analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 690 | International

Der Kampf gegen Cop City

In Atlanta stellen sich Waldbesetzer*innen einem geplanten Polizeitrainingsgelände entgegen – dabei kam schon eine Person ums Leben

Von Jan Ole Arps

Ein umgestürzter Baum in einem Wald, über dem Baumstamm hängt eine Socke
Hier soll ein Übungsgelände für urbane Kriegsführung hin: Spuren der Waldräumung im South River Forest von Atlanta. Foto: Kornelia Kugler

Klar, ich kann euch rumführen, bisschen was zeigen«, sagt Robbie und lässt die Mülltüte auf den nassen Waldboden sinken. Robbie ist Mitte zwanzig, trägt pinke Arbeitshandschuhe und ein grünes Shirt, auf dem die Zeichnung eines beeindruckenden Baumriesen mit weitverzweigten Wurzeln zu sehen ist und die Aufschrift »Defend the Atlanta Forest. Fight for Welaunee«. Der Baum, neben dem Robbie jetzt steht, ist umgestürzt, das Baumhaus, das sich darauf befand, zerborsten. Noch eine Handvoll mehr Leute sind hier, sie räumen klapprige Regale aus, sehen Kühlboxen durch und schaufeln abgelaufene Konserven in graue Plastiksäcke. Wir befinden uns in der »Küche« im Atlanta Forest, offiziell South River Forest, doch die hier Versammelten bevorzugen den indigenen Namen: Welaunee.

Die Küche, die gerade Stück für Stück abgetragen wird, gehörte zu einem Protestcamp mit Baumhäusern, das Aktivist*innen seit Juni 2021 in diesem Teil des 14 Quadratkilometer großen Waldstücks im Süden von Atlanta errichtet haben, um gegen ein Polizeitrainingsgelände zu protestieren, das hier entstehen soll: »Cop City«, wie die Gegner*innen es nennen. Nun wird das Camp abgebaut. »Es ist so traurig«, sagt Robbie (die*der eigentlich anders heißt). »Aber nach den Ereignissen vorletzte Woche kann niemand hierbleiben, es ist einfach zu gefährlich.«

»Vorletzte Woche«, das war am 18. Januar. An jenem Tag erschossen Polizist*innen bei einem Räumungsversuch »Tortuguita«, mit bürgerlichem Namen Manuel Terán, eine*n 26-jährige*n venezolanischstämmige*n Waldbesetzer*in. An die 20 Aktivist*innen, die in den letzten Wochen im Wald oder bei Demonstrationen festgenommen wurden, sind mit Terrorismusvorwürfen konfrontiert. Die Kautionssummen, die sie zahlen müssten, um bis zum Prozess auf freien Fuß zu kommen, belaufen sich auf mehrere Hunderttausend Dollar pro Person.

Auf einem Mast klebt ein Plakat auf dem ein Schwarzweißbild einer lächelnden Person zu sehen ist. Aufschrift: "Rest in Power Tortuguita. April 23, ,1996 - January 18, 2023. Murdered by Georgia State Patrol." Kleiner steht unter dem Bild: Indigenous anarchist, loving partner, dear friend, forest defender, trained medic, brave soul and so much more. Tort died a revolutionary death, They did not die in vain but for the movement to end police militarization and protect our forest. In Tort's name, we continue to fight to defend the Welaunee Forest and stop Cop City. With love, rage and commitment to each other's safety and well-being. Justice for Tortuguita. Fight like hell for the dead and living, From Atlanta and beyond. we are all forest defenders. defendatlantaforest.com
Tortuguita wurde am Morgen des 18. Januar bei einer Polizeirazzia im besetzten Waldstück erschossen. Foto: Kornelia Kugler

Wie es zum Tod von Tortuguita kam, ist nicht vollständig geklärt. Die Polizei behauptet, Terán habe auf die Beamt*innen geschossen (auch ein Polizeibeamter wurde an diesem Vormittag verwundet), diese hätten das Feuer erwidert. Bislang gibt es kaum Anhaltspunkte, die diese Version unterstützen. Tonaufnahmen, die die Polizei von Atlanta inzwischen veröffentlichte und die Unterhaltungen zwischen Polizist*innen im Nachgang der Ereignisse wiedergeben, legen eher nahe, dass der Beamte von Kolleg*innen versehentlich angeschossen wurde. Der Tod Tortuguitas scheint zu unterstreichen, was die Aktivist*innen sagen: Die Hochrüstung der Polizei löst keine Probleme, sie schafft nur neue.

Die Pläne für das Trainingsgelände wurden Anfang 2021 bekannt. Auf 350.000 Quadratmetern (das entspricht einer Fläche von 50 Fußballfeldern), erklärte Atlantas damalige Bürgermeisterin Keisha Lance Bottoms, werde eine Modellstadt gebaut, in der Polizeibeamte Spezialeinsätze üben können; Schießstände, ein Autoübungs- und ein Hubschrauberlandeplatz sollten entstehen. Es wäre eine der größten Einrichtungen dieser Art in den USA. 90 Millionen Dollar soll das Projekt kosten. Ein Drittel will die Stadt Atlanta übernehmen, der Rest soll von der privaten Atlanta Police Foundation kommen.

