Warum manche Linke sich an der Seite von Diktatoren wiederfinden
Internationalismus, Antiimperialismus und die Ursprünge des Campismus
Von Dan La Botz
Der Internationalismus entstand in Europa im 19. Jahrhundert, als Demokrat*innen und Sozialist*innen begannen, sich gegenseitig in ihrem Kampf für diese Ideale zu unterstützen. Zunächst nahm dieser Internationalismus die Form der Unterstützung für das Selbstbestimmungsrecht der Völker an. Viele Demokrat*innen und Sozialist*innen, darunter Marx und Engels, unterstützten beispielsweise das Recht von Polen – das immer wieder von der Landkarte getilgt und Preußen, Österreich oder Russland einverleibt worden war – auf Selbstbestimmung und einen unabhängigen Staat. Marx unterstützte auch das Recht Irlands auf Unabhängigkeit vom britischen Empire und rief die britischen Arbeiter*innen auf, die irische Unabhängigkeit zu unterstützen. Ebenso unterstützten sich die unterdrückten Völker gegenseitig. In Lateinamerika unterstützte Haiti, das in einem Sklavenaufstand seine Unabhängigkeit von Frankreich errungen hatte, Simón Bolívar im Kampf gegen den europäischen Imperialismus. Der Internationalismus begann mit der Unterstützung von Völkern, die von einer anderen Nation oder einem Imperium unterdrückt wurden.
Als 1848 eine europaweite demokratische Revolution ausbrach, die in Frankreich mit dem Kampf für den Sozialismus verbunden war, schlossen sich überall auf dem Kontinent Demokrat*innen gegen die Autokratie und den Autoritarismus der Monarchen und die Privilegien des Adels zusammen. Demokrat*innen und kleine sozialistische und proletarische Organisationen unterstützten alle den Sturz der Könige und den Kampf für die Republik. Im »Kommunistischen Manifest«, das sich an diese revolutionäre Bewegung richtete, verkündeten Marx und Engels: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« Sie glaubten, dass Arbeiter*innen und Unterdrückte ihre nationalen Grenzen überwinden und sich im Kampf für nationale Selbstbestimmung, für Demokratie und Sozialismus die Hände reichen könnten.
Eine zweite Erscheinungsform des Internationalismus entstand, als Arbeiter*innen eines Landes in ihrem Kampf gegen ihre Arbeitgeber*innen die Arbeiter*innen anderer Länder um Hilfe baten. Es begann in den 1850er und 1860er Jahren als Kampf gegen den Streikbruch, mit dem verhindert werden sollte, dass britische und westeuropäische Arbeiter*innen im jeweils anderen Land als Streikbrecher*innen arbeiteten. Diese Bewegung gegen den Streikbruch entwickelte sich zu einer Kampagne für internationale Arbeiter*innensolidarität und führte zur Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation oder Ersten Internationale, deren Leitungsgremium Marx angehörte.
Der Imperialismus und der Kampf dagegen
In verschiedenen Epochen wurden unterschiedliche Imperien zur vorherrschenden Macht. Kritiker*innen verwendeten den Begriff Imperialismus seit dem Aufstieg der modernen kapitalistischen Imperien, um den Kampf zwischen verschiedenen kapitalistischen Mächten um die Weltherrschaft zu bezeichnen. Wenn Rosa Luxemburg, Nikolai Bucharin und Wladimir Lenin von Imperialismus sprachen, meinten sie damit nicht eine Großmacht, sondern den Kampf zwischen den Großmächten. Ausgehend von den Schriften Rudolf Hilferdings sah Lenin eine Konzentration des Kapitalismus in den Händen der Hochfinanz und eine Tendenz des Imperialismus, durch Kapitalexport den Kapitalismus am Leben zu halten. Der Kapitalexport sollte der langfristigen Tendenz einer »steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals« (der zunehmenden Ersetzung von Arbeit durch Kapital in der Produktion) und dem sich daraus ergebenden tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirken. Auf diese Weise verlängerten die Kolonien die Lebensdauer der Imperien.
