Kürzungen statt Prävention
Die Ampel hatte ein Gewalthilfegesetz versprochen – dazu kam es nicht, stattdessen sind Beratungsstellen von massiven Einsparungen betroffen

Und wieder: In einem Treppenhaus im Hamburger Stadtteil Groß Borstel ersticht am 2. Januar ein 38-Jähriger seine Partnerin; ihr dreijähriges Kind sieht zu. Das Patriarchat tötet – und die Gewalt nimmt zu. Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, eine Frau umzubringen, mit der er zusammen war oder ist. Fast jeden zweiten Tag gelingt es einem. Nach den Daten der Polizei wird jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben von einem aktuellen oder früheren Partner bedroht, geschlagen, geschubst und zum Sex gedrängt. Zwei von drei Frauen sind mindestens einmal im Leben Opfer eines sexualisierten Übergriffs. Jedes vierte Mädchen zwischen 16 und 18 Jahren erlebt einen Vergewaltigungsversuch. Und das sind nur die gemeldeten Fälle. Der erste »Monitor Gewalt gegen Frauen«, den das Deutsche Institut für Menschenrechte im Dezember 2024 veröffentlicht hat, verdeutlicht: Jeden Tag werden hierzulande 728 Mädchen und Frauen physisch angegriffen. Jeden Tag erleben 394 Mädchen und Frauen psychische Gewalt durch cis-Männer, unter anderem Stalking oder Nötigung. Und auch Übergriffe gegen queere Menschen häufen sich und werden gewaltvoller, wie die Zahl der polizeilich erfassten queerfeindlichen Straftaten zeigt.
Das Netz erweitert den Spielraum der Täter: Mehr als 400 Flintas, also Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen, sind im Schnitt in Deutschland pro Tag von digitaler Gewalt betroffen. Sie werden bedroht und beleidigt, meist in sexualisierter Weise, werden versteckt fotografiert und gefilmt, in Saunen oder Toiletten, intime Bilder werden ohne ihr Wissen verbreitet, ihre Köpfe auf Körper in Pornos montiert, sie erhalten gegen ihren Willen sogenannte Dickpics, ihre Adressen werden veröffentlicht und so weiter.
Weiterhin unterteilt die patriarchale Ordnung die Menschen in Männer und Frauen und wertet letztere dabei systematisch ab: Die Frau hat dem Mann und dem Volk zu dienen. Diese binäre hierarchische Ordnung wird brutal verteidigt, und zwar nicht nur von offensichtlichen Antifeminist*innen. Sie ist in die Köpfe und die Körper der Menschen eingeschrieben und mit der Struktur des kapitalistischen Nationalstaats verwoben. Und die Zunahme der patriarchalen Gewalt korreliert mit dem Erfolg der Rechten und der Verbreitung antifeministischer und sexistischer Einstellungen in den vergangenen Jahren.
Dem rechten Zeitgeist geopfert
Die Grünen wie auch die SPD hatten versprochen, dem Einhalt zu gebieten und zu erfüllen, was schon längst auf der Agenda stand: Ein neues Gewaltschutzgesetz sollte in ihrer Regierungszeit kommen. Ein umfassendes Gewalthilfegesetz, das die Mängel beheben sollte, die Deutschland im Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt aufweist. Bundesweit sollten genügend Plätze in Frauenhäusern geschaffen werden, so dass Betroffene nicht zu prügelnden Partnern zurückkehren müssen.
7.700 Frauenhausplätze gibt es in Deutschland. Nach der Istanbul-Konvention, dem internationalen Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, fehlen mindestens 14.000. Von den mehr als 30.000 Betroffenen und deren Kindern, die jährlich in Frauenhäusern Schutz suchen, mussten die Einrichtungen in den vergangenen Jahren Dutzende oder sogar Hunderte innerhalb einiger Monaten abweisen.
Man muss sich bewusst machen, was es für Betroffene bedeutet, sich an die externen Stellen zu wenden und dann nicht aufgenommen zu werden: Oft sind sie wegen gemeinsamer Kinder noch lange beim gewalttätigen Partner geblieben. Und schließlich wagen sie es, Schutz zu suchen, treffen diese Entscheidung, stehen dann mit den Kindern vor verschlossener Tür und müssen zurück zu eben jenen Männern. Zu Männern, die im Zweifel in der Zwischenzeit toben, weil die Partnerin es wagte, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es gibt keine zentrale Erfassung davon, wie viele Frauen deutschlandweit jährlich wieder weggeschickt werden. In Nordrhein-Westfalen wurde 2023 gezählt: Die Häuser mussten in einem Jahr 7.234 schutzsuchende Frauen abweisen.
In Köln stehen nach den Plänen der Stadt vier Frauenprojekte vor dem Aus, in Berlin sollen der Gewaltschutzambulanz der Charité jährlich 200.000 Euro gestrichen werden.
