Nüchtern bleiben
Die Einsetzung einer Expert*innenkommission zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne in Berlin erinnert die gesellschaftliche Linke an die engen Grenzen staatlichen Handelns und populistischer Politik
Von Philipp Möller
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik prüft eine Expert*innenkommission Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen einer Vergesellschaftung privater Wohnungsunternehmen. Innerhalb eines Jahres erarbeitet sie eine Empfehlung an den Senat, der anschließend eine Entscheidung über die Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids Deutsche Wohnen und Co. enteignen fällt. Darauf verständigten sich SPD, Grüne und Linkspartei am 23. November in ihren Verhandlungen zur Bildung einer neuen Landesregierung in Berlin.
Die Initiative wertete den Beschluss in einer ersten Pressemitteilung als »Minimalkompromiss« und kritisierte den »Mangel an konkreten Zusagen zur Umsetzung der Vergesellschaftung«. Die Machbarkeit sei längst durch zahlreiche juristische Gutachten bestätigt. In einem Beitrag des trotzkistischen Netzwerks Marx21 heißt es: »Es geht bei der Frage nach der Umsetzung des Volksentscheids faktisch nicht mehr um die juristische Frage, sondern um den politischen Willen.« Die Forderung nach einer schnellstmöglichen Umsetzung der Vergesellschaftung ist nachvollziehbar und auch berechtigt, doch drohen die politischen Mehrheitsverhältnisse aus dem Blick zu geraten: Der Staat erscheint aus dieser Perspektive als griffiges Instrument zur Durchsetzung von Mieter*inneninteressen gegenüber dem Kapital. Demgegenüber kann ein Verständnis des Staates als Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, der als ideeller Gesamtkapitalist die optimalen Reproduktionsbedingungen der Kapitalakkumulation organisiert, zu einer besseren Einschätzung der aktuellen Situation beitragen.
Angekommen in der Realpolitik
Eine kritische Analyse der Logik und Grenzen staatlichen Handelns unter kapitalistischen Bedingungen wurde bisher im Rahmen der Kampagne nur wenig diskutiert. Das ist verständlich, schließlich galt es einen Volksentscheid zu gewinnen und eine Debatte um die Machbarkeit der eigenen Forderungen wirkt sicher nicht mobilisierend. Doch durch den erfolgreichen Ausgang des Volksentscheids tritt die Kampagne jetzt auf die Bühne des Staates und damit der Realpolitik. Bislang agierte sie erfolgreich auf dem diskursiven Feld und löste eine Debatte zu Enteignung und Vergesellschaftung aus, die bis weit hinein ins bürgerliche Lager reicht. Mithilfe einer populistischen Strategie und Organizing-Ansätzen bündelte die Initiative den diffusen Ärger über Wohnungsnot und Mietenexplosion im Volksentscheid. Im Gegensatz zum Mietendeckel hatte das erfolgreiche Plebiszit jedoch keinen Einfluss auf die Aktienkurse der börsennotierten Immobilienaktiengesellschaften. Auch nach dem Votum für Vergesellschaftung kaufte der Konzern Heimstaden munter weitere Wohnungen von Akelius in Berlin. Das Kapital scheint mit Blick auf die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse wenig Sorgen vor einer tatsächlichen Umsetzung des Volksentscheids zu haben.
Das Kapital scheint mit Blick auf die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse wenig Sorgen vor einer tatsächlichen Umsetzung des Volksentscheids zu haben.
Schließlich positionieren sich die beiden stärksten Parteien in der Koalition gegen eine Umsetzung des Volksentscheids. Die künftige Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und die Mehrheit ihrer Partei haben sich gegen die Vergesellschaftung ausgesprochen. Die Grünen sehen sie als letztes Mittel und wollen ein Vergesellschaftungsgesetz lediglich als Druckmittel nutzen, um die großen Wohnungskonzerne zu einem Bündnis mit sozialen Zugeständnissen zu zwingen. Die Kampagne wirbt momentan gezielt für eine Umsetzung der Vergesellschaftung bei der Parteibasis von Grünen und SPD. Mit dieser Strategie hat sie einige Achtungserfolge in Form von Beschlüssen einzelner Gliederungen und Fraktionen in den Bezirksverordnetenversammlungen erzielt, die zusätzlichen Druck auf die Parteiführung ausüben. Die herrschenden Cliquen in den Parteien sind durch diese Strategie jedoch nicht umzustimmen.
Die Linke, die sich als einzige Partei für die Umsetzung des Volksentscheids einsetzt, verlor bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus fast zwei Prozent ihrer Stimmen. Gemeinsam mit einzelnen Vertreter*innen der Grünen ist sie die Verbündete der Kampagne in der neuen Berliner Regierung. Als kleinste Koalitionspartnerin agiert sie dabei jedoch aus einer Position der Schwäche und trifft auf einen Staatsapparat, dessen Personal und Strukturen nicht auf die Umsetzung einer Vergesellschaftung ausgerichtet sind. Für politische Vorstöße sind die linken Kräfte in der Koalition auf den außerparlamentarischen Druck der Initiative angewiesen, deren Mobilisierungsstärke selbst einen gewissen Machtfaktor darstellt. Die Kampagne und die gesamte Berliner Mietenbewegung müssen sich jedoch die Frage nach ihrer tatsächlichen Kraft stellen lassen. Zwar hat das Volksbegehren hat eine Mehrheit von 59,1 Prozent der Berliner*innen hinter sich vereint. Doch es handelt sich eben nur um ein Beschlussvolksbegehren ohne rechtlich-bindende Wirkung und offenbar war das Votum für die Vergesellschaftung nicht ausschlaggebend für das sonstige Stimmverhalten der Wähler*innen. Es ist unklar, wie viele Unterstützer*innen sich wirklich eine Vergesellschaftung wünschen und wie viele nur eine sozialere Wohnungspolitik wollen. Die SPD konnte parallel zur Expertenkommission ein Bündnis mit den privaten Wohnungskonzernen im Koalitionsvertrag festschreiben, was die Aussichten auf deren Enteignung deutlich schmälert.
