»Ein unglaublicher Erfolg«
In Bangladesch haben entlassene Arbeiter*innen eines Textilkonzerns erfolgreich um ausstehende Löhne gekämpft
Von Helene Buchholz
Neun Monate hat es gedauert, bis die ehemaligen Textilarbeiter*innen der Dragon Group in Bangladesch Geld bekommen haben. Neun Monate lang haben sie gekämpft, protestiert und sich der staatlichen Repression ausgesetzt. Aber auch international Solidarität erfahren.
Im März waren Hunderten Arbeiter*innen gekündigt worden – wegen der Pandemie, aber vor allem weil sie Gewerkschaftsmitglieder sind. Als die Fabriken wegen Corona schließen mussten, sahen die Besitzer ihre Chance: Sie hatten einen Grund, Mitarbeiter*innen zu entlassen. Und haben als erste jene vor die Tür gesetzt, die sich schon in der Vergangenheit für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt hatten. Unter ihnen Musammad Romesha. Über 20 Jahre hat sie in einer der Nähfabriken der Dragon Group gearbeitet, sechs bis sieben Tage die Woche, ohne offizielle Urlaubstage. Dafür hat sie in einer Massenunterkunft in einem Industriegebiet von Dhaka gewohnt und sich mit drei anderen Frauen ein Zimmer geteilt. Allein dafür musste sie umgerechnet 45 Euro bezahlen, etwa die Hälfte ihres real ausgezahlten Monatslohnes. Der Rest ging an ihre Familie, die einige Hundert Kilometer entfernt wohnt.
Und dann, von einem Tag auf den nächsten, saßen sie und ihre Kolleg*innen auf der Straße. Der Hungerlohn, den sie vorher verdient hatte, reichte nicht, um Geld zurück zu legen. Fast alle Arbeiter*innen leben hier von der Hand in den Mund. Oft wurden ihnen nicht einmal die vollständigen Löhne ausbezahlt, Überstundenzahlungen einbehalten oder andere Zuschläge, die ihnen gesetzlich zustehen, verweigert. Um wenigstens im Nachhinein diese ausstehenden Zahlungen zu bekommen, sind Musammad Romesha und einige Hundert ihrer Kolleg*innen auf die Straße gegangen, organisiert vom Garment Workers Trade Union Center (GWTUC), einer kommunistischen Basisgewerkschaft in Bangladesch. Immer wieder zogen sie vor das Arbeitsministerium, machten Sitzblockaden, Demonstrationen und Kundgebungen.
Der Chef der Dragon Group, Mostafa Golam Quddus, blieb zunächst hart. Früher war er der Präsident des Arbeitgeberverbandes, hat enge Kontakte ins Ministerium. Sein Hauptgeschäft macht er mit Versicherungen. Das Unternehmen ist einflussreich in Bangladesch.
Internationale Solidarität
Aber die GWTUC hat es geschafft, international Solidarität zu mobilisieren: Schon bald gab es Aktionen in Deutschland, Irland, Brasilien, Spanien, Sri Lanka, Argentinien und Myanmar.
Die Industrial Workers of the World in Irland haben Kundgebungen vor Lidl abgehalten, die FOB in Brasilien ist Walmart auf die Pelle gerückt und in Deutschland hat die Freie Arbeiter*innen Union in verschiedenen Städten NewYorker unter Druck gesetzt, denn all diese Unternehmen haben in den vergangenen Jahren bei der Dragon Group produzieren lassen. Die Forderung der Gewerkschaften: in Zukunft keine Bestellungen mehr bei der Dragon Group in Auftrag geben, solange die Arbeiter*innen nicht ihr Geld bekommen haben. Die Unternehmen haben sich darauf zwar nicht eingelassen, unangenehm waren die Aktionen für sie dennoch: Von überall her schickten Aktivist*innen Fotos und Videos und verbreiteten sie über die Sozialen Medien, immer wieder, monatelang. In der Presse in Bangladesch wurde schon über eine »Krise der Textilwirtschaft« gemutmaßt. Das zwang die Dragon Group dann doch an den Verhandlungstisch mit der GWTUC, gemeinsam mit Vertreter*innen des Arbeitsministeriums.
Und auch wenn die Dragon Group den ersten Kompromiss gebrochen hat, gab es im Dezember endlich Geld. Nur die Hälfte dessen, was den Arbeiter*innen laut Gewerkschaft zugestanden hätte, aber dennoch lohnte sich der Arbeitskampf am Ende für die Bewegung: »Es ist ein unglaublicher Erfolg. Der Fabrikbesitzer ist ein hohes Tier. Vermutlich hat er sich nur bewegt, weil es so viel internationale Solidarität gegeben hat. So viel Aufmerksamkeit haben wir aus anderen Ländern noch nie für einen Arbeitskampf bekommen. Trotzdem: Viele der Arbeiter*innen stehen nach wie vor unter Druck, sie haben immer noch keinen Job«, sagt Monzur Moin von der GWTUC. Für sie ist es ein Kampf ums Überleben. Es geht darum, regelmäßig Essen auf den Tisch zu bekommen, Medikamente und Ärzt*innen zu bezahlen und die Schulbildung ihrer Kinder finanzieren zu können. Denn es gibt keinen Sozialstaat in Bangladesch.
Wieder handlungsfähig
Deshalb hat die Internationale Konföderation der Arbeiter*innen (IKA) eine Spendenkampagne ins Leben gerufen. Der internationale Dachverband der deutschen Basisgewerkschaft FAU und der spanischen CNT hat im Internet zu praktischer Solidarität aufgerufen und knapp 20.000 Euro gesammelt. Damit werden nun Schulden von Arbeiter*innen beglichen, offene Rechnungen bezahlt und zusätzlich Geld und Lebensmittel an die betroffenen Arbeiter*innen verteilt. Auch das ein großer Erfolg. Monzur Moin sagt: »Die GWTUC hat kein Geld. Wir rufen bei jedem Arbeitskampf Genoss*innen dazu auf zu spenden. Das Geld fließt aber sofort wieder in die entsprechenden Strukturen. Wir versorgen die Demonstrierenden mit einer warmen Mahlzeit am Tag, bezahlen Strafen, die sie wegen ihres Protests bezahlen müssen, und sorgen für die Lautsprecheranlage bei Kundgebungen. Meist sind auch die Verleiher Genoss*innen, die nicht darauf bestehen, sofort das ganze Geld zu bekommen.« Mit dem Geld aus dem Fundraising sind sie wieder handlungsfähig, weil sie die alten Schulden abbezahlen konnten, Genoss*innen werden vor dem Gefängnis bewahrt.
Das Beispiel zeigt, Solidarität lohnt sich. Auch einflussreiche Unternehmen können dazu gezwungen werden, sich zu bewegen. Die öffentlichkeitswirksamen Aktionen vor Handelsketten weltweit haben den Druck erhöht.
Gleichzeitig geht es für die Genoss*innen vor Ort nun auch darum, die Bedingungen herzustellen, unter denen ein anhaltender Arbeitskampf möglich bleibt: Solange es an Dingen des alltäglichen Bedarfs wie Essen, Medikamente oder Hygieneartikel fehlt, fehlen auch die Möglichkeiten, sich in den langanhaltenden Kämpfen zu engagieren. Denn dann sind sie gezwungen, sich sofort einen neuen Job zu suchen.