Die revolutionären Sozialist*innen des frühen 20. Jahrhunderts erkannten, dass England, Frankreich, Deutschland, Japan und die Vereinigten Staaten (sowie andere Nationen) imperiale Mächte waren, die alle um die Vorherrschaft kämpften. Während zunächst England die dominierende Nation gewesen war, begannen die Vereinigten Staaten nach dem Ersten Weltkrieg, sie an wirtschaftlicher und militärischer Macht zu übertreffen.
Der Zweite Weltkrieg war eine Fortsetzung dieses imperialistischen Kampfes. Doch der Aufstieg des Faschismus in Italien, des Nationalsozialismus in Deutschland und des japanischen Militärstaates (der Achsenmächte) zwang revolutionäre Sozialist*innen, Sozialdemokrat*innen und Kommunist*innen, die Frage der internationalen Bündnisse neu zu überdenken. Um die kommunistische Führungsschicht und die von ihr beherrschte Sowjetunion zu verteidigen, schloss Stalin 1939 einen Pakt mit Hitler, doch als Deutschland im Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, ging er ein Bündnis mit den alliierten Mächten ein: Großbritannien, Frankreich und den Vereinigten Staaten – allesamt imperialistische Mächte.
Dieses Bündnis ermöglichte es Stalin, sich am Ende des Zweiten Weltkriegs mit Winston Churchill und Franklin Roosevelt zusammenzusetzen und die Nationen Europas buchstäblich aufzuteilen. Auf diese Aufteilung folgte fast unmittelbar der Kalte Krieg, die Schaffung zweier Lager (camps) – des kapitalistischen und des kommunistischen – und der Aufstieg eines alternativen dritten Lagers der Arbeiter*innen und unterdrückten Völker der Welt.
Die Ursprünge des Campismus
Was wir heute als »Campismus« (oder »Lagerdenken«) bezeichnen, hat seinen Ursprung in der Geschichte der Russischen Revolution. Die bolschewistische Partei führte im Oktober 1917 eine Revolution in Russland an, die die Macht den Sowjets übergab, den Räten der Arbeiter*innen, Soldat*innen und Bäuer*innen. Sowjetrussland (später die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken oder UdSSR) gewann die Unterstützung von Millionen Arbeiter*innen auf der ganzen Welt. Für viele war die Sowjetunion ein Ort, an dem die Arbeiter*innen die Macht übernommen hatten und dabei waren, den Sozialismus aufzubauen.
Gleichzeitig erlebte Sowjetrussland eine Reihe von Bürgerkriegen, die Invasion von mehr als einem Dutzend ausländischer Mächte, eine enorme Zerstörung von Landwirtschaft und Industrie und schließlich die wirtschaftliche und politische Isolation aufgrund des Scheiterns der europäischen Revolutionen, insbesondere in Deutschland, einer Revolution, auf die die Bolschewiki gesetzt hatten. Unter diesen Bedingungen, die die Bolschewiki als »Kriegskommunismus« bezeichneten, schwand in den frühen 1920er Jahren die Macht der Arbeiter*innen, da die Sowjets verkümmerten und die Gewerkschaften geschwächt wurden. Gleichzeitig verboten die Bolschewiki, die sich nun Kommunistische Partei nannten, alle anderen Parteien oder schalteten sie auf andere Weise aus. Die Führung der KP schaffte auch die Fraktionen ab und beendete damit jegliche innere Demokratie im kommunistischen Staat. Sowjetrussland wurde zum Einparteienstaat.
Ab Mitte der 1920er Jahre wurde der Begriff der internationalen Solidarität der Arbeiter*innenklasse nach und nach durch das Konzept der Loyalität gegenüber der Sowjetunion und dann gegenüber dem gesamten kommunistischen Lager ersetzt.
Unter diesen Umständen führte Josef Stalin Mitte der 1920er Jahre eine Konterrevolution an und erlangte bis 1929 praktisch diktatorische Macht. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts festigte er die Macht seines bürokratischen Regimes, ermordete Zehntausende alter Bolschewiki und verursachte durch die Kollektivierung der Landwirtschaft den Tod von fünf Millionen Bäuer*innen, während die Industrialisierung des Landes einer komprimierten Geschichte des Frühkapitalismus glich. Die Arbeiter*innenklasse wurde in extremer Weise ausgebeutet, um Wasserkraftwerke, Stahlwerke und Fabriken zu bauen.
