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|ak 669 | Diskussion |Reihe: Planwirtschaft

Bye Bye, Überfluss

Eine Alternative zum Kapitalismus muss das neoliberale Monopol auf den Austeritätsbegriff brechen

Von César Rendueles

Der Kapitalismus ist seit seinen Anfängen eine gleichermaßen expansive wie fragile Produktionsweise, deren rasante Ausbreitung regelmäßig Krisen provozierte, die das Kapital zur Überwindung seiner eigenen geografischen, sozialen, politischen und kulturellen Schranken zwang. (1) Zum ersten Mal sieht sich dieser Prozess mit einer absoluten Grenze konfrontiert: Heute konsumiert die Menschheit mehr als 1,6-mal so viel an natürlichen Ressourcen, wie der Planet reproduziert. Unsere Produktionsweise hat die globalen materiellen Grenzen hinter sich gelassen. Wir können diesen Sachverhalt nur dadurch umgehen, dass wir Grundgüter und Leistungen horten, die Millionen von Menschen – und möglicherweise auch uns selbst – in der Zukunft dann nicht mehr zur Verfügung stehen werden.

Die kapitalistischen Gesellschaften sind in ihrem eigenen Ponzi-System gefangen, einer fatalen, ökologischen Schuldenpyramide. Dies stellt eine enorme Herausforderung für die traditionelle emanzipatorische Politik dar. Ein Grundbestandteil der antikapitalistischen Kritik war – neben der Auseinandersetzung mit Entfremdung und Ungerechtigkeit – immer die Vorstellung, dass der Kapitalismus insofern eine ineffiziente Produktionsweise ist, als er den von ihm generierten Überfluss nicht zu nutzen versteht. Doch die künstliche und gesellschaftlich induzierte Verteuerung verbindet sich, wie Ökologen schon seit Langem anmerken, mit einer aufgeschobenen, aber irreversiblen materiellen Knappheit, die aus der Zerstörung der für das menschliche Leben notwendigen Ökosysteme resultiert. Zum ersten Mal steht radikale Politik vor der Aufgabe, eine postkapitalistische Alternative zu schaffen, die nicht auf Wachstum und Überfluss beruht – zumindest nicht in der Form, wie wir sie in der Moderne kannten –, sondern auf einer kollektiven Vorstellung des guten Lebens auf Grundlage einer gerechten, egalitären und realistischen Austerität.

Das gute Leben planen

Der klassische Sozialismus war immer sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, die spezifische Lebensform einer nichtkapitalistischen Alternative konkret zu beschreiben. Er konnte deshalb darauf verzichten, weil er versprach, den Reichtum zu vergesellschaften, den im Kapitalismus eine Minderheit monopolisiert: Der Sozialismus würde unterschiedliche Formen annehmen können, aber doch zumindest der künstlichen Verknappung ein Ende setzen. Der Sozialismus der Gegenwart kann auf diesen strategischen Vorteil nicht länger zählen. Was er anzubieten hat, ist viel problematischer und düsterer: eine Alternative zum Zusammenbruch, die auf dem Versprechen demokratischer und aufgeklärter Genügsamkeit beruht. Unser Problem besteht darin, die Verwaltung der Knappheit in ein emanzipatorisches politisches Projekt zu verwandeln, das eine gesellschaftliche Mehrheit mobilisiert und dabei diejenigen anspricht, die nach einer Alternative zu einem von Prekarität, Individualismus und warenförmiger Entfremdung beschädigten Leben suchen. Der Sozialismus muss das neoliberale Monopol auf den Austeritätsbegriff brechen, der in den vergangenen Jahrzehnten nur noch mit Unglück assoziiert wurde, und stattdessen einen neuen sparsamen, eher auf der Vorstellung von skholé (2) und erfülltem Leben als auf konsumistischem Nihilismus beruhenden Reichtum entwerfen.

