Gibt es schon Frühstück und wo ist die Polizei?
Im Dannenröder Wald wollen Klimaaktivist*innen den Ausbau der A49 verhindern, aber auch eine Alternativgesellschaft vorleben
Von Sal Paradise
Seit September 2019 ist der Dannenröder Forst zwischen Stadtallendorf und Dannenrod in Mittelhessen besetzt. Klimaaktivist*innen wollen damit die Rodung einer Trasse durch das Trinkwasserschutzgebiet verhindern, die für den Ausbau der Autobahn A49 benötigt wird. Am 1. Oktober 2020 begannen die Rodungsarbeiten, die für den Weiterbau der Autobahn notwendig sind. Andere besetzte Waldstücke auf der geplanten Route wurden bereits geräumt und teilweise gerodet. Während diese ak-Ausgabe produziert wurde, begann die Polizei mit der Räumung des Dannenröder Waldes. Unser Autor beteiligt sich an den Besetzungen im »Danni«.
Ein Ort, an dem ein Kampf ausgetragen wird« – so schlicht beschrieb einer meiner Genossen unsere neue Wahlheimat im Dannenröder Wald. Wir sprachen gerade über das frühe Aufstehen. Die Zeit zwischen Erwachen und dem Verlassen des Bettes sei die einzige Nische, in der wir vor dem Leistungsdruck des Kapitalprozesses Zuflucht finden können. Es sei daher subversive Pflicht einer jeden Revolutionär*in, diese so oft wie möglich auszukosten, statt pünktlich auf der Arbeit zu erscheinen. »Aber«, fuhr mein Compañero fort, »dies ist ein Ort, an dem ein Kampf ausgetragen wird. Ich befürchte also, es lässt sich hier durchaus für’s frühe Aufstehen argumentieren.« Ich habe ihn nur an sehr wenigen Tagen vor zwölf Uhr von seinem Baumhaus herunterkommen sehen: an den Tagen, an denen die Polizei im Wald war.
Tatsächlich ist das Leben im Wald ganz anders als »da draußen«. Manch eine*r im Wald nennt es gar eine Alternativgesellschaft, die wir dort vorleben. Das halte ich für eine radikale Fehleinschätzung. Aber ich greife vor. Ich sitze nun vorläufig wieder »da draußen« an meinem Laptop. In gemauerten vier Wänden mit Ölheizung und einem trockenen Schlafplatz. Hier habe ich für das Zeit, was im Wald nur ausnahmsweise abends am Lagerfeuer möglich war: das Erlebte auf den Begriff zu bringen.
Ankunft: Wer ist hier verantwortlich?
Obwohl ich bereits aus dem Hambi und der Arbeit in Politgruppen mit den gängigen Organisationsformen der aktivistischen Szene vertraut bin, überkam mich bei der Ankunft meiner Bezugsgruppe in einem der Baumhausdörfer, die Barrios genannt werden, ein seltsamer Reflex. Der Reflex desjenigen, der in der bürgerlichen Gesellschaft sozialisiert wurde und nun auf Ansätze einer anderen Form von Vergesellschaftung stößt: die Suche nach einem Verantwortlichen. Ich hätte diesem viele Fragen stellen wollen: Darf ich hier im Barrio schlafen? Wo kann ich meine Sachen ablegen und wie kann ich helfen? Ich wusste aber bereits, dass es keinen Verantwortlichen gibt. So landeten meine Sachen vorläufig im Materialbaumhaus, und ich bekam einen Überblick über einige Bauprojekte, anstehende Reproduktionsaufgaben sowie Namen, nach denen ich fragen könne. Für die Schlafplatzsuche wurde ich auf die Barrio-Runde am Abend verwiesen.
