Es rockt sich was zusammen
Amazon-Arbeiter*innen haben sich in Poznan ausgetauscht – in Deutschland haben einige zuletzt gestreikt
Von Lene Kempe
Angefangen habe alles, weil die polnischen Kolleg*innen nach Bad Hersfeld gefahren kamen und sagten, »wir wollen uns mal vernetzen«. So beschreibt Andreas Gangl gegenüber ak den Gründungsmoment der Amazon Workers International (AWI). Ende September gab es wieder ein Treffen, diesmal in der polnischen Stadt Poznan. Teilgenommen haben daran Kolleg*innen aus Frankreich, Polen, der Slowakei und Deutschland, Kolleg*innen aus der Türkei, Kanada, den USA und Italien hatten sich online zugeschaltet. »Solche Treffen machen wir seit 2015 regelmäßig alle halbe Jahre, um uns zu vernetzen«, so Gangl. Er arbeitet seit 2008 im Amazon-Verteilzentrum Bad Hersfeld, ist ver.di-Vertrauensmann und im Betriebsrat. Das Vernetzungstreffen sei allerdings keine Gewerkschaftsveranstaltung, betont Gangl, »sondern ein Treffen derjenigen, die wirklich bei Amazon arbeiten«. Früher seien sie immer gegeneinander ausgespielt worden. Kurz nach den ersten Streiks in Deutschland hatte Amazon 2013 bereits Standortverlagerungen verkündet und begonnen, Logistikzentren in Polen, Tschechien und der Slowakei aufzubauen – um Lohnkosten zu sparen und den Warenversand zu garantieren. »Wenn wir gestreikt haben, durften die in Polen Extraschichten fahren und mussten ausgleichen, was wir hier in Deutschland nicht erledigt haben«.
Seitdem versuchten sie sich bei Streiks gegenseitig zu unterstützen. Eingespielte Abläufe gebe es dafür (noch) nicht, so Gangl, aber sie informierten sich gegenseitig, wenn Arbeitsniederlegungen stattfinden. »Das andere ist, dass wir uns austauschen und Probleme benennen, um zu ermöglichen, dass wir auch europa- und weltweit gegen Amazon vorgehen können«. Die Erfahrungen seien sehr ähnlich, weil der Konzern versucht, die Arbeit überall gleich zu organisieren. Digitalisierung von Arbeitsprozessen spielt dabei eine entscheidende Rolle. Eine Forderung, die am Schluss des Treffens gemeinsam formuliert wurde, lautet deshalb, dass neue Technik nicht zum Nachteil der Arbeiter*innen eingesetzt werden darf.
Bodennahe Fächer abschaffen – überall
Die Art und Weise, wie künstliche Intelligenz den Arbeitsprozess bestimmt, und die Erfahrung, »von Robotern kontrolliert« zu werden, ist seit Jahren ein verbindendes Moment von Kämpfen gegen den Versandriesen. Manchmal sind es aber auch sehr einfache Dinge, die gemeinsam diskutiert und angegangen werden. In jedem Verteillager gebe es beispielsweise Fächer ganz unten, in Bodenhöhe. »Wenn man da mehrmals am Tag Ware rausholen muss, ist das eine große körperliche Belastung. Unser Ziel ist, europaweit diese bodennahen Regale abzuschaffen«.
Lohnkämpfe miteinander zu vernetzen sei dagegen schon schwieriger. »Bei dem Treffen hatten wir auch die Diskussion, ob wir europaweit eine Lohnforderung aufstellen können.« Gleicher Lohn für alle würde in einigen Ländern, zum Beispiel in Polen oder der Slowakei, eine Verdreifachung oder Vervierfachung bedeuten, was kaum durchsetzbar erscheint, eine gleichmäßige prozentuale Anpassung verfestigt dagegen das starke Lohngefälle zwischen den Amazon-Arbeiter*innen. Eine konkrete Einigung in der Lohnfrage hätten sie deshalb nicht erreicht, »das müssen wir noch länger ausdiskutieren, was da eine kluge Strategie ist«. Einige gemeinsame allgemein formulierte Forderungen gibt es hier trotzdem: den Ausgleich der Inflation, deutliche Lohnerhöhungen sowie die Schließung der wachsenden Kluft zwischen Ost- und Westeuropa.