1919 hatte die Kommunistische Partei die Kommunistische oder Dritte Internationale gegründet, um die Versuche von Arbeiter*innenrevolutionen in aller Welt zu koordinieren. Die Kommunistische Internationale, angeführt von Lenin und der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, griff in viele Arbeiter*innenparteien und deren Kämpfe in der ganzen Welt ein und versuchte, die ehemaligen sozialistischen Parteien nach bolschewistischem Vorbild zu reorganisieren und sie zu ermutigen, Regierungen nach sowjetischem Vorbild zu errichten. Der Internationalismus war zwar die vorherrschende Tendenz, aber wenn es – wie im Fall der Türkei – um die Interessen Sowjetrusslands ging, zögerten Lenin und die russischen Kommunist*innen nicht, türkische Kommunist*innen zu opfern, um ein strategisches Bündnis mit der türkischen Regierung aufrechtzuerhalten. Nachdem Stalin nicht nur das Kommando in der Sowjetunion, sondern auch in der Kommunistischen Internationale übernommen hatte, wurde alles den Interessen der neuen kommunistischen Führungsschicht und der Verteidigung und Expansion der Sowjetunion untergeordnet. Dennoch genoss die Russische Revolution weiterhin große Wertschätzung, und die kommunistischen Parteien in aller Welt organisierten Arbeiter*innen für die Verteidigung des »Vaterlands aller Werktätigen«.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs expandierten das kommunistische System und das Sowjetimperium gewaltig. Für Kommunist*innen waren nun nicht nur die Sowjetunion, sondern auch die Staaten Osteuropas das »sozialistische Lager«. Zwischen 1949 und 1959 kamen noch China, Nordkorea, Nordvietnam und Kuba hinzu. Selbst wenn Kommunist*innen die »Verbrechen von Stalin« eingestanden, sahen sie in dieser Entwicklung eine Ausweitung des Sozialismus. Sie unterstützten dieses vergrößerte kommunistische Lager gegen das kapitalistische Lager.
Wir sehen also, wie durch den Mitte der 1920er Jahre eingeleiteten Prozess der Begriff der internationalen Solidarität der Arbeiter*innenklasse durch das Konzept der Loyalität gegenüber der Sowjetunion und dann gegenüber dem gesamten kommunistischen Lager ersetzt wurde. Jegliche Kritik an den Verhältnissen innerhalb der UdSSR wurde in den Köpfen ihrer Anhänger*innen von der Loyalität zum kommunistischen Lager verdrängt. Dies war die Geburtsstunde des ersten Campismus.
Diese Loyalität bedeutete, dass bei einer Arbeiter*innenrevolution gegen den Kommunismus in Ungarn 1956, einer demokratischen Revolution in der Tschechoslowakei 1968 oder einem gewaltigen Arbeiter*innenaufstand in Polen 1980 die kommunistischen Anhänger*innen des Campismus die Sowjetunion oder andere kommunistische Staaten unterstützten, auch wenn ihre Panzer (tanks) einsetzten, um diese Bewegungen zu zerschlagen (daher der Begriff »Tankie«).
Maoismus und Drittweltismus
Der heutige Campismus verdankt sich jedoch wahrscheinlich eher dem Maoismus und dem Drittweltismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die kommunistische Bewegung sich aufzuspalten: 1948 wurde Jugoslawien zu einem unabhängigen kommunistischen Staat; noch wichtiger war, dass sich ab Anfang der 1960er Jahre eine Rivalität zwischen Peking und Moskau entwickelte. Der Kommunismus war nicht länger eine einheitliche Weltbewegung. Er wurde polyzentrisch, und rivalisierende kommunistische Nationen versuchten, ihren Einfluss auszuweiten.
