Das Ende der linken Opposition
Linkskommunist*innen versuchten, während des Deutschen Oktobers den Gedanken der Rätemacht aufrechtzuerhalten und gingen unter
Von Rhena Stürmer
Die Aktionen der organisierten Arbeiter*innenbewegung fanden 1923 ihren Höhepunkt. Aber die Linkskommunist*innen holten zum Rundumschlag aus. Es ging gegen die Reichs-SPD, die sächsischen und thüringischen Arbeiterregierungen aus KPD und SPD und die Aufstände gegen die Ruhrbesetzung. In der Oktober-Ausgabe der Kommunistischen Arbeiter-Zeitung (KAZ) war zu lesen: Das Vorgehen sei »konterrevolutionär«, die Sozialdemokratie wolle ihren Anhänger*innen »mit Feuer und Schwert, mit Blut und Blei die Illusion aus den Schädeln treiben, daß die SPD und die Gewerkschaften mit den Interessen des Proletariats irgend etwas gemein hätten«, so das Urteil.
Die KAZ war das Organ der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), einer Linksabspaltung der KPD, die rätekommunistische und antiparlamentarische Positionen vertrat. Das machte die Mitglieder nicht nur zu Gegner*innen der Sozialdemokratie und Gewerkschaften, sondern seit 1920 auch der KPD und des sowjetischen Modells. Dementsprechend waren die linken Landesregierungen in Thüringen und Sachsen in den Augen der KAPD keine wirkliche Alternative: Es sei den sozialdemokratischen und kommunistischen Machthabern lediglich darum gegangen, »für ein Sechspfundbrot die Arbeiter für kapitalistische deutsch-russische Handelsbeziehungen« zu ködern.
In ihrer Lesart der russischen Revolution hätten die Leninist*innen nach 1917 eine quasi-kapitalistische Entwicklungsdiktatur errichtet und dazu gehörte für sie auch die deutsche KPD. Zur Überwindung dieses Dilemmas, zwischen Kapitalismus im Westen und Staatssozialismus im Osten, setzten die Linkskommunist*innen auf die direkte Aktion und verlangten den Zugriff auf die Produktionsmittel. »Euch gehören von Rechts wegen die Betriebe«, stand in der KAZ Ende Oktober 1923. Dieser Blick ließ kein taktisches Agieren zu: Innerlinke Allianzen oder die Auseinandersetzung mit tagespolitischen Fragen waren für die Linkskommunist*innen letztlich chancenlose politische Aktivitäten. Lediglich der Kampf um die Betriebe wurde von ihnen forciert. Und so war ihre Antwort auf die Angriffe gegen die Arbeiterregierungen: »Aber wenn Ihr Euch die Betriebe, die Produktionsmittel, die Verkehrseinrichtungen nehmt – dann seid Ihr stark, dann habt Ihr eine Basis, von der Ihr vormarschieren könnt, dann könnt Ihr Euren Klassenfeind unter die Füße treten – nur dann könnt ihr Euch retten.«
Innerlinke Allianzen oder die Auseinandersetzung mit tagespolitischen Fragen waren für die Linkskommunist*innen letztlich chancenlose politische Aktivitäten.
Im Glauben an die Stärke einer Bewegung, die auf einer betrieblichen Praxis fußte und in der eine Partei lediglich koordinierende Funktion hatte, appellierte man an die proletarischen Subjekte in den Betrieben. An der Weimarer Demokratie war man nicht interessiert – und nahm als Partei dementsprechend auch nicht an Parlamentswahlen teil. In der republikanischen Lesart galten und gelten Linkskommunist*innen selbstverständlich als Demokratiefeinde.
Initialzündung: November 1918
Diese Fraktion der Arbeiter*innenbewegung entstand 1918. Der Matrosenaufstand und die entstehenden Räterepubliken (nicht nur in Deutschland) mit ihren eigenen direkten Verwaltungsstrukturen beeindruckten die politische Linke und führten dazu, dass sich die KPD zum Jahreswechsel 1918/19 gründete. In ihr fanden sich zunächst auch linkskommunistische und syndikalistische Strömungen. Von der KPD trennte man sich jedoch, als sie sich für die Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung und die Arbeit in den bestehenden Gewerkschaften entschied.
Im April 1920 entstand die KAPD, sie hatte um die 40.000 Mitglieder, im selben Jahr die Allgemeine Arbeiterunion Deutschlands (AAUD) als Pendant auf wirtschaftlicher Ebene. Wesentlich war das Ziel, die Trennung von Politik und Wirtschaft wieder aufzuheben. Das linkskommunistische Ideal einer Organisation waren die Räte bzw. Betriebsorganisationen. Die Arbeiter*innenschaft sollte direktdemokratisch über wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse bestimmen, während die Partei die Rolle von Vernetzung und Diskussion übernehmen sollte – als Vorhut oder Elite der Bewegung war sie nicht gedacht. Zu Sowjetrussland hatten die Linkskommunist*innen dementsprechend ein ambivalentes Verhältnis: Die Revolution 1917 bedeutete zwar ein fantastisches Zeichen der Selbstermächtigung der unterdrückten Klassen, und bis 1921 standen sie mit Lenin im kritischen Dialog. Die Entmachtung der russischen Rätebewegung allerdings und die Vormachtstellung des bolschewistischen Parteiapparats führte dazu, dass sie das sowjetische Revolutionsmodell komplett ablehnten.
