SOS, hier spricht die Basis
Stimmen aus Stadtteilgruppen und Zusammenhängen der Linkspartei
»Die Linke ist eine historische Errungenschaft«
Von der BO Wedding
In der Basisorganisation Wedding, einem Stadtteil von Berlin, sind Menschen organisiert, die seit Gründung der Partei Mitglied sind, die zuvor bei der (Migr)Antifa, in (post)autonomen Gruppen, syndikalistischen Gewerkschaften oder anderen Parteien aktiv waren und viele Menschen, für die es die erste Organisierung ist. Es gibt eine grundsätzliche gemeinsame Einsicht: Nichtstun, der Rückzug in das Privatleben, begrenzter Berufsaktivismus oder isolierte Stadtteilarbeit sind angesichts von Klassenkampf von oben, Rechtsruck und Krieg keine Option. Deswegen beteiligen wir uns an antifaschistischen und friedenspolitischen Protesten, sind im Stadtteil aktiv, organisieren Sozialsprechstunden und bringen uns programmatisch in die Partei ein.
Nicht nur Die Linke ist zurzeit historisch schwach, sondern die gesellschaftliche Linke an sich. Kampagnenförmige Politik und (post-)autonome Organisierungsversuche der letzten Jahrzehnte sind ebenso gescheitert wie sektiererische K-Gruppenpolitik. Damit die gesellschaftliche Linke wirklich Macht entfalten kann, führt kein Weg daran vorbei, sich verbindlich in einer sozialistischen Partei zu organisieren. Dafür braucht es unserer Ansicht nach eine große, bundesweite und tatsächlich politisch relevante Partei, die bei Wahlen antritt und um Reformen zur Verbesserung des Alltags der lohnabhängigen Klasse kämpft. Nur mit ihr werden wir Staat und Kapital etwas entgegensetzen können.
Erfolgreich war die Linke als Sammlungspartei. Das hatte jedoch einen Haken.
Die Linke als Partei mit bundesweiten Strukturen, mit öffentlichen Plattformen in den Parlamenten, mit kommunaler Verankerung und Aktiven in Stadt und Land in jeder Ecke der Bundesrepublik ist eine historische Errungenschaft. Sie hat an vielen Stellen einen Unterschied gemacht. Die Einführung des Mindestlohns und die erfolgreiche Verteidigung manch sozialer Errungenschaften waren die Folgen unserer bundesweit starken, den herrschenden Status quo bedrohenden Partei.
Erfolgreich war die Linke als Sammlungspartei der gesellschaftlichen Linken. Das hatte jedoch auch einen Haken. Als Organisation ist sie stark von der Organisationskultur der ostdeutschen PDS und der WASG, bestehend aus westdeutschen Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen geprägt, also einer starken Dominanz des Apparates und der Funktionär*innen gegenüber der Basis. Oft haben sich seit Gründung der Linken diese Organisationskulturen gegen die aktivistischeren und basisdemokratischen Teile der Partei durchgesetzt und die unterschiedlichen Strömungen der Partei mit Formelkompromissen zusammengehalten. Die jahrelang nicht ausgetragenen Konflikte haben letztendlich auch zur heutigen Spaltung der Partei beigetragen.
Der Parteiapparat hat dabei auch Menschen in Führungspositionen gebracht, die allein auf Reformen als Veränderungsperspektive und auf Anpassung an den Status quo setzen. Starke Kräfte insbesondere der Reformer*innen drängen auf Regierungsfähigkeit und versuchen dafür sozialistische und antiimperialistische Grundpositionen abzuräumen. Die Verwässerung der Anti-Kriegs-Positionen der Linken untergraben ebenfalls die Glaubwürdigkeit und Unterscheidbarkeit unserer Partei. Es wurde sich auch zu oft aus einer Position der Schwäche auf der Ebene der Bundesländer an Landesregierungen mit Grünen und der SPD beteiligt – auf Grundlage von faulen Kompromissen und Kuhhandeln, statt auf den Aufbau der eigenen Stärke und eine revolutionäre Realpolitik im Sinne Rosa Luxemburgs zu setzen. Gleichzeitig hat der Parteiapparat systematisch darin versagt, die eigene Basis zu aktivieren und die Partei als aktive Mitgliederpartei aufzubauen.
