Auf die Commons kommt es an
Negative Emissionen werden oft pauschal abgelehnt, doch sie können auch emanzipatorisches Potenzial haben
Von Felix Krawczyk
In den letzten Jahren ist in der nationalen und internationalen Politik immer häufiger das Bekenntnis zum Ziel der Klimaneutralität zu hören (siehe ak 666). Klimaneutralität oder Netto-Null bedeutet dabei nicht ausschließlich die Reduktion von Emissionen, sondern schließt sogenannte negative Emissionen mit ein. Die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre spielt auch im Sonderbericht des Weltklimarats zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze aus dem Jahr 2018 eine prominente Rolle. Fast alle Szenarien des Reports beruhen darauf, dass enorme Mengen an negativen Emissionen erforderlich sind, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Außerdem setzen sie voraus, dass es in allen Staaten – egal, ob im Globalen Süden oder Norden – weiter Wirtschaftswachstum geben wird. Wirtschaftswachstum indes sorgt für eine steigende Nachfrage nach Energie, was eine Reduktion der CO2-Emissionen erheblich schwieriger, wenn nicht unmöglich macht (1).
Es wird deutlich, dass auch wissenschaftliche Szenarien nicht im luftleeren Raum entstehen, sondern implizit Werturteile über mögliche und wünschenswerte Zukünfte enthalten. So werden negative Emissionen in der Regel als großflächige und marktgetriebene Maßnahmen begriffen. Naturbezogene Maßnahmen hingegen, sofern sie im Einklang mit Biodiversität und Nahrungsmittelproduktion stehen, werden darunter kaum verstanden. Diese können aber, wie Annette Schlemm in ihrem Text »Climate Engineering als Trostpflaster« (ak 689) argumentiert, durchaus sinnvoll sein.
Kohlenstoff ist nicht gleich Kohlenstoff
Häufig wird angenommen, dass der in Wäldern gespeicherte Kohlenstoff mit dem zu vergleichen ist, der durch die Verbrennung von fossilen Brennstoffen freigesetzt wird. Dieser Vergleich ist jedoch eher politisch als wissenschaftlich motiviert. Kohlenstoff in fossiler Form in einem Reservoir unter der Erde ist quasi permanent gespeichert. Im Gegensatz dazu ist biotischer Kohlenstoff in Pflanzen oder im Boden Teil eines aktiven, kurzfristigen Kohlenstoffkreislaufs. Die Verbrennung fossiler Brennstoffe führt dazu, dass zuvor dauerhaft gespeicherter Kohlenstoff in den aktiven Kreislauf eingebracht wird, wodurch sich der Gesamtkohlenstoff in Atmosphäre, Ozeanen und Landsystemen erhöht. Dieser Kohlenstoff kann aber durch natürliche Kohlenstoffsenken nicht mehr in Zeitskalen, die für die Klimakrise relevant wären, reduziert werden.
Das heißt: Negative Emissionen sind im Wesentlichen nicht einfach ein Ausgleich für positive Emissionen; sie müssen radikale Bemühungen zur CO2-Reduzierung ergänzen, nicht ersetzen. Zudem wird die groß angelegte Anwendung von CO2-Speichermethoden wie der Aufforstung unter bestehenden Machtstrukturen wie Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus wahrscheinlich globale und lokale Ungerechtigkeiten verschärfen.