In Deutschland beteiligten sich die Anhänger*innen von KAPD und AAUD – bis 1922/23 immerhin mehrere Zehntausende – an verschiedenen Aufständen und kurzlebigen Räterepubliken, und ihre Mitglieder bildeten umfassende Strukturen: Gruppierungen im ganzen Reich mit den Schwerpunkten Berlin, Hamburg, Mitteldeutschland und dem Ruhrgebiet, eine Jugendorganisation, eine teilweise bewaffnete Kampfgruppe, eine eigene Solidaritätsorganisation. Nachdem sie sich mit der Kommunistischen Internationale überworfen hatten, bildeten die Linkskommunist*innen eine alternative internationale Vereinigung, die Kommunistische Arbeiter-Internationale. Doch die Bewegung scheitert. Von den Räten bleibt in Deutschland nur das bis heute existierende Rudiment der Betriebsräte, die zwar Mitbestimmungsrechte im Unternehmen ausüben, jedoch keine Kontroll- oder Verfügungsgewalt über die Produktion besitzen.
Schneller Aufstieg, noch schnellerer Fall
Die in der Novemberrevolution 1918 angedachte Doppelherrschaft von Parlament und Räten wurde nicht umgesetzt. Nach den umkämpften ersten Jahren setzte sich ab Ende 1923 trotz aller Schwächen des politischen Systems die republikanische Lesart von Politik durch, die im Parlamentarismus die entscheidende Instanz für die Regelung des öffentlichen Lebens sah. Dass davon die Wirtschaft kaum berührt war, kritisierten die linken Akteur*innen auch über 1923 hinaus – aber die Bewegung hatte an Schlagkraft verloren. Bereits 1921 erlitt der linke Flügel der Arbeiter*innenbewegung mit dem Mitteldeutschen Aufstand bei Merseburg ihre erste große Niederlage.
In Sachsen-Anhalt, aber auch in Hamburg kam es zu bewaffneten Kämpfen zwischen Arbeiter*innen und Regierungstruppen. Einer der Organisatoren, Max Hoelz, war selbst später in der DDR als roter Bandit bekannt. Aber auch kleinere Versuche der Enteignung und Sozialisierung wurden vonseiten des Staates und paramilitärischen Einheiten unterbunden. Allgemeine Ermüdungserscheinungen setzten den Beteiligten zu. Die KAPD, die Partei des organisierten Linkskommunismus, existierte de facto drei Jahre, bis man sich in ideologische und alltagspolitische Fragen verstrickte und auch daran spaltete. Die Partei ging gerade im Jahr 1923 ihrem Ende entgegen. Die dominante Rolle der KPD ist im Deutschen Oktober also folgerichtig, konnte sie sich durch den Niedergang der Linkskommunist*innen als zugänglichere und finanziell besser ausgestattete Alternative innerhalb der Arbeiter*innenbewegung etablieren. Auch die AAUD wurde zu einer marginalisierten Splittergruppe. Einige ihrer Mitglieder gingen 1923 zu Freien Arbeiter-Union Deutschlands, einer großen anarchistischen Gewerkschaft. Dieser Fraktion der Bewegung standen sie immer noch am nächsten. 1923 markiert somit auch das Ende einer – halbwegs erfolgreichen – oppositionell kommunistischen Bewegung.
Was bleibt?
Dennoch: Für die Linkskommunist*innen war 1923 die Sache noch nicht gänzlich entschieden; die Möglichkeit, die Geschicke der Republik (oder der ganzen Welt) zu bestimmen, war für sie in der direkten Herrschaftsausübung der Räte noch immer enthalten. Einige KAPD-Akteur*innen entwickelten nach dieser Hochphase sodann neue und andere Praktiken, um ihren politischen Ideen Geltung zu verschaffen: Die Partei-Mitbegründer Alexander Schwab und Bernhard Reichenbach etwa fanden eine Nische in der Bildungs- und Schulungsarbeit in halbklandestinen Diskussionskreisen der SPD, andere wie die Schriftsteller Adam Scharrer und Karl Schröder blieben Teil der innerlinken Debatten durch diverse linkskommunistische Zeitungen und Literatur, und einige blieben mit der internationalen Arbeiter*innenbewegung vernetzt, denn auch außerhalb Deutschlands fanden sich ähnliche Strömungen. Ideologisch hatte sie die Zeit der realen Rätebewegung und bei der KAPD und AAUD nachhaltig geprägt; sie blieb für die Akteur*innen eine Erfahrung, hinter die sie nicht mehr zurückkonnten und -wollten. Große Organisationen konnten die Linkskommunist*innen nach 1923 nicht mehr etablieren, inhaltlichen Austausch fanden sie vor allem in kleinen Zirkeln. Ihr Bezugspunkt blieb die Arbeiter*innenklasse. Sie waren weiterhin Vertreter*innen einer kompromisslosen Politik »von unten«.