Große Sorgen, ein wenig Hoffnung
In vielen ostdeutschen Orten gingen Menschen gegen rechts auf die Straße – was ist davon geblieben?
Von Sebastian Bähr
Die massive Demonstrationswelle gegen die AfD und für Demokratie zum Jahresbeginn kam unerwartet: Die Proteste, die im Januar als Reaktion auf eine Recherche des Redaktionsnetzwerkes Correctiv über rechte Deportationspläne entstanden waren, gehörten nicht nur zu den größten in der Geschichte der Bundesrepublik – zeitweise gingen Hunderttausende auf die Straße. (ak 701) Sie griffen auch auf Kleinstädte und Dörfer über. In manchen kleineren Orten, vor allem in Ostdeutschland, fanden zum ersten Mal seit langem wieder progressive Demonstrationen statt. Inzwischen ist der Höhepunkt der Bewegung überschritten. Bleibt die Frage: Was haben die Proteste gebracht? ak hat bei Aktiven nachgefragt, was sich vor Ort verändert hat.
Döbeln
Für Clemens Albrecht, Geschäftsführer des soziokulturellen Zentrums Treibhaus im sächsischen Döbeln, liegt der Wert der Correctiv-Recherche weniger darin, dass Neues ans Licht gekommen wäre, sondern im konkreten Aufzeigen der rechten Gefahr. »Dies hat, verglichen mit vorherigen Mobilisierungen, einen breiteren Teil der Bevölkerung aktiviert«, sagt Albrecht. Zwei Gruppen hatten Ende Januar in der Kleinstadt unabhängig voneinander entsprechende Proteste auf dem Marktplatz organisiert. »Dieser Protest setzt zunächst einmal Zeichen, ermuntert Gleichgesinnte und führt zu einer Selbstvergewisserung innerhalb der demokratischen Gesellschaft«, erklärt er. Im Januar gründete sich zudem eine Ortsgruppe der Omas gegen Rechts, und das Bündnis Döbeln bleibt bunt wurde reaktiviert. »Beide Gruppen arbeiten seitdem, planen weitere Demonstrationen und Veranstaltungen wie Argumentationstrainings, Vorträge und Kaffeekränzchen«, so Albrecht. Auch die Vernetzung sowohl innerhalb der Stadt als auch mit dem Umland habe zugenommen.
Eine Veränderung der gesellschaftlichen Stimmung vor Ort kann der Treibhaus-Geschäftsführer dagegen nicht feststellen. Reaktionen habe es auf die antifaschistischen Aktivitäten dennoch gegeben: »Die direkten Reaktionen innerhalb der Stadt waren zumeist positiv, anders sieht es im Internet oder – noch schlimmer – auf rechten Kanälen aus.« Jeden Mittwoch fährt, organisiert von den Freien Sachsen, ein rechter Autokorso durch Döbeln, der auch am Treibhaus vorbeiführt. Drohgebärden in Richtung des Hauses gibt es dabei immer wieder. Auch die rechten Aufkleber in der Stadt seien mehr geworden. Trotzdem: In Döbeln sei die Situation aufgrund des Kräfteverhältnisses noch immer besser als in umliegenden Orten wie Waldheim. »Bei rechten Demos sind dort teilweise doppelt so viele Menschen wie bei den Demonstrationen für die Demokratie – die aktiven Menschen stehen ganz anders im Rampenlicht, werden teilweise persönlich beleidigt, angezeigt oder sollen sich verfolgt fühlen.«
Die anfängliche Motivation ist noch viel schneller verpufft als befürchtet.