Eine sozialistische Partei ist eine Partei, die den herrschenden Verhältnissen antagonistisch gegenübersteht. Dafür braucht es eine Mitgliederpartei, die vor Ort und in der Klasse der Lohnabhängigen verankert ist. Die Linke ist ein Kampffeld: Ihre Ausrichtung ist von innen gestaltbar, und ihre Praxis gestalten wir selbst. Deshalb lohnt es sich, in der Linken für eine sozialistische und basisdemokratische Organisation zu kämpfen.
»Wir brauchen nicht mehr guten Willen, sondern Ehrlichkeit gegenüber eigenen Fehlern«
Von Linksjugend [’solid]
Es braucht eine neue Praxis der Linken. Viele Genoss*innen reagieren gerade auf Praxis, die nicht funktioniert hat, indem sie entweder in Melancholie versinken oder sich weigern, eigene Fehler einzugestehen und daraus zu lernen. Die Linke braucht nicht »mehr guten Willen in derselben Strategie« oder mehr Konsequenz, sondern Ehrlichkeit gegenüber den eigenen Fehlern. Ehrlichkeit heißt nicht, sofort das Handtuch zu schmeißen. Ehrlichkeit heißt, wenn eine Strategie nicht aufgegangen ist, eine neue auszuprobieren. Gerade als junge Menschen sind wir offen, Strategien auszuprobieren, anzupassen und zu ändern. Hier kommen ein paar Vorschläge für solche neuen Strategien.
Schwerpunkt setzen: Die Partei kann nicht weiter auf allen Hochzeiten tanzen, ohne dabei an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Fragt man Menschen auf der Straße, wofür die Linkspartei steht, fällt vielen nichts ein oder nur ein abstraktes Konzept. Die Linke muss also zu konkret fassbaren Anliegen der Lohnabhängigen arbeiten. Insbesondere in Großstädten bietet sich dafür das Thema Wohnen an. Bezahlbares Wohnen ist milieuübergreifend Lohnabhängigen in der Stadt wichtig: Die Mieten steigen enorm an, und es mangelt an Sozialbauten. Ist die Miete bezahlbar – wie etwa in sehr ländlichen Regionen –, bietet sich eine andere Schwerpunktsetzung an, etwa Verkehr oder Gesundheit.
Auf Nichtwähler*innen zugehen: Schaut man sich an, an welchen Orten Leute vor allem allein gelassen werden, deckt sich das in der Regel mit einem hohen Anteil an Nichtwähler*innen. Wenn Die Linke sich besser unter Lohnabhängigen verankern möchte, ist der erste Schritt, in die Stadtteile zu gehen, an denen die meisten Leute enttäuscht von der aktuellen unsozialen Politik sind. Um Vertrauen zu gewinnen, sollte Die Linke den aktuellen Klassenkampf von oben stärker als Problem zu benennen.
Verbindende Klassenpolitik: Einerseits unterstützen viele Wähler*innen die Forderungen der Linken zu sozialer Gerechtigkeit. Andererseits gelingt es der Partei noch zu selten, den Kampf gegen Ausbeutung öffentlich in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu muss sie nicht ihre Werte aufgeben. Ein Beispiel: Lohnabhängige Frauen fühlen sich oft allein gelassen von den öffentlichen Debatten um Geschlechtergerechtigkeit. Ihre Realität hat sich in den letzten Jahren wenig geändert oder gar verschlimmert. (Insbesondere migrantische) Frauen schuften in schlechtbezahlten Jobs, während es vor allem sie sind, die zuhause kostenlose Sorgearbeit leisten. Ein klassenbewusster Kampf um Geschlechtergerechtigkeit sollte zum Ziel haben, Wohnraum bezahlbar zu machen und für höhere Löhne zu sorgen.