Es ist immer schwieriger zu leugnen, dass Güter und Dienstleistungen, die wie Flugreisen, Heizung oder Fleisch heute im Westen im Überfluss vorhanden sind und als selbstverständlich erachtet werden, in einem historisch kurzen Zeitraum für Millionen Menschen unerschwinglich sein werden. Die Frage lautet, ob die Verteilung dieser beschränkten Ressourcen und im Besonderen der lebensnotwendigen über den Markt erfolgen wird, sodass nur einige wenige den Zugriff darauf haben werden, ob es zu einer bürokratischen Diktatur kommt oder ob wir in der Lage sein werden, Formen der gerechten, egalitären und nachhaltigen Rationalisierung zu entwerfen, die mit bereichernden Lebensverhältnissen und kollektiven Möglichkeiten der Selbstverwirklichung einhergehen.

In sehr kurzer Zeit und beschleunigt durch die Covid-19-Krise hat die Wirtschaftsplanung ihre Rolle als historisches Fossil abgestreift. So hat erstens der Markt seine Unfähigkeit unter Beweis gestellt, Notfallressourcen zu produzieren und effizient, kurzfristig und unter Bedingungen der Gleichheit zu verteilen. (…) Es ist nicht besonders gewagt zu prophezeien, dass wenn die ökologische Krise in den westlichen Ländern mit Macht zu spüren sein wird, selbst große Marktfanatiker die Notwendigkeit von Rationierung und zentralisierter Vergabe zumindest lebensnotwendiger Güter kaum infrage zu stellen wagen werden.

Aus politischer Perspektive handelt es sich um ein Szenario voller Licht und Schatten. Denn die Pandemie hat auch unter Beweis gestellt, wie schwer sich die liberalen Staaten der Gegenwart in Anbetracht einer durch Jahrzehnte der Deregulierung eingeschränkten politischen Souveränität und einer durch die Fernsehdemokratie und die Kartellbildung der politischen Parteien erodierten politischen Kultur damit tun, die organisatorischen Dilemmata der ökonomischen Intervention zu bewältigen. Eine autoritäre Lösung des neoliberalen Niedergangs ist sehr viel wahrscheinlicher geworden. (…)

Ist die emanzipatorische Tradition in der Lage, auf dieses … Krisenszenario … eine postkapitalistische und demokratische Alternative zu formulieren? Auf den ersten Blick kann eine Antwort nur affirmativ ausfallen. Nicht nur weil ökologische Positionen heute Kernbestandteil radikaler Politik sind, sondern auch weil die alte Debatte über die Möglichkeit der ökonomischen Planung komplexer Gesellschaften in den vergangenen Jahren – in einem gewöhnlich sehr technophilen Sinne – rehabilitiert wurde. Häufig heben die radikalen Argumente zugunsten der Planung zwei Aspekte hervor: einen gesellschaftlichen und einen technischen.

Verborgene Planung

Der erste hat mit der kulturellen Akzeptanz der Planung zu tun. Nach den beiden Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts wurde eine Verteidigung des Sozialismus populär, die den Erfolg der zentralen Planung während des Kriegs betonte. Viele Menschen fragten sich, was geschehen würde, wenn die enormen gesellschaftlichen Energien, die während des Kriegs mobilisiert worden waren, für den Aufbau einer wohlhabenderen und egalitäreren Gesellschaft eingesetzt würden. Als Ergebnis dieser kollektiven Reflexion kam es ab 1945 zu erstaunlichen sozialen Neuerungen, die noch einige Jahre zuvor utopisch erschienen: öffentliche Gesundheitsversorgung, Bildung und Wohnungswesen, die Nationalisierung der Schlüsselindustrien (…) Möglicherweise könnte in unseren Tagen etwas Vergleichbares geschehen. Denn tatsächlich sind Planung und Zentralisierung heute so ausgeprägt in unseren Ökonomien, als würden wir in einer Zeit der militärischen Mobilmachung leben. Schätzungsweise werden 30 bis 50 Prozent des Welthandels innerhalb von Unternehmen abgewickelt und sind dementsprechend extrem geplant. Der Alltag von Ikea, H&M, Walmart oder Amazon beruht auf Strategien der Wirtschaftsplanung, die die gesamte Produktionskette betreffen und die Nachfrage zu modulieren versuchen.