Der South River Forest oder Welaunee Forest hat eine lange Geschichte, in der sich die Kolonisierung des amerikanischen Südens und das historische Erbe der Sklavenhaltergesellschaft abbildet. Bis in die 1820er Jahre lebten hier die Muscogee Creek, eine indigene Gruppe, die den Wald als heilig ansah. Nachdem sie für die weiße Besiedlung vertrieben wurden, stand dort eine Plantage, auf der Hunderte Schwarze Sklav*innen schufteten und starben. Im 20. Jahrhundert wurde das Gebiet als Prison Farm genutzt, also als Gelände für staatliche Zwangsarbeit, zweitweise auch als Müllkippe. Seit den späten 1980er Jahren liegt es brach, die Einwohner*innen Atlantas nutzen den Wald als Naherholungsgebiet, außerdem erfüllt er eine wichtige Funktion als eine der »grünen Lungen« der Stadt und beim Schutz vor Überflutungen.

Eine Kriegserklärung an die Schwarze Bevölkerung

»Cop City ist eine Kriegserklärung an die Schwarze Bevölkerung von Atlanta«, sagt Kwame Olufemi am Rande einer Protestkundgebung vor dem Rathaus am 31. Januar. Wie viele andere sieht er einen direkten Zusammenhang zwischen der Bewegung, die nach dem Polizeimord an George Floyd im Sommer 2020 die USA ergriff, und den Plänen für das überdimensionierte Trainingscenter. Auch Atlanta war damals Schauplatz großer Demonstrationen. Nur Wochen nach dem Tod von George Floyd hatten Polizisten in Atlanta Rayshard Brooks, einen Schwarzen Mann, erschossen. In Folge der Proteste wurde breit über rassistische Polizeimorde diskutiert, Forderungen nach der Definanzierung, sogar Abschaffung der Polizei wurden laut.

Die Polizei wird nicht aufhören, unsere Leute zu töten. Mit dem Mord an Tortuguita haben sie das mehr als deutlich gemacht.

Kwame Olufemi, Community Movement Builders

»Rayshard Brooks wurde in der Pittsburgh Neighbourhood ermordet, keine zehn Minuten von dem Gelände entfernt, wo jetzt Cop City gebaut werden soll. Die Antwort war ein Aufstand. Damals versprachen die Demokraten, die Vorfälle aufzuklären, Gelder von der Polizei abzuziehen und in arme Communities zu leiten. Nun passiert das Gegenteil. Und zwar deshalb, weil sie mit dieser Art Aufständen nicht fertig werden. Sie brauchen mehr militarisierte Polizei, mehr Training in urbaner Kriegsführung, um solche Aufstände niederzuschlagen. Denn sie wissen, sie werden nicht aufhören, unsere Leute zu töten. Mit dem Mord an Tortuguita haben sie das mehr als deutlich gemacht.«

Kwame Olufemi ist Mitglied der Community Movement Builders, eines Schwarzen Aktivist*innen-Kollektivs, das in der Pittsburgh Neighbourhood, einem armen Stadtteil in Südatlanta, gegen Gentrifizierung und anti-Schwarze Polizeigewalt kämpft und Selbsthilfestrukturen aufbaut. Als die Pläne für Cop City bekannt wurden, begannen die Community Movement Builders sofort, Protest zu organisieren.

Ein Mann mit Bart und Dreadlocks in einem Roten Pulli steht vor einem Amtsgebäude, hinter ihm halten Demonstranten Schilder hoch. Auf dem Pulli des Mannes steht "Community Movement Builders".
Kwame Olufemi von den Community Movement Builders, einem Schwarzen Organizing-Kollektiv in der Pittsburgh Neighbourhood. Foto: Kornelia Kugler

Sie sind nicht die einzigen, die die Pläne als Frontalangriff auf ihre Anliegen sehen. Der Protest vereint Initiativen für Racial Justice und gegen rassistische Polizeiarbeit, Umweltschutzgruppen und Initiativen, die sich gegen Gentrifizierung und für mehr bezahlbaren Wohnraum einsetzen. In der Bevölkerung ist das Projekt unbeliebt. Vor der Abstimmung im Stadtrat im September 2021 wurden Eingaben von 1.100 Bürger*innen Atlantas abgespielt, etwa 70 Prozent sprachen sich gegen den Bau aus. Trotzdem stimmte der Stadtrat mit zehn zu vier Stimmen dafür.