Und schon für die vorhandenen Plätze fehlt die Finanzierung. Betroffene müssen ihren Aufenthalt oft selbst bezahlen, weil die Frauenhäuser nicht genügend Mittel haben, um ihre Struktur aufrechtzuerhalten. Mittellose und ökonomisch von gewalttätigen Männern abhängige Frauen schließt das bestehende Schutzsystem damit oft komplett aus. Viele geflüchtete Frauen haben je nach Aufenthaltsstatus ebenfalls keinen Anspruch darauf, dass die Kosten für einen Platz im Frauenhaus übernommen werden, obwohl sie in Sammelunterkünften vermehrt Übergriffen ausgesetzt sind. Den Beratungsstellen fehlen zudem Gelder für Angebote der Sprachvermittlung, Kinderbetreuung und auch für spezielle Unterstützung von Frauen mit Behinderungen, die besonders häufig Opfer sexualisierter Gewalt sind.
Die Bundesregierung wollte mit dem neuen Gesetz die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen. Das neue Gewalthilfegesetz sollte zudem neue Regeln für den Umgang mit Tätern etablieren. Zum Beispiel sollte die Kontrolle von Männern möglich werden, deren Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen sich bereits hilfesuchend an offizielle Stellen gewendet haben. Diese Option gibt es bislang nicht, und so kommt es in der Praxis oft vor, dass sich Täter den Frauen trotz eines Kontaktverbots wieder nähern und sie erneut bedrohen. Oder noch schlimmer: Sie rächen sich dafür, dass die Frauen die Polizei oder die Rettungsstelle gerufen haben. Die Bundesregierung wollte darüber hinaus mehr in Prävention investieren: in geschlechtersensible Pädagogik, in Projekte zu Sexismus für junge Männer und in Arbeit mit (potenziellen) Tätern.
Doch zur Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes kam es nun nicht. Der rechte Zeitgeist hat es erneut verhindert. Dem Finanzministerium unter Christian Lindner war das Vorhaben nach den Plänen des Familienministeriums zu teuer. Die AfD hat die Verhandlungen darüber vor allem genutzt, um gegen muslimische Männer zu hetzen. Und das BSW befand, mit einem Gewalthilfegesetz würde allein »die bekloppte Genderideologie« gefestigt.
Abschiebung aus dem Frauenhaus
Nun investiert die Politik also nicht in den Schutz vor patriarchaler Gewalt. Im Gegenteil: In verschiedenen Bundesländern, Kommunen und Städten sind Initiativen und Projekte, die sich speziell der Beratung von Betroffenen, der Prävention oder der Arbeit mit Tätern widmen, massiv von Kürzungen betroffen — besonders dort, wo die Rechten sich schon weiter durchgesetzt haben: In Dresden etwa steht das Frauen- und Mädchengesundheitszentrum Medea vor dem Aus, das seit mehr als zwei Jahrzehnten Projekte zur Gewaltprävention, Müttergesundheit und Gleichstellung anbietet. In der Jugendhilfe wird in Sachsens Hauptstadt am stärksten gekürzt. Geschlechtersensible Pädagogik soll ganz gestrichen bzw. untersagt werden. In Städten und Kommunen, in denen die AfD regiert oder mitregiert, plant sie, geschlechtergerechte Sprache wie auch die korrekte Anrede von trans und queeren Menschen an Schulen zu verbieten und Gleichstellungsbeauftragte zu entlassen.
Doch auch dort, wo die parlamentarische Rechte nicht mitmischt, setzt sich ihre antifeministische Agenda durch: In Köln stehen nach den Plänen der Stadt vier Frauenprojekte vor dem Aus, darunter die Beratungsstelle FrauenLeben, bei der jährlich 900 Frauen Hilfe suchen. Außerdem sollen die Mittel für eines von nur zwei Frauenhäusern so gekürzt werden, dass eine Vollzeitstelle für die Unterstützung und Beratung schutzsuchender Frauen mit Kindern wegfällt. In ganz Nordrhein-Westfalen sind solche Kürzungen geplant — und das, obwohl hier im vergangenen Jahr bereits drei von vier Frauen, die vor prügelnden Partnern flohen, keinen Schutz fanden.
Auch Berlin will künftig weniger gegen sexualisierte und häusliche Gewalt tun: So sollen etwa der Gewaltschutzambulanz der Charité jährlich 200.000 Euro gestrichen werden, obwohl sie die einzige medizinische Einrichtung in der Hauptstadt ist, in der Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt ihre Verletzungen dokumentieren lassen können. Gespart wird auch am Childhood-Haus der Charité, das Kinder versorgt, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Von den nur drei Täter-Beratungsstellen, die den Bedarf schon in der Vergangenheit nicht decken konnten, ist nun eine kaum mehr in der Lage, den Betrieb aufrechtzuhalten. Und das Berliner Zentrum für Gewaltprävention verliert die Hälfte des Etats für sein ambulantes Programm zum Schutz vor Gewalt im öffentlichen Raum.
Die Kürzungen im Bereich des Gewaltschutzes sind Teil jener autoritären Formierung, die auch das Asylrecht abschafft und die Infrastrukturen der Sorge weiter zersetzt. Diese Formierung schreitet allmählich voran, doch zeigt sich ihr völkisches Antlitz in manchen Momenten besonders deutlich: Im November vergangenen Jahres verhaftete die Hamburger Polizei eine Bewohnerin eines Frauenhauses, die nach Deutschland geflohen war. Mit ihren beiden Kindern wurde sie nach Österreich abgeschoben — in eine Unterkunft, in der ihr gewalttätiger Ex-Partner lebt.