analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|Thema in ak 690: Arbeitskampf

Jenseits des Jobs

Nicht alles ist ein Streik, aber er ist dennoch mehr als das kollektive Verweigern von Lohnarbeit, sagen die feministischen Aktivistinnen Gabe Wilczynska und Kalina Drenska

Interview: Renate Clauss und Laura Krabbenhöft

Man sieht ein Transparent, auf dem steht: ohne uns steht die Welt (also Weltkugel dargestellt) still
Einen feministischen Streik versuchten 2019 auch Menschen in Deutschland durchzuführen. Foto: Anne Meerpohl

Wir wollen mehr: Krieg und Klimakrise bestreiken!« Unter diesem Motto fand Mitte Februar ein Kongress der Transnational-Social-Strike-Plattform (TSS) in Frankfurt am Main statt. Circa 150 Personen aus mehr als 25 Ländern waren dort. Darüber, wie feministische und soziale Streiks aussehen könnten und wann sie eigentlich erfolgreich sind, sprach ak vor Ort mit Qabriela Gabe Wilczynska und Kalina Drenska.

Ihr seid weit gereist, um mit anderen zusammenzutreffen und euch über den sogenannten sozialen Streik auszutauschen – was erwartet ihr euch davon?

Gabe Wilczynska: Bisher hatte ich immer nur von internationaler gewerkschaftlicher Zusammenarbeit gelesen oder sie von außen beobachtet. Hierher zu kommen und zu sehen, wie es in Wirklichkeit aussehen kann, ist mein Antrieb.

Kalina Drenska: Für mich gibt es im Wesentlichen drei Gründe. Erstens: Die Gruppe, zu der ich gehöre, EAST, entstand während der Pandemie, wir trafen uns online und hatten wenig persönlichen Kontakt. Hier treffen wir einander.

Zweitens können wir die begonnenen Diskussionen über soziale Reproduktion und feministische Streiks vertiefen: Der 8. März steht vor der Tür. Für mich ist interessant, wie verschiedene Menschen in verschiedenen Ländern sich dem Thema Streik und feministische Organisierung nähern. Schließlich wollte ich mehr über die Verbindungen zwischen feministischen und anderen Kämpfen erfahren: dem Klimakampf oder dem Kampf von Migrant*innen. Diese Dinge sind miteinander verbunden, werden allerdings manchmal getrennt voneinander betrachtet. Zusammenkünfte wie diese machen es einfacher, die Verbindungen zu sehen.

Was versteht ihr unter »transnational social strike«, was gehört für euch alles dazu?

Gabe: Bei Streik denke ich meist an einen Streik von Arbeiter*innen, aber besonders hier beim transnationalen Treffen wird auch deutlich, wie unterschiedlich Streiks aussehen können und wie verschieden zum Beispiel die rechtlichen Voraussetzungen in den einzelnen Ländern sind. Es ist extrem wichtig, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, wie diese Gesetze die transnationale Handlungsfähigkeit der Arbeiter*innenklasse einschränken.

Als beispielsweise Starbucks-Mitarbeiter*innen vor einigen Jahren in Deutschland gestreikt haben, wurden Arbeiter*innen aus Polen geholt, ihnen wurde ein für sie attraktiver Lohn angeboten, so sollte der Streik ausgehebelt werden. Das Beispiel zeigt: Streiks abzustimmen und miteinander zu verbinden, ist wichtig, um sie wirksamer zu machen.

Aus jeder Niederlage können wir Lehren ziehen. Nächstes Mal sind wir schlauer.

Kalina: Streik ist eine Waffe, eine der wenigen auch heute noch sehr mächtigen Waffen, die historisch an Arbeitsplätze gebunden waren. Diese Waffe steht der Arbeiter*innenklasse nach wie vor zur Verfügung. Dann gibt es den politischen Streik. Er ist besonders deshalb wichtig, weil er über den Arbeitsplatz hinausweist.

Was bedeutet nun feministischer Streik? Pflegearbeit wird oft zu Hause erledigt. Das ist kein bezahlter Arbeitsplatz, aber sie kann trotzdem Gegenstand eines Streiks sein. Neben dem Streik am Arbeitsplatz, zum Beispiel in der Produktion, muss man auch die Reproduktion berücksichtigen sowie alle Teile der Gesellschaft: die unorganisierte Arbeit, die vertriebene Arbeit, die migrantische Arbeit, die aus Polen oder Bulgarien nach Deutschland kommt und zurück in ihr Heimatland geht.

Für feministisch Streikende ist dieser umfassendere, der soziale Streik die einzige Waffe, um Forderungen in der Reproduktion durchzusetzen. Für mich sind Streik und sozialer Streik mächtige politische Waffen, die die Arbeiter*innenklasse hat, um ihren Willen gegenüber den Bossen, den Kapitalist*innen, durchzusetzen.

Doch sehe ich auch eine Gefahr.

Welche?

Kalina: Es besteht die Gefahr, alles als Streik zu bezeichnen. Wenn wir diese weit gefasste Definition benutzen, könnte jeder Protest, jede symbolische Aktion, ein Streik sein.