Der Prison Industrial Complex

Micah Herskind ist ebenfalls von Beginn an in den Protesten aktiv, er hat mehrere Artikel über das Vorhaben und seine Einbettung in den »Prison Industrial Complex« in den USA veröffentlicht. »Mit Prison Industrial Complex lässt sich das Geflecht von Interessen beschreiben, die das Strafsystem am Laufen halten und ausweiten, weil ihre Macht oder ihr Profit von ihm abhängt«, erklärt Herskind. »Manche denken bei dem Begriff an eine Verschwörung, bei der einzelne mächtige Akteure im Hintergrund die Fäden ziehen. Aus meiner Sicht hilft er zu verstehen, dass es diese Akteure gar nicht braucht, sondern dass ein Projekt wie Cop City aus einer Gesellschaft entsteht, in der viele Menschen vom Strafsystem profitieren. Auch wenn natürlich trotzdem jede Menge Hinterzimmerdeals laufen.«

Tatsächlich ist das Gefängnissystem in den USA ein ökonomischer Faktor. Nirgendwo sonst auf der Welt sind so viele Menschen inhaftiert. Mehr als zwei Millionen waren es im Jahr 2019, die Inhaftierungsrate ist etwa zehnmal so hoch wie in Deutschland. Die Gefängnisbevölkerung ist überdurchschnittlich Schwarz – ein Erbe der Sklaverei: Für Schwarze Männer ist die Wahrscheinlichkeit, im Gefängnis zu landen, sechsmal so hoch wie für weiße. Sowohl Bundesstaaten als auch Privatunternehmen, die Gefängnisse betreiben, machen Gewinn mit der Inhaftierung von Menschen, unter anderem, weil Gefangene zu Zwangsarbeit verpflichtet oder als billige Arbeitskräfte an Unternehmen verliehen werden.

Eine Person mit grünem Shirt und pinken Arbeitshandschuhen stemmt eine Hand in die Hüfte, der Kopf ist nicht zu sehen, im Hintergrund Wald
Die Sorge vor polizeilicher Verfolgung ist seit den Terroranklagen groß. Aktivist*in Robbie im Atlanta Forest. Foto: Kornelia Kugler

»Der Hauptakteur hinter Cop City ist die Atlanta Police Foundation, eine finanzstarke Stiftung mit großem Einfluss auf alles, was in Atlanta mit der Polizei zu tun hat«, sagt Herskind. Die 2003 gegründete APF ist eine von vielen privaten Stiftungen in den USA, über die Unternehmen und wohlhabende Privatleute Geld in die Polizei leiten. Im Stiftungsrat sitzen Vorstandsmitglieder von Waffle House, einer großen Fast-Food-Kette, und Delta Airlines; Coca Cola, Cox Enterprises, ein Medienkonzern, und andere Firmen gehören zu den Financiers. Cox Enterprises gehört auch die größte Tageszeitung der Stadt, die Atlanta Journal-Constitution, die durchgehend wohlwollend über das Vorhaben berichtete. Alex Taylor, der Vorstandsvorsitzende von Cox, organisiert das Fundraising für Cop City.

»Die APF übt Druck auf die Politik aus, dieses Trainingsgelände um jeden Preis durchzudrücken. Ihre Drohkulisse ist die Abspaltung von Buckhead, das ist ein reicher weißer Stadtteil im Norden Atlantas, in dem viele Unternehmen ihren Sitz haben. Die Sezessionsbewegung von Buckhead hat in den letzten Jahren viel Wirbel gemacht, und sie wird immer wieder ins Spiel gebracht, wenn der Druck gegen das an die mehrheitlich armen, Schwarzen Vierteln in Südatlanta angrenzende Polizeitrainingsgelände wächst«, fasst Micah Herskind zusammen.

Wie geht es weiter?

Im Atlanta Forest ist es inzwischen dunkel geworden. Die Aufräumaktion ist beendet, jede Menge Gerümpel aus dem Wald geschafft. Auf dem Parkplatz gibt es etwas zu essen und ein kleines Feuer, die Aktivist*innen stehen in Grüppchen herum. Die Stimmung ist gedrückt, die Gespräche drehen sich um den Tod von Tortuguita, die*den die meisten hier kannten, und das Ende der Besetzung. »Ja, sie wollten weitermachen«, sagt Robbie, aber wie genau, das wüssten sie noch nicht. Crusty, eine Aktivistin, die bei uns steht, wirkt ebenfalls erschüttert. »Um den Wald weiter zu beschützen, müssen wir viel mehr werden, wir müssen unsere Körper dem Abriss entgegenstellen. Zuletzt waren wir nur 30 Leute im Wald. Es ist hier nicht wie im Hambi oder in Lützerath, dass wir einfach Zehntausende Leute mobilisieren können. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo wir in ein paar Wochen stehen werden, hier kann jeden Tag die Rodung beginnen.«

»Wir werden weiter mobilisieren und alles tun, was nötig ist, um Cop City zu stoppen«, hatte Kwame Olufemi am Tag zuvor gesagt. »Der ganze Zweck von Cop City ist es, den Druck auf uns zu erhöhen und Schwarze Leben in Gefahr zu bringen. Sie werden nicht damit aufhören. Und das ist exakt der Grund, weshalb wir auch nicht aufhören werden. Mit dem Mord an Tortuguita haben sie gezeigt, was auf uns zukommt, und zwar in vielfacher Form, falls Cop City tatsächlich gebaut wird.«

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 36 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Probeabo gibt es natürlich auch.