Nützlich sein: Viele Bürger*innen haben entweder die Hoffnung auf Veränderung noch gar nicht geschöpft oder schon längst verloren. Deshalb ist es wichtig, keine Versprechen zu machen, die Die Linke nicht halten kann. Stattdessen gilt es, Angebote zu machen, die unseren Anspruch verdeutlichen: Wir wollen uns gegen Ausbeutung und für ein solidarisches Miteinander einsetzen. Ein wichtiges Standbein dafür sind kostenlose Miet- und Sozialberatungen. Diese finden schon an vielen Orten statt, aber noch nicht flächendeckend.
Die Linke als Ort der Selbstorganisation: Heutzutage fühlen sich viele Menschen einsam und haben das Gefühl, mit ihren Taten nichts bewirken zu können. Gleichzeitig gibt es Mittel wie Streik oder Durchsetzung von Ansprüchen gegen Vermieter*innen, die effektiv funktionieren, da sie Profitverluste für die Besitzenden bedeuten. Die Linke als sozialistische Partei muss stärker ihrem Anspruch als Ort der Selbstorganisation gerecht werden: Dazu gehört, Leute zu ermächtigen, selbst tätig zu werden und das dazu nötige Erfahrungswissen weiterzugeben.
Aber nicht nur das: Wir sind nicht nur strategisch stärker, wenn wir uns zusammenschließen. Wir unterstützen uns auch gegenseitig und setzen der Kultur der Isolation eine Kultur der Gemeinsamkeit entgegen. Sei es gemeinsames Fußballschauen, Tischtennis spielen oder Lieder singen – Die Linke soll ein Ort sein, an dem ihre Mitglieder gerne aktiv sind.
»Eine tote Partei sieht anders aus«
Von der BO Wilhelmsburg/Veddel
Wir sind eine sogenannte Basisorganisation (BO) der Linkspartei im Bezirksverband Hamburg-Mitte. Die Basisorganisationen stellen eine Art Untergliederung der bezirklichen Organisation dar und ermöglichen uns direkte Entfaltungsmöglichkeiten in unseren Stadtteilen: Wilhelmsburg und Veddel. Die BO-Treffen finden monatlich statt und in der Regel kommen zwischen 8 und 14 Genoss*innen aus allen Altersgruppen zu unseren Treffen, bei denen wir unter anderem Wahlkämpfe in unseren Stadtteilen vorbereiten, Veranstaltungen und Infostände auch zwischen den einzelnen Wahlen planen, Entwicklungen in unserer Partei und in der politischen Landschaft diskutieren, anstehende Termine besprechen und last but not least die inhaltliche Aufmachung unserer quartalsweise erscheinenden BO-Zeitung Linksinsulaner planen, die wir mit einer Auflage von 5.000 Stück an unseren Infoständen verteilen und in Briefkästen stecken.
Dass wir in der Partei sind, hat ganz verschiedene Gründe: Einige unserer Genoss*innen waren schon in der WASG oder der PDS aktiv und sind über die Vereinigung der beiden Parteien in Die Linke gekommen. Andere sind erst kürzlich eingetreten, um unsere Partei im Moment der Krise zu stärken. Einige waren zuvor schon in aktivistischen Zusammenhängen und sehen in der Partei die Möglichkeit, diese Bewegungen politisch zu stärken. Uns vereint, dass wir eine solidarische Gesellschaft anstreben.
Die aktuellen Wahlergebnisse für Die Linke sind natürlich enttäuschend. Es ist eine bittere Tatsache, dass wir momentan mit unseren Botschaften, die alle auf dem Prinzip der Mitmenschlichkeit basieren, die Wähler*innen nicht ausreichend erreichen. Wir werden deshalb aber nicht unsere Überzeugung in Frage stellen, dass diese Gesellschaft mehr Solidarität benötigt. Zwar sind wir in Hamburg und insbesondere Wilhelmsburg und auf der Veddel sehr gut verankert, aber schon am Stadtrand und erst recht in der Fläche sieht es ganz anders aus. Hoffnung geben die vielen Menschen, die seit dem Abgang von Sahra Wagenknecht neu eingetreten sind. Die Linke hat immer noch über 50.000 Mitglieder. Eine tote Partei sieht anders aus.
