Auf, auf zum Kampf
Für einen neuen Tarifvertrag in den Krankenhäusern zu streiken ist gut und richtig - gerade in der Pandemie
Von Benny Ehlers und Alena Will
Die Pflege und das Gesundheitssystem sind schon lange in einer tiefen Krise. Das gilt nicht nur in Hinblick auf die Arbeitsbedingungen – auch die Versorgungsqualität leidet seit Jahren. Wirtschaftlich gesehen ist die Gesundheit ein Milliardengeschäft. Seit der Einführung des Fallpauschalensystems 2003 wurde die Ökonomisierung und Gewinnorientierung des Gesundheitssystems immer weiter vorangetrieben. Die Folgen tragen die Patient*innen und die Angestellten in den Krankenhäusern. Erstere werden unterversorgt und sind somit gefährdet, an letzteren wird gespart. Vor allem das Pflegepersonal wird einer mitunter unmenschlichen Arbeitsbelastung ausgesetzt. Auch das bekommen letztlich diejenigen zu spüren, deren Gesundheit in deren Händen liegt. Das Problem ist lange bekannt und wie bei einer Fieberkurve entstehen in regelmäßigen Abständen überhitzte Debatten darüber, ob und wie es zu lösen sei, zuletzt im Zeichen der Corona-Pandemie.
Als Beschäftigte im Krankenhaus konnten wir dabei für einen kurzen Moment Hoffnung schöpfen. Hoffnung, dass die aktuelle Situation ein neues Bewusstsein schafft. Dass das Wort »systemrelevant« so sehr im Gedächtnis hängen bleibt, dass nicht nur die Systemrelevanten selbst ihren Wert erkennen und für bessere Arbeitsbedingungen streiten, sondern auch Politik und Gesellschaft unsere Arbeit künftig wirklich wertschätzen. Dabei gab es durchaus Anzeichen für einen Bewusstseinswandel: Es wurde von »Anerkennung«, von »Hilfen« für die Beschäftigten, von Prämien und Gehaltserhöhungen gesprochen. Nach dem Ausverkauf des Sozialsystems, der Privatisierung von ganzen Branchen, nach Lohndumping und einer konstanten Verschlechterung der Arbeitsbedingung, die die Regierungen in den letzten Jahrzehnten sehenden Auges in Kauf genommen haben – nach all dem dachten wir wirklich, jetzt verändert sich was. Jetzt muss sich was verändern. Dem ist nicht so. Die Devise lautet weiterhin: Alles wie gehabt, weiter ins Verderben.
Schon lange verhallt
Bislang also kam Nichts als ein Klatschen an den Fenstern und von den Balkonen, das schon lange verhallt ist. Unterm Strich hat also auch die Corona-Pandemie, in der eben nicht jene Manager*innen, die sich dank Staatshilfen auch in der Krise über satte Boni freuen können, sondern die Beschäftigten in den Krankenhäusern, an der Supermarktkasse oder in den Pflegeheimen den gesellschaftlichen Kollaps verhindert haben, nichts geändert: Es mangelt weiterhin an einer echten, das heißt nicht nur symbolischen, sondern auch materiellen Anerkennung von Pflege- und Gesundheitsberufen, aber auch von anderen Bereichen, von Care-Arbeit, vom Einzelhandel, von Ver-und Entsorgung.
Wir streiken nicht trotz, sondern wegen der Pandemie. Denn diese hat uns erneut vor Augen geführt, welchen Wert unsere Arbeit hat.
Aber immerhin: Nach langem Hin und Her über die Frage, ob es Arbeitskämpfe während der Corona-Pandemie geben kann und soll, kommt es nun doch zu Verhandlungen und Streiks in der Tarifrunde des TvöD. Dabei werden die üblichen paar Prozent Inflationsausgleich gefordert, es gibt eine Handvoll Warnstreiks und die Medien überschlagen sich schon jetzt mit Katastrophenmeldungen. Dabei wird gerne betont, wie unverantwortlich es doch sei, in der Pflege zu streiken – gerade jetzt in der Corona-Pandemie. Aber es muss klar werden: Wir streiken nicht trotz, sondern wegen der Pandemie. Denn diese hat uns erneut vor Augen geführt, welchen Wert unsere Arbeit hat. Und wir müssen uns trauen, mehr zu fordern. Das bedeutet auch, dass unser Kampf um Anerkennung über einen starken Tarifvertrag hinausgehen muss. Denn es geht nicht nur um mehr Geld, sondern auch darum, die notwendigen Bedingungen zu erstreiten, die für eine verantwortungsvolle und zufriedenstellende Ausübung unseres Berufs und ein gutes Leben Voraussetzung sind.
Kein Burgfrieden
Dabei sind grundlegende Veränderungen in unserem Gesundheitssystem nötig – Veränderungen, die ökonomisches Denken, Profit und Privateigentum aus der Behandlung von Menschenleben gänzlich herausdrängen. Die aktuellen Tarifverhandlungen sollten dennoch als Chance gesehen werden, denn vor dem Hintergrund der wenigstens symbolisch gestiegenen Anerkennung der Bedeutung von Arbeiter*innen in Krankenhäusern könnte es gelingen, gemeinsam mehr zu fordern und über kleine Erfolge unsere Kolleg*innen zu mobilisieren und zu binden – und zu zeigen: Es geht, wir können etwas verändern.
Ein Erfolg wäre es auch, wenn dieses Bewusstsein Einzug in die Gewerkschaften erhalten würde und die Mauern der Burgfriedenspolitik gegenüber den Krankenhauskonzernen endlich eingerissen würden. Auf, auf zum Kampf!