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Friseur*innen gegen die Angst

Der Fall Klier ist ein Beispiel für Union Busting, aber auch für mutige Beschäftigte und außerbetriebliche Unterstützung auf Augenhöhe

Von Marvin Hopp und Melissa Kempner

Für Deutschlands größte Friseurkette Klier Hair Group arbeiten über 9.000 Beschäftigte in 1.350 Salons – noch. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Wolfsburg hat jüngst Insolvenz angemeldet. Der offizielle Grund: Umsatzeinbrüche im Zuge der Corona-Krise. Seit der Beantragung des Schutzschirmverfahrens Anfang September, kam es laut ver.di zur Schließung von über 30 Filialen und damit verbundenen Kündigungen der Mitarbeiter*innen – ohne eine vorherige Ankündigung. Über einen umfassenden Sanierungsplan wird die Gläubigerversammlung voraussichtlich im Februar entscheiden. Laut Ostsee Zeitung könnten dann bis Ende März etwa 450 Filialen geschlossen und damit rund 1.800 Beschäftigte entlassen werden.

Diesen radikalen Einschnitt in der Unternehmensstruktur nur auf die Folgen der Corona-Pandemie zurückzuführen, wäre allerdings zu kurzsichtig. Klier fährt schon seit Jahren einen aggressiven Kurs gegen seine Belegschaft. In jüngster Vergangenheit machte die Kette unter anderem Schlagzeilen, weil sie Betriebsrätinnen mit Klagen überhäufte, um so die Gründung eines Gesamtbetriebsrats zu verhindern.

Familienclan gegen Beschäftigte

Das 1948 gegründete und bis heute weitgehend in den Händen der »größten Friseurfamilie Europas« befindliche Unternehmen ist als Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingetragen. Für das Insolvenzverfahren bedeutet dieser Rechtsstatus, dass die Firma nun auf dem Rücken der Belegschaft »saniert« werden kann. Der Familienclan muss nicht mit seinem Privatvermögen haften, das bei einem Jahresumsatz des Konzerns von rund 311 Millionen Euro (2018) reichlich vorhanden sein dürfte.

Bei den Beschäftigten sieht es ganz anders aus: Mit einem durchschnittlichen Jahresbruttogehalt von 23.200 Euro gehört das Friseurhandwerk zu den zehn am schlechtesten bezahlten Berufen in Deutschland. Fast 90 Prozent der Beschäftigten sind Frauen. Betriebsratsstrukturen sind in der Branche eine Seltenheit. Auch Momente der Selbstorganisierung sind selten möglich, da in den meist kleinen Filialen die persönliche Nähe zwischen Beschäftigten und deren Chefs prägend ist. Zudem sind die angestellten Friseur*innen hochgradig vereinzelt tätig. Die Bündelung der Interessen gegenüber dem gemeinsamen Chef ist daher für engagierte Kolleg*innen ein erheblicher Kraftaufwand.

Doch auch unter diesen schwierigen Bedingungen gibt es Teilerfolge: So gelang es Hamburger Beschäftigten von Klier vor einigen Jahren, in Zusammenarbeit mit ver.di einen Betriebsrat zu gründen.

Union Busting

In Hamburg haben wir als Netzwerk Arbeitskämpfe die Auseinandersetzung des Betriebsrats mit der Firma Klier durch außerbetriebliche Solidaritätsarbeit teilweise erfolgreich unterstützen können. Neben dem Austausch und der Vernetzung mit den betroffenen Betriebsrätinnen und Verantwortlichen der zuständigen Gewerkschaft ver.di, haben wir die Gerichtsprozesse der Betroffenen begleitet. An sechs Hamburger Klier-Filialen wurde etwa zeitgleich mit Transparenten und Schildern auf die Kündigungen der Kolleginnen hingewiesen. Unterschriften wurden gesammelt und Gespräche mit den Beschäftigten geführt, die über die Kündigungen ihrer Kolleginnen oft gar nicht Bescheid wussten. Das Netzwerk Arbeitskämpfe hat sich dabei nicht als Ersatz, sondern als notwendige Ergänzung zu Gewerkschaften verstanden.

