Wider den Klimakolonialismus
Ivonne Yanez vom ecuadorianischen Kollektiv Acción Ecológica über die Ausbeutung des Globalen Südens
Interview: Ulrich Brand und Katja Voigt
Die nächste Weltklimakonferenz wirft ihre Schatten voraus: Präsident der COP28, die von Ende November bis Mitte Dezember in Dubai stattfindet, ist Ahmed Al Jaber – seines Zeichen Geschäftsführer des staatlichen Ölkonzerns. Warum die Kritik an den Klimakonferenzen und an der herrschenden Klimapolitik indes viel grundsätzlicher ausfallen muss, erläutert Ivonne Yanez in einem Interview, das in voller Länge ursprünglich in der Zeitschrift Luxemburg 2/2022 erschienen ist. Die Übersetzung aus dem Spanischem stammt von Ulrich Brand.
Seit 1995 finden die UN-Klimakonferenzen statt, bei denen auch die Länder des Globalen Südens ihre Forderungen einbringen. Was ist erreicht worden?
Ivonne Yanez: Aus meiner Sicht geht es bei den Klimagipfeln nicht primär um eine Bekämpfung der Klimakrise. Der Klimawandel dient nur als ideologische Grundlage für die Agenda von Staaten, Konzernen, Banken und transnationalen Naturschutzunternehmen. Man müsste in Wahrheit von »Freihandelsgipfeln zum Thema Kohlenstoffkompensation« sprechen.
Das heißt, es geht gar nicht um Klimaschutz?
Naja. Zum einen wurde der Anstieg der Treibhausgasemissionen bekanntlich nicht gestoppt, trotz des Beschlüsse wie dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Zum anderen sind die UN-Klimagipfel seit 1997 in Kyoto stark darauf ausgerichtet, Kohlenstoffmärkte sowie Märkte für die Kompensation von Emissionen zu schaffen.
Was bedeutet das? Womit wird auf diesen »Kohlenstoffmärkten« gehandelt?
Auf der COP26 in Glasgow 2021 wurde das »Netto-Null-Ziel« intensiv diskutiert. Es bedeutet, dass Länder des Globalen Nordens nicht nur Rechte zum Ausstoß von Emissionen kaufen, sondern ihre Emissionen andernorts kompensieren können. Doch aus globaler Perspektive führt das nicht zur Minderung der Emissionen. Mit der Selbstverpflichtung vieler Länder des Nordens auf die »Netto-Null« sind zwar mehr Klimaschutzprojekte im Globalen Süden entstanden. Doch das sogenannte Offsetting-System, mit dem Treibhausgase durch Einsparungen oder Speicherungen an anderer Stelle ausgeglichen werden sollen, funktioniert nicht.
Ivonne Yanez
ist Mitbegründerin des Kollektivs Acción Ecológica in Ecuador, das seit 1986 die dortige Umweltzerstörung thematisiert und lokalen Protesten von Frauen, indigenen Völkern und Bäuer*innen eine Stimme gibt. Das Kollektiv hat zentral zur Ausarbeitung und Etablierung des Konzepts der Rechte der Natur beigetragen. Foto: Knut Henkel
Warum nicht?
Erstens sind die Regelungen zum Teil absurd. Nehmen wir etwa das Abkommen, das den globalen Methanausstoß bis 2030 um 30 Prozent verringern soll. Da werden Emissionsminderungszertifikate für das Abfackeln von Gas auf Ölfeldern verkauft. Denn das Verbrennen verwandelt Methan in CO2, was im Vergleich weniger klimaschädlich ist. Dadurch wird die CO2-Emission plötzlich zur sauberen Sache und Unternehmen können sich dafür Emissionen gutschreiben lassen. Und es werden noch mehr falsche Lösungen diskutiert, wie etwa ein Aufleben der Atomenergie oder der Versuch, über Technologien CO2 im Boden zu speichern (Carbon Capture and Storage, CCS). Das Problem ist: Statt das einzig Richtige zu tun und die fossilen Ressourcen im Boden zu lassen, werden Extraktion und Verbrennung weiter vorangetrieben. Es wird festgehalten an einem System, das stetig mehr Öl-, Gas- oder Kohleförderung, mehr industrielle Landwirtschaft, mehr Produktion, Transport und Verbrauch von Industriegütern vorsieht.
