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|Thema in ak 701: Anti-AfD

Ab durch die Mitte

Wie kann die antifaschistische Linke auf die Massenproteste für »unsere Demokratie« reagieren?

Von Jan Ole Arps

Menschenmenge an einem grauen Tag vor dem Bundestag, im Vordergrund eine große silberne Fahne mit der Aufschrift FCK AFD.
Werden diese Demos den Aufstieg der Rechten aufhalten? Zweifel sind erlaubt. Foto und Collage: ak

Landauf, landab finden Demonstrationen gegen die AfD und die rechten Planspiele zur Deportation von Millionen Menschen statt. Die Berichte der Medienplattform Correctiv über ein rechtes »Geheimtreffen« in Potsdam im November haben zwar kaum Neues zutage gefördert, waren aber offenkundig der Zündfunke, den viele, denen der Höhenflug der AfD Sorgen bereitet, brauchten, um die Lethargie abzuschütteln und auf die Straße zu gehen.

Organisiert werden die Proteste von oft spontan gegründeten Bündnissen aus sozialen Bewegungen und Organisationen der Zivilgesellschaft, mancherorts auch von Unternehmer*innen, die sich Sorgen um das Image des Landes machen. In Großstädten wie Berlin, Leipzig, Hamburg oder München bringen die Aufrufe Zehn- oder Hunderttausende auf die Straße, teilweise wurde die Aktionsform Lichterkette aus den 1990er Jahren wiederbelebt. Aber – und das ist deutlich wichtiger – auch in Klein- und Mittelstädten in Brandenburg, Thüringen oder Sachsen, wo dieses Jahr gewählt wird und die AfD die Umfragen anführt, protestierten Hunderte, oft Tausende Menschen gegen rechts. In Orten wie Grimma, Pirna, Bautzen oder Dippoldiswalde begleitet von Drohgebärden der örtlichen Neonazis, die ihr Heimrecht verletzt sehen.

Einer der Slogans, unter denen mobilisiert wird, lautet: »Wir sind die Brandmauer.« Er spielt auf ein Schlagwort an, mit dem die Parteien von CDU bis zur Linken ihre Abgrenzung zur AfD betonen und eine Zusammenarbeit ausschließen. Dass diese »Brandmauer« immer sichtbarer Risse bekommt, etwa wenn CDU, FDP und AfD in Kommunal- und Landesparlamenten gemeinsam für Kürzungen von Leistungen für Asylsuchende oder für Steuersenkungen stimmen, macht offenbar mehr Menschen Angst, als man bis vor kurzem ahnen konnte. In der Betonung, dass »wir«, die ganz normalen Bürger*innen, die Brandmauer seien, steckt also auch eine Kritik an den etablierten Parteien, die nicht genug gegen die AfD tun, weshalb es jetzt auf »uns alle« ankomme, ein Zeichen zu setzen und die Demokratie vor ihren rechten Feind*innen zu beschützen.

Mit dieser Sorge vor einer rechten Machtübernahme ist allerdings nicht unbedingt eine Ablehnung rechter Politik verbunden. In der Migrationspolitik beschließt die Ampelkoalition seit Monaten Maßnahmen zulasten von Geflüchteten und Asylsuchenden – ganz ohne öffentlichen Aufschrei. Ende Januar, einen Tag vor dem zweiten großen Demo-Wochenende, verabschiedete der Bundestag das »Rückführungsverbesserungsgesetz«, das die Rechte Schutzsuchender abermals massiv beschneidet und Abschiebungen erleichtern soll. Inzwischen hat das Gesetz den Bundesrat passiert, flankiert von der Aufforderung von SPD-Parteichef Lars Klingbeil an die Länder, mehr und schneller abzuschieben.

Zusammen für die Demokratie – reicht das?