Ich möchte den Begriff dennoch als möglichen Horizont für die verschiedenen Kämpfe beibehalten, die es aktuell gibt. Dadurch bleibt die Idee des Streiks, als Unterbrechung der Produktion und der sozialen Reproduktion auf jede erdenkliche Weise, in der Vorstellung lebendig. Der Begriff social strike soll für die Kämpfe benutzt werden, die sich nicht sofort in die enge gesetzliche Definition eines Streiks am Arbeitsplatz einordnen lassen.

Wann ist dann eurer Meinung nach ein sozialer Streik erfolgreich?

Gabe: Ein sozialer Streik kommt nicht über Nacht. Er setzt lange und harte Arbeit voraus. Das vergessen wir oft, wenn wir zum Beispiel über den Kampf um den Acht-Stunden-Tag lesen. Wir vergessen, wie schwer es für die Arbeiter*innenklasse gewesen sein muss. Sie sind nicht eines Tages aufgewacht und haben gesagt: »Hey, lasst uns streiken.« Streiks sind hart und langandauernd.

Und in vielen Fällen scheitern wir auch, müssen uns mit weniger zufrieden geben, als wir gefordert hatten. Aber selbst dann gibt es Auswirkungen auf die Menschen, die am Streik teilgenommen oder die ihn beobachtet haben, auf die Bewegung. Aus jeder gescheiterten Aktion oder einer ökonomischen Niederlage können wir Lehren ziehen: Bei der nächsten Aktion sind wir schlauer .

Kalina: Wenn die gesamte Arbeiter*innenklasse endgültig befreit ist, dann war ein Streik erfolgreich. (lacht) Im Ernst: Wenn wir uns Streiks ansehen, gibt es nicht viele Beispiele für große Erfolge. Man liest so oft Geschichten von Menschen, die geschlagen werden und verlieren, bis sie diesen einen winzigen Sieg erringen.

Zu streiken ist schwierig. Ein Streik ist nicht leicht zu gewinnen. Auch wenn wir Streik als eine unserer Waffen betrachten, sollten wir ihn nicht als etwas fetischisieren, das ohne Weiteres einzusetzen ist.

Gabe Wilczynska & Kalina Drenska

Gabe Wilczynska (links) ist feministische Aktivistin in Polen und u.a. Mitglied der Gewerkschaft Workers Initiative. Kalina Drenska (rechts) gehört zum feministisch-sozialistischen Kollektiv LevFem in Bulgarien und zum Netzwerk Essential Autonomous Struggles, Transnational (EAST) In diesem Netzwerk kämpfen Feminist*innen, Migrant*innen, Arbeiter*innen und LGBTQ-Menschen aus Ost- und Westeuropa und darüber hinaus gemeinsam im Bereich der sozialen Reproduktion.

Wie wurde der 8. März in euren Ländern in den letzten Jahren begangen? Und was hat sich seit dem Krieg in der Ukraine verändert?

Gabe: Früher sind in Polen am 8. März Hunderte, Tausende auf die Straße gegangen, aber in den letzten drei oder vier Jahren sind die Proteste immer kleiner geworden. Der Hauptgrund dafür ist, dass der Kampf für legale Schwangerschaftsabbrüche gescheitert ist. Die Menschen sind hoffnungslos und sehen vorerst keinen Grund mehr, auf die Straße zu gehen.

Einem Frauenkongress der bürgerlichen Eliten stellen wir in diesem Jahr unseren Kongress der Arbeiter*innenklasse entgegen. In den jetzigen Zeiten von Krisen und Krieg organisieren wir uns und suchen nach Lösungen für unsere Probleme. Bisher haben sich etwa 100 Teilnehmer*innen angemeldet, darunter auch viele Ukrainer*innen.

Kalina: Ein kurzer historischer Rückblick: Bevor Bulgarien sozialistisch wurde, war der 8. März ein revolutionärer Tag. Während der Zeit des Sozialismus waren Männer und Frauen formal gleichberechtigt. Der 8. März war immer noch ein wichtiges Datum, aber er wurde eher zu einer netten Geste gegenüber Frauen mit Blumen und so. Auch wenn viele Frauen wussten, dass der 8. März mehr ist, blieb es lange so.

2018 gab es eine wichtige Wende in der jüngsten bulgarischen feministischen Geschichte. Durch die Debatte über die Istanbul-Konvention zum Schutz vor häuslicher Gewalt wurde der 8. März politisiert: Den Konservativen gelang es, restriktive Vorstellungen zur Geschlechterfrage und reaktionäre Vorstellungen gegenüber LGBTQ-Menschen durchzusetzen. Faktisch wurde eine biologistische Vorstellung von Geschlecht in der Verfassung verankert. Die Existenz einer antifeministischen Reaktion führte andererseits zu einer stärkeren Organisierung von uns Feminist*innen. Seit 2018 treffen sich am 8. März stets Hunderte Menschen zu Demonstrationen und anderen symbolischen Aktionen, auch 2023 ist das geplant. Und klar, als der Krieg in der Ukraine begann, haben wir uns am 8. März klar gegen Krieg und Putin positioniert.

Renate Clauss und Laura Krabbenhöft

sind Mitorganisatorinnen des Transnational-Social-Strike-Kongresses und selbst u.a. im feministischen Kontext aktiv.