»Es wird unser Symbol sein«
Überlebende des NSU-Terrors in Köln kämpfen gemeinsam mit Unterstützer*innen für ein Mahnmal gegen Rassismus
Am 20. Jahrestag des ersten Bombenanschlags des NSU vom 19. Januar 2001 in der Kölner Probsteigasse durften aufgrund polizeilicher Auflagen nur 50 Personen zusammenkommen, um an die Opfer rassistischer Gewalt zu erinnern. Nur wenige Tage später, am 28. Januar 2021, rückte ein Großaufgebot von Bundespolizei und Zoll in der Kölner Keupstraße ein, um Wohnungen und Geschäfte zu durchsuchen. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung zum Zweck der Geldwäsche. Die Razzia war gut inszeniert. Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten sperrten stundenlang die Straße, während alle Kölner Medien vorrangig über das Ereignis berichteten
Doch auch ohne diese Razzia, wäre in den Kölner Medien kaum mehr thematisiert worden, dass nach dem Bombenanschlag von 2001 am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe des NSU auf der Keupstraße explodierte und 22 Menschen teilweise schwer verletzte. Dieser versuchte Massenmord durch den NSU, der nur durch glückliche Zufälle keine Todesopfer gefordert hat, erfährt kaum Beachtung. Stattdessen gilt bei der Kölner Polizei, Journalist*innen und weiten Teilen der Bürgerschaft seit den 1980er Jahren die Keupstraße als »gefährlicher Ort«. Daran haben auch die erschütternden Berichte über die rassistischen Ermittlungen von Polizei, Verfassungsschutz, Steuerfahndung etc. gegen die Betroffenen des Nazi-Terrors genauso wenig geändert, wie ihre Beschwerden über alltägliche Diskriminierungen, Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt.
Über sieben Jahre lang waren die Vermutungen der Betroffenen, dass die Bombenleger Nazis gewesen sein müssen und ihre Beschwerden über die Täter-Opfer-Umkehr nicht gehört worden. So zogen sie es vor, zu schweigen. Erst nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 gründeten einige von ihnen gemeinsam mit solidarischen Menschen die Initiative Keupstraße ist überall. Zuvor hatten Bewohner*innen der Straße, ermutigt von der Initiative Dostuk Sinemasi, bei einer antirassistischen Filmreihe erstmals öffentlich darüber berichtet, wie der Angriff der Naziterrorist*innen seine ganze Zerstörungsgewalt erst durch die »zweite Bombe«, nämlich durch die Polizeiermittlungen und die mediale Hetze, entfalten konnte. In den folgenden Jahren fanden auch andere Betroffene rassistischer Gewalt den Mut, über ihre Erfahrungen und ihre Geschichte zu sprechen. Sie fordern Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, politische Konsequenzen.
Kampf um das Mahnmal
Nach der Selbstenttarnung des NSU Ende 2011 wurde in Köln erstmals die Forderung nach einem Gedenkort in direkter Nachbarschaft zur Keupstraße laut. Im Dezember 2015 beschloss der Rat der Stadt, »in der Keupstraße beziehungsweise in ihrer unmittelbaren Nähe ein Denkmal zu errichten« und lobte ein künstlerisches Wettbewerbsverfahren zur Findung eines geeigneten Entwurfs aus. Schließlich einigte sich die Jury, darunter auch Bewohner*innen der Keupstraße, Betroffene der Bombenanschläge und Stadtteilinitiativen einvernehmlich auf den Entwurf des Berliner Künstlers Ulf Aminde für einen interaktiven Lern- und Gedenkort, der an eben jener Ecke Keupstraße/Schanzenstraße entstehen soll.
Doch was so hoffnungsvoll begann, geriet alsbald ins Stocken. Die Eigentümer des Geländes aus dem Umfeld einer großen Fernsehproduktionsgesellschaft, die mit der Produktion von TV-Formaten wie »Schlag den Raab« Millionen verdient haben, wollten von einem Mahnmal nichts wissen und auf dem Gelände ein Wohn- und Geschäftszentrum errichten. Ein lukratives Investment in einem besonders von Gentrifizierung bedrohten Stadtteil. Mit dem lapidaren Verweis, dass der gewünschte Standort Privateigentum sei und die Kommune somit keine Handlungsmöglichkeiten habe, stahlen sich die Kölner Politiker*innen und die Verwaltung aus der Verantwortung für die Umsetzung des Ratsbeschlusses von 2015.