Wer die liberalen Begriffe der Debatte akzeptiert, misst den technologischen Instrumenten beim Aufbau einer sozialistischen Alternative zu große Bedeutung bei.

Ebenso wie der Weltkrieg die Gesellschaft mit der staatlichen Wirtschaftslenkung vertraut machte, haben Ikea und Amazon die zentralisierte Produktions-, Vertriebs und Konsumlenkung entdramatisiert. In einem Dokumentarfilm über Kuba war vor einigen Jahren zu sehen, wie der Verantwortliche eines staatlichen Ladens das T-Shirt-Angebot präsentierte: »Wir haben zwei Modelle: das weiße und das mit dem Che.« Viele Leute, denen das als schreckliche Uniformität erschien, finden es nicht weiter problematisch, dass Wohnungen heute, egal wohin man reist, voll mit Billy-Regalen, Pöang-Sesseln, Zara-Hosen und Quechua-Jacken sind, so als wäre der Erwerb verpflichtend. Worin würde – in Anbetracht dessen, dass wir alle, sogar meine Universität, denselben E-Mail-Anbieter nutzen – der Unterschied bestehen, wenn ein öffentliches Unternehmen statt eines kalifornischen Konzerns diesen Dienst anböte?

Dieses gesellschaftliche Argument ist gewichtig, aber auch ein wenig trügerisch. Die kapitalistische Planung unseres Lebens ist heute ausschließlich von Trägheit und Individualismus dominiert: Entweder bleibt sie im Produktionsprozess verborgen oder verschwimmt dank des Marketings auf den Vertriebswegen. Zu einem wesentlichen Anteil beruht der Erfolg von Unternehmen wie Ikea oder Decathlon auf ihrer Fähigkeit, einige der Planungseffekte zu verbergen. Auch wenn sie für fast genauso viel Uniformität wie irgendein sowjetischer Produktionszweig sorgen, gelingt es ihnen, das Gefühl der Monotonie zu vermeiden, indem sie normierten Massenprodukten eine Aura von Design, Modernität und Exklusivität verleihen. Diese verschleierte Planung unterscheidet sich gesellschaftlich stark von dem bewussten, durch politische Debatten vermittelten und gemeinsamen Prozess, wie er beispielsweise zum Aufbau der Gesundheitssysteme in den frühen Wohlfahrtsstaaten der Nachkriegszeit führte.

Die zweite Argumentationslinie zugunsten der Planung hat damit zu tun, wie die Digitalisierung die Grundlagen der klassischen Debatte über den Sozialismus verändert hat. Das Argument, das Liberale wie Mises, Hayek oder Friedman zumindest seit den 1920er Jahren gegen die Planung vorbrachten, lautet, dass das Preissystem ein unverzichtbares Mittel zur Informationsübertragung in komplexen Ökonomien ist. Diesem Modell zufolge transportieren Preise bei minimalen Kosten Informationsfragmente, die sich automatisch zusammensetzen. Auf diese Weise wird ein Niveau gesellschaftlicher Koordination erreicht, wie keine organisierende Institution es jemals gewährleisten könnte. Von diesem Standpunkt verfälscht der zentralisierende Eingriff nur den Informationsfluss und verhindert damit die optimale Koordination.

Markt als Kommunikationssystem?