Luise, Frankfurt (Oder)
Für Albrecht und das Team vom Treibhaus sind aktuell nicht nur die Landtagswahlen am 1. September relevant, sondern auch die Kommunalwahlen im Juni. »Möglicherweise reicht auch die Wahl von CDUler*innen, um uns das Leben ziemlich schwer zu machen und zu verhindern, dass wir Fördermittel bekommen.« Er hat zwar noch Hoffnung, stellt sich aber auch auf rechte Mehrheiten ein. Von außen könne man das Treibhaus stärken, etwa durch Spenden oder ideell. »Wir brauchen Zuspruch und im Zweifel auch andere, die uns unterstützen und schützen.«
Frankfurt (Oder)
Im brandenburgischen Frankfurt (Oder) engagiert sich der Verein Utopia seit über 20 Jahren in der emanzipatorischen Jugend-, Kultur- und Bildungsarbeit. »Bei uns gab es rund um die Proteste außergewöhnlich viel Motivation außerhalb der Bubble«, sagt Luise vom Projekt. Die bestehenden Initiativen hätten versucht, diese so gut wie möglich einzubinden. Es habe sich auch ein neues Bündnis vor Ort gegründet – doch der Schwung sei nicht von Dauer gewesen. »Die anfängliche Motivation ist noch viel schneller verpufft als befürchtet.«
Einen Effekt hätten die Demonstrationen dennoch gehabt: »Die Proteste haben die bestehende Zivilgesellschaft zusammengebracht und auch einigen Menschen Kraft und das Gefühl von Selbstwirksamkeit gegeben«, sagt Luise. Die allgemeine Stimmung vor Ort habe sich indes nicht wesentlich verändert. »Die anstehenden Wahlen stimmen uns nicht sonderlich hoffnungsvoll, allgemein sind alle sehr resigniert und besorgt.« Vielerorts seien die Menschen durch die jahrelange politische Arbeit ausgebrannt und hätten wenig Kraft für Wahlkampagnen in diesem Jahr. Vor Ort brauche es vor allem mehr langfristig politisch Aktive. Luise: »So ganz haben wir die Hoffnung noch nicht aufgegeben.«
Pirna
Das Alternative Kultur- und Bildungszentrum AKuBiZ im ostsächsischen Pirna hat mit einer besonderen Situation zu tun: Bereits vor der bundesweiten Protestwelle hatte es hier Kundgebungen gegen rechts gegeben, weil der parteilose Tim Lochner für die AfD als Oberbürgermeisterkandidat angetreten war und im Dezember im zweiten Wahlgang gewonnen hatte. Seit Ende Februar ist der erste deutsche Oberbürgermeister, der als AfD-Kandidat gewählt wurde, im Amt. Was das mittelfristig für die 40.000-Einwohner*innen-Stadt bedeutet, ist noch unklar. »Wir als Verein sind zum Glück mit unserer Struktur unabhängig von der Stadt – das sieht aber bei anderen Initiativen anders aus«, sagt Alina vom AKuBiZ. Nach der Wahl hat sich das Bündnis Solidarisches Pirna gegründet, für die Aktiven vor Ort bedeutet das eine Stärkung.
»Das sind teilweise sehr junge Menschen, die bei ihrer ersten Demo innerhalb von ein paar Tagen über hundert Menschen gegen die AfD auf die Straße bekommen haben.«
Alina, Pirna
Alina hebt vor allem die Bedeutung der Gruppe SOE gegen rechts hervor, die die Proteste in der Region Sächsische Schweiz und Osterzgebirge organisiert. »Das sind teilweise sehr junge Menschen, die bei ihrer ersten Demo innerhalb von ein paar Tagen über hundert Menschen gegen die AfD auf die Straße bekommen haben. Sie haben von Anfang an in Kauf genommen, dafür auch ins Blickfeld von Nazis zu geraten – zusätzlich zu den Erfahrungen, die sie als junge Antifaschist*innen ohnehin zum Beispiel in der Schule machen.« Nach Einschätzung des AKuBiZ ist diese Art der Organisierung im ländlichen Raum Ostdeutschlands derzeit »recht einzigartig«.
Eine antifaschistische Positionierung könne vor Ort zu Anfeindungen führen, erläutert Alina. Ein Schulleiter aus dem nahen Dippoldiswalde etwa wurde kürzlich wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration für Demokratie zum Rücktritt aufgefordert, man unterstellte ihm Linksextremismus. »Es ist ziemlich problematisch und eigentlich auch lachhaft, wenn von den Demonstrationen gefordert wird, sich gegen ›jeden Extremismus‹ zu positionieren. Das Problem ist nicht Linksextremismus, sondern Faschismus.« Auch die Wahlen bereiten Alina Sorgen. »Gerade weil wir vor unserer Haustür erlebt haben, dass es wenig Skrupel gibt, mit der AfD eine faschistische Partei zu wählen«, so Alina. Für das AkuBiZ stünden dann zum Beispiel Förderprogramme auf dem Spiel – und noch viel mehr für Menschen, die nicht ins Bild der AfD passen. »Ihnen muss dann unsere uneingeschränkte Solidarität gelten, in noch größerem Maße als jetzt«, sagt Alina. Diese Solidarität müsse sich im Alltag niederschlagen – und über die Teilnahme an Demonstrationen hinausgehen.
