Der O-Platz lebt
Für das Recht, den Ort in Berlin-Kreuzberg zur Selbstorganisation zu nutzen, müssen geflüchtete Aktivst*innen immer wieder neu streiten
Von Kofi Shakur
Für fast eine Woche hielt Napuli Langa im September unterstützt von einer Gruppe Aktivist*innen und Unterstützer*innen den symbolträchtigen Baum am Oranienplatz in Berlin Kreuzberg besetzt, auf dem sie bereits 2014 mehrere Tage verbrachte. Damals protestierten sie und einige andere nach der Räumung des ehemals besetzten Oranienplatzes gegen die Methoden des Berliner Innensenators Frank Henkel (CDU) und der grünen Bezirksregierung von Friedrichshain-Kreuzberg.
2012 hatten Geflüchtete nach einem Protestmarsch, der in Würzburg begann, den Oranienplatz und wenig später die bis dahin leerstehende Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße besetzt. Sie demonstrierten damit gegen die untragbaren Lebensbedingungen im deutschen Asylsystem. Die entmündigenden Beschränkungen dieses Systems äußerten sich unter anderem in der Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die Residenzpflicht und durch ein Gutscheinsystem, das Geflüchtete selbst beim Einkauf ihres täglichen Bedarfs keine Entscheidungsfreiheit zuließ.
Der O-Platz wie auch die Schule wurden fortan zum Symbol für selbstorganisiertes Zusammenleben. Dabei ermöglichte die Selbstorganisation etwa das Entstehen der Gruppe International Women’s Space, die sich zuerst auf einer Etage in der besetzten Schule zusammenfand, um gemeinsam rassistische und patriarchale Unterdrückung zu bekämpfen und bis heute aktiv ist.
Der Berliner Politik gelang es 2014 schließlich, einen Teil der Geflüchteten zur Räumung des Platzes zu überreden. Im Gegenzug war ihnen eine wohlwollende erneute Überprüfung ihrer Asylanträge versprochen worden. Die freiwillige Räumung nahm die Polizei zum Anlass, das gesamte Camp am O-Platz dem Erdboden gleich zu machen. Danach waren Napuli Langa und einige andere auf den Baum geklettert, um so gegen die Räumung zu protestieren. Sie hielt damals als einzige mehrere Tage durch, während die Polizei verhinderte, dass sie Essen oder Trinken erhielt. Auf der gegenüberliegenden Seite des O-Platzes begannen Bino Byansi Byakuleka und Turgay Ulu, die beide ebenfalls Teil der Oranienplatz-Besetzung waren, einen Hungerstreik, und schlossen sich so dem Protest an. Zuletzt wurde zwischen dem Bezirk und einer weiteren Person eine Abmachung getroffen, die ein Sondernutzungsrecht des O-Platzes als Informationspunkt für den Geflüchtetenprotest garantierte und ermöglichte, erneut ein großes Zelt aufzustellen, das für Versammlungen genutzt werden konnte. Das Zelt wurde jedoch durch Brandstiftung zerstört, wie auch das ursprünglich als Kunstprojekt auf dem Tempelhofer Feld aufgestellte Haus der 28 Türen, das das Zelt für kurze Zeit ersetzte. Da weitere politische Arbeit so nicht mehr zu gewährleisten war und der Bau eines stabileren Gebäudes nicht genehmigt wurde, verlor der Oranienplatz als Raum der gemeinsamen Organisierung an Bedeutung. Die Genehmigung zur Nutzung des Platzes bestand jedoch weiterhin fort – so war die Annahme.
Als am 27. August dort eine Performance des Theater Aufbau Kreuzberg stattfinden sollte, bei der sich auch auf diese Abmachung berufen wurde, verwehrte die Polizei den Teilnehmenden allerdings die Erlaubnis. Einige Beobachter*innen brachten das mit der Tatsache in Verbindung, dass viele der Anwesenden Schwarz waren und schon von Beginn eine feindselige Haltung seitens der Polizei herrschte. Als Reaktion auf das Verbot der Veranstaltung kletterten Napuli Langa und ein afghanischer Aktivist auf den besagten Baum – neben der Forderung, den Platz wieder ungestört für den Protest der Geflüchteten nutzen zu können, ging es um die Rettung von Menschen aus Afghanistan und deren bedingungslose Aufnahme. Der Aktivist, der schon seit mehreren Jahren in Deutschland lebt, versucht etwa bereits seit einem Jahr, seine Familie nach zu holen. Wie er erzählt, mussten zwei seiner Schwäger wegen des Vormarsches der Taliban nach Iran fliehen, da sie für eine westliche Armee gearbeitet hatten.
Wie bereits in der Vergangenheit, gab es auch dieses Mal viel Solidarität und Anteilnahme. Entgegen den Bedingungen vor sieben Jahren konnten dieses Mal alle mit Decken, Planen gegen den Regen, genug Tee und Essen versorgt werden. Die ganze Zeit über waren Aktivist*innen des International Women’s Space vor Ort, um Napuli Langa zu unterstützen. Um mehr Aufmerksamkeit zu schaffen, gab es auch zwei Kundgebungen, organisiert von QuARC (Queers Against Racism and Colonialism) und Migrantifa. Zuletzt übertrug der Bezirk eine fast komplett identische Sondergenehmigung für eine Dauerkundgebung auf Napuli Langa. Einzig von einem Zelt ist wörtlich keine Rede. Die Aktivist*innen machten deutlich, dass sie sich eine Erweiterung der Abmachung um mehrere Personen wünschen, damit nicht alles von einer einzelnen Person abhängig ist. Dazu soll eine permanente Struktur errichtet werden, um Treffen oder Veranstaltungen zu ermöglichen, was der Bezirk 2016 zuletzt ablehnte. So endet der Protest auch mit der Aufforderung, den gewonnenen Raum gemeinsam zu nutzen, um sich zu organisieren. »Wir schreiben weiterhin unsere Geschichte am O-Platz«, heißt es in einer Pressemitteilung von International Women’s Space.