Ein verbreiteter sozialistischer Einwand gegen dieses Argument lautet heute, die Liberalen würden damit anerkennen, dass es sich beim Preissystem in erster Linie um ein Kommunikationssystem handelt, also um eine gesellschaftliche Maschine, die von einer höheren Technologie ersetzt werden könnte. In diesem Sinne ermöglichen es die im Gefolge der Digitalisierung exponentiell gewachsenen Rechenkapazitäten, das Preissystem durch bessere und nichtkonkurrente Koordinationsalternativen zu ersetzen. Tatsächlich haben die Kommunikationsmöglichkeiten in den letzten beiden Jahrzehnten rasant zugenommen. (…) Auch das ist ein gewichtiges Argument, das allerdings den Anhängern der Marktutopie möglicherweise zu viele Zugeständnisse macht. Der liberale Angriff auf die Planung war immer ein akademisches Pseudoproblem, das auf einer Grundannahme beruhte: nämlich auf der These, dass eine einfache und nicht kontingente Antwort auf die Frage nach der optimalen Kombination von Mechanismen ökonomischer Institutionalisierung in einer komplexen Gesellschaft möglich und wünschenswert ist. Dem entgegen steht die These Karl Polanyis, der auf Grundlage anthropologischer Studien seiner Zeit die Existenz einer universellen, auf dem Nutzenkalkül beruhenden ökonomischen Rationalität kritisierte. Stattdessen unterschied er eine Reihe historischer ökonomischer Institutionen – den Markt, Umverteilungsmechanismen, allgemeine Reziprozität, den Hof oder Haushalt –, die Teil der gesellschaftlichen Struktur sind und fließende Übergänge besitzen.

Wer die liberalen Begriffe der Debatte akzeptiert, misst den technologischen Instrumenten beim Aufbau einer sozialistischen Alternative zu große Bedeutung bei. Auf diese Weise wird die Suche nach einem digitalen Substitut des Markts zur zentralen Frage, anstatt einfach nur ein interessantes Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.

In Wirklichkeit wurde die Utopie des Marktsystems nicht als Alternative zum Plan, sondern als Antwort auf die Gefahr konzipiert, die die Demokratie für die oberen Klassen repräsentierte.

In Wirklichkeit wurde die Utopie des Marktsystems nicht als Alternative zum Plan, sondern als Antwort auf die Gefahr konzipiert, die die Demokratie für die oberen Klassen repräsentierte. Deshalb schätzten selbst zutiefst reaktionäre Autoren wie Edmund Burke den Markt als eine effiziente Form, um die Hierarchie des traditionellen Ständesystems zu ersetzen. (…) Die Expansion des Markts betrifft nicht nur die Produktionsbeziehungen, sondern schränkt auch die Möglichkeiten ein, eine wirklich demokratische Kultur mit einer charakteristischen Subjektivität zu entwickeln. Denn die Durchsetzung des Markts ist ein gesellschaftlicher Mechanismus, der jede Diskussion über das Zustandekommen individueller Präferenzen unterbindet, indem er ein auf der Spontaneität der Wünsche beruhendes Gefühl von Wahlfreiheit hochhält. Deshalb besteht die Herausforderung für die Sozialisten nicht allein in der Frage, ob die Wirtschaftsplanung möglich oder sinnvoll ist – eine Frage, auf die sich keine allgemeingültige Antwort für sämtliche Güter und Dienstleistungen geben lässt –, sondern vor allem in der Form der ökonomischen Deliberation, die der Planung zugrunde liegt. Das sozialistische Dilemma par excellence, das nicht einfach als gelöst vorausgesetzt werden kann, ist, ob die demokratische politische Debatte auf kontingente Weise etablieren kann, wie viel Markt, Plan oder Reziprozität eine komplexe, vielfältige und aufgeklärte Gesellschaft benötigt.

César Rendueles

ist Professor für Soziologie in Madrid. Auf Deutsch erschienen 2018 bei Suhrkamp »Kanaillen-Kapitalismus: Eine literarische Reise durch die Geschichte der freien Marktwirtschaft«.

Anmerkungen:

1) Dieser Text ist ein Auszug aus dem Artikel »Sozialismus ohne Cyber-Fetischismus. Von der Planung zur Deliberation« von César Rendueles aus dem von Timo Daum und Sabine Nuss herausgegebenen Buch »Die unsichtbare Hand des Plans. Koordination und Kalkül im digitalen Kapitalismus« (Dietz Berlin. 270 Seiten, 18 EUR). Übersetzung aus dem Spanischen: Raul Zelik.

2) Das griechische skholé steht für Freizeit und Muße, aber auch das Wort Schule geht darauf zurück (Anm. d. Übers.).