Gleichzeitig begann unmittelbar nach dem Krieg eine Bewegung für das Ende der Imperien, für die Unabhängigkeit der Kolonien und für die Freiheit ihrer Völker, die anfangs sowohl von den Vereinigten Staaten (1) als auch von der Sowjetunion (2) unterstützt wurde. Beide Mächte bezeichneten sich als antiimperialistisch und waren aus jeweils eigenen Gründen an der Auflösung der riesigen britischen, französischen und anderen europäischen Imperien interessiert. (3) Als sich der Griff der Imperien lockerte, wurden Dutzende neuer Nationen gegründet, und Hunderte Millionen Menschen wurden Bürger*innen der neuen Länder.
In Asien war der Wandel am dramatischsten: Die Philippinen wurden im Juli 1946 unabhängig, Indien im August 1947, Indonesien im August 1949 und China beendete 1949 seinen halbkolonialen Status – mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Zwischen 1957 und 1990 wurden praktisch alle afrikanischen Kolonialstaaten unabhängig (einige wenige hatten bereits zuvor die nominelle Unabhängigkeit erlangt). In ähnlicher Weise wurden in der Karibik zwischen den 1950er und 1980er Jahren die ehemaligen britischen kolonialen Inselstaaten unabhängig. Es kam zu einer Wende in der Weltgeschichte: Die Dritte Welt entstand.
Die Ansicht, dass die Befreiungskämpfe der Völker der Dritten Welt die Vorhut der weltweiten revolutionären Bewegung darstellten, beeinflusste in den 1960er Jahren Maoist*innen, Trotzkist*innen und andere radikale Linke.
Die Dritte Welt war eine Tatsache, aber sie wurde auch zu einer Ideologie. Der Begriff der »Dritten Welt«, der erstmals 1952 in Frankreich auftauchte, bezog sich auf die Nationen, die formal weder zur kapitalistischen noch zur kommunistischen Sphäre gehörten. Es handelte sich um jene zwei Drittel der Menschheit, die in Asien, Afrika oder Lateinamerika lebten, die Kolonialismus oder Halbkolonialismus erlebt hatten und die aus People of Colour bestanden, von denen die meisten Bäuer*innen waren. Ihren Ausdruck fand diese Entwicklung in der Konferenz von Bandung im Jahr 1955, auf der 29 asiatische und afrikanische Nationen, darunter auch China, zusammenkamen und den »Imperialismus in all seinen Erscheinungsformen« verurteilten, also den Imperialismus sowohl der westlichen kapitalistischen Länder als auch den der Sowjetunion. Diese ursprünglichen 29 Nationen, denen sich die Länder Lateinamerikas und später zahlreiche andere anschlossen, gründeten die Bewegung der Blockfreien.
Doch sie war nicht wirklich blockfrei. Sie tendierte zum Kommunismus. Sowohl die kommunistische Regierung von Josip Broz Tito in Jugoslawien als auch die von Fidel Castro in Kuba spielten eine Rolle in der Bewegung der Blockfreien. 1966 veranstaltete Kuba in Havanna eine Trikontinentale Konferenz mit 80 Nationen, die erneut versuchte, der Dritten Welt eine politische Form zu geben. Sie brachte ihre Unterstützung für Antiimperialismus und Antikolonialismus zum Ausdruck und gründete die Organisation der Solidarität der Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Die Trikontinentale kritisierte den US-Imperialismus, erwähnte aber nicht den sowjetischen Imperialismus, da Kuba sich gegen die US-Blockade wehrte und mit der Sowjetunion verbündet war.
Während die Vereinigten Staaten sich zunächst für die Auflösung der alten Imperien eingesetzt hatten, unterstützten sie mit der Entfaltung des Kalten Krieges aus politischen und wirtschaftlichen Gründen häufig die europäischen Mächte bei ihren Versuchen, die Kontrolle über ihre Kolonien zu behalten (wie in Vietnam) oder später eine neokoloniale Kontrolle über die neuen, nominell unabhängigen Nationen auszuüben (wie in Ghana und dem Kongo). Die Sowjetunion und China hingegen, die kein wirtschaftliches Interesse an den Kolonien hatten und politisch gegen den kapitalistischen Westen eingestellt waren, unterstützten im Allgemeinen die kolonialen Unabhängigkeitsbewegungen, stimmten in den Vereinten Nationen mit ihnen und halfen ihnen militärisch. (Natürlich duldete die Sowjetunion keine Einwände gegen die Eingliederung Osteuropas in ihr Imperium zwischen 1945 und 1948; auch China wehrte sich gegen jede Kritik an seiner Übernahme Tibets 1951.) Auf jeden Fall hatte die neue Dritte Welt oft Verbindungen zur kommunistischen Welt und wurde mit dem Kampf für den Kommunismus in Verbindung gebracht.
