Comeback des griechischen »Neoterrorismus«?
Eine vorzeitige Detonation, ein Toter und Verhaftungen werden zur Profilierung genutzt
Von John Malamatinas

Die Überreste der Explosion sind bis heute sichtbar. Weiterhin stehen vor dem Gebäude Polizeikräfte. Wer versucht, ein Foto des Hauses zu machen, wird umgehend verscheucht. Die Explosion, die sich am 31. Oktober im Athener Stadtteil Ampelokipi ereignete, war nicht auf ein Gasleck zurückzuführen. Schon kurz nach dem Eintreffen der Polizei und der Feuerwehr stand fest, dass eine Bombe explodiert war – eine vorzeitige Detonation, die einen 36-jährigen Mann tötete und eine 33-jährige Frau schwer verletzte.
In den griechischen Medien wurden, unterstützt durch Sicherheitskreise, private Informationen über den Toten sowie die Festgenommenen verbreitet – einschließlich Fotos. Zudem lieferte niemand anderes als die deutsche Polizei Fingerabdrücke und weitere Beweise, die zur Identifikation der Verdächtigen führten. Der 36-jährige Tote, Xymitiris, soll Anarchist gewesen sein, einige Zeit in Deutschland gelebt und an einer Besetzung des griechischen Konsulats in Berlin teilgenommen haben. Diese Aktion war aus Solidarität mit dem Hungerstreik von Dimitris Koufontinas organisiert worden, einem ehemaligen Mitglied der linken Stadtguerilla 17. November.
Am Abend des 1. November stellte sich ein 31-jähriger Mann freiwillig den Behörden. Eine 30-jährige Frau, die verdächtigt wird, den Schlüssel zur betroffenen Wohnung organisiert zu haben, wurde bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland von Anti-Terror-Einheiten am Flughafen festgenommen. Auch die verletzte Frau zählt zu den Verdächtigen. Medienberichten zufolge wurden ihr Fingerabdrücke abgenommen, obwohl sie aufgrund ihrer Bewusstlosigkeit nicht in der Lage war, dem zuzustimmen. Die Polizei fahndet nach weiteren Personen, die sie als Mitglieder oder Unterstützer*innen einer anarchistischen Gruppe betrachtet.
Die griechische Polizei veröffentlichte Bilder von Gegenständen, die in der Wohnung gefunden wurden – darunter Waffen, Masken, Perücken und Notizen mit Anleitungen zur Herstellung von Sprengsätzen. Bislang ist bekannt, dass keine der Waffen in früheren Straftaten verwendet wurde. Fingerabdrücke konnten bislang nicht mit älteren Beweismitteln, etwa der Bombe, die im Dezember 2023 bei einem versuchten Anschlag auf das Hauptquartier der Bereitschaftspolizei vorzeitig entschärft wurde, in Verbindung gebracht werden.
Den Festgenommenen wird die Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vorgeworfen. Zudem werden ihnen die Herstellung, Beschaffung und Lagerung von Sprengstoffen sowie die Herbeiführung einer Explosion mit der Absicht, Menschenleben zu gefährden, angelastet. Darüber hinaus stehen sie unter Verdacht, illegal Waffen besessen und fremdes Eigentum beschädigt zu haben.
Mythos Neoterrorismus
Griechenland hat eine reiche Geschichte des bewaffneten Kampfs. Allen voran drei Jahrzehnte lange Aktivitäten der Organisation 17. November. Sie wurde mit Unterstützung der CIA und Scotland Yard gejagt, da sie vor allem imperialistische Ziele wie US-Niederlassungen angriff. Das Ende kam mit einer frühzeitigen Detonation einer Bombe, die 2002 zu der Verhaftung eines Mitglieds der Gruppe führte. Der schwerverletzte Savvas Xiros wurde gefoltert, um weitere Information herauszupressen. Dimitris Koufontinas, hat diese Geschichte im Buch »Geboren am 17. November« präzise festgehalten.
Es wundert nicht, wenn der heutige Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrisochoidis, bei der neuen Explosion eine Chance wittert, sich einen weiteren Eintrag in die Annalen der Geschichte zu sichern. Chrisochoidis hat in seiner politischen Laufbahn alles dafür getan, um zu profitieren – er wechselte sogar von der sozialdemokratischen PASOK zu der regierenden rechtskonservativen Nea Dimokratia, um sich die Hebel der Macht zu sichern. Im Juni 2010, inmitten der Finanzkrise, explodierte eine Paketbombe wenige Meter von seinem Ministeriumsbüro entfernt. Der FAZ sagte er 2012 in einem Interview: »Sie wollen mich töten, weil mein Name mit dem Erfolg Griechenlands im Kampf gegen den Terrorismus verbunden ist, mit der Zerschlagung des ›17. November‹ und des ›Revolutionären Kampfes‹. Das haben einige mir nicht verziehen.« Als der 17. November zerschlagen wurde, feierte man Chrisochoidis als Helden.