Wie sehr Klier solche Initiativen fürchtet, wurde im vergangenen Jahr deutlich. Als die auch für Schleswig-Holstein zuständigen Hamburger Betriebsrät*innen gemeinsam mit anderen die Gründung eines Gesamtbetriebsrats initiieren wollten, wurde allen sechs gekündigt unter dem fadenscheinigen Vorwurf, die Betriebsratszeiten falsch angegeben zu haben. In Berlin und Hannover versuchte die Unternehmensleitung, die Betriebsratswahlen juristisch anzufechten. Insgesamt liefen damit bundesweit rund 20 Prozesse gegen Klier-Beschäftigte.

So positiv das Klier-Beispiel in Sachen gelungener Solidaritätsarbeit in einer fragmentierten Branche ist, so deutlich wird im Zuge des aktuellen Insolvenzverfahrens auch, an welche Grenzen außerbetriebliche Solidarität stößt.

Für sein aggressives Vorgehen gegen die eigenen Mitarbeiter*innen holte sich das Unternehmen professionelle Unterstützung, etwa vom Münchner Anwalt Hartmut Brandt, der bereits die Inhaber des Berliner Wombats-Hostels unterstützt hatte, sowie Marc Müller von der Kanzlei Taylor Wessing, der für Streikbruch-Maßnahmen beim Hamburger Plastikbecherhersteller Neupack verantwortlich war. In den jüngsten Prozessen gegen die Beschäftigten von Klier versuchte Müller die Kündigungen gegen alle gewählten Betriebsratsmitglieder durchzusetzen. Eine mittlerweile gängige Praxis in der Arbeitswelt. (1) Wenngleich die Kanzleien damit – wie auch im Falle von Klier – selten erfolgreich sind, gelingt es ihnen so doch häufig, die Belegschaften zu spalten und zu lähmen.

Außerbetriebliche Solidaritätsarbeit

So positiv das Klier-Beispiel in Sachen gelungener Solidaritätsarbeit in einer fragmentierten Branche ist, so deutlich wird im Zuge des aktuellen Insolvenzverfahrens auch, an welche Grenzen außerbetriebliche Solidarität stößt. Die um sich greifende Angst in der Belegschaft, zu den Gekündigten zu gehören, verstärkt die strukturell bedingte Vereinzelung noch. Von außen die Politisierung dieser Auseinandersetzung zu befeuern und im besten Fall gemeinsam nach Wolfsburg vor die Konzernzentralle oder gar das Anwesen der Familie Klier zu spazieren, scheint in Anbetracht dieser Situation nicht möglich.

Aufseiten der Klier-Beschäftigten und besonders der betroffenen Betriebsrätinnen lösten die Soliaktionen dennoch sowohl Verwunderung, als auch Begeisterung aus. Die wenigsten konnten es sich überhaupt vorstellen, dass Beschäftigte anderer Branchen und Bereiche sich mit ihnen und ihrer Auseinandersetzung solidarisieren könnten. Aber: Arbeitskämpfe können am Ende nur von den Betroffenen selbst geführt werden – ihnen von außen zu sagen, was sie zu tun haben, bleibt falsch. Um also aktiv gestaltender Part solcher Auseinandersetzung zu sein, werden Linke auch künftig nicht darum herum kommen, sich dort selbst zu organisieren, wo sie arbeiten. Dennoch: wo das enge Betriebsdenken überwunden wird, fängt das kollektive Denken (und vielleicht irgendwann auch Handeln) als Klasse an.

Marvin Hopp

ist Sozialökonom und Arbeitssoziologe. Vor seinem Studium hat er bei Volkswagen gearbeitet und war dort in der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessensvertretung aktiv.

Melissa Kempner

Melissa Kempner studiert und ist in verschiedenen gewerkschaftlichen und linken Kontexten unterwegs. Beide sind im Netzwerk Arbeitskämpfe aktiv.

Anmerkung:
1) Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung gibt es bei fast jedem zweiten untersuchten Fall, Versuche, die Betriebsratswahlen zu verhindern. Bei Neugründungen wurden die Wahlen in knapp einem Drittel der Fälle ganz verhindert.