Der Drittweltismus wurde zu einer Ideologie. Sie bestand in der Vorstellung, dass die antiimperialistischen, antikolonialen Bewegungen den Prozess der sozialistischen Revolution fortsetzen würden, der in der Sowjetunion, China oder danach in Kuba begonnen hatte. Die drittweltistische Auffassung von einer in kapitalistische und proletarisch-bäuerliche Nationen geteilten Welt setzte sich in den Köpfen vieler Linker fest. Die Ansicht, dass die Befreiungskämpfe der Völker der Dritten Welt die Vorhut der weltweiten revolutionären Bewegung darstellten, beeinflusste in den 1960er Jahren die radikale Linke, Maoist*innen, Trotzkist*innen und andere. Die Popularität des Maoismus und des Guevarismus (nach Ernesto »Che« Guevara) ist zum Teil auf diese Sichtweise zurückzuführen. Als das Projekt der Dritten Welt Ende der 1970er Jahre eindeutig gescheitert war, verlagerten einige Drittweltist*innen ihre Loyalität von den revolutionären Bewegungen hin zu verschiedenen Regierungen des Globalen Südens, von denen keine sozialistisch war und die fast alle eine neue kapitalistische Klasse repräsentierten, autoritäre Regierungen, oft persönliche Diktaturen, hatten und in keiner Weise fortschrittlich waren.
Lagerdenken heute
Das wichtigste Ereignis, das den Aufstieg des heutigen Campismus auslöste, war der Zusammenbruch der Sowjetunion. Welche Kraft konnte im Kampf gegen den Kapitalismus unterstützt werden, nachdem es das sowjetisch-kommunistische Lager nicht mehr gab? Für einige bot die Theorie des Drittweltismus eine Antwort: Wir sollten die armen Nationen des Globalen Südens in ihrem Kampf gegen den Imperialismus der reichen, weißen Nationen des Globalen Nordens unterstützen.
In dieser eindeutig gespaltenen Welt, so argumentierten die Campist*innen, sollten wir auf der Seite der Regierungen der proletarisch-bäuerlichen Welt stehen, einer Welt Schwarzer und Brauner arbeitender Menschen, die gegen die kapitalistischen Mächte der reicheren weißen Welt kämpfen. Die kapitalistischen und imperialistischen Nationen des Globalen Nordens, einschließlich Australien und Neuseeland, die mit Ausnahme von Japan, Südkorea, Singapur und Taiwan alle weiß sind, würden die bäuerlich-proletarischen Nationen des Globalen Südens ausbeuten und unterdrücken, die alle aus People of Color bestehen. Die weißen kapitalistischen Mächte waren per Definition imperialistisch, und die proletarisch-bäuerlichen Nationen, so die Campist*innen, von Natur aus antiimperialistisch. So konnte eine Nation wie der Iran, der nie eine sozialistische Regierung hatte, oder die Diktatur der Familie Assad in Syrien zu den antiimperialistischen Nationen gezählt werden. Natürlich tendierte diese Sichtweise dazu, die Klassenunterschiede sowohl innerhalb der kapitalistischen als auch in der sogenannten proletarisch-bäuerlichen Welt herunterzuspielen oder ganz zu ignorieren. Für die Campist*innen war das Lager wichtiger als die Klasse.
Viele ehemalige Linke, die heute Campist*innen sind, haben diese Denkweise übernommen. Einige dieser politischen Analyst*innen und Aktivist*innen, die sich immer noch als Linke verstehen, neigen dazu, alle Fragen dem Imperialismus unterzuordnen. Wenn ein Staat sich gegen die Vereinigten Staaten stellt, sei er per Definition antiimperialistisch, sodass das politische, wirtschaftliche und soziale System seiner Regierung für den weltweiten Hauptkonflikt, den Imperialismus, irrelevant sei. Darüber hinaus sollten die Probleme der sogenannten antiimperialistischen Staaten nicht untersucht oder kritisiert werden, da dies die Unterstützung für das antiimperialistische Lager und seinen Kampf gegen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten schwächen könnte.