Die herrschenden Ansätze der Klimapolitik versuchen gar nicht erst, das Problem zu lösen.
Du siehst also kein Potenzial in technologischen Lösungen?
Die herrschenden Ansätze der Klimapolitik versuchen gar nicht erst, das Problem zu lösen. Es sind rein marktwirtschaftlich orientierte, technologische Vorschläge, die das Ziel haben, den fossilen Kapitalismus fortzusetzen und mit dem Klimaschutz Geschäfte zu machen. Diese Ideologie eines »Techno-Fix« (siehe Seite 39) zeigt sich in den CCS-Technologien, aber auch in den Investitionen in erneuerbare Energien, in »klimaintelligenten« (climate smart) Formen der Landwirtschaft sowie in der Förderung von Wasserstoff und der Digitalisierung.
Viele dieser Technologien sollen in Länder des Globalen Südens exportiert werden.
Der Technologietransfer ist in der Regel mit Verschuldung verbunden. Zusätzlich sind die Projekte oft an die Auflage geknüpft, Verträge mit bestimmten Infrastrukturunternehmen abzuschließen. Es findet ein enormer Kapitaltransfer vom Süden in den Norden statt, auch durch Regelungen zu geistigen Eigentumsrechten. Gleichzeitig lässt sich in die andere Richtung eine neue Form der Biopiraterie beobachten, wenn westliche Forscher*innen im Globalen Süden traditionelles Wissen zur Bewältigung des Klimawandels sammeln – altes Saatgut, Wassermanagement –, ohne dass dafür eine Kompensation stattfindet.
Welche Akteur*innen treiben den Technologietransfer an und profitieren davon?
Die Energiekonzerne sind die größten, wenn auch nicht die einzigen Nutznießer von »Netto-Null-Zielen«. Sie können weiterhin fossile Energieträger nutzen und erhalten neue Rechte und Zugänge, um für erneuerbare Energien Mineralien abzubauen und Ressourcen auszuschöpfen. Aber auch transnationale Naturschutzkonzerne wie Conservation International oder der World Wide Fund For Nature (WWF) profitieren davon, lokale »Ausgleichsprogramme« zur CO2-Kompensation durchzuführen. Ihre Rhetorik der »naturbasierten Lösungen« legitimiert die herrschenden Interessen.
Welche Auswirkungen hat denn das Offsetting konkret im Globalen Süden?
Enorme Auswirkungen. Für erneuerbare Energien werden große Landstriche beschlagnahmt, um etwa Windparks aufzubauen oder Plantagen für das dafür nötige Balsaholz zu schaffen. Oder es werden Naturreservate zerstört, um Rohstoffe und Minerale für den »grünen Umbau« der Wirtschaft im Norden zu gewinnen, etwa für die Batterien von E-Autos oder für pflanzliche Treibstoffe. Diese Art der Klimapolitik sichert die fossile Grundlage der Produktions- und Lebensweise des Globalen Nordens ab. Sie verwüstet Territorien und unterläuft auch die Möglichkeiten der Klimaanpassung im Globalen Süden.
Du benutzt den Begriff des Klimakolonialismus, um die herrschende Klimapolitik zu charakterisieren. Warum?
