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Jeden Monat ein kleines Wunder

Der Dokumentarfilm »Donnerstags, 19 Uhr« erzählt die Geschichte der Lateinamerika Nachrichten – und geht der Frage nach, was ein Kollektiv zusammenhält

Von İnci Arslan

Nur gemeinsam funktioniert es: das Kollektiv der LN in verschiedenen Film-Szenen. Foto: Ausschnitte aus dem Film / Lateinamerika Nachrichten

Es geht, und es ging immer«, sagt Olga Burkert, Redakteurin der Lateinamerika Nachrichten, in die Kamera. Gemeint ist das Kollektiv, das über Jahrzehnte funktioniert und sich immer wieder erneuert hat. Doch warum klappt das eigentlich? Warum schon so lange und über mehrere Generationenwechsel? Das könne sie auch nicht sagen, so Burkert. Aber: Es funktioniert. 

Das Kollektiv – das sind jene Ehrenamtlichen, die in Berlin die Lateinamerika Nachrichten produzieren, die dieses Jahr 50 Jahre alt werden. Zum Geburtstag gibt es nun eine fast einstündige Dokumentation, die nicht nur die Geschichte des Projektes erzählt, sondern auch der für linke Gruppen, die oft nicht so lange durchhalten, generell relevanten Frage nachgeht, was es ist, das ein Kollektiv zusammenhält. Aktive und ehemaligen Redakteur*innen kommen zu Wort, die Gründer*innen der LN, ebenso wie lateinamerikanisch-diasporische Kollektive aus Berlin, die dort u.a. Texte veröffentlichen oder die Druckerinnen, die die Zeitschrift jeden Monat in Farbe aufs Papier bringen.

1973 wurden die LN gegründet – unter dem Namen Chile-Nachrichten. Menschen aus der Solidaritätsbewegung mit Chile glaubten nach dem Putsch gegen Allendes linke Regierung, dass es, wie Mitbegründern Clarita Müller-Plantenberg im Film erklärt, »dringender Aufklärung bedurfte« – FAZ, SZ usw. waren eher Pro-Diktatur – und auch Druck auf die westdeutsche Regierung, die mit der Junta Pinochets ein enges Verhältnis pflegte. 

Bald erweiterte sich der Fokus, Solidaritätsbewegungen mit Lateinamerika gab es in Westdeutschland schießlich einige: Für die Sandinist*innen in Nicaragua, für Waffen für El Salvador usw. Heute ist, reflektieren Redakteur*innen im Film, die Sprache in den Lateinamerika Nachrichten eine andere, vielleicht ist sie auch nicht mehr so radikal und kämpferisch wie in den Anfangstagen, dafür aber journalistischer.

Die eigene Vergangenheit der Solidaritäten etwa mit linken Regierungen wird kritisch diskutiert.

In jedem Fall ist alles nicht mehr so einfach wie einstmals: Die eigene Vergangenheit der Solidaritäten etwa mit linken Regierungen wird kritisch diskutiert. Heftige Konflikte gab es darum. Zum Beispiel um die Frage, wie bedingungslos solidarisch man mit Bewegungen wie der FSLN in Nicaragua sein sollte. Oder auch um Fragen wie: Sollen wir ein Fax-Gerät und – später – Computer einführen? Dagegen sprach u.a., dass das Kollektiv die Herausbildung von Spezialist*innen verhindern wollte. Angeschafft wurden die PCs dann trotzdem. In den 2000er Jahren machte das Kollektiv einen Reflexionsprozess durch, bei dem es um (männliche) Macht ging, wo es doch eigentlich keine Hierarchien geben sollte, darum, wer wieviel redet, wer schreibt und wer eher die unsichtbaren Arbeiten im Hintergrund verrichtet.

Zusammengehalten aber wurde das Kollektiv immer, auch in konfliktreicheren Zeiten. Wovon denn nun? Von einer Grundsympathie mit sozialen, feministischen und progressiven Bewegungen auf dem Kontinent. Von einem festen Ziel: Jeden Monat ehrenamtlich eine Print-Ausgabe herauszubringen, mit der über und aus Lateinamerika berichtet wird. Um dieses Ziel – bisher hat es immer funktioniert, keine Ausgabe ist je ausgefallen – immer wieder aufs Neue zu erreichen, trifft sich das Kollektiv wöchentlich. Immer donnerstags, 19 Uhr. Auch an jenem Donnerstag als die Mauer fiel, saßen die Redakteur*innen zusammen – von dem, was um sie herum in Berlin passierte, hatten sie nix mitgekriegt. Manch eine*n machten die Sitzungen sogar süchtig, wie ein Redakteur erzählt. Mitunter ist man nur zu zweit. Am Ende aber stehen immer die Lateinamerika-Nachrichten. Oder wie Martin Ling, Redakteur seit 1989, es in der Doku formuliert: »Jeden Monat ein kleines Wunder.«

İnci Arslan

ist Autorin und Aktivistin aus Berlin.

Jan-Holger Hennies: »Donnerstags, 19 Uhr«. Deutschland 2023, Deutsch/Spanisch, 54 Minuten. Der Film wird am 30. November, 19 Uhr im Kino in der Regenbogenfabrik (Lausitzer Str. 21a, 10999 Berlin) gezeigt. Infos zu weiteren Aufführungen unter: lateinamerika-nachrichten.de