Daher wollen heutige Campist*innen nicht über die autoritären politischen Mächte oder die ausbeuterischen Wirtschaftssysteme der ihrer Meinung nach »antiimperialistischen Nationen« wie Russland, China oder Kuba, des Iran oder Syriens diskutieren. Noch ablehnender reagieren sie auf die Forderung, den Klassencharakter, das Regierungssystem und die ökonomischen Verhältnisse von bedrängten Nationen wie Venezuela oder Nicaragua zu untersuchen. Diese Regierungen infrage zu stellen, würde ihrer Ansicht nach bedeuten, den US-Imperialismus zu unterstützen.
Campist*innen wollen nicht über die autoritären Systeme der ihrer Meinung nach antiimperialistischen Nationen wie Russland, China oder Syrien diskutieren. Sie infrage zu stellen, würde ihrer Ansicht nach bedeuten, den US-Imperialismus zu unterstützen.
Wer zum Beispiel China dafür kritisiert, dass es 1,5 Millionen Uigur*innen in Konzentrationslager gesteckt oder die demokratische Bewegung in Hongkong niedergeschlagen hat, muss mit der US-Regierung verbündet und objektiv pro-imperialistisch sein. Das ist die Logik der Campist*innen. Der traditionelle Marxismus, der auf der Analyse der politischen Ökonomie, der sozialen Klassen, des Klassenkampfes und der Unterdrückung in einem Land sowie seiner internationalen Beziehungen basiert, wird damit verworfen.
Campist*innen behaupten, dass sich diejenigen, die die sogenannten antiimperialistischen Nationen (Russland, China usw.) kritisieren, auf die Seite des US-Imperialismus stellen. Doch kapitalistische und imperialistische Parteien und Regierungen wechseln häufig die Seiten, worauf wir als Linke derzeit wenig oder gar keinen Einfluss haben. Trump beispielsweise schien ein Anhänger von Wladimir Putin, dem Diktator Russlands, zu werden und brachte seine Bewunderung für Xi Jinping zum Ausdruck, womit er die gleiche Position vertrat wie einige, die sich als Antiimperialist*innen bezeichnen. Doch dieselben Antiimperialist*innen lehnen es ab, wenn Internationalist*innen das uigurische Volk in der Provinz Xinjiang verteidigen, weil sowohl die Trump- als auch die Biden-Administration erklärt haben, dass sie die Uigur*innen unterstützen.
Tatsächlich unterstützen sozialistische Internationalist*innen die Uigur*innen, obwohl sie angeblich von der US-Regierung unterstützt werden. Wir unterstützen sie aus unseren eigenen Gründen und halten trotzdem an unserer Kritik des US-Imperialismus fest. Wir unterstützen sie, weil sie wie die Pol*innen und Ir*innen zur Zeit von Marx ein Recht auf Selbstbestimmung haben und nicht dem autoritären Staat China und seinem Han-Nationalismus unterworfen werden sollten.
Wie kam es zu der Vorstellung, dass die Vereinigten Staaten die einzige imperialistische Macht seien? Auch dies können wir auf den Maoismus zurückführen. Die Maoist*innen sagten, bei der Analyse eines jeden politischen Problems müsse der »Hauptwiderspruch« ausfindig gemacht werden, dem alle anderen Fragen untergeordnet sei. Die Campist*innen griffen diesen Gedanken auf und wandten ihn auf die Weltpolitik an, indem sie behaupteten, der Imperialismus sei das Hauptproblem und die Vereinigten Staaten die dominierende Macht. Der Kampf solle sich also gegen den US-Imperialismus richten und nicht gegen Probleme in anderen Ländern, die mit Demokratie, Wirtschaftsreformen, Frauenrechten oder gar dem Kampf für den Sozialismus zu tun haben. Diese Idee des Hauptwiderspruchs tendiert dazu, den Kampf für den Internationalismus der Arbeiter*innenklasse aufzugeben. Den Campist*innen zufolge sollten wir es nicht riskieren, Menschen zu unterstützen, die für Demokratie kämpfen, Arbeiter*innen, die für Gewerkschaften kämpfen, oder Frauen, die in Ländern wie Iran oder Syrien Gleichberechtigung anstreben. Denn das würde vom Hauptwiderspruch ablenken, der in der Rolle dieser Nationen als antiimperialistische Mächte im Kampf gegen die Vereinigten Staaten bestehe. Wer demokratische oder sozialistische Oppositionen in diesen Ländern unterstütze, würde automatisch die Vereinigten Staaten unterstützen.