Als ich etwas später einen Menschen fragte, wann denn das Plenum sei, geriet ich mitten hinein in eine Debatte, inwiefern das Leben hier anders ist. Das abendliche Zusammenkommen sei kein Plenum, sondern schlicht eine Austauschrunde. Der Hintergrund ist folgender: Ein Plenum ist dieser Auffassung nach eine Struktur, die quasi Regierungsgewalt ausübt. Sie trifft verbindliche Entscheidungen für das ganze Barrio – vornehmlich in Mehrheitsentscheiden oder, wo möglich, im Konsens und unter Vorbehalt eines Veto-Rechtes. In der politischen Theorie würde man vielleicht von einem Rat sprechen. Das gerade sei aber eine – wenngleich fortschrittliche – Form von Herrschaftsausübung. Schließlich werde dort die imaginäre Einheit »das Barrio« konstruiert, die dann im Namen aller entscheiden darf. Stattdessen solle es nur eine Austauschrunde geben, in der die gerade Anwesenden das, was sie ohnehin tun oder zu tun gedenken, miteinander koordinieren. Der »Verein freier Menschen« also?
In der Barrio-Runde am Abend wurde dann geschaut, welche gemeinsamen Aufgaben (Wasser holen, Essen machen, Aufräumen, Nachtwache, Verantwortlichkeit für die Funke…) für den nächsten Tag noch von niemandem übernommen wurden und welche Schlafplätze gerade frei sind. Außerdem gab es Raum für Ankündigungen und für Diskussion zu strittigen Themen. Zu keinem Zeitpunkt war aber Thema, ob ich denn hier schlafen dürfe, ob ich ein Anrecht auf das Abendessen habe, ob ich jetzt offiziell Teil des Barrios sei oder ob ich die Baumaterialien und Ähnliches benutzen dürfe.
Bereits die ersten Tage im Wald waren ein Erlebnis der ungeheuren Selbstermächtigung: Niemand schreibt dir vor, was du zu tun hast.
Der instinktive Einwand gegen diese Form von Selbstverwaltung – und was, wenn jemand partout nicht kooperieren will? – bleibt gleich doppelt abstrakt. Einerseits kommen in diesem Wald Menschen zusammen, die ein gemeinsames Ziel eint und die trotz aller politischen Differenzen recht homogene Vorstellungen vom Zwischenmenschlichen haben. Radikale Meinungsverschiedenheiten treten selten auf. Andererseits aber – und das wiegt schwerer – haben die Menschen innerhalb einer solchen Struktur auch schlicht ein unmittelbares Interesse an der Kooperation. Auch ich möchte, dass abends Essen im Barrio ist, auch ich möchte Baumaterialien nutzen können und irgendwo schlafen. Der Unterschied zwischen eigennützigem und kooperativem Verhalten beginnt in einer solchen Form des Zusammenlebens zu verschwimmen.
Es lässt sich also durchaus im strengen Sinne von einer anarchistischen Organisationsform sprechen. Es gibt keine Regierung, keine Zentralverwaltung des Waldes. Entscheidungen werden auf verschiedenen Ebenen (Bezugsgruppe, Barrio, Wald) von denjenigen getroffen, die davon betroffen sind, und es gibt keine formalen Hürden, an jeder Entscheidung beteiligt zu sein. Andererseits handelt es sich interessanterweise eindeutig nicht um eine Organisation von Anarchist*innen. Von Anhänger*innen der parlamentarischen Demokratie sozialdemokratischer oder grüner Couleur über libertär-kommunistische Vertreter*innen einer Rätedemokratie bis hin zu radikalen Anarchist*innen ist vieles vertreten. In der alltäglichen Organisation des Zusammenlebens und im Protest kommen aber alle in dezentraler Selbstverwaltung überein. Für manche Anarchist*innen eine neue Form der »Propaganda der Tat«: Wenn das hier funktioniert, warum sollte das nicht überall funktionieren?
