Boykott, Blockade und Streik
Lassen sich die verschiedenen Taktiken der Klimagerechtigkeitsbewegung in einer Strategie bündeln?
Von Elias König
Es war zu erwarten, dass die Herrschenden auch nach den massiven Klimaprotesten der letzten Jahre nicht einfach ihr eigenes System »entwurzeln« würden, wie es Greta Thunberg noch im vergangenen Herbst in Berlin zur Bundestagswahl forderte. Die Unverfrorenheit aber, mit der sich die Ampelkoalition seither als Verteidigerin des fossilen Status quo hervortut, kommt einem zivilen Ungehorsam von oben gleich.
Ohne größeren Aufschrei verabschiedete sich die selbst ernannte Klimaregierung im Oktober mit ihrem RWE-Deal mal eben vom Pariser 1,5 Grad-Ziel. Mit der auf dem Glasgower Klimagipfel 2021 stolz verkündeten Absichtserklärung, nicht mehr in fossile Projekte im Ausland zu investieren, hatte sie bereits auf dem G7-Gipfel im Sommer gebrochen. Fröhlich investiert die Bundesrepublik weiter in neue CO2-Bomben rund um den Globus. Auch hierzulande scheint auf einmal wieder alles möglich: Aufkündigung des Kohle- und Atomausstiegs, mehr Erdölförderung im Wattenmeer, neuerliche Debatten über Fracking.
Wer sich diesem Normalwahnsinn widersetzt, erntet weitere Tabubrüche. Klimakanzler Olaf Scholz greift zum Nazivergleich, als ihn im Mai Klimaaktivist*innen bei einer Veranstaltung auf dem Katholikentag konfrontieren. Wenig später beginnt das Gespenst der »Grünen RAF« durch die bürgerlichen Medien zu geistern, bei Springer wird inzwischen ganz offen über Gewalt gegen Protestierende diskutiert. In Bayern werden Aktivist*innen nach einem umstrittenen Paragrafen des bayerischen Polizeigesetzes ohne Verfahren eingesperrt, die CDU will nun gar prüfen lassen, ob es sich um eine »kriminelle Vereinigung« handelt.
Angesichts der Wucht dieser Reaktionen scheint die Klimabewegung selbst ein wenig ratlos. Zwar sind aus zwei Jahren pandemiebedingter »Bewegungsquarantäne« heraus etliche neue Kämpfe und Formate entstanden, darunter die Universitätsbesetzungen der Gruppe End Fossil Occupy, die Hafenblockaden von Ende Gelände, die Initiative Debt for Climate, die Besetzung in Lützerath und die Aktionen der Letzten Generation. Doch gerade in Krisenzeiten stößt die Strategie, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen auf politische Entscheidungsprozesse einzuwirken, an ihre Grenzen. Es ist das Thunberg-Paradox: Letztendlich lassen sich die Widersprüche eines auf Zerstörung basierenden Wirtschaftssystems nicht einfach durch Appelle an die Vernunft der Regierenden überwinden. Doch um ihre Forderungen im Ernstfall auch gegen den Widerstand mächtiger Wirtschaftsinteressen durchsetzen zu können, fehlt der Klimagerechtigkeitsbewegung meist der Machthebel. In einem Streitgespräch in der Zeitschrift Luxemburg konstatierte die Aktivistin Franziska Heinisch jüngst: »Inzwischen ist klar: Es fehlt uns an Machtressourcen und an einer Verankerung jenseits aktivistischer Kreise.«
Sphären und Kämpfe
Eine effektive Strategie wäre deshalb darauf ausgerichtet, die Bewegung zu befähigen, möglichst umfassend in Prozesse fossiler Kapitalakkumulation einzugreifen und auf diese Weise sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen Kosten einer Nichtreaktion in die Höhe zu treiben. Das kann sie auf verschiedene Arten tun: durch Konsum-, Reproduktions-, Zirkulations- und Produktionskämpfe.
Konsumkämpfe zielen darauf ab, wirtschaftliche und politische Entscheidungen durch kollektive Konsumentscheidungen zu beeinflussen, also beispielsweise Kampagnen für umweltbewusste Reiseentscheidungen oder vegane Ernährung. Insbesondere in der bürgerlichen Umweltbewegung stehen Konsumkämpfe oft im Mittelpunkt, wohl auch weil dieser Ansatz gut mit einem liberalen Menschenbild kompatibel ist, das Individuen hauptsächlich in ihrer Rolle als Konsument*innen sieht. Das heißt aber nicht, dass der Streik der Konsument*innen – der Boykott – nicht auch für die radikale Umwelt- und Klimabewegung eine Rolle spielen kann. Ein historisches Beispiel ist der breit getragene Boykott gegen Shell und dessen Umgang mit der Ölplattform Brent Spar in den 1990er Jahren, der für den Ölkonzern zum Desaster und zu Umsatzeinbußen von mehr als 20 Prozent führte.
Die Widersprüche eines auf Zerstörung basierenden Wirtschaftssystems lassen sich nicht einfach durch Appelle an die Vernunft der Regierenden überwinden.
