Deckel drauf reicht nicht
Mit dem Berliner Mietenstopp lässt sich Zeit gewinnen - die Frage ist allerdings, wie sie genutzt wird
Von Sebastian Gerhardt und Philipp Mattern
Es war keine kleine Überraschung, als im vergangenen Herbst der Jurist Peter Weber erklärte, dass die Bundesländer seit der Föderalismusreform 2006 eine eigene Gesetzgebungskompetenz im Wohnungswesen hätten. Diese Landeskompetenz mache es möglich, Miethöhen durch ein öffentliches Preisrecht zu begrenzen – was offenbar zwölf Jahre lang niemand in Politik und Verwaltung bemerkt hatte. Noch erstaunlicher ist, dass die Berliner Senatsparteien tatsächlich Gebrauch davon machen wollen, trotz der großen juristischen Unklarheiten. Die Idee eines Mietendeckels wurde zuerst von der SPD stark gemacht und später von der Linkspartei aufgegriffen. Die von letzterer geführte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen legte nun einen Referentenentwurf vor. Seitdem wird fleißig diskutiert und gestritten.
In der Begründung des Gesetzesvorhabens heißt es: »Die weiterhin steigende Nachfrage nach Wohnraum konnte bisher nicht durch eine entsprechende Angebotserweiterung durch ausreichenden Neubau gedeckt werden.« Es sei festzustellen, dass »der Druck auf Angebots- und Bestandsmieten durch eine gestiegene Renditeerwartung der Eigentümer wächst. Die Wohnungsmarktanspannung verschärft sich in Berlin daher mit der Folge, dass die Mieten stärker als die Einkommen steigen.« Bis zur »Entspannung auf dem Wohnungsmarkt«, insbesondere durch eine »zügige Ausweitung des Wohnungsangebots«, sollen daher für fünf Jahre Mieterhöhungen stark limitiert werden und Obergrenzen gelten, die sich am Mietspiegel 2013 orientieren.
Ein solcher Mietendeckel würde beinahe die gesamte Breite des Mietwohnungsmarkts erfassen und keineswegs nur selektiv wirken. Ob große oder kleine, private oder institutionelle Vermieter, sie alle wären in der Steigerung ihrer Erträge eingeschränkt. Das ist tatsächlich ein neuer Weg der Regulierung. Entsprechend heftig sind die Reaktionen der Eigentümerseite. Die Reichweite des Mietendeckels wird entscheidend davon abhängen, inwiefern die Politik sich von ihren Interventionen und Drohungen beeindrucken lässt. Konsequente Regulierung oder mehr Ausnahmen als Regel: Diese Frage wird sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens klären; die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit in den folgenden Auseinandersetzungen.
Grenzen des Mietendeckels
Schon heute aber steht fest, an welche Grenzen jeder Mietendeckel in seiner Anwendung stoßen wird. Erstens ist absehbar, dass die Vermieter geeignete Umgehungsstrategien suchen und finden werden. Es wird sich eine Grauzone des Wohnungsmarkts bilden, in der mit allerhand Tricksereien und kreativen Konstruktionen Mieteinnahmen oberhalb des Erlaubten realisiert werden.
Zweitens wird es große Vollzugsprobleme geben. Recht setzt sich nicht von selbst durch. Auch wenn es sich um öffentliches und nicht privates Preisrecht handelt: Den Mietendeckel tatsächlich zur Anwendung zu bringen, wird entscheidend von den Mieter*innen abhängen, denn die öffentliche Verwaltung wird nicht von sich heraus, sondern nur auf Antrag tätig. Und selbst dort, wo die Verwaltung tätig wird, ist bisher völlig unklar, wie sie diese Aufgabe angesichts der faktisch nicht existierenden Wohnungsämter in den Bezirken überhaupt schultern soll.
Recht setzt sich nicht von selbst durch. Ob der Mietendeckel tatsächlich angewandt wird, hängt entscheidend von den Mieter*innen ab.
In den Umsetzungsproblemen zeigt sich, dass der Mietendeckel an einem Symptom ansetzt, nicht an den Ursachen. Auch wenn linke wie rechte Kommentator*innen gerne und gleichermaßen anderes behaupten: Der Mietendeckel ist nicht radikal. Er kann es auch gar nicht sein, denn er geht im Sinne des Wortes keinem Problem an die Wurzel. Die scheinradikale Losung vom Kampf gegen die »Mietenexplosion« ist zutiefst widersprüchlich: Eine bereits stattgefundene Explosion kann man nicht aufhalten. Und nach dem Knall geht es eher darum, die Schäden zu beseitigen. Ein Mietenstopp kann der Wohnungspolitik die nötige Zeit verschaffen, die für ein Umsteuern gebraucht wird. Doch diese Zeit muss auch genutzt werden. Im Sondermemorandum »Gutes Wohnen für alle« stellt die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik hierzu fest: »Zur kurzfristigen Entlastung kann ein Staat, ein Bundesland oder auch eine Kommune immer nur auf Regulierung setzen – dies gilt auch für viele andere Politikbereiche. Notwendig ist aber, dass der Regulierung auch die Gestaltung folgt.«
Der aktuelle Wohnungsmangel in den Großstädten und Ballungsräumen führt zu steigenden Mieten, jedoch nicht zu einer adäquaten Angebotserhöhung. Denn der Markt reagiert nicht auf einen wachsenden Bedarf, sondern lediglich auf zahlungskräftige Nachfrage. Wer aber kann sich freifinanzierte Neubaumieten leisten? Die Wohnungen, die gebaut werden, sind schon für Normalverdiener*innen regelmäßig zu teuer. Die aktuelle Baukonjunktur zeigt alle Züge eines kurzfristigen Booms mit deutlichen Preiserhöhungen ohne nachhaltigen Ausbau der Kapazitäten in der Bauwirtschaft. Die gestiegenen Immobilienpreise zeigen die Profiterwartungen der Eigentümer. Im Ergebnis sind vor allem die Angebotsmieten massiv gestiegen. Nach Angaben der Bundesregierung von 2010 bis 2017 in 14 Großstädten um – im Durchschnitt! – 34 Prozent. Berlin, München und Stuttgart liegen deutlich darüber. Auch der Aufwärtstrend bei den Bestandsmieten ist ungebrochen. Deshalb ist die Losung des Mietendeckels so populär – weit über Berlin hinaus. Aber »Deckel drauf!« reicht nicht.