Immer wieder wird hervorgehoben, dass negative Emissionen zur Verschleppung von Reduktionszielen und zur Sicherung des Status quo beitragen. Dabei ist zu beachten, dass das Konzept der negativen Emissionen, wie es derzeit in Form von großflächiger Aufforstung oder anderen Technologien verhandelt wird, aus einem spezifischen Wechselspiel von Wissenschaft und Politik hervorgegangen ist. Und daher liegt frei nach Bini Adamczak ein Vergleich mit Hollywood-Superheld*innen nahe, die nach dem Motto handeln: Es soll nicht schlimmer werden, aber auch nicht besser. Ähnlich wie Superheld*innen, die sich auf die Bewältigung unmittelbarer Bedrohungen konzentrieren, fokussieren negative Emissionen auf die Kontrolle von CO2-Mengen in der Atmosphäre. Auch wenn dieser eindimensionale Ansatz mittlerweile mit Überlegungen zur Biodiversität verbunden wird, werden Fragen nach Landrechten, Klimagerechtigkeit und nach einer anderen Zukunft in der Regel vermieden. Am Beispiel von gemeinschaftlich verwalteten Wäldern lässt sich aber ein emanzipatorisches Potenzial von negativen Emissionen ausmachen.
Wälder als Gemeingüter
In Europa wurden Wälder und Weiden im Spätmittelalter und in der Neuzeit gemeinschaftlich verwaltet. Im deutschsprachigen Raum geschah dies oft in Form von sogenannten Holzgedingen oder Forstgerichten. Diese Gerichte wurden mehrmals im Jahr einberufen, um die Angelegenheiten der Nutzer*innen rund um Wald, Wasser und Weiden selbstverwaltet zu klären. Mit dem Aufkommen des Kapitalismus wurden Wälder und Weiden nach und nach – oft gewaltvoll – in Privatbesitz überführt (Stichwort: ursprüngliche Akkumulation, Akkumulation durch Enteignung).
Im Kampf um den Hambacher Forst haben sich Aktivist*innen auf eben dieses Narrativ des Hambacher Forsts als Allmende berufen, wobei heute eher von Commoning oder Commons die Rede ist. Dieser Prozess wird auf Wikipedia (ebenfalls ein Common) als »selbstorganisiertes und bedürfnisorientiertes gemeinsames Produzieren, Verwalten, Pflegen und/oder Nutzen« beschrieben.
Negative Emissionen sind nicht einfach ein Ausgleich für positive Emissionen; sie müssen radikale Bemühungen zur CO2-Reduzierung ergänzen, nicht ersetzen.
Im Gegensatz zu konventionellen Modellen, in denen Wälder oft als Ressourcen betrachtet werden, die extrahiert und kommerzialisiert werden, betont das Konzept des Commonings eine gemeinsame Verantwortung und Fürsorge für diese lebenswichtigen Ökosysteme. Commoning hinterfragt somit auch die kapitalistische Logik von Tausch, Konkurrenz und Eigentum, indem neue solidarische Beziehungsweisen vorweggenommen – also bereits im Kleinen eingeübt – werden.
Ein Blick über den Tellerand hilft
Beispiele von Initiativen in Berlin, Schottland und Spanien, die sich um die gemeinschaftliche Verwaltung von Wäldern kümmern, können somit als Graswurzel Climate Engineering oder Graswurzel Negative Emissions bezeichnet werden. Ihr Einsatz trägt zur Speicherung von CO2 bei und gleichzeitig zur Etablierung solidarischer Beziehungs- und Handlungsweisen.
Beispiel Schottland: Dort greift der Kilfinan Community Forest in Schottland explizit das Framing als Beitrag zur Klimakrise auf und hat vor wenigen Jahren eine Delegation indigener Forest Defender empfangen, die sich im Amazonas als »Guardians of the Forest« gegen die Zerstörung des Regenwaldes stellen. Die Community um diesen Wald beruft sich auf die großflächige Vertreibung aus den Highlands zwischen 1750 und 1850. Damals wurden die Pächterinnen und Pächter sowie Bäuerinnen und Bauern von diesen Ländern vertrieben, um die profitablere Viehzucht ausweiten zu können.
Beispiel Berlin: Dort verfolgt die Initiative Freiwald e.V. einen vergleichbaren Ansatz und strebt den Erwerb von Flächen an, um diese aufzuforsten. Dadurch sollen die Ökosysteme dem Markt entzogen und ihre Stabilität gewährleistet werden. Die Bäume für das Projekt stammen aus einer Baumschule, die nach dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft funktioniert.