Wir brauchen in den nächsten Wochen und auch und gerade auf dem Bundesparteitag eine offene und gründliche Debatte zur Frage, warum wir im Moment die Wähler*innen kaum noch erreichen. Unsere sozialen Kernforderungen sind in weiten Teilen der Bevölkerung populär, aber zu wenige verbinden sie momentan mit unserer Partei. Wir müssen Antworten auf die Frage finden, wie wir diesen Widerspruch auflösen können.
In den letzten Monaten sind sehr viele in die Linkspartei eingetreten, weil sie unsere Partei als unverzichtbare politische Kraft ansehen. Alle Genoss*innen in unserer Partei engagieren sich leidenschaftlich vor Ort. Wenn wir es schaffen, die Bürger*innen zu überzeugen, dass Die Linke ihre Interessen im Parteienspektrum am besten vertritt, dass eine solidarischere Gesellschaft am wahrhaftigsten von der Linkspartei erkämpft wird, dann sind wir zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren auch wieder bessere Wahlergebnisse erreichen und notwendige Veränderungen anstoßen werden.
»Die Antwort auf den Rechtsruck kann niemals sein, ihm nachzugeben«
Von Links*Kanax
Links*Kanax ist ein Netzwerk in und um Die Linke, in dem sich Mitglieder und Sympathisant*innen der Linken organisieren, um den Klassenstandpunkt aus migrantischer Perspektive in der Partei stark zu machen. Gegründet haben wir uns 2019 in der innerparteilichen Auseinandersetzung mit Wagenknecht und ihren Anhänger*innen, um gegen ihre reaktionären und rassistischen Interventionen gegen unsere Parteiprogrammatik der offenen Migrationspolitik und des Bleiberechts mobil zu machen. Die Trennung von ihnen war richtig und schon lange notwendig.
Die letzten Wahlergebnisse der Europawahl und der beiden letzten ostdeutschen Wahlen erschüttern uns, im Hinblick auf die Stärkung des Faschismus und der AfD, aber auch wegen der immensen Wahlverluste der Linken. Die anhaltende rechte Hetze und die Wahlerfolge rechter Parteien schlagen buchstäblich zuallererst auf Migrant*innen und migrantisierte Menschen ein.
Die Stimmung in Deutschland ist für uns eine ziemlich raue und beängstigende. Der herrschende Diskurs wird von Abschiebung und Abschottung dominiert, vorangetrieben von AfD, CDU/CSU, BSW, aber auch der SPD und den Grünen. Anstatt eine Debatte über die Versäumnisse bei notwendigen sozialen Maßnahmen zu führen, die ein solidarisches Zusammenleben aller hier lebenden Menschen ermöglichen würden – wie sozialer Wohnungsbau, schnellere Anerkennung von ausländischen Zeugnissen, bessere Bildungschancen und weitere Inklusionsmaßnahmen – wird nur noch von Begrenzung und Kontrollverlust gesprochen. Dies geschieht auf Kosten der Menschen am untersten Ende dieser Gesellschaft, statt die Forderung nach einer Umverteilung von oben nach unten zu stellen. Selbst die Rechtsstaatlichkeit wird diskriminierend angewendet, indem Menschen ohne deutschen Pass, die eine Straftat in Deutschland begehen, mit einer Abschiebung doppelt bestraft werden sollen. Dabei schreckt man nicht davor zurück, Menschen in Kriegsgebiete abzuschieben, wo ihnen Folter und Tod drohen, und dafür sogar mit dem Assad-Regime und den Taliban zusammenzuarbeiten.
