Wenn ökonomische und rassistische Logiken ineinandergreifen
Der Blick auf »Gastarbeit« in der alten Bundesrepublik sensibilisiert auch für gegenwärtige Formen der Ausbeutung
Die Realität in Deutschland ist grundlegend durch Migrationsbewegungen gekennzeichnet. Dennoch wird Migration in politischen und medialen Debatten immer wieder als zu verhindernde oder zu regulierende Bewegung problematisiert. Hiervon ausgenommen sind Migrationsbewegungen, die aus arbeitsmarktpolitischen Gründen erwünscht und entsprechend politisch wie rechtlich legitimiert werden. Stichwörter hierfür sind der sogenannte Fachkräftemangel sowie der Bedarf an Care- und Saisonarbeiter*innen. In den letzten Jahren, insbesondere während der Corona-Pandemie, wurde dies in der intensivierten Abschottung der EU-Außengrenzen und der gleichzeitig forcierten, innereuropäischen Arbeitsmigration besonders deutlich. Erinnert sei etwa daran, dass auch 2020 Erntehelfer*innen in Sonderfliegern zur Spargelernte eingeflogen wurden.
Auch wenn Migration in unterschiedlichen sozio-historischen Kontexten und politischen Systemen verortet ist und Migrationsformen heterogen sind, lässt sich auf einer übergeordneten Ebene ein ambivalentes Muster erkennen: Das Willkommen-Heißen von Migrant*innen ist in einer klassistisch, rassistisch und sexistisch strukturierten Ordnung eng an ökonomische Kriterien ihrer Nutzbarkeit gebunden. Zugleich wird ihre Anwesenheit als »fremde Andere« immer wieder problematisiert und ist rechtlich, politisch und sozial prekär und meist lediglich temporär erwünscht.
»Gastarbeit« als ökonomisches und rassistisches Ge-Brauchsverhältnis
Die sogenannte Gastarbeit stellt ein Paradebeispiel für diese ambivalente Gleichzeitigkeit von Ein- und Ausschluss im Zuge von Migration in Deutschland dar: In dem Oxymoron Gastarbeit wird eine semantische und zugleich eine politisch, rechtlich wie gesamtgesellschaftlich paradigmatische Idee transportiert. Das Projekt Gastarbeit, das den Einbezug sogenannter ausländischer Arbeitskräfte ab den 1950er Jahren aus dem südeuropäischen Raum in die Bundesrepublik Deutschland staatlich förderte, war nicht auf Dauer angelegt. Migrant*innen wurden als »arbeitende Gäst*innen« verstanden, die in Fabriken, dem Bergbau, Nähereien und dem Straßenbau für einen begrenzten Zeitraum Aufenthalt für bestimmte Arbeiten genießen sollten. Sie übernahmen körperlich schwere, schlecht entlohnte und gesundheitsbelastende Tätigkeiten in krisenanfälligen Segmenten des Arbeitsmarkts und lebten in den Anfangsjahren in barackenähnlichen Unterkünften und später in Wohngebieten, die als soziale Randorte galten. Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis waren zunächst aneinander gebunden, politische Betätigungen waren nur eingeschränkt möglich und konnten mit dem Entzug der Aufenthaltserlaubnis geahndet werden. Auch politische Konzepte wie das »Rotationsprinzip«, der »Anwerbestopp« und die sogenannte Rückkehrförderung dokumentieren die prekäre und temporäre Zugehörigkeit.
Gastarbeit entstand damit auf der Grundlage eines ökonomisierten und rassistischen Verhältnisses des Ge-Brauchs, in dem Gastarbeiter*innen primär als menschliche Arbeitskraft verstanden wurden, die für einen ethnisierten Arbeitssektor für eine gewisse Zeit »brauchbar« erschienen. Diesem ökonomisch willkommenen Einbezug in den Arbeitsmarkt standen verschiedene politisch-rechtliche Ausschlusspraktiken und symbolisch-diskursive Vorstellungen gegenüber, die an rassistische Vorstellungen abstammungsbezogener Zugehörigkeit anknüpften. Sie verhinderten, dass Gastarbeiter*innen jenseits ihrer Ge-Brauchbarkeit als dauerhafte und gleichberechtige Gesellschaftsmitglieder angesehen wurden.