Reproduktionskämpfe beziehen sich auf die Ebene der sozialen Reproduktion, etwa in der Fürsorge, Ausbildung und Betreuung von Menschen oder der Pflege von Ökosystemen. Viele dieser Bereiche sind direkt von den Folgen der Klimakrise betroffen und deshalb zu wichtigen Schauplätzen der Klimabewegung geworden. Der Schulstreik etwa »bestreikt« mit Schule und Familie gleich zwei der wichtigsten Institutionen der sozialen Reproduktion. Die Logik ist bestechend: Warum sollten wir uns weiter an der Aufrechthaltung einer Gesellschaftsordnung beteiligen, die es nicht einmal schafft, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten? Besonders spannend wird es auch dann, wenn der Klimabewegung der Bezug zu anderen sozialen Reproduktionskämpfen gelingt, wie im Rahmen der Krankenhausstreiks in Berlin und Nordrhein-Westfalen.
Zirkulationskämpfe nehmen die Zirkulation von Kapital oder von Gütern in Angriff. Ersteres geschieht in der Klimabewegung vor allem durch Divestment-Kampagnen, die fossilen Firmen und Projekten den Zugang zu Kapital zu erschweren versuchen, letzteres in Form von Blockaden und Sabotage. Gelegentlich beziehen sich beide Aspekte auch aufeinander. So kämpft die Stop-Adani-Kampagne im australischen Queensland seit Jahren gegen ein geplantes riesiges Steinkohlebergwerk. Inzwischen haben die Aktivist*innen erwirkt, dass zahlreiche wichtige Banken und Versicherungen das Projekt nicht mehr unterstützen. Gleichzeitig kommt es vor Ort auch immer wieder zu Blockaden der Baustelle, was zu massiven Problemen und Verspätungen für den Betreiber Adani führt.
Auch in der Klimabewegung in Deutschland ist die Blockade ein beliebtes Mittel, beispielsweise die Störung von Kohlebahnen oder fossiler Infrastruktur durch Ende Gelände oder die Straßenblockaden von Extinction Rebellion und Letzte Generation. Die Vorteile solcher Aktionsformen liegen auf der Hand: Wer die Engpässe für Kapital- und Warenflüsse (inklusive der Ware Arbeitskraft) geschickt analysiert und an der richtigen Stelle angreift, kann mit nur wenig Aufwand und einer kleinen Gruppe von Menschen eine maximale wirtschaftliche Hebelwirkung erzielen. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass sich Zirkulationskämpfe oft relativ einfach durch staatliche Repression befrieden lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn Aktionen nicht in größere gesellschaftliche Proteste eingebunden sind und nur einen geringen gesellschaftlichen Rückhalt genießen.
Produktionskämpfe wie Streiks, Fabrikbesetzungen oder Sabotage drehen sich um die Fragen: Was wird wann von wem unter welchen Bedingungen produziert? Das sind auch für die Klimabewegung elementare Fragen, schließlich ist es die Sphäre der Produktion, auf die ein Großteil der klimaschädlichen Emissionen entfällt. Insgesamt tut sich die Klimabewegung aber gerade auf dieser Ebene noch schwer. Das ist kein Zufall, denn die Arbeiter*innen, die im fossilen Kapitalismus besonders strategische Positionen einnehmen – also etwa jene in der Kohle-, Öl- oder Autoindustrie –, sind natürlich auch jene, die nominell am meisten vom fossilen Status quo profitieren. In einigen Fällen konnte die Klimabewegung aber auch hier Durchbrüche erzielen: In München kämpften Aktivist:innen und Beschäftigte letztes Jahr gemeinsam für den Umbau eines schließungsbedrohten Bosch-Werks, in Wolfsburg ging es dieses Jahr an der Seite von Anwohner*innen und Beschäftigung gegen den Bau der neuen Trinity-Autofabrik.
Klimastreik 2.0?
Offensichtlich mangelt es der Klimabewegung also nicht an einem breiten Repertoire an verschiedenen disruptiven Taktiken, sondern eher an deren effektiver Koordination und der Einbettung in eine Strategie. Gebündelt werden könnten die verschiedenen Taktiken zum Beispiel in einer Art Klimastreik 2.0 – Boykott, Blockade und Streik zugleich. Dass eine Kombination dieser disruptiven Aktionsformen nicht zwingend zu einem Verlust der öffentlichen Sympathie führen muss, zeigen die Erfahrungen im Hambacher Forst 2018. Auch nachdem die Medien von Sabotage redeten, sprachen sich immerhin 83 Prozent der Deutschen für den Erhalt des Waldes aus – wahrscheinlich auch dank der Einbettung der Besetzung in einen breiten zivilgesellschaftlichen Protest, Divestment-Kampagnen, Großdemonstrationen, Waldspaziergänge und anderen niedrigschwelligen zivilen Ungehorsam.
Umfassendere Forderungen wie die Vergesellschaftung und Demokratisierung der Wirtschaft, Klimagerechtigkeit und internationale Solidarität werden sich jedoch auch bei bester Koordination nicht allein von Klimaaktivist*innen erstreiken lassen. Hier braucht es jenseits von Boykotts und Blockaden auch breitere (nationale und internationale) Streikbündnisse.
Eine wichtige Forderung der Bewegung könnte hierzulande deshalb die explizite Legalisierung des politischen Streiks werden. Diese wäre eine Voraussetzung für einen wirklich effektiven Klimastreik 2.0. Denn solange der politische Kapitalstreik in Deutschland legal und legitim, der politische (Klima-)Streik der Beschäftigten aber effektiv verboten bleibt, werden sich die grundlegenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nur schwer verschieben lassen.