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»Wir können nur hoffen, dass es ihr gut geht«

Ein Gespräch mit den Eltern der im Budapest-Verfahren beschuldigten Sarah, über die Folgen der Auslieferung von Maja T. und ihren Umgang mit staatlicher Überwachung

Interview: Carina Book

Etwa zehn junge Menschen entziehen sich den Behörden, weil ihnen eine Auslieferung nach Ungarn droht. Foto:
Etwa zehn junge Menschen entziehen sich den Behörden, weil ihnen eine Auslieferung nach Ungarn droht. Foto: Foto: Dennis Skley/Flickr , CC BY-ND 2.0

Jedes Jahr am 11. Februar versammeln sich weit über tausend Neonazis aus ganz Europa in Budapest, um in geschichtsrevisionistischer Manier deutschen Nazisoldaten und ihren ungarischen Kollaborateuren zu huldigen. Beim sogenannten »Tag der Ehre« kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Antifaschist*innen und Neonazis und mehreren direkten Angriffen auf Neonazis. Die ungarische Polizei fahndet seitdem mit europäischen und internationalen Haftbefehlen nach Antifaschist*innen aus mehreren Ländern, davon etwa zehn aus Deutschland. Sie entziehen sich den Behörden, weil ihnen eine Auslieferung nach Ungarn droht. Dagegen wenden sich die Eltern der Beschuldigten und erfahren selbst auch Repression. So wie Birgit und Hermann, die Eltern von Sarah, die mit uns gesprochen haben.

Eure Tochter Sarah gilt seit dem sogenannten Tag der Ehre im Februar 2023 als abgetaucht. Sie wird von den ungarischen und den deutschen Behörden gesucht. Habt ihr irgendein Lebenszeichen von ihr?

Birgit: Wir haben seit Februar 2023 nicht mehr mit unserer Tochter gesprochen. Wir wissen nicht, wie ihr Alltag aussieht und können nur hoffen, dass es ihr gut geht.

Neben eurer Tochter wird ja noch nach rund zehn anderen Antifas gefahndet. Maja T. wurde im Dezember letzten Jahres verhaftet und Ende Juni nach Ungarn ausgeliefert. Was hat das an eurer Situation verändert?

Hermann: Die unmenschlichen Haftbedingungen, das zu erwartende Strafmaß und der Fakt, dass in Ungarn kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten ist, hätten ein Auslieferungshindernis sein müssen. Das ist in Italien zugunsten von Gabriele M., der ebenfalls im Kontext des Budapest-Verfahrens beschuldigt wurde, so entschieden worden. Das hat uns Hoffnung gegeben, dass die hiesigen Gerichte das auch so entscheiden würden. Haben sie aber nicht.

In Italien ist die von Ungarn beantragte Auslieferung von Gabriele M. auf höchster diplomatischer Ebene verhandelt worden. Gibt es irgendwelche Signale des deutschen Außen- oder Justizministeriums, dass sich da etwas bewegt?

Birgit: Giorgia Meloni hatte sich ja wegen der Haftbedingungen der italienischen Beschuldigten Ilaria S. eingeschaltet. Hierzulande gibt es einfach gar keine Reaktion, also weder von Bundesjustizminister Marco Buschmann, der dafür zuständig wäre, noch vom Auswärtigen Amt. Und das, obwohl Ungarn erst im Juli erneut vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt wurde, wegen fehlender Rechtsstaatlichkeit in Bezug auf die Bedingungen einer inhaftierten Person.

Hermann: Aus unserer Sicht ist die Haft in Ungarn einfach Folter. Maja sitzt seit mindestens acht Wochen in Isolationshaft ohne adäquaten Kontakt zu Menschen und weiß noch nicht einmal, wie lange das noch so gehen wird. Das ist echte Quälerei.

Das Bundesverfassungsgericht hatte ja sogar entschieden, dass die Auslieferung nicht stattfinden darf. Aber da war es schon zu spät…

Hermann: Die Auslieferung ist innerhalb von Stunden nach dem Gerichtsurteil durchgezogen worden. Ein Helikopter war schon vorbereitet, und es wurden einfach Tatsachen geschaffen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits eingeschaltet war. Letztlich hat da die Exekutive einfach die Judikative ausgehebelt. Das macht keine Hoffnung, dass man als Mensch hier seine Rechte wahrnehmen kann.