Expert*innen in die Kommission!
Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage sind die Einrichtung der Expertenkommission und ihr Auftrag zu bewerten. Dabei ist es ein Erfolg der Linken-Verhandler*innen, dass die Kommission in einem ersten Schritt nicht nur die Verfassungskonformität einer Vergesellschaftung untersucht, sondern auch rechtssichere Wege einer Vergesellschaftung benennen und rechtlich bewerten soll. Zwar haben sowohl die Kampagne als auch die Linkspartei eigene Vorschläge für ein Vergesellschaftungsgesetz auf den Tisch gelegt. Angesichts der desaströsen Urteile zum Mietendeckel und der bisherigen Praxis des Vorkaufsrechts ist eine gründliche juristische Prüfung einer Vergesellschaftung jedoch durchaus angebracht. Sollte ein wohnungspolitisches Experiment erneut scheitern, dürfte das der gesellschaftlichen Linken teuer zu stehen kommen. Insofern gilt es, bei der personellen Besetzung der Kommission, die unter Beteiligung der Initiative erfolgen soll, tatsächlich die besten Expert*innen zu berufen, die auch die Fallstricke des Vorhabens schonungslos benennen. Politische Ideologie hilft auf diesem Terrain nicht weiter.
Im weiteren Schritt betrachtet die Kommission wohnungswirtschaftliche, gesellschaftsrechtliche und finanzpolitische Aspekte des Vorhabens und erarbeitet eine Empfehlung an den Senat. Auf Basis der Empfehlungen sollen die zuständigen Senatsverwaltungen im Jahr 2023 »gegebenenfalls« Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vorlegen. Bereits am Tag nach der Wahl forderte Franziska Giffey »eine sehr, sehr ernsthafte Prüfung über Rechtsmäßigkeit, Verfassungsmäßigkeit, Finanzierbarkeit und die Folgen, die das für das Land Berlin hat«. Es ist absehbar, dass in der zweiten Prüfungsphase auch die Folgen einer Vergesellschaftung für den Wirtschaftsstandort Berlin sowie wohnungspolitische Alternativen diskutiert werden.
Vermieter*innen- und Wirtschaftsverbände warnen bereits seit Beginn des Volksbegehrens vor Unsicherheiten und dem Rückgang von Investitionen. Zwar wird dieser Einwand gegen jeden Eingriff in die Kapitalverwertung ins Feld geführt. Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist kann sich dieser Warnung jedoch nicht vollends entziehen, schließlich muss er die gesamtgesellschaftliche Reproduktion als Bedingung für ein reibungsloses Funktionieren der Wirtschaft sicherstellen. Dafür benötigt er die Steuereinahmen einer florierenden Ökonomie. Gleichzeitig ist er auch dafür verantwortlich, ausreichend Wohnraum für die Bevölkerung bereitzustellen. Welche politischen Maßnahmen er dafür ergreift ist abhängig von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und ökonomischen Rahmenbedingungen. In der Geschichte intervierte der Staat in die private Wohnraumversorgung nur während tiefgreifender Krisen, etwa nach den beiden Weltkriegen. Das Sondierungspapier der rot-grün-roten Koalitionspartner weist dagegen mit dem dort vereinbarten Prinzip einer »Kooperation statt Konfrontation« mit den privaten Wohnungsunternehmen in eine gänzlich andere Richtung.
Die Aktiven aus der Kampagne sprachen sich trotz Kritik an der Expert*innenkommission mehrheitlich für die Teilnahme an ihr aus. Das ist strategisch sinnvoll, schließlich wäre eine voreilige Absage in der Öffentlichkeit nur schwer zu erklären. Zudem bietet die Kommission, die mit einer eigenen Geschäftsstelle ausgestattet wird und deren Zwischenstände transparent gemacht werden sollen, der Kampagne eine Bühne für ihr Anliegen und ihre Kritik am Senat. Sollte die Kommission tatsächlich Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz vorlegen, dürfte das den Handlungsdruck auf die politischen Verantwortlichen im Senat deutlich erhöhen. Zusätzlich muss die politische Mobilisierung aufrechterhalten und die Kampagne in den Kiezen verankert werden. Nur wenn sich ein breites gesellschaftliches Bündnis nicht mit Formelkompromissen abspeisen lässt, sondern die Vergesellschaftung offensiv einfordert, kann die Umsetzung des Volksentscheids gelingen. Das Thema Vergesellschaftung wird Berlin also noch eine ganze Weile auf Trab halten.