Versorgungsprobleme bleiben ungelöst
Vor einem ähnlichen Problem steht auch die Diskussion um die Enteignung großer Wohnungsbestände, die nun vom Mietendeckel in den Schatten gestellt wird. Das Ziel der Initiative »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« ist es, den Senat von Berlin per Volksentscheid zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Überführung großer Immobilienunternehmen in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz aufzufordern. So sollen die Ausweitung eines marktfern bewirtschafteten Wohnungsbestands gelingen und die dort lebenden Mieter*innen geschützt werden. Das wäre zweifelsfrei ein weitgehender Schritt, der die strukturellen Versorgungsprobleme aber ebenfalls nicht lösen wird. Zudem wäre es ein sehr teurer Spaß, denn eine Enteignung ohne Entschädigung kann es nicht geben.
Das Vorbild der Enteignungskampagne sind die Rekommunalisierungen lokaler Versorger, die in den vergangenen Jahren realisiert wurden. Aber im Immobilienbereich geht es um weit größere Vermögenswerte als bei Stadtwerken. Und die rechtliche Situation ist völlig anders: Auch bei größeren Rekommunalisierungen durch Ankauf werden Marktpreise gezahlt. Einfach verallgemeinern lässt sich dieses Modell daher nicht. Diese finanzielle Schranke soll durch die erstmalige Anwendung von Artikel 15 Grundgesetz verschoben werden. Das Ergebnis ist aber fragwürdig. Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Berliner Abgeordnetenhauses erklärte kürzlich, dass eine Entschädigung nicht zwingend dem Verkehrswert entsprechen müsse, sich jedoch zumindest an ihm zu orientieren habe. Solch eine Entschädigung würde die Investor*innen mit frischen Mitteln für weitere Spekulation ausstatten: Die GSW, die 2006 für 405 Millionen Euro verkauft wurde, steht heute mit etwa sieben Milliarden Euro in den Büchern der Deutsche Wohnen. Zwar ist es der Initiative »Deutsche Wohnen & Co Enteignen« gelungen, die Eigentumsfrage in eine breite politische Diskussion zu bringen.
Es kommt aber nicht nur darauf an, die Eigentumsfrage zu stellen. Sie muss auch realistisch beantwortet werden. Die mitunter fantasievollen Rechnungen zur »Kostenschätzung« versuchen sich dagegen an der Quadratur des Kreises: Das Privateigentum muss geachtet werden, seine Vergesellschaftung soll aber nicht viel kosten.
Wohnungsbau ist nötig
Die alles entscheidende Frage ist jetzt: Was passiert in den nächsten fünf Jahren? Tatsächlich kann nur durch ein angemessenes Wohnungsangebot der Druck auf dem Markt dauerhaft vermindert werden. Dafür sind Investitionen in ein öffentliches Wohnungsbauprogramm in hoher Summe nötig. Hier kann und muss der Staat gestaltend tätig werden. Nicht etwa wie hoch oder niedrig die Mietobergrenzen beim Mietendeckel sein werden, welche Ausnahmen es geben wird, oder in welchen Fällen Mietsenkungen durchgesetzt werden könnten, sind die wichtigsten anstehenden Fragen. Das sind Details, an denen sich zeigen wird, wie stark oder schwach die von ihm ausgehende Regulierungswirkung sein wird.
Mit Verabschiedung des Mietendeckelgesetzes müssen glaubhafte Ideen für solch eine zukünftige Gestaltung des Wohnungsmarkts auf den Tisch. Dazu gehört erstens die Ertüchtigung und Neuausrichtung der öffentlichen Wohnungsunternehmen für einen breit angelegten Geschosswohnungsbau. Zweitens ist ein Ausbau der Baukapazitäten nötig, der nur bei einer sicheren Auslastungsperspektive erfolgen wird. Drittens braucht es eine gesellschaftliche Offensive für gute Wohnungen, die allen Vorschlägen für Substandard und Heimunterkunft für Arme eine Absage erteilt und die sich von der weitverbreiteten Skepsis gegenüber dem Neubau freimacht und einen eigenen, positiven Entwurf für einen zukünftigen Wohnungsbau im Interesse der Mieter*innen entwickelt. Andernfalls wird die einzige mittelfristige Wirkung, die der Mietendeckel erreichen kann, eine Atempause für die Berliner Senatsparteien bis zur erhofften Wiederwahl sein.