Es ist einfach perfide, jemanden nach Ungarn auszuliefern in dem Wissen, dass man die Person in Deutschland niemals für so lange rechtmäßig hinter Gitter bekommen hätte.

Birgit

Birgit: Es ist einfach perfide, jemanden nach Ungarn auszuliefern in dem Wissen, dass man die Person in Deutschland niemals für so lange rechtmäßig hinter Gitter bekommen hätte. Hier ist ein Exempel statuiert worden, das auch ein klares Signal in die Richtung derer gesendet hat, die sich den Behörden entziehen. Und es scheint ja keinerlei Konsequenzen zu geben für die Exekutive. Die Bundesrechtsanwaltskammer, der Republikanische Anwaltsverein, die Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen, sie alle haben das Vorgehen scharf kritisiert. Auch das Bundesverfassungsgericht hat es gerügt. In der Presse ist dieser Skandal breit diskutiert worden. Wer sich nicht rührt, sind das Bundesjustiz- und das Außenministerium.

Als Eltern der Beschuldigten habt ihr euch zusammengeschlossen. Wie kam es dazu?

Birgit: Wir haben uns erst kennengelernt, nachdem unsere Kinder alle weg waren und wir alle in der gleichen Schocksituation waren. Es gibt zwar viele Leute, die sehr mitfühlend sind, aber wie die Situation wirklich ist, das kann man sich nur vorstellen, wenn man selbst in der Situation ist. Da muss man nicht mehr viel erklären. Alle fühlen diese Trauer, die Sorge und die Wut. Und alle kennen das Gefühl, dass es keinen Alltag mehr gibt.

Was macht ihr und wie unterstützt ihr euch?

Birgit: Wir haben ziemlich schnell versucht, Öffentlichkeit herzustellen, insbesondere nachdem Maja verhaftet wurde. Wir haben angefangen, Politiker*innen anzuschreiben. Und auch eine Elternwebseite eingerichtet. Inzwischen gibt es auch eine neue Petition von uns, die immerhin von mehr als 70.000 Leuten unterschrieben wurde.

Birgit und Hermann

sind die Eltern von Sarah, die seit Februar 2023 als abgetaucht gilt. Sie haben sich mit den Eltern von anderen Antifaschist*innen, die von Auslieferung bedroht sind, zusammengeschlossen und eine Petition gestartet. Den Link zur Petition findet ihr auf der Webseite der Eltern unter www.kanu.me.

Kürzlich ist ein Dokumentarfilm über Hausdurchsuchungen im Kontext des Budapest-Verfahrens erschienen, der sehr drastisch schildert, wie die Polizei in Häuser und Wohnungen der Familien von Beschuldigten eingedrungen ist. Habt ihr so etwas auch erlebt?

Hermann: Wir persönlich nicht, aber unsere älteste Tochter schon. Letztes Jahr im Juli ist die Polizei nach ihrer Geburtstagsfeier gegen 0:40 Uhr in ihre Wohnung eingedrungen. Sie haben behauptet, die Telekommunikationsüberwachung hätte ergeben, dass Sarah auch zur Geburtstagsfeier gekommen sei. Und da sie die Wohnung offenbar nicht verlassen hätte, würden sie davon ausgehen, dass sie noch drin sei. Das war der Grund, warum sie meinten, sie können nachts einreiten, denn eigentlich dürfen zwischen abends 21 Uhr und morgens früh keine Hausdurchsuchungen gemacht werden. Unsere Tochter hat daraufhin auch eine Beschwerde eingelegt, aber die wurde abgewiesen.

Stichwort Telekommunikationsüberwachung – werdet ihr überwacht?

Birgit: Ja. Zum Teil wird uns sehr offen gefolgt, manchmal auch über den ganzen Tag. Manchmal zu Fuß, manchmal mit dem Fahrrad oder auch mit dem Auto. Bei der Telefonüberwachung gibt es ja heutzutage kein Knacken mehr in der Leitung, sodass man es merken würde, aber wir gehen davon aus, dass unsere Telefonkommunikation ebenfalls überwacht wird.

