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Leerstelle einer Revolte

In Bangladesch haben Proteste im vergangenen Sommer die Regierung gestürzt – unklar bleibt die Zukunft der geflüchteten Rohingya im Land

Von Aljoscha Hartmann

Man sieht eine ärmliche Hütte, umgeben von etwas Grün.
In den Geflüchtetenlagern in Bangladesch sind nur temporäre Bambushütten wie diese hier erlaubt, obwohl sie seit 1991 existieren. Foto: Aljoscha Hartmann

Für viele Linke ist es selbstverständlich, Solidarität zu zeigen, wenn sich irgendwo auf der Welt eine indigene Gruppe oder Bevölkerung gegen ein Regime auflehnt. Prominente Beispiele gibt es genug, sowohl historisch als auch ganz aktuell. Solidarität ist dabei selbstverständlich und wird meist erst nach längeren Prozessen kritisch hinterfragt. 

Im zurückliegenden Sommer gab es auch einen kleinen Moment der Solidarität mit der Revolte in Bangladesch. Ausgehend von Protesten von Studierenden gegen ein Quotensystem für Staatsangestellte entstand eine breite Bewegung gegen Korruption, Autoritarismus und Polizeigewalt, die in der Lage war, die Regierung zu stürzen. Zwei Sprecher*innen aus der Studierendenbewegung sind nun Teil einer Übergangsregierung, die Neuwahlen vorbereitet. 

Eine Leerstelle zeigt sich jedoch bei der Frage, wie mit den geflüchteten Rohingya im Land umgegangen werden soll, jenen Geflüchteten, die während des an ihnen begangenen Genozids 2017 noch viel Unterstützung erfahren haben. Vom Übergangspremierminister Muhammad Yunus gab es bislang lediglich die Aussage, dass die Geflüchteten, die alle in einem Lagerkomplex nahe der Grenze untergebracht sind, weiterhin Hilfe erhielten. An der Grenze allerdings wurden weitere Rohingya abgewiesen, die aus dem im Bürgerkrieg versunkenen Myanmar zu fliehen versuchten.

Unterstützung auf Zeit

Aus einem internationalistischen Blickwinkel wäre zu erwarten, dass die 960.000 Menschen in dem Geflüchtetenlager von der internationalen Linken Unterstützung erführen. Doch jenseits der üblichen humanistischen Forderungen nach Menschenrechten existiert keine Vorstellung einer solidarisch-politischen Perspektive . Wie stark die Solidarität auch in Bangladesch fehlt, wird klar in den Berichten einzelner Rohingya, die schildern, dass manche Bengali glaubten, ihnen werde das Land weggenommen – wobei sie vereinzelt auch die mehrheitlich muslimischen Rohingya explizit mit israelischen Siedlern vergleichen.

Die Rohingya sind nach Bangladesch geflohen, weil sie in ihrer bisherigen Heimat, dem Rakhine-Staat in Myanmar, von der buddhistischen Mehrheitsgesellschaft verfolgt werden. Die ersten kamen bereits in den 1970er Jahren nach Bangladesch, größere Fluchtwellen gab es nach Razzien des Militärs 1978, 1991, 1992, 2012 und 2015. Die meisten Flüchtlinge kamen jedoch zwischen 2016 und 2018, als das Militär in Myanmar einen Genozid an den Rohingya verübte. Seit der Bürgerkrieg 2021 in Myanmar zwischen der Militärjunta und einem breiten Bündnis oppositioneller Gruppen und Milizen ausbrach, können sie erst recht nicht zurück, denn in Rakhine ist auch die Arakan Army aktiv, die das Gebiet seit Sommer 2024 fast vollständig kontrolliert. Diese wiederum verfolgt und ermordet ebenso Rohingya in Rhakine.

Die frühere Regierung Bangladeschs, die inzwischen abgewählte autoritäre Awrami League, reagierte auf die Fluchtwelle von 2016 bis 2018 mit einem großen Unterstützungsprogramm – und setzte sich seither international für eine schnelle Rückführung ein. Deshalb sind in den Lagern nur temporäre Bambushütten erlaubt, obwohl diese seit 1991 existieren. Die Vereinten Nationen unterstützen Bangladesch dabei, die Geflüchteten zu versorgen, doch den Rohingya ist es weder gestattet zu arbeiten noch die Lager zu verlassen. Als Folge arbeiten viele illegal und bezahlen regelmäßige Bestechungsgelder, um das Lager verlassen zu können. Mangels ausreichender internationaler Finanzierung der humanitären Hilfe und damit zu geringen Essensrationen sind Mangelernährung und Hunger weit verbreitet; Perspektivlosigkeit ebenso.

Rohingya ist es weder gestattet zu arbeiten noch die Lager zu verlassen.