Cottbus und Spremberg
Als sich Unteilbar Südbrandenburg entschloss, in Cottbus eine Demonstration anzumelden, waren sich die Aktiven noch unsicher, wie viele Menschen sich beteiligen würden. »Schnell zeigte sich, dass die Idee auch in der Stadtspitze bis hin zum brandenburgischen Ministerpräsidenten und Landtags- wie Bundestagsabgeordneten aller Parteien Anklang und Unterstützung fand«, berichten sie. So habe man in einem Bündnis aufrufen können, das es »in dieser Breite selten gibt«. Vor allem Studierende und Zugezogene habe man erreichen können. Auch die Zusammenarbeit mit dem lokalen Geflüchtetennetzwerk sei sehr gut.
Die »gefühlte Omnipräsenz« der AfD vor Ort basiere darauf, dass »die demokratische Mehrheit sehr ruhig ist«, führen die Aktiven aus. Deshalb sei es ein »sehr wichtiges Zeichen« gewesen, dass so viele Menschen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind. Diesbezüglich gebe es auch positive Reaktionen in der Stadt. »Allerdings scheinen sich die Cottbuser*innen, wie auch ihre Stadtspitze darauf auszuruhen, dass ehrenamtliches Engagement gegen Rechts ausreicht«, kritisieren sie.
Im brandenburgischen Spremberg, einer Stadt mit 22.000 Einwohner*innen, war Ende Januar wiederum ein Aufmarsch der Neonazi-Partei Die Rechte Anlass für Gegenprotest. »Diesmal kamen viel mehr Menschen, es waren ganz ›normale‹ Bürger*innen dabei, die wir sonst eher schwer erreichen«, sagen die Aktivist*innen. Nach der Demonstration seien auch neue Menschen in die lokale Gruppe von Unteilbar Südbrandenburg eingetreten. Vor Ort sei das nicht selbstverständlich: »In Spremberg ist jede Form von Demo oder Interview, jedes Positionieren sehr mutig.« Jeder kenne jeden. »Schnell wird man als Nestbeschmutzer*in beschimpft«, so die Aktiven.
In Spremberg sei die Stimmung im Vorfeld der anstehenden Kommunalwahlen am 9. Juni zudem »angespannt«. Im Mai will die Gruppe auf dem Marktplatz wieder eine Veranstaltung für Toleranz und Vielfalt organisieren. Vielleicht erreiche man noch ein paar Unentschlossene – große demokratische Gewinne erwarte man aber nicht. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass die AfD viele Wähler*innenstimmen erhalten wird«, erklären die Aktiven. Im Gegensatz zur AfD hätten die anderen Parteien noch nicht mal ihre Kandidat*innen aufgestellt. Das Ziel des eigenen Engagements sei klar: »Unsere Strukturen und die Anzahl der Unterstützer*innen stärken, um dann mutig weiterzumachen.« Die Ahnung, was bei einem Sieg der Faschist*innen drohe, flöße »Respekt« ein.
Aus Sicht von Unteilbar Südbrandenburg ist einiges nötig: Die jeweiligen Stadtgesellschaften müssten sich endlich klar positionieren und dann auch Taten folgen lassen. »Es braucht mehr Mut jedes Einzelnen, dann wird es auch sicherer für die Menschen, die sich engagieren«, so die Aktiven. Auch mehr praktische Hilfe müsse von den Leuten vor Ort angeboten werden: »Wir wünschen uns unbürokratische Vernetzung und eine Struktur, auf die wir zurückgreifen können – bei Kooperationsgesprächen mit der Polizei, Pressearbeit, Abrechnungen oder einfach zur Pflege von Kontakten.«
So unterschiedlich die Erfahrungen in ostdeutschen Städten auch sind: Es zeigt sich, dass die Proteste vielleicht nicht die Stimmung vor Ort massiv verändert haben, aber zumindest einigen Aktiven Mut gemacht und lokale antifaschistische Strukturen gestärkt oder neu geschaffen haben. Neue Menschen wurden politisch aktiv. Bisweilen konnte auch die »schweigende Mehrheit« unter Druck gesetzt werden, sich stärker zu positionieren. Die Ausgangsbedingungen für progressive Kräfte vor Ort sind aber nach wie vor extrem schwierig.