Zu dieser anarchistischen Vergesellschaftung gehört auch eine spezifische Eigentumsstruktur. Es gibt im Kern zwei Formen: persönliches und kommunales Eigentum. Grundsätzlich gehört alles denjenigen, die es gerade benutzen oder brauchen. Daneben gibt es persönliche Dinge wie Kleidung, eigene Klettergurte etc., die zumeist in persönlichen Rucksäcken gelagert werden. Wer davon etwas braucht, hat zu fragen. Geld aus Spenden oder eigener Lohnarbeit fließt stets dorthin, wo es gebraucht wird. Natürlich kommt es dabei zu Konflikten, aber zumindest in meiner Zeit im Dannenröder Wald nicht zu grundlegendem Streit.
Alltag: Klettern, Bauen, Blockieren
Von den großen Fragen war ich morgens wieder auf die kleinen zurückgeworfen: Gibt es schon Frühstück? Ich hatte mangels Klettererfahrung auf einem Baumhaus geschlafen, das per Leiter erreichbar war, und war nun offenbar mit als Erster wach. Damit war es dann auch an mir, Frühstück aus dem Küchen-Baumhaus zu holen und zur Feuerstelle zu bringen. Dabei fand ich einen kleinen Espressokocher, der mir zur nötigen Motivation verhalf, auch gleich das Feuer in Gang zu kriegen.
Meine Bezugsgruppe und ich waren schon vorher mit dem festen Plan in den Wald gefahren, irgendetwas bauen zu wollen. Leider wussten wir überhaupt nicht wie, geschweige denn, wie wir einen Baum hochkommen. Beim Frühstück, an dem nun immer mehr Menschen teilzunehmen begannen, fragte ich also in die Runde, ob irgendwer uns eine kleine Klettereinführung geben könne. »Klar, kann ich machen«, antwortete jemand, der im Klettergurt im Frühstückskreis saß. Ein paar andere Menschen bekundeten sogleich Interesse, auch in die Grundlagen der Kletterkunst eingeführt zu werden.
Die nächsten Tage verbrachten wir also viel Zeit damit, mehr oder weniger grazil ein Seil herauf- und herunterzuklettern. Nebenbei werkelten wir an unserem kleinen Baumhausprojekt: Bauholz schleppen, Baumstämme entrinden, Flaschenzug improvisieren und Polyprop-Seile von anderen Baustellen zusammensammeln. Bereits diese ersten Tage waren ein Erlebnis der ungeheuren Selbstermächtigung: Niemand schreibt dir vor, was du zu tun hast. Aber noch viel wichtiger: Überall sind Menschen, die etwas mit dir zusammen tun wollen. Plötzlich erscheint alles machbar, alles erlernbar. So traute ich mir nun zu, den Baum hochzuklettern und die Baumstämme einzubinden, also das Fundament für unser Baumhaus zu legen. Es stellte sich zwar heraus, dass ich kein besonderes Talent für Knoten habe, dennoch waren wir nach drei weiteren Tagen fertig mit der Plattform. Stolz standen wir vor dem vorläufigen Produkt unserer Arbeit.
Das Bauen füllte den größten Teil des Tages, aber es gab selbstredend etliche Reproduktionsaufgaben zu erledigen.
Dieses Gefühl der Selbstermächtigung, der Vergegenständlichung in einem Ding vor mir, eröffnete zuweilen den Blick auf die Geschichtlichkeit der Dinge um uns herum. Auf einmal sieht man kein fertiges Baumhaus mehr, man sieht die einzelnen Bretter, die dort mühsam vernagelt wurden, die Stämme, die dort hochbalanciert wurden, den schlecht eingeschlagenen Nagel oder die nachgeschliffene Unebenheit in der Plattform, die darauf hindeuten, dass hier Frust und Schweiß reingesteckt wurden. Aber plötzlich sieht man auch kein Auto mehr an der Mahnwache stehen, sondern einzelne Metallplatten, die in riesigen Pressen angefertigt wurden, Menschen, die in Minen arbeiten, LKWs fahren und von Geschäftskunde zu Geschäftskunde hetzen.
Das Bauen füllte den größten Teil des Tages, aber es gab selbstredend etliche Reproduktionsaufgaben zu erledigen, Workshops, Lesekreise oder Skillshares zu besuchen oder zu veranstalten und Gitarre am Feuer zu spielen. Kurz: Es gab einen Alltag zu führen. Aber der fühlte sich nicht alltäglich an. Er stand ständig auf der Kippe, das Damoklesschwert der Räumung hing über allem, was wir taten.