Und schließlich das Beispiel aus Spanien: Dort wurde verstärkt ab 1995 im Zusammenhang mit Protesten gegen eine geplante Autobahn bei Teis, einer Kleinstadt in der Region Galicien, die Eigentumsform der Commons wiederentdeckt. Das Besondere hier: Die Aktivist*innen blieben nicht bei einer Kritik an einem staatlichen Vorhaben stehen, sondern haben eine mächtige konkrete Utopie mobilisieren können. Zwar konnte der Autobahnbau nicht verhindert werden, doch können die Commoners ihren Wald selbst verwalten und pflegen. Das Commoning trägt dabei auch zur direkten Interaktion und zu einer fürsorglichen Umstrukturierung der Mensch-Natur-Beziehung bei. Beispiele für solche Veränderungen können auch bei Waldbesetzungen beobachtet werden. So wird Wissen über Pilze, Kräuter und Pflanzen ausgetauscht. Während der Besetzung des Dannenröder Forsts haben Aktivist*innen Holzstücke von den Bäumen, die sie besetzten, eingesammelt. Andere Aktivist*innen gaben den Bäumen Namen wie »Grandpa«, »Grandma« oder »Grandchild«, was die einzigartige Beziehung zwischen ihnen und dem Wald verdeutlicht.
Soziale Revolution?
Diese Beispiele können als Elemente einer sozialen Revolution gesehen werden. Diese wird in der Regel als eine Neuordnung aller Lebensbereiche wie beispielsweise Kultur, Politik, Wirtschaft, Ethik, Geschlechterverhältnisse und Mensch-Natur-Verhältnisse verstanden (2). Während der/die Superheld*in will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, beinhaltet die soziale Revolution einen kollektiven Lernprozess und die Veränderung grundlegender Beziehungsweisen in der Gesellschaft und zur nicht-menschlichen Natur. Im Gegensatz zum weitverbreiteten Verständnis von Revolution passiert die soziale Revolution aber nicht schlagartig, sondern wird als Prozess des Einübens von anderen Handlungs- und Beziehungsweisen verstanden. In anderen Worten: Das Abwägen zwischen negativen Emissionen und Revolution, wie es im Artikel von Annette Schlemm thematisiert wird, muss hinterfragt werden. Denn beides kann unter bestimmten Bedingungen miteinander verbunden werden, und auch nach einem hypothetischen Umsturz müssen Ökosysteme irgendwie verwaltet werden. Um dann nicht in alte Muster zu verfallen, kann jetzt schon geübt und gelernt werden.
Für die Diskussion um negative Emissionen sollte man sich zuerst die Vorannahmen, die der Diskussion zugrunde liegen, bewusst machen. Akzeptieren wir stillschweigend das Verständnis von negativen Emissionen als durch Märkte getriebene Megaprojekte, laufen wir Gefahr, zur weitverbreiteten TINA (There is no Alternative)-Erzählung beizutragen und andere Zukünfte unsichtbar zu machen. Auf der anderen Seite dürfen negative Emissionen nicht als eindimensionale Lösung der Klimakrise propagiert werden. Gleichwohl können negative Emissionen aber angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise zu einem begrenzten Maße Klimafolgen abmildern. Sie sollten also nicht pauschal verurteilt, sondern auf ihr emanzipatorisches Potenzial hin überprüft werden. Wird das negative Emissionen-Narrativ aufgerufen, scheint es daher wichtig, Kritik an Herrschaftsverhältnissen mit konkreten Utopien zu verbinden.
Anmerkungen:
1) Jason Hickel/Giorgos Kallis (2020): Is green growth possible? in: New political economy, 25(4/2020), S. 469-486.
2) Jonathan Eibisch: Die soziale Revolution im Anarchismus, online unter: https://media.ccc.de