Dem Einbezug in den Arbeitsmarkt standen politisch-rechtliche und symbolisch-diskursive Ausschlüsse gegenüber.
Damit lässt sich Gastarbeit auch als eine Antwort auf einen flexibilisierten und modernisierten Kapitalismus verstehen, wie er sich in den 1950er Jahren mit dem wirtschaftlichen Konjunkturaufschwung entwickelte. In diesem ist ein radikaler Ausschluss von Migrant*innen aus ökonomischer Sicht wenig funktional. Er entspricht zwar mit Immanuel Wallerstein der im Rassismus geforderten »Reinheit einer Gesellschaft«, jedoch würde mit dieser ein ökonomischer Mehrwert durch kostengünstige und mobile Arbeitskräfte verloren gehen. Über den Zugang des Ge-Brauchs lässt sich zeigen, dass und wie der Primat des Mehrwert versprechenden Einsatzes von Gastarbeiter*innen temporär gegenüber der rassistisch produzierten Differenz überwog, die eigentlich die Abwehr und den Ausschluss als rechtlich und symbolisch verstandene »Ausländer*innen« zur Folge gehabt hätte.
Auf materieller Ebene vollzog sich der Ge-Brauch unter anderem in Form einer ökonomischen Rationalität und Rassifizierung von Körpern durch sogenannte Gesundheitsprüfungen als Grundlage der Einreise und ihrem rotierenden und nahezu als verlängerte Werkzeuge verstandenen Einsatz auf dem Arbeitsmarkt in Schlechterstellung zu herkunftsdeutschen Arbeiter*innen. Auf einer symbolisch-diskursiven Ebene artikuliert sich der Ge-Brauch in einem bis heute andauernden Diskurs der Kulturalisierung von »südländischem Aussehen« als Problem- und Interventionsanlass. Zugleich ist er auch in dem Begehren nach Exotik und Ursprünglichkeit rekonstruierbar, die in einer »südländischen Lebensweise« gesucht wurde. Diesem wurde in den zur Zeit der Gastarbeit aufkommenden, sogenannten ausländischen Restaurants als Orte des Genusses und Erlebens von »fremdem Essen« nachgegangen sowie dem beginnenden Massentourismus in die Anwerbeländer der Gastarbeiter*innen.
Im Zuge von Gastarbeit gelang somit das funktionale Ineinandergreifen ökonomischer und rassistischer Logiken. Nationalökonomische Interessen konnten durchgesetzt, neue Formen des Konsums erschlossen, an rassistische Vorstellungen anknüpfende Bilder einer nationalen Abstammungsgemeinschaft gewahrt sowie soziale Aufstiegsprozesse herkunftsdeutscher Personen erreicht werden. Dieser Konsens wurde maßgeblich über die Nutzung von Widersprüchen realisiert, indem gemeinsame Klasseninteressen von Arbeiter*innen mithilfe rassistischer und vergeschlechtlicher Spaltungen zwischen Arbeiter*innen im Sinne eines »Teile und Herrsche« gegeneinander ausgespielt wurden. Migrantisierte Frauen waren dabei auf der untersten Stufe der Lohnskala angesiedelt.
Widerständige und innovative Praxis
Die Idee eines temporären und ge-brauchenden Einschlusses in Form einer kontrollierten und strategischen Migrations- und Arbeitsmarktpolitik konnte jedoch nicht ohne Widerstände umgesetzt werden: »Die Anderen« ließen sich nicht einfach »holen und austauschen«. Sie haben das Projekt Gastarbeit trotz seiner ge-brauchenden und unterwerfenden Struktur mit einem breiten Spektrum eigensinniger und widerständiger Praktiken gestaltet und keineswegs als passive Objekte erduldet. Nicht nur historische Quellen und Zeitzeugnisse, auch macht- und rassismustheoretische Zugänge verdeutlichen, dass Gastarbeit zu keinem Zeitpunkt die vollständige Inbesitznahme von Menschen bedeutet hat, sondern als widersprüchliches und umkämpftes Phänomen zu denken ist.
