Ohne Spaß haben wir schon verloren
Sind Demos gegen rechts mehr als Selbstzweck? Eine Antwort auf Marcel Hartwig
Von Maike Zimmermann
Treffend beschreibt Marcel Hartwig in »Pfeifen im dunkelblauen Wald« (ak 708), womit wir es angesichts des Erfolgs der AfD in Ostdeutschland zu tun haben. Allen voran die facettenreichen Auswirkungen fortschreitender rechter Normalisierung. Dem ist auch gar nicht zu widersprechen. Gleichwohl sei an einem Punkt eine Anmerkung, an einem anderen eine Entgegnung erlaubt.
»Linke aller Couleur hantieren wieder mit dem Faschismusbegriff«, schreibt Hartwig. Dies erzeuge unter anderem Bilder uniformierter SA-Kolonnen in den Köpfen und verstelle den Blick auf die heutige Gefahr. Ob der Faschismusbegriff nun geeignet für die Analyse ist, sei dahingestellt. Es stimmt vermutlich: Die linke Warnung vor dem Faschismus hilft uns durch ihre emotional-moralische Aufladung nicht viel weiter. Das bedeutet aber nicht, dass uns die Geschichte nicht weiterhelfen kann. Zieht man den historischen Vergleich trotz aller Unterschiede heran, dann müssen wir über die Zeit vor dem 30. Januar 1933 sprechen. Und das kann sehr wohl aufschlussreich sein. Wie hat sich die Sozialdemokratie verhalten? Welche Strategien wurden unter Kommunist*innen diskutiert? Wie haben sich auch damals rechte Narrative durchgesetzt? Welche Gefahren wurden verkannt? Und: Welche Stufen hat die autoritäre Formierung der Gesellschaft durchlaufen? Soweit die Anmerkung.
Marcel Hartwig erklärt sodann vor allem, was alles nichts bringt: Social-Media-Posts nicht, Kampagnen auch nicht und Großdemonstrationen sowieso nicht, weil durch Social Media – da schließt sich der Kreis – die Aufmerksamkeitsspannen zu kurz sind. Auch die Demonstrationen zu Beginn des Jahren hätten »für die jetzige Situation nach den Landtagswahlen keinerlei Effekt« gehabt. All diese politischen Praxen seien, wenn überhaupt, lediglich dafür geeignet, die eigene Ohnmacht für eine kurze Zeit zu vertreiben.
Nun mag es so sein, dass diejenigen jenseits der 40, die sich seit 30 oder mehr Jahren mit linker antifaschistischer Politik beschäftigen, dies aus überwiegend rationalen Beweggründen tun oder zumindest auch dann daran festhalten, wenn es keine identitätsstiftenden Momente gibt. Die in die Jahre gekommenen Berufsantifas liegen dem zumeist ein anderes Bewertungssystem zugrunde, nämlich: Was ist notwendig, um das Ziel zu erreichen? Das ist auch nicht falsch, aber viele Weggefährt*innen sind leider über die Jahre irgendwann abgebogen. Und das eben auch deswegen, weil es wichtig ist, etwas zu fühlen, weil es wichtig ist, dass Antifa Spaß macht, weil es wichtig ist, Mut zu finden, wenn alles hoffnungslos erscheint. Ja, wir brauchen diese Momente, in denen wir merken, dass wir nicht alleine sind – und wenn ein Rauchtopf dabei hilft, dann ist das auch okay.
Es wichtig ist, dass Antifa Spaß macht, weil es wichtig ist, Mut zu finden, wenn alles hoffnungslos erscheint. Ja, wir brauchen diese Momente, in denen wir merken, dass wir nicht alleine sind – und wenn ein Rauchtopf dabei hilft, dann ist das auch okay.
400 Menschen kamen im Juni zum CSD nach Rheinsberg, mehr als 1.000 waren es im August in Bautzen und im September dann 2.000 in Wismar. Und das sind nur drei von etlichen CSDs, die in diesem Sommer stattgefunden haben – oftmals mit Bedrohungen von rechts im Vorfeld, bei einigen mit Gegenaktionen von Neonazis vor Ort. Und trotzdem hat Ostdeutschland noch nie so viele CSDs gesehen. Auch wenn die 2.000 Menschen vermutlich nicht alle aus Wismar kommen, so gibt das den Menschen, die sich dort jeden Tag in den Sturm stellen, trotzdem Kraft. Solche Momente sind kein Identitätsquatsch, sondern ganz einfach super wichtig. Queer auf dem Land zu sein hat nichts mit Bubble zu tun, Queers sind das neue Feindbild der extremen Rechten, und es ist großartig, dass sich die Leute nicht von den scheiß Nazis einschüchtern lassen.
Es geht nicht zuletzt um die Frage, welchen Effekt ich von einem Ereignis erwarte, darum einzuschätzen, was eine Aktion oder ähnliches bewirken kann – und was eben auch nicht. Selbstverständlich ändert die Empörung über die Erkenntnisse der Correctiv-Recherche ein dreiviertel Jahr später nichts an den Wahlergebnissen. Und auch Demos und Aktionen tun das in den seltensten Fällen. Wenn sich die Berliner Antifa am Tag vor der Brandenburger Landtagswahl in Potsdam bei einem Konzert von »Kein Bock auf Nazis« ZSK, Madsen und Sportfreunde Stiller anschaut, hat das natürlich keinen Einfluss auf nur eine einzige Wahlentscheidung. Wenn ich meinen Erwartungsmaßstab so anlege, werde ich enttäuscht. Und wenn ich denke, nach der Correctiv-Recherche rennen mir plötzlich alle die Antifa-Bude ein, werde ich ebenfalls enttäuscht. Sowohl Erwartungen als auch strategische Ziele sollten allen voran realistisch sein. Das ist in Zeiten der Schwäche nicht schön, weil realistisch dann oft gleichbedeutend mit Tippelschritten ist.
Marcel Hartwig fragt: »Wie wäre es mit dem Versuch, die Resilienz der eigenen Strukturen zu stärken«? Was er dann ausführt, passiert zum Glück längst: Leute klopfen die Satzungen ihrer Vereine ab, sie vernetzen sich stärker, sie tauschen sich aus. Hartwig hat Recht: Es ist wichtig, das alles jetzt zu tun. Das kostet viel Kraft und Energie. Zur Resilienz gehört aber eben auch, gemeinsame Werte zu haben und eine emotionale Bindung zueinander aufzubauen. Das bedeutet auch, gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie wir den Mut nicht verlieren.
»Es muss um Netzwerke konkreter Unterstützung gehen, wenn Menschen, die in AfD-Hochburgen gegen die extreme Rechte aktiv sind, ausbrennen, bedroht werden«, schreibt Hartwig vollkommen zu Recht. Es mag ein wenig merkwürdig klingen: Die Bedingungen dafür stehen heute besser als noch vor einem Jahr. Es gibt eine höhere Bereitschaft zuzuhören, es gibt Antifas, die stärker darüber nachdenken, wie solche Netzwerke konkreter Unterstützung aussehen können, langsam sickert endlich die Erkenntnis durch: Geh hin und sage nicht, was du denkst, was man machen muss – sondern frage, was gebraucht wird, was du mitbringen, besorgen oder tun kannst.
Der Gegensatz, den Hartwig konstatiert, muss keiner sein: Wir können strategisch und langfristig darüber nachdenken, wie sich Solidarität ausbuchstabiert und wo auch die eigene Belastbarkeit Grenzen hat. Und wir können sehr wohl gleichzeitig für Momente sorgen, die unser Herz in diesen Zeiten ein wenig erwärmen.