Diese ständige Bedrohung gab dem Leben eine seltsam flüchtige Schönheit. Jeder Kraftakt beim Bau von Strukturen wurde durchgezogen in dem Bewusstsein, dass alles bald schon wieder zerstört sein könnte. Jede Nacht am Lagerfeuer wurde genossen im Wissen darum, dass es die letzte sein könnte. Und trotzdem offenbarten sich jeden Tag neue, kleine Details, die das Waldleben lebenswerter machten: Vorhänge für das Baumhaus, kleine Kunstwerke am Wegesrand, alberne Kostüme.
Die Bedrohung äußerte sich aber auch in einer Belastung, einem Grund-Stresspegel. Jede Nacht wurden Nachtwachen verteilt, die äußeren Strukturen wie dreibeinige Türme (Tripods), hängende Plattformen (Skypods) und Barrikaden besetzt und morgens gespannt auf die ersten Funksprüche und Twitter-Nachrichten gewartet. Wenn dann die Cops tatsächlich in den Wald kamen, herrschte angespannte Aufregung. Menschen sammelten sich in ihren Bezugsgruppen, um zum Ort des Geschehens zu gehen, Maschinen und Wege mit ihren Körpern zu blockieren, Strukturen zu besetzen und Werkzeuge und Klettermaterialien vom Boden auf die Baumhäuser zu bringen.
Die Logik der Blockade basiert darauf, sich selbst in Gefahr zu bringen und die Menschen, die das zerstörerische Projekt durchziehen wollen oder meinen, es zu müssen, vor eine Wahl zu stellen: Gewalt anzuwenden, um die Zerstörung durchzusetzen oder aufzugeben. Dabei verlassen wir uns darauf, dass diese Menschen – Polizei, Werksschutz, Forstarbeiter*innen – uns nicht einfach umbringen. Ein geschichtlich hart erkämpftes Privileg, politische Kämpfe überhaupt auf diese Art führen zu können. Befreundete Aktivist*innen aus Argentinien meinten dazu: »Zuhause würden sie dich auslachen, wenn du dich auf einen Tripod setzt. Wie soll die das aufhalten? Die können das Ding doch einfach mit dir drauf abreißen.«
»Bürgis« und »Supportis«
Erst nach drei Tagen ging ich das erste Mal zu der nahe gelegenen Mahnwache in Dannenrod. Dort engagieren sich die Menschen, die vor Ort wohnen und zum Teil bereits seit Jahrzehnten gegen die Autobahn kämpfen. Bei meinem ersten Besuch dort bestand die Mahnwache nur aus einem kleinen Pavillon und einem Baucontainer. Nach dem Rechtsstreit um das angemeldete Camp und der »Schlafen gegen Schlafverbote«-Demo auf der B62 Mitte September entstand das Protestcamp: große Bühne, Materialzelte, Sanitäter, Küfa (Küche für alle) und Platz zum Zelten. Dort ging ich in meinen Wochen im Wald regelmäßig hin für eine kurze Pause vom Waldleben, um Kaffee zu trinken und mit Menschen zu sprechen, die die Besetzung unterstützen, aber nicht im Wald wohnen. Von den Menschen im Wald zuweilen »Bürgis« oder »Supportis« genannt.
Diese Bezeichnung – obgleich nicht ganz Ernst gemeint – drückt doch eine gewisse Distanz zwischen Besetzer*innen und den eher bürgerlichen Teilen der Bewegung gegen die A49 aus. Handfest lässt sich diese Distanz bei den sonntäglichen Waldspaziergängen erfahren: Jeden Sonntag ist der Wald voll mit interessierten Menschen, die Kuchen, Materialien und nette Worte vorbeibringen oder einfach nur schauen wollen. Nicht nur eine meiner Mitstreiter*innen ließ verlauten, dass sie sich sonntags ein wenig wie im Zoo fühlt – nur ohne Zäune und, vielleicht wegen Corona, ohne Streicheln, aber mit Füttern.