Die Antwort auf den Rechtsruck kann aber niemals sein, dem nachzugeben oder die Migrationsfrage zu ignorieren. Beides stärkt die rechten Kräfte in Gesellschaft und Politik. Als Linke gilt es, dieser Erzählung eine andere aktiv entgegenzusetzen: die der sozialen und solidarischen Einwanderungsgesellschaft, in der alle Menschen die gleichen Rechte und Chancen haben. Die Klassenfrage ist eine zutiefst migrantische Frage, denn wer arbeitet in Deutschland denn im Bereich der Daseinsvorsorge und viel zu oft im Niedriglohnsektor, ob auf dem Bau, in den Fabriken, in der Pflege, in den Kitas, der Reinigung, bei Lieferdiensten und so weiter? Wie jüngst die Studie des DGB vom Juli 2024 feststelle: vor allem Arbeitnehmer*innen mit Migrationsgeschichte, die mit prekären Bedingungen und oft zugleich mit Ausgrenzung und Rassismus konfrontiert sind.
Wir brauchen eine Partei, die durch eine gemeinsame klassenkämpferische antirassistische Programmatik und Praxis all diejenigen vereint, die nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden. Wir brauchen eine Partei, in der sich all jene sammeln, die von Rassismus, Diskriminierung und Queerfeindlichkeit betroffen sind, die sich gegen den Rechtsruck stellen, die sich konkret für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne organisieren, die den Klimaschutz vorantreiben, sich für Solidarität und für ein demokratisches Gemeinwesen einsetzen. In diesen düsteren Zeiten können wir gemeinsam die Partei erneuern.
Es gibt Erfolgsgeschichten, die motivieren und von denen die Partei lernen kann. Wir freuen uns, dass unsere Links*Kanax-Genossin Lena Saniye Güngör in Jena ihr Direktmandat gewonnen hat. Und die Wahlkampagne von Nam Duy Nguyen und seinem Team in Leipzig hat Hunderte aktiviert und die Sympathie und Stimme von Tausenden gewonnen. Denn mit Stadtversammlungen und Aktivenkonferenzen wurde auf Beteiligung und Basisarbeit gesetzt. Mit Haustürgesprächen und Sozialsprechstunden wurde Politik nahbar und spürbar gemacht. Und es wurde auch ein Teil ostdeutscher und verbindender Geschichte erzählt, nämlich der eines Kindes von Vertragsarbeiter*innen, die hart arbeiten mussten um durchzukommen – so, wie es vielen Menschen bundesweit, aber auch gerade im Osten geht. Nam Duy Nguyen und seine Mitstreiter*innen haben Themen wie den teuren Wocheneinkauf, zu hohe Mieten und Rassismus ins Zentrum der Auseinandersetzung gestellt und Protest laut gemacht.
Wir setzen uns für eine Partei ein, die genau solche Fragen miteinander vereint, die mutiger ist, gerade in Zeiten, in denen rassistische Töne überall zu hören sind. Es braucht Die Linke als mutige Stimme der Solidarität, die radikal die Eigentumsfrage stellt, eben aus der Perspektive einer Einwanderungsgesellschaft, die Deutschland schon lange ist. Es müssen noch viele dafür gewonnen werden mitzumachen, und gleichzeitig müssen die Parteistrukturen durchlässiger und mehr Menschen mit Migrationsgeschichte und Rassismuserfahrung und mehr Menschen aus der diversen Arbeiter*innenschaft in den vorderen Reihen repräsentiert werden, um eine glaubhafte Interessenvertretung zu sein. Es ist viel zu tun – schließt euch uns an!
»Die unrühmlichen Regierungsbeteiligungen sind entscheidender Faktor für unseren Niedergang«
Von der BO Sozialproteste (Leipzig)
Wir sind die BO Sozialproteste aus dem Leipziger Osten. Im Oktober 2022 wurde sie von ehemaligen SDS-Genoss*innen und Interessierten, die wir in den Kämpfen der letzten Jahre getroffen haben, ins Leben gerufen. Im doppelten Sinne sind wir eine junge Gruppe. Das erste Projekt war die Organisation von Montagsdemos gegen die Preissteigerungen. Weiter ging es mit Streiksoli bei den Leipziger Verkehrsbetrieben. Später dann mit Plakaten und Ständen bei den Streiks zum TV-L und TV-Stud.