Nach der Explosion in Ampelokipi eilte Chrisochoidis als erster herbei, um daraus Kapital zu schlagen, indem er die Bombe als »Monsterbombe« bezeichnete und eine neue Welle des griechischen Terrorismus herbei imaginierte. »Ich denke, wir haben es hier mit einem Versuch junger Menschen zu tun, eine dritte Generation des Terrorismus in Griechenland anzustreben, in einer völlig anderen Zeit. Sie versuchen, mit dem gleichen Modus Operandi und auf politischer Ebene die gleichen Dinge zu tun. Um einen terroristischen Akt auszuführen, muss man ihn sehr gut vorbereiten, man braucht also Organisation, viel Vorbereitung, Fachwissen im Bau von Sprengstoffen.«
Seit den 2010er Jahren kursiert der Begriff »Neoterrorismus«. Damals häuften sich Anschläge auf staatliche und kapitalistische Ziele von Gruppen mit wechselnden Namen, vermutlich aus dem anarchistischen Spektrum. Tatsächlich haben die Anschläge in den vergangenen Jahren stark abgenommen. Nennenswert ist nur eine Bombe, die vor einem Arbeitsministerium im Februar dieses Jahres explodiert ist, eine Organisation namens Revolutionäre Klassenverteidigung übernahm die Verantwortung. Die letzten relevanten Gruppen wie die Verschwörung der Feuerzellen oder Revolutionäre Sekte haben 2016 ihren letzten Anschlag verübt.
Verhaftung eines alten Bekannten
Am 18. November schien sich die Geschichte für einen alten Bekannten zu wiederholen: Antiterroreinheit, Handschellen, Fernsehkameras, Haftanstalt. Nikos Romanos wurde erneut verhaftet – diesmal wegen einer Plastiktüte, die in einer Wohnung in Ampelokipi gefunden wurde und auf der sich mutmaßlich seine Fingerabdrücke befanden. Das Problem: In der Tüte soll sich angeblich eine Waffe befunden haben.
Nikos Romanos ist ein griechischer Anarchist und ehemaliger politischer Gefangener. Seine Radikalisierung begann 2008 nach der Ermordung seines engen Freundes Alexandros Grigoropoulos durch einen Polizisten im Athener Stadtteil Exarchia. Die Tötung von Grigoropoulos löste wochenlange Aufstände in ganz Griechenland aus. 2013 wurde Romanos wegen angeblicher Beteiligung an einem bewaffneten Banküberfall in Velventos verhaftet.
Während seiner Haftzeit bestand Romanos die Aufnahmeprüfungen für die Universität und erwarb damit das Recht auf ein Studium. Die griechischen Behörden verweigerten ihm jedoch zunächst den Bildungsurlaub, woraufhin er Ende 2014 in einen Hungerstreik trat. Sein Streik erhielt große öffentliche und internationale Unterstützung und setzte die Regierung massiv unter Druck. Schließlich wurden Romanos Forderungen erfüllt, und das griechische Parlament verabschiedete ein Gesetz, das es Gefangenen erlaubt, unter elektronischer Überwachung eine Universität zu besuchen.
»Ich habe die Hälfte meines Erwachsenenlebens im Gefängnis verbracht. (…) Ich werde keine derart extremen Maßnahmen wie die Untersuchungshaft akzeptieren, ohne einen juristischen und politischen Kampf zu führen, um mein Leben zurückzugewinnen«, betont Nikos Romanos in einem Schreiben, das über seine Anwälte veröffentlicht wurde. Seine Verhaftung hat große Teile der anarchistischen Szene und der Linken in Aufruhr versetzt – am diesjährigen 6. Dezember, dem Gedenktag für Alexandros Grigoropoulos, waren bei landesweiten Demonstrationen viele Transparente mit seinem Namen zu sehen.
In seinen Äußerungen thematisiert Romanos die Situation der jungen Generation: »Meine Entscheidungen waren Teil der Geschichte einer Generation von Menschen, die sich auflehnten und auf deren Rücken große Teile des politischen Systems ihre Sünden abwuschen.« Dennoch, so erklärt er, befinde er sich nicht deshalb im Gefängnis, weil er »bewusste Entscheidungen getroffen habe, die entsprechende Risiken mit sich brachten«. Vielmehr werde sein Leben »als politisches Produkt im Regal des Kommunikations-Supermarkts verkauft«, bei dem die Kosten für die Plastiktüte ihm angelastet würden, während die potenziellen Wähler das Narrativ nach und nach konsumierten.
Für diejenigen, die die Geschichte der Anti-Terrorismus-Abteilung Griechenlands und ihre Methoden kennen – insbesondere ihre Rolle bei der Manipulation der politischen Agenda –, ist der Fall Romanos kein unerwartetes Ereignis. Vielmehr ist es ein weiterer Versuch des Apparats, Menschen zu belasten und so das Narrativ der Regierung von Kyriakos Mitsotakis zu stützen. Diese Regierung hat sich durch eine schrittweise »Orbanisierung« hervorgetan: Überwachungsskandale, mangelhafte Katastrophenbewältigung und die kontinuierliche Repression von Demonstrationen prägen ihre Amtszeit.