Aber Spaß beiseite, ich sehe darin ein ernsthaftes Problem. Was hat zum Beispiel das Wendland so stark gemacht? Der gemeinsame Widerstand der lokalen Bevölkerung und klassisch aktivistischer Kreise. Zugegeben, auch die Waldbesetzung wäre jetzt schon unmöglich, wenn es diesen gemeinsamen Widerstand nicht gäbe. Aber wir müssen ihn intensivieren. Ansätze dazu gibt es: Die Bürgerinitiative besetzt seit einiger Zeit recht regelmäßig Straßen in und um Homberg (Ohm). Und im Maulbacher Wald, der erst kurz vor der Rodung besetzt wurde, war die Zusammenarbeit zwischen Anwohner*innen und Aktivist*innen sehr eng. Dort entstehen Bindungen über die Grenzen sozialer Gruppen hinaus – und die sind für den Kampf um den Erhalt des Waldes und für die Verkehrswende wichtig, für den um eine neue Gesellschaft ohnehin.
Das Private ist politisch
Dass es dieser Bewegung in der Tat nicht nur um den Erhalt des konkreten Waldes geht, macht das komplexe zwischenmenschliche Leben im Wald deutlich. Ein Compañero beschrieb das als den größten Gewinn aus seiner Zeit im Wald: »Hier kann ich lernen, auch in heftigen Stresssituationen noch einen feinen Sinn für das Soziale zu bewahren: Wie geht es den Menschen um mich herum? Wie geht es mir? Und wie können wir uns bestmöglich umeinander sorgen?«
So gibt es im Wald zum Beispiel eine »Awareness«-Struktur: Menschen, die an einer Armbinde zu erkennen sind und bereit sind, sich emotional um Menschen zu kümmern, die das grade brauchen. Konkrete Hilfe bei einem Problem, ein offenes Ohr oder einfach ein gemeinsamer Tee fernab des alltäglichen Trubels. In fast jedem Barrio findet sich dafür auch ein »Awareness-Space«: ein Ort, an dem Menschen sich zurückziehen können. Dazu gehören auch die permanenten Bemühungen um ein Zusammenleben frei von Hierarchien und Diskriminierungen. Ob sprachpolitische Maßnahmen, Workshops zu patriarchalen Strukturen in unseren Kreisen, Runden von kritischer Männlichkeit oder kritischem Weißsein – die Bemühungen, sich eigener Privilegien bewusst zu werden und Diskriminierungen abzubauen, sind enorm. Zuweilen schlägt diese Anstrengung vielleicht auch wieder in eine etwas verkrampfte Atmosphäre um. Eine Genossin regte sich bei einem abendlichen Bier außerhalb des Barrios auf: »Mensch, manchmal haben die hier aber auch alle ’nen Stock im Arsch! Mensch tritt eben auch mal in ein Fettnäpfchen, dann entschuldigt mensch sich und gut ist.«
Auf der anderen Seite sind mit diesen Bemühungen längst nicht alle Konflikte aus der Welt. Insbesondere das Patriarchat macht uns zu schaffen. Nachdem Beschwerden von FLINTA-Menschen (Frauen, Lesben, Inter, Trans, A-Gender), dass Kochen, Abwaschen und Aufräumen zu oft an ihnen hängen bleiben, ungehört blieben, gab es kurzerhand einen FLINTA-Streik. An diesem Tag weigerten sich alle FLINTA-Menschen, Aufgaben der Reproduktion zu übernehmen. Und in der Tat lief diese an diesem Tag sehr schleppend.
Perspektive: Wie weiter?