Wir haben unsere Politarbeit bewusst in Die Linke verlegt, weil wir überzeugt sind, dass es eine Partei braucht, die im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung eine Alternative zum Kapitalismus aufbauen kann, eine sozialistische Arbeiter*innen-Partei. Das ist sie derzeit nicht und wird es vielleicht auch nie sein. Wir denken aber, dass sie immer noch eine Organisation ist, in der viele Mitglieder ernsthafte Schritte in diese Richtung gehen wollen. Schritte, die wir als Marxist*innen mitgehen müssen. Es wäre falsch, sich rauszuhalten.
Die Linke ist durchsetzt mit Reformist*innen und Liberalen. Die unrühmlichen Regierungsbeteiligungen in Berlin, Thüringen und MV sind ein entscheidender Faktor für unseren Niedergang. Dennoch sehen linke Menschen immer noch einen gewissen Bezugspunkt in der Partei. In den letzten Monaten ist bei uns in Leipzig ein ganzer Schwung eingetreten. Wir sehen nach wie vor Potenzial, neue Genoss*innen zu gewinnen und zusammen mit alten Genoss*innen den Einfluss der marxistisch orientierten Teile zu vergrößern. Die Haustür-Wahlkampagne um Nam Duy Nguyen hat auch noch mal neuen Wind reingebracht.
Wir wollen den Kampf gegen den Reformismus weiterführen. Für klare Positionen kämpfen, die sozialistische Politik nicht als ferne Zukunft begreifen. Dafür braucht es ein Verständnis für eine Linke, die nicht den Kapitalismus mitgestalten will, sondern konsequent die soziale Frage als Klassenfrage stellt, aneckt, anders ist: mit klarer Sprache und greifbarer Nähe. Besonders in Sachsen wollen wir zeigen, dass nicht Migration die »Mutter aller Probleme« ist, sondern der Kapitalismus. In unserem Viertel leben viele Migrant*innen. Viele können uns nicht wählen. Wir müssen trotzdem Wege finden, diese Leute in die Partei zu bringen, mit ihnen und für sie zu kämpfen.
Wir haben seit Bestehen unserer Gruppe aber gemerkt, dass Die Linke immer noch Wert hat. Sich jetzt schon geschlagen zu geben, würde uns später leidtun.
Wo die Partei in ein paar Jahren stehen wird, ist derzeit wohl die schwerste Frage. Es fällt leicht, sich der allgemein pessimistischen Stimmung hinzugeben und den letzten Atemzügen der Partei zu lauschen. Wir haben seit Bestehen unserer Gruppe aber gemerkt, dass Die Linke immer noch Wert hat. Sich jetzt schon geschlagen zu geben, würde uns später leidtun. Natürlich würden wir gerne mit Sicherheit behaupten, dass Die Linke auch ohne Abgeordnete im Land- oder Bundestag weiter lebt. Ob dem wirklich so ist, wird sich zeigen. Wir müssen selbstkritisch Bilanz der letzten Jahrzehnte ziehen, ohne in Selbstbeschäftigung zu verfallen. Entscheidend ist, dass Die Linke sich (wieder) in den sozialen Schichten der Klasse verankert, die sie in den letzten Jahrzehnten verloren hat oder noch nie hinter sich hatte: in den ländlichen Milieus, unter Lohnabhängigen, die kapitalistische Ausbeutung anders zu spüren bekommen als so manche linke Akademiker*innen und hier insbesondere unter den aktiven gewerkschaftlichen Kernen. Wir müssen für eine klare Vorstellung kämpfen, wie sozialistische Politik in Parlament und Regierung aussieht und wie nicht. Hoffentlich steht die Partei in einigen Jahren nicht mehr am Abgrund, sondern auf dem Sprungbrett. Zu schön um wahr zu werden?