»Ist das nicht anstrengend?«
ak-Geschäftsführerin Hannah Eberle und Ex-Redakteurin Claudia Krieg im Gespräch darüber, wie man einen Kollektivbetrieb »leitet«
Interview: Claudia Krieg
Bei ak wird alles gemeinsam entschieden, es gibt einen Einheitslohn und keine Betriebsgeheimnisse. Trotzdem haben wir eine Geschäftsführung. Was das heißt, was sie tut, weshalb wir gar nicht unbedingt alles in die Zeitung holen wollen, was sich potenzielle Leser*innen von uns wünschen, und warum Leser*innen für uns sowieso keine Kund*innen, sondern Genoss*innen sind, erklärt Geschäftsführerin Hannah Eberle im Interview.
Hannah, seit wann bist du Geschäftsführerin bei ak?
Hannah Eberle: Ich habe mich 2017 auf eine Minijob-Stelle beworben. Geplant waren acht bis zehn Stunden die Woche, da muss ich bis heute drüber lachen. Ich glaube, seitdem habe ich keinen Urlaub oder mindestens eine kurze Auszeit gemacht, in der ich nicht doch etwas arbeiten musste.
Was hat die Einführung der Position notwendig gemacht? Sollte ak »fit für den Markt« werden? Es gab ja eine ziemliche Krise vor fünf Jahren …
Meines Wissens nach wurde einerseits eine Person gebraucht, die Projektmanagement macht – das war dann beispielsweise bei der Entwicklung der neuen Webseite oder der Organisierung des Autor*innentreffens 2018 vorrangig meine Aufgabe. Das bedeutet: Koordination mit kooperierenden Kollektiven, aber auch das Erstellen von Zeit- und Finanzplänen und darauf zu achten, dass diese eingehalten werden. Wenn einmal im Monat alle Redakteur*innen und auch der Vertrieb eine komplette Woche intensiv mit der Produktion der Zeitung beschäftigt sind, fallen solch langfristigen Projekte einfach hinten runter.
Und andererseits?
Andererseits brauchte es eine Person, die wieder einen Überblick über alles, was mit Finanzen zu tun hat, herstellt. Die also Schlussfolgerungen aus der Jahresbilanz zieht, Ansprechperson fürs Steuerbüro ist, klärt, wie viel Mehreinnahmen es durch die erhöhte Auflage gibt, und was wir damit eigentlich sinnvollerweise tun. Aber auch präventiv überlegt, was machen wir, wenn es finanziell bergab geht? 2017 war das Kollektiv bereits ein Lohnarbeitskollektiv und nicht mehr, wie bis in die 2010er, vorrangig ein politisches Kollektiv. Wenn es schief gegangen wäre, hätten die Wenigsten das Projekt ehrenamtlich weiterführen können – was auch völlig in Ordnung gewesen wäre. Eine Geschäftsführung sollte über solche Dinge nachdenken, um nicht auf dem Rücken aller eines Tages zu realisieren: Oops there’s no money left.
Okay, das klingt nicht nach »fit für den Markt«.
Nein, darum ging es nie. Es geht darum, dass wir keine Gewinne anhäufen. Darum, uns so weit wie möglich von der kapitalistischen Unsicherheitsmaschine fernzuhalten. Und darum, ak in eine Situation zu bringen, in der wir in unserem Tempo und aus politischen Gründen größer werden, also mehr Leser*innen gewinnen.
Wie führt man die Geschäfte für ein Kollektiv? In so einem Kollektiv haben ja auch immer alle zu allem was zu sagen: Ist das nicht anstrengend?
Ich bereite mit Jan Ole, der ehrenamtlich zweiter Geschäftsführer ist, die Entscheidungen vor. Entschieden wird aber in einem Gremium, das aus zwei Redakteur*innen, dem Vertrieb, Mitarbeiter*innen aus dem Layout und mir besteht. Dieses Gremium stimmt zu, ergänzt oder sagt »Das finden wir schwierig«. In dem Fall muss ich zum Beispiel eine Kooperationsvereinbarung nachverhandeln oder neu überlegen. In einem Kollektiv zu arbeiten, bedeutet, sich einmischen zu dürfen. Wenn auch seltener mische ich mich durchaus auch in die Redaktion ein. Zuletzt habe ich das bei der ZeroCovid-Debatte gemacht, weil ich mir nicht sicher war, ob auch eine Meinung wie meine vertreten ist. Mein Einwand zählt dann genau soviel wie der Einwand einer Redakteurskolleg*in. Praktisch sind es aber verschiedene Bereiche. Meine Position ist die Schnittstelle zwischen Vertrieb, Layout, externer Gestaltung, Redaktion, IT, den ganzen Freien und externen Servicedienstleistern, und das sind eine Menge. Wenn es wirklich einmal Stress gibt oder etwas nicht läuft, dann muss das gelöst werden, und spätestens in so einer Situation landet es meistens bei mir.
Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen, wir wollen eine gute politische Zeitung machen.
Klingt nach einer ziemlich starken Position.