Dieser Widerspruch spielt auf den meisten Demonstrationen keine große Rolle, auch wenn Redner*innen aus antirassistischen Initiativen immer wieder eine humanere Migrationspolitik einfordern. Im Vordergrund steht der Zusammenhalt »für die Demokratie«. Zumindest in den westdeutschen Städten dürften viele Demonstrant*innen bei der letzten Wahl ihr Kreuz bei SPD oder Grünen gemacht haben, die Teilnehmer*innen sind in der Mehrheit bürgerlich, die allermeisten sind weiß. Für die Regierungsparteien sind die Proteste daher ein willkommener Anlass, um das große Unterhaken gegen die AfD zu beschwören, ohne über die eigene Verantwortung für deren Aufstieg – zum Beispiel durch die Übernahme von AfD-Forderungen – sprechen zu müssen.

Entsprechend profitieren bisher vor allem die Grünen von den Protesten. Sie haben in den letzten Wochen eine Rekordzahl neuer Mitglieder gewonnen, während die dezimierte Linkspartei, die von den im Bundestag vertretenen Parteien am ehesten einen glaubwürdigen Antifaschismus verkörpert, in Umfragen weiter absackt. An dieser Entwicklung lässt sich ablesen, wie weit sich die politische Normalität nach rechts verschoben hat. Das wahrgenommene Meinungsspektrum reicht noch von Grün bis AfD, als Feindbild der Rechten müssen dann die Grünen als antifaschistischste Kraft erscheinen. In der Folge ist mit Kritik an grüner Abschiebepolitik auf den Demos gegen die AfD kein Blumentopf zu gewinnen.

Die Anhänger*innen der AfD werden die Proteste kaum erschüttern. Eher werden sie sich durch die Proteste mit Gütesiegel der Regierung in ihrer Dissidentenrolle bestärkt sehen.

Die Anhänger*innen der AfD werden die Proteste kaum erschüttern. In Umfragen hat die in weiten Teilen faschistische Partei seit Beginn der neuen Bewegung zwar bis zu fünf Prozentpunkte eingebüßt, aber das dürfte auch daran liegen, dass mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht seit kurzem eine weitere Partei zur Auswahl steht, die sich offensiv für Abschottung gegen Migrant*innen ausspricht. Wer sich nebenbei noch etwas mehr Sozialpolitik wünscht, kann nun auch beim BSW eine politische Heimat finden. Für etwa fünf Prozent der von Forsa und Co. Befragten kommt das offenbar in Frage.

Der entscheidende Teil der AfD-Wähler*innen wird sich angesichts der Proteste mit Gütesiegel der Regierung in ihrer Dissidentenrolle bestärkt sehen. Das profaschistische Milieu von 20 Prozent bundesweit – und mehr in Regionen mit rechter Hegemonie – ist gefestigt. Das liegt zum einen daran, dass sich die AfD in weiten Teilen Ostdeutschlands nach Jahrzehnten rechter Gewalt und Alltagsdominanz fest verankert hat. Zum anderen hat sich die politische Realität in den letzten Jahren im Wechselspiel von AfD-Hetze und der Übernahme ihrer Erzählungen durch Politik und Medien dramatisch nach rechts verschoben. Den Nährboden hierfür bieten die gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen der letzten Jahre, ihrerseits Vorbeben kommender Krisen. Die Zeiten relativer Stabilität sind vorbei, der Zerfall der Welt in um knapper werdende Ressourcen konkurrierenden Machtblöcke und die dramatischen Umwälzungen durch die Klimakrise zeichnen sich dagegen immer schärfer ab. Diese Krisen können nicht gelöst werden, ohne mit dem kapitalistischen Wachstumszwang zu brechen – in unserer politischen Welt undenkbar.