Die Klimagerechtigkeitsbewegung kann – wenn wir erfolgreich sein und unsere Lebensbedingungen erhalten wollen – nur den Kampf gegen den Kapitalismus führen. Entgegen dem Gerede von »grünen Investitionen«, »innovativen Technologien« und Marktinstrumenten wie CO2-Steuer und Zertifikatehandel muss die Ausrichtung am Profit zwangsläufig zu einer immer größeren absoluten Warenproduktion führen. So beobachten wir trotz vieler neuer, effizienter Technologien nur einen steten Anstieg des Ressourcenverbrauchs, was auch eine größere Produktion an Abfallstoffen bedeutet.
Und diese Warenflut muss irgendwie vom Produktionsort zur Konsument*in gebracht werden – womit wir mitten im Dannenröder Wald wären. Es ist ja in der Tat ein reales Problem, das die Anwohner*innen mit der LKW-Plage haben. Aber dieses lässt sich nicht lösen, indem immer nur mehr Straßen gebaut werden. Die Transportleistung im wichtigen Transitland Deutschland steigt jedes Jahr. Wollen wir in zehn Jahren noch die A491 und A493 bauen, wenn wieder alles voll mit LKWs ist? Nein, wir müssen die Warenflut stoppen, den Güterverkehr auf die Schiene kriegen und den Individualverkehr in den ÖPNV. Das aber ist im Kapitalismus nicht konsequent möglich.
Das ist auch vielen in der Bewegung klar, bleibt aber meist unter dem Slogan »System Change not Climate Change« recht abstrakt. Ja, niemand hat einen Plan, wie denn eine Wirtschaft auf Basis des Bedarfs (und nicht mehr des Profits) konkret aussehen kann. Aber bietet das Leben im Wald dafür nicht Anhaltspunkte, wie jene meinen, die in der Besetzung gar das Modell einer Alternativgesellschaft erkennen?
Aber was uns im Wald offensichtlich zu einer Gesellschaft fehlt, ist eine Produktionssphäre.
In einem gewissen Sinne: natürlich. Aber was uns im Wald offensichtlich zu einer Gesellschaft fehlt, ist eine Produktionssphäre. Bis auf ein wenig Energie in Form von Solarzellen und geringe Mengen von Nahrungsmitteln wird nichts im Wald produziert. Diese Banalität muss bei allem Enthusiasmus über die Erfahrungen des gänzlich anderen Zusammenlebens im Wald klar sein. Natürlich lassen sich jede Menge Dinge aus dem Waldleben lernen, was Zwischenmenschliches, Eigentumsstrukturen und Ähnliches angeht. Aber ein »Modell« für ein besseres Leben finden wir dort nicht.
Außerdem kommen im Wald hauptsächlich akademisch geprägte, weiße, junge Menschen aus dem Kleinbürgertum zusammen. Wir sind keine Alternativgesellschaft, wir sind eine Subkultur. So ist es nicht verwunderlich, dass ich nach einem kurzen Aufenthalt zuhause bei meiner Rückkehr gefragt wurde, ob ich denn all meinen »Real-Life«-Kram erledigt hätte. Ja, leider ist »das echte Leben« tatsächlich da draußen.
Die Erfahrung des Waldlebens ist ungemein bereichernd und die Strukturen und Bindungen, die dort wachsen, bleiben hoffentlich über die Besetzung hinaus erhalten. Damit das was wird, und wir eine Chance haben, nicht nur den Wald zu erhalten, sondern unseren Planeten, muss aber Schluss sein mit der Romantisierung des Waldlebens, mit dem Charme des »Ein-Bisschen-Aussteigens« und der Alternativgesellschaft, die vom echten Leben getrennt bleibt. Es ist auch gar nicht um eine Alternativgesellschaft zu tun, sondern um eine neue Gesellschaft. Aber eine neue Gesellschaft aufbauen heißt: Raus aus der Wohlfühl-Bubble unserer Subkultur, rein in die Ortsbeiräte, konservativen Eckkneipen, migrantischen Arbeiter*innenviertel und Logistikzentren. Kurz: rein in die Auseinandersetzung. Denn die Gesellschaft – das ist ein Ort, an dem ein Kampf ausgetragen wird!