Imperialismus, unterstützt von Sozialist*innen?
Nehmen wir den komplexen Fall Syrien: 2011, zur Zeit des Arabischen Frühlings, solidarisierten sich demokratische internationalistische Sozialist*innen mit der ursprünglichen Bewegung von Bäuer*innen und dann einem Teil der städtischen Bevölkerung gegen die Diktatur von Bashar al-Assad – ohne eine Intervention der USA, Europas oder von Staaten des Nahen Ostens zu fordern. Die demokratischen Kräfte in Syrien versuchten, den Kampf gegen das Assad-Regime gewaltfrei zu führen. Assad beschloss jedoch, die Opposition gewaltsam zu unterdrücken und sogar syrische Städte zu bombardieren und praktisch zu zerstören, was zehntausende Menschenleben kostete. Daraufhin wurde der Konflikt von Staaten mit regionalen Machtambitionen – Saudi-Arabien, die Türkei und Katar – weiter angeheizt und militarisiert, indem sie Waffen an ihre lokalen Verbündeten lieferten. Während Russland, der Iran und die libanesische Hisbollah Waffen und militärisches Personal zur Verteidigung des Assad-Regimes lieferten, bekräftigten internationale Sozialist*innen das Recht des syrischen Volkes, sich Waffen zu beschaffen, wo immer es konnte, so wie es andere Nationen während der antikolonialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts getan hatten.
Assad hatte faktisch seinem eigenen Volk den Krieg erklärt und deutlich gemacht, dass er bereit war, die Provinzstädte in Schutt und Asche zu legen, um an der Macht zu bleiben. Anfang 2015 lud Assad Russland zu Luftangriffen in Syrien ein. Schon bald bemühten sich syrische Oppositionelle um Unterstützung oder sogar um eine Intervention seitens der US-amerikanischen oder europäischen Regierungen – eine Entwicklung, die wir Internationalist*innen nicht unterstützten. Gleichzeitig begann der Islamische Staat, eine weitere reaktionäre Macht, ihre eigenen Kräfte dort zu sammeln. Die Vereinigten Staaten unterstützten die Syrian Democratic Forces. In der Zwischenzeit flohen 5,6 Millionen Syrer*innen aus dem Land, die Möglichkeit einer demokratischen Revolution stand nicht mehr auf der Tagesordnung. Im weiteren Verlauf verfolgten Russland und Iran, die mit Assad verbündet waren, ihre eigenen regionalen imperialen Interessen.
Obwohl es den Anschein hatte, als würden sowohl die westlichen kapitalistischen Mächte als auch internationalistische Linke die demokratische Revolution in Syrien unterstützten, unterstützten wir in Wirklichkeit andere politische Gruppen, zu anderen Zeitpunkten und andere Kräfte aus anderen Gründen.
Internationalismus ist der wahre Antiimperialismus
Diejenigen, die im Namen des Antiimperialismus autoritäre Regime unterstützen, erweisen nicht nur all jenen Menschen einen Bärendienst, die in Ländern wie Russland, China, Iran, Syrien, Venezuela und Nicaragua für Demokratie und in einigen Fällen auch für Sozialismus kämpfen, sondern schwächen auch den eigentlichen Kampf gegen den US-Imperialismus.
