AfD-Verbot selber machen!
Warum eine antifaschistische Verbotskampagne selbst dann erfolgreich sein kann, wenn sie ihr Hauptziel zunächst verfehlt
Von Christoph Kleine
Der Streit um die Verbotsforderung spaltet die antifaschistische Bewegung seit Jahrzehnten. Die zu verbietenden Naziparteien wechseln, aber die Argumente bleiben im Grundsatz gleich. Den radikaleren Antifaschist*innen erscheint die Verbotsforderung zu harmlos, weil sie sich an den Staat Bundesrepublik Deutschland richte, der selbst von Nazis aufgebaut, von Antikommunismus und Rassismus durchzogen sei. Ein Verbot faschistischer Parteien zu fordern, würde die Bewegung schwächen, weil die Aufgabe der Bekämpfung der Rechten an den Staat delegiert und gleichzeitig dessen Repressionsorgane, also Justiz, Polizei und Inlandsgeheimdienst samt ihrer falschen Rechts-gleich-Links-Propaganda legitimiert würden. Entlang dieser Linie argumentiert auch Michèle Winkler in ihrem Artikel »MfG, eure fdGO« in ak 706.
Die sich verstärkende Spirale aus AfD-Wahlerfolgen und gesellschaftlichem Rechtsruck hat eine ernste und dringende Situation geschaffen. Die Massenproteste gegen rechts vom Jahresanfang sind ein Strohfeuer geblieben: Inhaltlich zu staatstragend und zu beliebig, sozial zu sehr auf die intellektuelle Mittelschicht beschränkt, war es für SPD und Grüne zu leicht, sich gleichzeitig an die Spitze dieser Proteste zu stellen und sie zu verraten, indem in der praktischen Politik eine rassistische AfD-Forderung nach der nächsten umgesetzt wird.
Abgrenzung und Schuldzuweisung fallen aus einer antifaschistischen und antirassistischen Perspektive also nicht schwer. Doch leider hilft das Rechthaben und Rechtbehalten in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung nicht weiter. Die richtige Analyse allein führt den Antifaschismus nicht aus der Defensive. Was fehlt, ist eine politische Orientierung, die mobilisierend und ermutigend ist, die Blockaden und direkte Aktionen mit einer breiteren gesellschaftlichen Bewegung verbinden kann. Sie muss realistisch genug sein, um prinzipiell im Hier und Jetzt umsetzbar zu sein – und gleichzeitig radikal genug, mit einem utopischen Überschuss, um einen Konflikt mit den herrschenden Verhältnissen zu produzieren. Also für den Antifaschismus einen vergleichbaren Moment zu schaffen, wie es die Forderung nach der Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnraum in der Berliner Deutsche-Wohnen-enteignen-Kampagne geschafft hat.
Wir sollten eher Angst davor haben, nicht ausreichend politisch wirksam zu sein, im Kampf gegen rechts nicht alles versucht und nicht genug Hoffnung gemacht zu haben.
Kann die Verbotsforderung so etwas leisten? Michèle Winklers Antwort ist Nein. Für sie ist der historische Rucksack aus der antikommunistischen DNA der Bundesrepublik, aus Extremismustheorie und Staatsgläubigkeit zu schwer. Einen Gegenvorschlag kann sie aber auch nicht formulieren. Prüfen wir deshalb zuerst, ob sich die politische Verbotsforderung mit einer antifaschistischen Praxis der Selbstermächtigung, des Widerstands und des Ungehorsams verbinden lässt. Haben wir für einen Moment weniger Angst davor, als naiv gegenüber dem Charakter des bürgerlichen Staates zu gelten und falsche Hoffnungen geweckt zu haben. Haben wir lieber Angst davor, nicht ausreichend politisch wirksam zu sein, im Kampf gegen rechts nicht alles versucht und nicht genug Hoffnung gemacht zu haben.
Faschismus ist keine Meinung
Voraussetzung der Forderung nach einem AfD-Verbot sind zwei Grundpositionen, die alle Antifaschist*innen teilen sollten.
Erstens: Die AfD ist in ihrem Kern eine faschistische, antidemokratische Partei. Ihr demokratisches Mäntelchen ist nur notdürftig umgehängt. Wenn sie zu Macht und Einfluss gelangt, stehen demokratische Freiheitsrechte, soziale Errungenschaften und die Sicherheit von als »anders« Markierten in einem qualitativ anderen Ausmaß in Gefahr als unter der – ebenfalls unerträglichen – Regierung der bürgerlichen Parteien. Begehen wir nicht den Fehler von Antifaschist*innen in der Endphase der Weimarer Republik, die angesichts der rechten Notverordnungsregierungen ab 1930 gedacht hatten, der Faschismus sei bereits da.
