Sparen und bauen
Was heute Investor*innen und Wohnungsbaukonzerne machen, lag einst in der Hand von Arbeiter*innen
Von Gisela Notz
Mit fortschreitender Industrialisierung wurde die Wohnungsnot in den deutschen Industriestädten immer größer. Als Ausweg aus dieser gründeten Arbeiter*innen seit Ende des 19. Jahrhunderts Spar- und Bauvereine als Wohnungsbaugenossenschaften. Da es keine staatliche Bauförderung gab, sparten die Mitglieder gemeinsam und konnten so kontinuierlich Wohnungen für neue Genoss*innen bauen. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg fanden die Spar- und Bauvereine viel Anklang unter den Arbeiter*innen. Beispiele sind die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft, der Altonaer Spar- und Bauverein, der Spar- und Bauverein Mannheim sowie der Bauverein Schweinfurt von 1917, der 1985 zum Sparverein erweitert wurde.
Zur Zeit der Weimarer Republik expandierten die Genossenschaften erneut – bis der Nazi-Faschismus der hoffnungsvollen Entwicklung ein radikales Ende bereitete; genossenschaftliche Spareinrichtungen wurden aufgelöst. Nach 1945 konnten die Spar- und Bauvereine ihre Arbeit wieder aufnehmen oder wurden neu gegründet.
Wohnungsbaugenossenschaften können ein Gegenmodell zu profitorientierten Anlegern und großen Wohnungsbaukonzernen sein.
Die Wohnungsbaugenossenschaften bieten ihren Mitgliedern (Genoss*innen) guten und sicheren Wohnraum zu bezahlbaren Nutzungsgebühren. Anders als Mieter*innen bei privaten Wohnungsbesitzer*innen oder großen Wohnungsbaukonzernen sind die Mieter*innen Miteigentümer der Genossenschaft und erlangen (meist) ein Dauernutzungsrecht an einer Wohnung, das oft auch an Nachkommen vererbt werden kann, wenn diese ebenfalls Genossenschaftsanteile erwerben. Aus den Gewinnen der Genossenschaft kann – muss aber nicht – eine jährliche Dividende ausgezahlt werden, die Mitglieder anteilig für ihre Genossenschaftsanteile erhalten. So genießen die Mieter*innen langfristig Sicherheit durch lebenslange Wohnungsversorgung. Als Gemeinschaftseigentümer*innen bestimmen sie – unabhängig von der Höhe der Anteile – über das mit, was in der eingetragenen Genossenschaft (eG) passiert (ein Mensch = eine Stimme). Wenn sie ihren Wohnort verändern wollen oder müssen, können sie jederzeit kündigen und aus der Genossenschaft austreten und erhalten ihren Genossenschaftsanteil auf Wunsch zurück.
Seitdem sich die Bundesrepublik mit verschiedenen »Reformen«, zuletzt mit der »Föderalismusreform« im Jahr 2006, aus der Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau zurückzog und die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau allein bei den Ländern liegt und viele Kommunen, Städte, aber auch Länder die Förderung des gemeinnützigen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus komplett eingestellt haben, erweiterten einige Genossenschaften ihr Angebot um Sparangebote.
Die Spar- und Baugenossenschaften setzen die Spareinlagen ihrer Mitglieder, die teilweise gut verzinst werden, sowie erwirtschaftete Überschüsse zur (Mit-)Finanzierung ihres Gebäudebestandes und von Baumaßnahmen, den Ausbau und die Modernisierung von Wohnungen und die Gestaltung des Wohnumfeldes – in der Regel umwelt- und klimagerecht – ein. Damit reduzieren sie eine kostenintensivere Kreditaufnahme. Dieser Vorteil ist mitentscheidend für die Festsetzung attraktiver Zinssätze und kommt so den Mitgliedern wieder zugute. Die Genossenschaft ist weniger von Banken abhängig.
Eine Wohnungsbaugenossenschaft, die Sparangebote anbietet, muss über eine Spareinrichtung verfügen. Bei den bundesweit etwa 1.840 registrierten Wohnungsbaugenossenschaften trifft das auf lediglich 46 zu. Diese Genossenschaften dürfen nur Spareinlagen von Mitgliedern und deren Angehörigen annehmen. Andere Bankgeschäfte dürfen sie nicht betreiben. Viele nehmen nur Personen aus der Region als Mitglieder auf bzw. haben einen sehr beschränkten Kund*innenkreis und vergeben im Gegensatz zu Banken und Sparkassen keine Kredite an Dritte. Durch die Begrenzung der Bankerlaubnis auf das Spareinlagengeschäft ist ihnen jedes mit einem Risiko verbundene Bankgeschäft – neben dem Kredit- auch das Wertpapiergeschäft – verboten. Wer lediglich an ein paar zusätzlichen Zinspunkten interessiert ist, wird sicher nicht Genoss*in werden.
Heute ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum eines der drängendsten politischen, sozialen und gesellschaftlichen Themen unserer Zeit. Wohnungsbaugenossenschaften können ein Gegenmodell zu profitorientierten Anleger*innen und großen Wohnungsbaukonzernen sein.