Bahnstreik: wirkungsvoll, berechtigt, politisch
Wir erleben eine ausgesprochen harte Tarifauseinandersetzung – in der die Linke gefordert und unsere Solidarität notwendig ist
Von Winfried Wolf
Am 11. und 12. August gab es einen ersten Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Jahr 2021 im Bereich des Konzerns Deutsche Bahn AG. Er erwies sich schon in den ersten Tagen als ausgesprochen wirkungsvoll: Hunderte Güterzüge, tausende Regionalzüge und S-Bahnen und mehr als die Hälfte aller Fernzüge, also der ICE- und IC/EC-Züge, fielen aus. Es spricht viel dafür, dass der Streik fortgesetzt wird. Wir erleben eine ausgesprochen harte Tarifauseinandersetzung – in der die Linke gefordert und unsere Solidarität notwendig ist.
Denn der GDL-Streik ist erstens sozial gerechtfertigt. Entgegen den Aussagen der DB-AG-Chefs fordert die Gewerkschaft exakt das, was im Frühjahr 2021 im ver.di-Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst beschlossen wurde. Und das ist gerade mal Lohnausgleich und eine gewisse Anerkennung, nämlich 600 Euro Sondervergütung, dafür, in der Pandemie den Kopf hinzuhalten. Es ist allerdings rund doppelt so viel wie das, was der Bahnkonzern und die Gewerkschaft EVG im Herbst 2020 abgeschlossen haben – was auf einen deutlichen Reallohnabbau hinausläuft. Wenn der Bahnkonzern jetzt von der GDL verlangt, ebenfalls einem Reallohnabbau (verbunden mit Rentenkürzungen) zuzustimmen, dann hat das – gerade vor dem Hintergrund des Abflauens der Pandemie – Signalwirkung für alle arbeitenden Menschen, für alle Prekäre, für die gesamte Gesellschaft mit unteren und mittleren Einkommen. Damit soll diesen Menschen gezeigt werden, dass die Rechnung für die Corona-Milliarden präsentiert wird – und wem sie präsentiert wird.
Zweitens ist der GDL-Streik für alle Gewerkschaften und die gesamte Linke von Bedeutung. Die Deutsche Bahn AG will in ihrem Bereich erstmals in Deutschland das Tarifeinheitsgesetz (TEG) anwenden. Dieses Gesetz wurde nicht ganz zufällig im Frühjahr 2015 im Bundestag von CDU/CSU und SPD beschlossen – am Ende des letzten großen GDL-Bahnstreiks. Interessant dabei ist: Es war die SPD, gestützt vom DGB, die dieses Gesetzesvorhaben einbrachte; federführend war die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles. Das TEG ist ein Anti-Gewerkschafts- und ein Anti-Streik-Gesetz. Es läuft darauf hinaus, dass den sogenannten kleinen – und oft kämpferischen – Spartengewerkschaften (wie GDL, Marburger Bund, Cockpit) der Spielraum massiv verkleinert, wenn nicht ihre Existenz bedroht wird. Nach dem TEG soll in einem »Betrieb« nur noch ein Tarifvertrag gültig sein – und dann derjenige der relativ größten Gewerkschaft. Wobei die Definition was ein »Betrieb« ist, ebenso offen ist, wie dann auch die Feststellung, was denn die jeweils relativ größte Gewerkschaft in diesem Betrieb sei. Dies öffnet Manipulationen Türen und Tore. Der im Frühjahr 2015 vereinbarte GDL-Tarifvertrag beinhaltete, dass für die Laufzeit dieses Vertrags das TEG keine Gültigkeit hat. Anfang 2021 kündigte der Bahnkonzern an, ab sofort das TEG anzuwenden. Die DB AG wird dabei von der DGB-Gewerkschaft EVG unterstützt. Das wiederum bewirkte, dass die GDL beschloss, nunmehr in allen Bereichen der »Produktion« – also auch bei Stellwerker*innen, in den Werkstätten, auf den Bahnhöfen – um Mitglieder zu werben, um auch hier zur EVG aufzurücken.
Der Streik findet drittens wenige Wochen vor der Bundestagswahl statt und ist damit ein Politikum. Er richtet sich formal gegen den Konzern Deutsche Bahn AG. Doch Eigentümer dieses Konzerns ist der Bund, den wiederum die Bundesregierung, gestellt von CDU/CSU und SPD, vertritt. Der Dachverband der GDL ist der Deutsche Beamtenbund (dbb), der als CDU-nah gilt. Weselsky selbst ist CDU-Mitglied. Allein diese Konstellationen verdeutlichen, wie politisch dieser Streik faktisch ist, auch wenn es bei ihm um einigermaßen schlichte soziale Forderungen geht. Hinzu kommt: Die Bahn müsste im Kontext einer ernsthaften Klimapolitik eine zentrale Rolle spielen. Dennoch muten die DB AG, also die Bundesregierung, gerade den hier Beschäftigten einen erheblichen Reallohnabbau zu. Zugleich hat der Bahneigentümer Bund dort die Spendierhosen an, wo es um verkehrspolitisch zerstörerische Projekte wie Stuttgart 21 oder um größenwahnsinnige Engagements im Ausland geht. Dass die GDL auch diese Aspekte der verkehrten Verkehrspolitik thematisiert, macht den Streik zusätzlich zum Politikum.
Je länger der Bahnstreik dauert, desto näher rückt er an den Wahltermin heran – und desto größer wird die politische Brisanz. Und desto mehr ist unsere Solidarität gefordert.