Zweitens: Für faschistische Positionen und Organisationen gibt es keine politische Legitimität. Ein rassistisches und antidemokratisches Programm kann nicht zur Abstimmung gestellt werden, weil auch Mehrheiten keine Grundrechte außer Kraft setzen dürfen. Zu Nazis und Rechten darf es keine politische Konkurrenz mit Regeln und Fairness geben, sondern nur echte, antagonistische Feindschaft. Diese antifaschistische Grundposition liegt – wenn auch unausgesprochen – allen direkten und ungehorsamen Aktionen von Antifaschist*innen zugrunde: von dem Abreißen rechter Wahlplakate, der Verhinderung von Infoständen bis zur Blockade von Parteitagen und Aufmärschen.
Für uns Antifaschist*innen gehören AfD & Co. schon lange verboten. Bei der Kontroverse um die Verbotsforderung geht es also nicht um demokratische Rechte für Nazis, sondern darum, in welchen Bündnissen und mit welcher politischen Kommunikation durchgesetzt werden kann, dass es keinen öffentlichen Raum und keinen Spielraum mehr für menschenverachtende Positionen gibt.
Einwände aus der bürgerlichen Mitte
Die Argumentation der bürgerlichen Parteien gegen das AfD-Verbot lässt sich schnell abhandeln. Ein Verbot ändert nichts an dem rechten Gedankengut in den Köpfen der Mitglieder und Wähler*innen. Kann sein, aber es ist gar nicht das Ziel eines Parteiverbots, direkt das Denken von Menschen zu verändern, sondern vielmehr gefährliche Ideologien daran zu hindern, sich zu organisieren und politische Macht zu gewinnen.
Die AfD sei schon zu stark und ihre Wahlprozente zu hoch für ein Parteienverbot. Dieser Einwand muss sich die Frage gefallen lassen, wann denn der richtige Zeitpunkt gewesen wäre. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht 2017 ein Verbot der NPD gerade mit der Begründung abgelehnt, dass diese zu klein und zu schwach sei, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch durchzusetzen.
Ein Verbot habe hohe verfassungsrechtliche Hürden und sei juristisch riskant. Dieses Problem sollten Antifaschist*innen wirklich nicht zu ihrem eigenen machen. Unsere Aufgabe ist es, den praktischen und politischen Druck aufzubauen, vor dessen Hintergrund auch das Bundesverfassungsgericht urteilt. Die Unabhängigkeit der Justiz war schon immer mehr idealistische Theorie als gesellschaftliche Praxis.
Und wenn es scheitert?
Kann ein Verbotsverfahren scheitern? Natürlich, das liegt am Ende nicht in unserer Hand. Ob das die AfD noch stärker macht? Vielleicht, aber ohne Verbotskampagne und -verfahren steigt ihre Zustimmung bei Wahlen ja auch. Konzentrieren wir uns auf das, was in unserer Hand liegt: Eine antifaschistische Kampagne für das Verbot sollte so organisiert werden, dass sie auch dann erfolgreich ist, wenn sie ihr Hauptziel zunächst verfehlt. Entscheidend ist also: Konnten wir die politische Position, dass die AfD illegitim ist und verboten gehört, verbreitern? Haben sich in einer Verbotskampagne Bündnispartner*innen, Aktivist*innen und Unterstützer*innen gefunden, die darin Selbstvertrauen und Handlungsfähigkeit gewonnen haben?
Ein Verbotsverfahren kann von den anderen Parteien als Alibi missbraucht werden, einerseits Handlungsbereitschaft gegen rechts zu beweisen, andererseits aber ihre eigene rassistische und autoritäre Politik noch zu verschärfen. Genau diesen Effekt haben wir schließlich bei der Protestwelle am Jahresanfang gesehen.
Daher kommt es beim AfD-Verbot, wie bei jeder politischen Kampagne, darauf an, wie sich die Unterstützer*innen organisieren und positionieren. Die Anrufung »unserer Demokratie«, als sei diese in der traurigen politischen Realität schon erreicht, ist hochproblematisch. Das gilt erst recht für jeden positiven Bezug auf reaktionäre Begriffe wie zum Beispiel den der »freiheitlich demokratischen Grundordnung«. An dieser Stelle teile ich ausdrücklich die Kritik, die Michèle Winkler in ihrem Artikel formuliert hat.
Der Aufruf von »AfD-Verbot jetzt« ist jedoch sorgfältig formuliert und tappt nicht in die Falle einer rein appellativen und staatstragenden Position. Was manche Unterstützer*innen auch über die offiziellen Kanäle der Kampagne gesagt haben, finde ich dagegen nicht hilfreich. Wenn etwas Arne Semsrott in einem Sharepic mit der Aussage »die Demokratie muss wehrhaft sein« zitiert wird, dann widerspricht das einer wichtigen Grundregel politischer Kommunikation: Wiederhole oder übernimm niemals die Narrative der Gegenseite. Diese Gegenseite besteht eben nicht nur in der AfD, sondern auch in einem repressiv-autoritären Staatsverständnis, wie es in dieser Formel von der Wehrhaftigkeit zum Ausdruck kommt.