Denn natürlich mache sich Amazon die unterschiedlichen Lohnniveaus zu Nutze. »Das gilt auch innerhalb Deutschlands: Im Osten wird immer noch weniger gezahlt als im Westen, in Bad Hersfeld, als ehemaliges ›Zonenrandgebiet‹, auch. Obendrein sind dann die Lohnanpassungen für jeden Standort unterschiedlich.« Auch Prämien, die Teil des Amazon-Lohnsystems sind, werden unterschiedlich hoch, an neuen Standorten zum Teil gar nicht mehr ausgezahlt. Das alles sei ziemlich willkürlich und auch für ihn nur noch schwer zu überblicken, so Gangl.
Amazon war DER Gewinner in der Pandemie, aber gleichzeitig nicht bereit, auch nur ein paar Brotkrümelchen an die Arbeiter abzugeben
Andreas Gangl
Dass derzeit so viel gestreikt werde – in den vergangenen Wochen allein in Winsen (Luhe), Bad Hersfeld, Dortmund, Graben, Werne und Leipzig –, habe nicht nur mit diesen Lohnunterschieden und der Inflation zu tun, sondern auch damit, »wie Amazon sich in der Pandemie gegenüber den Beschäftigten verhalten hat. Das Unternehmen war DER Gewinner in der Pandemie, aber gleichzeitig nicht bereit, auch nur ein paar Brotkrümelchen an die Arbeiter abzugeben.« Die Beschäftigten hätten während der Corona-Beschränkungen zwar zwei Euro »Anwesenheitsprämie« und einmalig 500 Euro bekommen – auf eine Vollzeitstelle. Der gesetzliche Rahmen hätte aber 3.000 Euro zugelassen. Obwohl sich das Unternehmen vor Aufträgen kaum retten konnte, habe Amazon da immer nur abgewunken.
Vorm Werkstor mit Gewerkschaftsmuffeln
Gerade stünden die Chancen deshalb besser denn je, weitere Mitstreiter*innen zu gewinnen. Das war lange eher schwierig in Bad Hersfeld. »Vor über zehn Jahren, als wir angefangen haben, uns zu organisieren, hatten wir schon einen guten Zuwachs unter den Beschäftigten. Damals war das Unternehmen extrem gewerkschaftsfeindlich.« Trotzdem hätten sie sich recht schnell, innerhalb von ein zwei Jahren, relativ gut organisiert – auch an anderen Standorten, wie in Leipzig zum Beispiel. »In den letzten Jahren stagnierte das allerdings. Einen gewissen Teil der Beschäftigten konntest du organisieren, aber die überwiegende Mehrheit hast du nicht bekommen.« Nun habe sich der Wind wieder gedreht, sie hätten bei ver.di hohe Zuwächse von Neumitgliedern zu verzeichnen. »Vor allem sind da auch Leute dabei, die zehn Jahre gegen die Gewerkschaft gewettert haben und jetzt mit vorm Tor stehen.« Ähnliches höre man auch aus Leipzig, wo gerade Stellen abgebaut werden. Und in Winsen (Luhe) waren beim letzten Streik 200 Kolleg*innen neu in die Gewerkschaft eingetreten. »Da rockt es gerade so richtig. Da sieht man aber auch die Frustration, die sich entlädt. Die Leute haben wirklich die Schnauze voll«. Und dann gebe es ja noch jede Menge Standorte, die noch nicht organisiert seien. »Eine bessere Zeit dafür als jetzt gibt es nicht«, glaubt Andreas Gangl.