Aber das sind ja ganz fundamentale Eingriffe in die Privatsphäre. Klagt ihr dagegen?

Hermann: Sie ermitteln eben nicht wegen eines Kaufhausdiebstahls oder einer Fußballschlägerei, sondern sie ermitteln wegen einer kriminellen Vereinigung. Und damit können sie erst einmal eine Menge rechtfertigen, zum Beispiel auch, die Angehörigen zu überwachen.

Das stelle ich mir ganz schön belastend vor.

Birgit: Ja, aber wir haben uns fast ein wenig daran gewöhnt. Es geht uns fast allen so. Eine andere Mutter ist auf der Autobahn schon zweimal angehalten worden. Ihr wurde gesagt, sie sollte jetzt mal aufhören mit den Spielchen und sagen, wo ihr Kind ist. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gegeben, so zu tun, als wäre es eine allgemeine Verkehrskontrolle. Im Dezember letzten Jahres hat auch das Bundesamt für Verfassungsschutz zeitgleich eine größere Aktion in Hamburg, Leipzig, Jena und Nürnberg gestartet.

Wie sah das aus?

Hermann: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat versucht, Eltern anzuwerben. Die Beamten haben behauptet, sie würden dafür sorgen, dass die Kinder nicht ausgeliefert werden, wenn die Eltern kooperieren. Die Kinder seien schließlich in einer sehr misslichen Lage. Dazu muss man wissen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz in keiner Weise die Kompetenz hat, über Auslieferungen zu entscheiden.

Birgit: Bei uns haben sie Anfang Dezember geklingelt und sich als Paketboten ausgegeben. Wir haben geöffnet, und dann standen sie da plötzlich. Wir haben die Tür gleich wieder zugemacht. Zeitgleich waren sie aber auch bei meiner Mutter, Sarahs Großmutter. Dort kamen sie aber auch nicht weit. Meine Mutter hat zwar die Visitenkarte entgegengenommen, aber die Beamten dann wieder weggeschickt. Im Nachhinein meinte sie: Den Enkeltrick kannte ich schon. Das war dann schon ein bisschen witzig.

Wie weit geht denn der Kreis der Leute, die da überwacht werden?

Hermann: Das wissen wir nicht. Aber wir waren schon erstaunt, dass ein ehemaliger Grundschulfreund von Sarah aufgesucht und angesprochen wurde. Und zwar nicht zu Hause, sondern in der Uni, an einem Ort, an dem er sonst eigentlich nie ist. Ein Seminar war verlegt worden, und er war im Prinzip zufällig dort. Das heißt, man muss davon ausgehen, dass auch er im Vorfeld beschattet wurde. Das ist schon heftig, welche Ausmaße das annimmt.

Was gibt euch Kraft?

Hermann: Mir tun die Solidaritätsbekundungen, die man so erfährt, wirklich gut. Und wir freuen uns auch über die Soli-Aktionen der jungen Leute. Das ist ja heute modern, mit Pyro und Transparenten Fotos zu machen. Das gefällt uns ganz gut.

Birgit: Es ist uns ein großes Anliegen, dass an die Rote Hilfe unter dem Stichwort Budapest gespendet wird. Es werden viele Rechtsanwält*innen gebraucht, und die müssen ja auch irgendwie bezahlt werden. Und wir hoffen sehr, dass es mehr Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit für den Fall gibt. Viele wissen schon davon, aber es ist wichtig, dass Veranstaltungen stattfinden und die breite Öffentlichkeit informiert wird. Letztlich hoffen wir einfach, dass wir unsere Tochter bald wieder sehen können.

»Zwischen Trauma und Gewalt: Hausdurchsuchungen gegen Antifas auf dem Prüfstand«

Das Filmkollektiv Le-Je hat einen Dokumentarfilm über die Razzien vom 15. März 2023 in Jena und Leipzig gedreht. Im Film wird deutlich, wie groß die Kollateralschäden sind, die durch den unbedingten Verfolgungswillen der Behörden entstehen. Angehörige berichten über die teils traumatisierenden Ereignisse. Der Film »Zwischen Trauma und Gewalt: Hausdurchsuchungen gegen Antifas auf dem Prüfstand« ist auf YouTube verfügbar.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.