Für Bündnisse gilt allerdings, dass sie sinnlos sind, wenn wir sie nur mit uns selbst schließen, mit denjenigen, die ohnehin schon genauso denken und reden wie wir selbst. Der politische Mehrwert der Verbotskampagne kann aber darin bestehen, die engen Grenzen des eigenen Spektrums zu überwinden. Wenn diese Breite gelingt, dann wird es Unterstützer*innen geben, die falsche Argumente für das richtige Ziel benutzen. Wichtig ist aber, dass eine konsequent antifaschistische Position dadurch nicht unsichtbar gemacht wird. So wie es einen Rechtsruck in der Gesellschaft gibt, müssen wir für eine Linksverschiebung in der Bewegung eintreten. Dafür ist es wichtig, dass radikale Linke nicht abseits stehen, sondern sich selbstbewusst und ohne Angst, sich die Hände schmutzig zu machen, ins politische Handgemenge begeben.
Wir müssen in jeder Sekunde für eine aktive Bewegung eintreten, die das Momentum nicht an die Institutionen abgibt und sich nicht im juristischen Klein-Klein verliert. Unser praktischer Einsatz können massenhafte ungehorsame Aktionen sein, wie sie der Kampagne Widersetzen gegen den diesjährigen AfD-Bundesparteitag in Essen gelungen sind. Dabei war weniger wichtig, um wie viele Minuten der Parteitag verzögert werden konnte, sondern dass es aus einer Situation der gesellschaftlichen Defensive überhaupt wieder gelungen ist, Tausende zu einer Blockade zu mobilisieren und ermutigende Erfahrungen der Selbstermächtigung zu ermöglichen.
Auf der inhaltlichen Ebene sollten wir uns dafür einsetzen, dass unsere Begründung für ein AfD-Verbot Maßstäbe für demokratisches und antirassistisches Handeln formuliert, an denen wir auch die übrigen Parteien messen. Auch deshalb lehnen weite Teile der bürgerlichen Parteien ein AfD-Verbot ab. Sie befürchten – völlig zu Recht –, dass ihre eigenen Positionen und Handlungen in den Geruch der Illegalität kommen, dass ihr eigener Handlungsspielraum eingeschränkt wird. Für uns heißt das: Die Kritik an der Abschiebepolitik der Ampelregierung, an ihren Eingriffen in die politischen Freiheiten unter dem Vorwand der Sicherheit gehört untrennbar zu jeder antifaschistischen Praxis dazu.
Drohen Verbote auch gegen links?
In der linken Kritik an der Verbotsforderung schwingt oft die Befürchtung mit, dass einmal eingeführte repressive Instrumente anschließend nicht nur gegen den Faschismus, sondern auch gegen links eingesetzt werden. Nach meiner Überzeugung ist diese Sorge empirisch nicht haltbar. Aller Extremismustheorie zum Trotz brauchen staatliche Repressionen gegen rechts oder links jeweils eigene, völlig unterschiedliche Anlässe und Begründungen. Der Staat wartet nicht darauf, dass wir ein AfD-Verbot fordern, um das dann gegen uns auszunutzen. Wenn er die PKK oder Indymedia Linksunten verbieten will, dann tut er das völlig unabhängig von unserem Forderungskatalog. Unser Schutz dagegen besteht hauptsächlich in organisatorischer Stärke und gesellschaftlicher Verankerung.
Dass Michèle Winkler im Schlussabsatz ihres Artikels die 2021 gestorbene Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano zur Kronzeugin gegen die Forderung nach einem Verbot der AfD macht, ist nicht sauber argumentiert. Tatsächlich hat Esther zwischen der Aussage, dass wir uns im Kampf gegen rechts nicht auf den Staat verlassen können, und ihrer Forderung nach einem Verbot aller faschistischen Parteien überhaupt keinen Widerspruch gesehen. Ihre Organisation, die VVN-BdA, gehört konsequenterweise auch zu den Unterstützer*innen der Kampagne AfD-Verbot jetzt.
Eine breit getragene AfD-Verbotskampagne, an der sich radikale Linke solidarisch-kritisch beteiligen, kann eine aktuelle, praktische Antwort sein, mit welchem Inhalt, mit welchen Partner*innen und mit welchen Aktionen die Einheit gegen die rechte Gefahr geschaffen werden kann. Der Inhalt ist die Negation des AfD-Programms, nämlich das offensive Bekenntnis zu einer offenen Migrationsgesellschaft, mit gleichen sozialen und politischen Rechten für alle. Die Bündnispartner*innen sind alle Menschen und Organisationen, die sich in Worten und Taten zu diesem Ziel bekennen. Die Aktionen müssen die gesamte Bandbreite von diskursiv bis praktisch umfassen. Der Einsatz von radikalen Linken und konsequenten Antifaschist*innen sollte also heißen: AfD-Verbot – selber machen!