Nehmen wir den Fall China. Heute sind China und die Vereinigten Staaten zwar wirtschaftliche Konkurrenten, aber auch eng miteinander verbunden im kapitalistischen Weltsystem. China hält 1,1 Billionen Dollar der US-Schulden. Während China jährlich Waren im Wert von 443,45 Milliarden US-Dollar in die Vereinigten Staaten exportiert, können die USA lediglich Waren im Wert von 106,4 Milliarden US-Dollar an China verkaufen. Dieses ökonomische Ungleichgewicht gehört zu den größten und einflussreichsten Beziehungen in der Weltwirtschaft, einem System, in dem beide Nationen eine führende Rolle spielen.
Die Grundlage für den Kampf gegen den Imperialismus sollten wir in den vielen sozialen Bewegungen in unzähligen Ländern sehen, egal, ob deren Regierungen sich selbst als kapitalistisch oder sozialistisch bezeichnen.
Linke sollten sich klarmachen, dass ein Sturz des US-Imperialismus nicht vorstellbar ist, ohne zugleich das chinesische Wirtschaftssystem zu zerstören, da beide Länder Teil desselben weltwirtschaftlichen Arrangements sind. Abgesehen von den Beziehungen zu den USA hat China im Rahmen eines durchaus klassischen Imperialismus Billionen US-Dollar in die Erschließung von Kohle- und Mineralienminen, Öl- und Gasvorkommen und anderen Ressourcen in Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas investiert sowie in seine »Neue Seidenstraße« oder »Belt and Road Initiative« – Autobahnen, Eisenbahnen und Pipelines, die Europa mit China verbinden und dessen Kontakte zu Afrika und Asien verbessern sollen. Alle diese Maßnahmen zielen auf die Expansion der Industrie, des Finanzwesens und des Handels von China, also dessen wirtschaftlichen Grundlagen des chinesischen Imperialismus.
Wie aus der Geschichte des Imperialismus bekannt ist, wird China diese wirtschaftlichen Grundlagen für den Aufbau einer militärischen Streitmacht zur Sicherung dieser Grundlagen nutzen – eine Entwicklung, die im Südchinesischen Meer bereits zu erkennen ist. In nicht allzu ferner Zukunft dürfte der chinesische Wirtschaftsimperialismus zu einem militärischen Konflikt mit den USA oder ihren asiatischen Verbündeten führen, der sich zu einem Atomkrieg ausweiten und die Menschheit auslöschen könnte.
Widerstand gegen den Imperialismus erfordert die Stärkung der Bewegungen der Arbeiter*innen, der Bäuer*innen, der städtischen Armen sowie der ruinierten unteren Mittelschichten in der ganzen Welt. Die Grundlage für den Kampf gegen den Imperialismus sollten wir daher in den vielen demokratischen sozialen Bewegungen, Arbeiter*innenbewegungen und in einigen Fällen sozialistischen Bewegungen in unzähligen Ländern sehen, die von Regierungen beherrscht werden, die sich selbst als kapitalistisch oder sozialistisch bezeichnen. Als Sozialist*innen sollten wir diese Bewegungen unterstützen – ob in Argentinien oder Venezuela, im Iran oder in Algerien, in Japan oder China, in Frankreich oder der Ukraine, in Deutschland oder Russland –, und gleichzeitig zunächst in der Theorie und dann in der Praxis dazu beitragen, sie alle in einer internationalen Bewegung für die Befreiung zusammenzuführen.
Der Artikel erschien im Januar 2022 unter dem Titel »Internationalism, Anti-Imperialism and the Origins of Campism« in der Zeitschrift New Politics, online unter newpol.org. Übersetzung: Christian Frings. Kürzung: ak.
Anmerkungen:
1) Die Vereinigten Staaten unterstützten beispielsweise Indonesien in seinem Kampf gegen die zunächst japanische und dann niederländische Herrschaft über die Kolonie.
2) Die Sowjetunion unterstützte die Unabhängigkeitsbewegung Vietnams.
3) Sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion unterstützten 1944 die Gründung der unabhängigen Staaten Syrien und Libanon, und die USA, die UdSSR und Frankreich unterstützten die Gründung Israels, das aus dem britischen Palästinamandat hervorging.