmmanager im Johannesburger Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.