Exemplarisch lässt sich am Beispiel von Gaststättengründungen zeigen, dass diese nicht nur als Ge-Brauchsspur, sondern auch als Form der Herauslösung aus körperlich beanspruchenden Arbeitsfeldern zu verstehen ist. Da Gastarbeiter*innen in prekarisierten Arbeitsverhältnissen und krisenanfälligen Segmenten beschäftigt waren, kann die Gründung von eigenen Gaststätten und Kleinbetrieben als Form der Übernahme von Selbstorganisation im Sinne eines sprichwörtlichen Selbstständig-Machens gelesen werden. Sie ermöglichte die größere Unabhängigkeit vom fordistischen Arbeiter*innentypus der damaligen Zeit und war als Strategie der Selbsthilfe notwendig, da soziale Aufstiegschancen und andere Arbeitsmöglichkeiten strukturell verunmöglicht wurden. In der Gründung von Restaurants, der Beschaffung von Lebensmitteln und der Zubereitung von Speisen zeigt sich zudem nicht nur die sozialräumliche Manifestation des Bleibens, sie dokumentiert auch die Wegbereitung einer migrationsgesellschaftlichen Esskultur und kann mit Esra Erdem als eine Praxis des »Homemaking in the Diaspora« verstanden werden.
Anschlüsse an die migrationsgesellschaftliche Gegenwart
Das offizielle Ende der Gastarbeit, das gemeinhin mit dem Anwerbestopp 1973 assoziiert wird, entlässt uns nicht, diese als abgeschlossene Episode der Vergangenheit zu überlassen. Mit Blick auf ein postnationalsozialistisches Deutschland, seine rassistischen und postkolonialen, dis-kontinuierlichen Nachwirkungen stellt sich die Frage: In welchen Gleichzeitigkeiten und Widersprüchen bewegen wir uns heute? Als eine Gleichzeitigkeit verstehe ich beispielsweise die heute weitestgehend unproblematische Erinnerung an Gastarbeit, die in symbolisch verkürzten Gesten wie Jubilarfeiern zum 60-jährigen Anwerbeabkommen exemplarisch zum Ausdruck kommt. Nicht nur die wissenschaftliche, auch die erinnerungspolitische und museale Arbeit »entdeckt« Gastarbeit zunehmend als Topos. Dies stellt zum einen eine wichtige, nachholende Erinnerungsarbeit im migrationsgesellschaftlichen Deutschland dar, das seine Vergangenheit und Verstrickung in den kapitalistischen und rassistischen Ge-Brauch von Menschen als Arbeitskraft lange zu leugnen versucht hat.
Zum anderen stellt sich jedoch die Frage, wie wir über heutige, der Gastarbeit ähnelnde Formen der Arbeitsmigration und den zugehörigen Arbeits- und Lebensbedingungen (nicht) sprechen. Insofern kann das Nachdenken über Gastarbeit als verunsichernde Vermittlungsarbeit angesichts vergangener und gegenwärtiger Selbst- und Weltbilder im Umgang mit Migration, Dominanz, Gewalt, Auslassung und Überschreibung verstanden werden. Arbeitsmigration aus dieser Perspektive zu denken, eröffnet auch den Blick auf den Umgang mit heutigen Migrations- und Fluchtbewegungen. So kann eine ge-brauchskritische Perspektive auf Care- und Saisonarbeit sowie auf den teilweise stattfindenden, neoliberalen Einbezug Geflüchteter wie beispielsweise in der Fleischindustrie tradierte sowie neue Formen von ökonomischen Ein- sowie rassistischen, sexistischen und klassistischen Ausschlüssen sichtbar machen. Eine zeitgeschichtsbewusste und ge-brauchskritische Perspektive eignet sich damit nicht nur für eine Analyse und Kritik vergangener, sondern auch gegenwärtiger sozialer Ungleichheitsverhältnisse.