Damit ist das Integrationsversprechen der neoliberalen Epoche, individueller Wohlstand durch Leistung, passé. Aus dem ideologischen Baukasten dieser Jahre bleiben der Aufruf zum rücksichtslosen Konkurrenzkampf gegen alle anderen und der Hass auf Schwächere, den Akteure wie die AfD mit klassischen faschistischen Feindbildern und Volksgemeinschaftsgerede anreichern. Für viele eine attraktive Mischung. Der Publizist Tomasz Konicz beschrieb die Situation wie folgt: »Das Erfolgsrezept des Vorfaschismus – von der AfD bis Donald Trump – besteht darin, diese krisenbedingt aus der ›Mitte‹ der Gesellschaft aufsteigende Barbarei ideologisch zu legitimieren und praktisch zu exekutieren.« Sein Resümee: »Die Zeit arbeitet für die AfD.«

Zeit gewinnen durch AfD-Verbot?

Um in dieser Lage Zeit zu gewinnen, ist in den letzten Wochen die Forderung, auch von links für ein Verbot der AfD zu werben, lauter geworden. Die Demonstrationen sollen den Resonanzraum bieten, in dem die Forderung popularisiert werden kann. Das zentrale Argument für eine solche Kampagne lautet, dass ein Verbotsverfahren den Koalitionswillen der CDU mit der AfD bremsen, so den Einzug von Faschist*innen in politische Ämter aufhalten und der antifaschistischen Bewegung Zeit kaufen kann, um wieder auf die Beine zu kommen.

Ein solcher Abschreckungseffekt in Richtung CDU ist denkbar und wäre angesichts der bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahlen auch wünschenswert. Allerdings stellt sich die Frage, ob die knappen linken Kräfte in einer solchen Kampagne gut eingesetzt sind. Ob ein Verfahren für ein AfD-Verbot (oder ein Verbot einzelner Landesverbände) kommt, hängt davon ab, dass es eine parlamentarische Mehrheit hierfür oder einen Verbotsantrag der Regierung oder des Bundesrates gibt. Dafür wird es nicht ausschlaggebend sein, ob außerparlamentarische Linke sich für ein AfD-Verbot engagieren.

Wo können linke Kräfte einen Unterschied machen? Der wichtigste Effekt der Proteste besteht darin, dass sie an der Aura der Unbesiegbarkeit der Rechten kratzen und ihre Behauptung erschüttern, den Willen der – völkisch verstandenen – Mehrheit zu repräsentieren. Im besten Fall ermutigt das Antifaschist*innen und Demokratiefreund*innen an Orten, an denen die AfD tatsächlich für die Mehrheit spricht, sich den Faschisten offener, als das ohne solchen Rückenwind möglich ist, entgegenzustellen und Mitstreiter*innen zu sammeln.

Diesen antifaschistischen Aufbau vor Ort zu unterstützen, durch mehr Zusammenarbeit, Austausch und auch Ressourcentransfer zwischen Linken in Stadt und Land, West und Ost, wäre ein wichtiger nächster Schritt, damit die dort Aktiven nach dem Ende der Protestwelle dem fortgesetzten Druck von rechts standhalten können.

Daneben sollten Linke darauf bestehen, dass es beim Kampf gegen rechts nicht reicht, »die Demokratie« zu verteidigen, sondern sie endlich zu vervollständigen. Weite Teile des Lebens sind jeder Mitsprache entzogen. Im Wirtschaftsleben entscheiden diejenigen, die aus der Arbeit aller anderen Profit ziehen, darüber, was und wie produziert wird. Die in den ökonomisch mächtigsten Ländern getroffenen Entscheidungen verschlechtern ihrerseits die Lebenschancen von Milliarden Menschen anderswo auf der Welt dramatisch. Das ist das zutiefst undemokratische Fundament, auf dem die existierende Sparflammen-Demokratie ruht.

Die AfD ist die radikalste Vertreterin dieser kapitalistischen Demokratiefeindlichkeit. Um ihren Erfolg zu brechen, brauchen wir keinen Kuschelkurs mit den etwas verschämteren Migrationsgegner*innen aus den Regierungsparteien, sondern eine offensive Vision für tatsächlich demokratische Verhältnisse.

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.

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