Sowohl die Klimaschutzpolitik als auch die Anpassungsmaßnahmen stehen in kolonialer Tradition. Die Industrieländer des Globalen Nordens haben die Atmosphäre und die Ozeane, die allen gehören, in der Vergangenheit einseitig für sich genutzt. Ihre Extraktions-, Produktions- und Lebensweise hat diese Räume in den vergangenen 150 Jahren vergiftet und beschädigt. Um das zu beenden und zu kompensieren, wird nun im Süden immer mehr Land vernutzt, während im Norden nichts Vergleichbares geschieht.
Siehst du in der internationalen Klimapolitik auch positive Ansätze?
Nein. Es gibt durchaus Menschen aus verbündeten Organisationen, die im Prozess der UN-Verhandlungen und der Klimarahmenkonvention zivilgesellschaftlichen Gestaltungsspielraum sehen. Und es gibt indigene Organisationen, die »naturbasierte Lösungen« für eine gute Idee halten oder auf den Tausch von Schulden gegen Naturschutz setzen. Ich halte das für problematisch. Solche falschen Hoffnungen können den Widerstand im Süden gegen den klimapolitischen Extraktivismus untergraben. Stattdessen müssen wir dafür kämpfen, die Gesellschaften im Globalen Süden von dem kapitalistischen Druck zu befreien, der auf ihnen lastet. Ansonsten ist keine tiefgreifende sozial-ökologische Transformation möglich.
Was sind dann überhaupt Ansatzpunkte für eine solche Transformation?
Es gibt wegweisende technologische und politische Ansätze aus dem Globalen Süden. 2007 etwa gab es den Vorschlag, das Öl im ecuadorianischen Yasuní-Nationalpark, einem der Gebiete mit der weltweit größten Biodiversität, im Boden zu lassen – im Gegenzug für eine gar nicht so hohe finanzielle Kompensation durch die internationale Gemeinschaft. Entsprechende Zusagen wurden jedoch nicht eingehalten, und 2013 gab die Regierung das Gebiet schließlich zur Ölförderung frei. Auf jeden Fall wären eine Zahlung der ökologischen Schulden des Nordens an den Süden und der Erlass der Auslandsschulden des Südens Schritte in die richtige Richtung. Dann könnten wir tatsächlich über das Geld verfügen, um eine Wirtschaft jenseits des Öls aufzubauen und Nahrungsmittel-, Energie- und Wirtschaftssouveränität zu schaffen. Es geht um einen grundlegenden Perspektivenwechsel. Dazu gehört auch, die Rechte der Natur juristisch anzuerkennen.
Du hast schon erwähnt, dass es in vielen Ländern und Gemeinschaften des Globalen Südens eigene Anpassungsstrategien gibt.
Indigene Gemeinschaften, aber auch Kleinbäuer*innen im Globalen Süden entwickeln seit Tausenden von Jahren Techniken der »Anpassung«. Sie basieren auf Erfahrungswissen und kontinuierlichen Lernprozessen im Zusammenleben mit der Natur und mit anderen Lebewesen. Sie selbst würden dies wohl nicht »Anpassung« nennen, sondern eine gemeinsame Praxis, Veränderungen zu beobachten, zu experimentieren, aus Fehlern zu lernen und das Wissen zu teilen. Es sind auch Praktiken des Widerstands gegen die auferlegte Ordnung.
Wie lassen sich diese Alternativen stärken?
Wir sollten sie nicht romantisieren, sondern anerkennen und weiterverbreiten. Aktuell werden sie an den Rand gedrängt, Fortschritt und Wissenschaft entgegengesetzt oder unter dem Etikett »Anpassung und Resilienz« in ein westliches Korsett gezwängt. Wenn wir trotz allem von Anpassung sprechen wollen, sollten wir den vielfältigen und aktiven Widerstand vieler Menschen im Süden ins Zentrum stellen, vor allem ihren radikalen und mutigen Vorschlag, etwas nicht zu tun – nämlich weiter um jeden Preis Ressourcen aus der Erde holen. Eine wirkliche Anpassung an den Klimawandel hieße ganz konkret, die Ölförderung zu beenden.