Das Machtproblem dabei ist, dass ich viel Wissen bündele. Andererseits: keine Ahnung nach welchen Regeln die Redaktion ein Interview führt oder wie der Vertrieb ein Abo einpflegt. Wenn die Redaktion aber Geld für eine aufwendigere Illustration haben möchte, dann muss ich erst schauen, ob das drin ist. Wir arbeiten gegen mögliche Machtpositionen im Kollektiv, indem wir versuchen, viel in Arbeitsgruppen zu lösen. Aber nicht alle wollen und können zusätzlich an solchen Arbeitsgruppen partizipieren, dafür sind die halben Stellen zu knapp bemessen. Es ist auch völlig okay, als Arbeitnehmerin eben einfach sein Gehalt erhalten zu wollen, egal ob es Buchhaltungs- oder Bankprobleme gab. Nicht jeder Stress darf in einem Kollektiv auch immer alle sofort beschäftigen müssen. Es ist mein Job, dass die Basis funktioniert, damit wir eine politische gute, aktuelle Zeitung produzieren und gestalten können, die Zeitung pünktlich ankommt und der Vertrieb sich neue Vertriebsstrategien mit überlegen kann. Wenn alles transparent ist, kann jeder jederzeit widersprechen, und dann muss in größerer Runde noch einmal diskutiert werden. So fühle ich mich auch nicht allein verantwortlich, wenn mal etwas schief geht.
Hannah Eberle
arbeitet seit 2017 als Geschäftsführerin im ak-Kollektiv. In erster Linie versteht sie sich als Aktivistin, in Deutschland in der IL, in Österreich ständig auf der Suche. Nebenbei promoviert Hannah zu gesellschaftlichen Alternativen im Sozialstaat. Ihr Lebensmittelpunkt ist mittlerweile in Wien.
Es hängt ja auch davon ab, ob ak weiterhin viel gelesen wird und von wem, oder?
Wir haben das Ziel, eine Zeitung zu machen, die Aktivist*innen und politisch Interessierten etwas bringt. Wenn die lesenden Genoss*innen nichts mehr mit ak anfangen könnten, dann müssten wir aufhören. Oder wir müssten eben wieder neu überlegen. Ein Kollege gab mir mal den Tipp: Macht doch mal eine Leser*innenumfrage und fragt, was die Leute lesen wollen. Ich habe entgegnet, dass wir vielleicht gar nicht unbedingt alles drucken wollen, was die potenziellen Leser*innen sich wünschen. Denn wir sind ein politisches Projekt, also wählen wir unsere Autor*innen bewusst aus. Wir suchen auch neue Autor*innen, die wiederum neue Leser*innen ansprechen. Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen, wir wollen eine gute politische Zeitung machen. Unsere Leser*innen sind keine Kund*innen, sondern Genoss*innen. Deshalb setzen wir aber auch darauf, dass sie uns in Krisenzeiten helfen. Gleichzeitig ist es wohl mein Job, immer daran zu erinnern, dass ak eben auch ein Wirtschaftsbetrieb ist, in dem Steuern gezahlt, Verträge eingehalten und eine Jahresbilanz veröffentlicht werden muss.
Spielt das Prinzip Einheitslohn darin eine Rolle?
Einen Einheitslohn zu haben, gehört zu unserer Philosophie – ist die Arbeit einer Redakteur*in mehr wert als die der Buchhalter*in? Ich denke nicht. Gleichzeitig war meine Strategie immer, auf Sicht und Sicherheit fahren, was eine Kollegin mal mit der Aussage quittierte, dies sei konservativ. Ich nehme ihr das nicht übel. Ohne Investition gibt es keine Vorwärtsbewegung. Das bedeutet, wir können auch mal mehr Geld ausgeben, als wir haben. Deshalb können wir mittlerweile unseren Autor*innen ein kleines Honorar zahlen. Aber eben in einer Höhe, die wirtschaftliche Schwankungen einberechnet.
Stimmt der Eindruck, dass ak sich in den letzten Jahren ziemlich modernisiert hat?
Ja, wir haben uns ja Dinge getraut wie die neue Website groß zu denken und mehr in die Gestaltung zu investieren. Aber wir unterscheiden nicht zwischen Digital- und Printabos, da entziehen wir uns dem Trend. Man muss nicht bestimmte Lesegewohnheiten bevorzugen. Die Produktion kostet im Grunde genommen genauso viel, auch wenn bei Digitalabos Porto und Papierkosten wegfallen. Wir erhöhen jetzt leider die Preise, aber wir haben auch gesagt, dass wir nicht am Sozialabopreis drehen. Mit Unsicherheit lässt sich keine gute Zeitung produzieren. Zwar machen die Spenden längst nicht mehr so viel aus wie vor 15 Jahren, aber ohne die Leser*innen, Autor*innen und befreundeten Kollektive, die für Solipreise arbeiten, hätte vieles nicht geklappt. In fast allen ak-Bereichen haben wir jetzt das 21. Jahrhundert erreicht, viele neue Leser*innen und auch neue Bewegungen erreicht. Wir sind bisher stabil durch die Corona-Krise gekommen, haben auch individuelle Lösungen für unsere lesenden Genoss*innen gefunden, oder mit dem »Durststrecken-Abo« etwas zur Umverteilung beigetragen. Das alles macht mich richtig richtig glücklich und ein bisschen stolz, auch wenn ich nächstes Jahr das Kollektiv verlasse, weil ich inzwischen dauerhaft in Wien lebe.