Dass die Rohingya im mehrheitlich muslimischen Bangladesch nicht vollends mit offenen Armen empfangen wurden, liegt auch daran, dass viele Rohingya den dort vorherrschenden, liberalen Muslimen zu radikal sind. In den Lagern ist für Frauen die Vollverschleierung verpflichtend. Die Hilfskräfte müssen fortwährend dafür kämpfen, dass die Familien auch ihre Töchter in die Bildungszentren schicken. Mädchen sollen nach den hegemonialen Vorstellungen der Rohingya im Haushalt arbeiten, bis sie verheiratet werden – häufig unter Zwang mit 13 oder 14 Jahren.

Komplizierte Solidarität

In den Lagern und darüber hinaus sind Rohingya in bewaffneten Gruppen aktiv. Die beiden wichtigsten sind die ARSA (Arakan Rohingya Salvation Army), der die mutmaßlichen Angreifer auf einen myanmarischen Militärposten angehörten, der immer wieder als Auslöser für den Genozid bezeichnet wird, und die RSO (Rohingya Solidarity Organization). Sie geben vor, für die Rechte der Rohingya zu kämpfen – Befreiungsorganisationen sozusagen, die in einer antiimperialistischen Tradition zu stehen scheinen. Diesen Eindruck vermittelt im Gespräch auch Linn Khant (1). Er ist Rohingya und lebt illegal in einer der großen Städte Bangladeschs, wo er Journalismus studiert. Um studieren zu können, hat er sich als Bengale ausgegeben – eine Lüge, die ihn jederzeit das Leben kosten könnte, da die Polizei für außergerichtliche Tötungen von Rohingya bekannt ist; er selbst wurde bereits einmal beinahe von der Polizei erwischt. Nach dem Studium will er den Rohingya dabei helfen, sich zu befreien – wobei Linn Khant explizit deren bewaffneten Kampf für das Selbstbestimmungsrecht einer indigenen Gruppe auf ihrem angestammten Land fordert und unterstützt.

Die Geschichte der Verfolgung von Rohingya in Myanmar ist verwoben mit deren bewaffneten Gruppen. Diese erpressen indes in den Lagern Schutzgelder, organisieren den Drogenhandel von Yabba aus Myanmar nach Indien und entführen andere Rohingya, um Lösegelder zu erpressen – natürlich in bitterer Konkurrenz zueinander. Sie sind dabei so stark aufgestellt, dass die Mitarbeiter der NGOs die Lager nachts verlassen. Auch Linn Khants Familie musste aus den Lagern fliehen, da sein Vater als Repräsentant seiner Gemeinschaft ins Visier der Banden geriet. Hinter den gut klingenden Worten zur Befreiung der Rohingya lässt sich kein emanzipatorisches Handeln erkennen. Linn Khant glaubt dennoch fest daran, dass es eine falsche ARSA voller krimineller Energie gebe und eine echte, die in den Regenwäldern Myanmars für das Richtige kämpfe.

Dennoch ist die Frage der Solidarität drängend, international, aber gerade auch für Bangladesch, weil geopolitisch keine Veränderung in Sicht ist. Selbst wenn der Bürgerkrieg in Myanmar vorbei wäre, werden in naher Zukunft die Rohingya nicht zurückkehren können – egal wer diesen Krieg gewinnt. Bangladesch, wo 70 Prozent der Bevölkerung in Armut lebt, hat jedoch kaum die Ressourcen, um die Geflüchteten gut zu versorgen. Lediglich der Ansatz einer postmigrantischen Gesellschaft könnte einen Ausweg darstellen, also Bewegungsfreiheit und das Recht auf Arbeit für alle. Doch dazu war bisher keine Regierung in Bangladesch bereit, getrieben von der Angst um Verteilungskämpfe.

Solidarität ist in dieser Situation also dringend geboten. Eine Unterstützung der bewaffneten Gruppen der Rohingya allerdings würde bedeuten, wiederum Unterdrückern, kriminellen Banden und auch dem Patriarchat zur Seite zu stehen. Eine rein humanistische Solidarität wiederum, die auf eine verbesserte Versorgung abzielt, sichert nur das Überleben der Menschen, enthält aber keine politische Perspektive. 

Wie könnte Solidarität also jenseits davon aussehen? Vielleicht geht es dabei um so etwas, wie zum Beispiel die Überzeugung, mit der Linn Khant von der Bedeutung vom Recht auf Bildung für die Rohingya spricht, um die kleinen Verbesserungen, die Frauen in den Lagern für sich selbst erkämpfen, gegenseitige Hilfe unter Rohingya innerhalb der Lager und von außen. In solchen Praxen zeigt sich eine Solidarität, die aus Empathie und mit dem Fokus zur gegenseitigen Bestärkung, zur Selbstorganisierung besteht.

Aljoscha Hartmann

arbeitet bei Radio Corax und bewegt sich gerne als freier Journalist durch die Welt, um über emanzipatorische Bewegungen zu schreiben.

Anmerkung:

1) Name geändert