Nach dem Tribunal »NSU-Komplex auflösen« 2017 in Köln machte die Kölner Ortsgruppe das Mahnmal zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit. Gemeinsam mit der Interessengemeinschaft Keupstraße, der Initiative »Keupstraße ist überall« lud sie den Sprecher der Investorengruppe, Bernd Odenthal, im März 2018 zu einer Podiumsdiskussion mit Micha Brumlik und dem Künstler Ulf Aminde ins VHS-Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum. Weil die Eigentümer aber absagten, fiel der öffentliche Streit aus. Im Jahr darauf initiierten Künstler*innen und Kulturschaffende aus dem In- und Ausland einen Offenen Brief an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Doch der Appell blieb ungehört.
Im Sommer 2019 gelang der neu gegründeten Herkesin Meydanı − Platz für Alle schließlich doch ein Coup. Bei der Präsentation eines Modells des Mahnmals im Maßstab 1:10, inklusive digitaler App im Foyer des Kölner Museum Ludwig, kam es zu einem erbitterten Wortgefecht mit Vertreter*innen der Kölner Lokalpresse. Am Tag darauf war die Kontroverse ausführlich in den Zeitungen nachzulesen. Das Mahnmal sei »kein Geschenk für die Bewohner*innen der Straße, sondern für unsere Stadt, die ganze Gesellschaft«, zitierte der Stadtanzeiger Mitat Özdemir von der Herkesin Meydanı. Er forderte die Stadtspitze auf, die Angelegenheit endlich zur Chefinnensache zu machen.
Kurz darauf lancierte die Initiative einen weiteren Offenen Brief an die Oberbürgermeisterin, den viele Initiativen und Einzelpersonen unterzeichneten: »Statt das Mahnmal mit Nachdruck und Engagement an dem ursprünglich vorgesehenen und von den Betroffenen geforderten Platz zu realisieren, gibt es einen Kniefall vor den Investoren«, hieß es darin. Die Stadtverwaltung habe Spielräume, den Gedenkort an der Keupstraße zu realisieren. Im Falle eines Verkaufs möge die Stadt ihr Vorkaufsrecht geltend machen und die für den Gedenkort notwendige Fläche erwerben. So geriet die Verwaltung erstmals unter Druck, weil der Kern des Konflikts offen auf dem Tisch lag, wonach private Interessen gegenüber dem öffentlichen Interesse nach einem Statement der Stadtgesellschaft gegen Rassismus Vorrang eingeräumt wird. Am Jahrestag des Nagelbombenanschlags 2020 berichtete Meral Sahin von der Interessensgemeinschaft Keupstraße vor über 600 Zuhörer*innen auf der jährlichen Gedenkkundgebung an der Keupstraße, Oberbürgermeisterin Reker habe ihr versichert, dass die Stadt das Grundstück gegenüber der Keupstraße erwerben wolle, um das Mahnmal zu bauen.
Aus der Presse war Ende 2020 zu erfahren, dass es nun eine neue Eigentümerin des Geländes gibt. Die »Gentes Gruppe« soll eine Bauvoranfrage für einen Neubau und den Entwurf für das Mahnmal zur Abstimmung in die Bezirksvertretung Mülheim vorlegen würde. Das Mahnmal soll demnach zwar am vorgesehenen Platz gegenüber dem Eingang zur Keupstraße entstehen, allerdings nur auf 576 Quadratmetern. Das ist kein offener Platz, der zum Verweilen und Gedenken einlädt und wird von der dahinter liegenden massiven Blockbebauung erdrückt. Ganz offensichtlich sollte im Eiltempo und ohne Einbeziehung der Öffentlichkeit etwas beschlossen werden, um den Konflikt vom Tisch zu bekommen.
Dabei böte ein »Platz für Alle« die Chance, der jahrelangen Stigmatisierung der Keupstraße etwas entgegenzusetzen, ein Statement in Form eines einladenden geräumigen Platzes, der dokumentiert, dass die Stadtgesellschaft die Lektion verstanden hat.
Vergessen und Erinnern
Erinnerung muss erkämpft werden oder wie Mitat Özdemir aus der Keupstraße sagt: »Man muss es so sehen: Jetzt hat das Mahnmal so viele Probleme, aber wenn Sie mich fragen, je schwieriger es ist, desto interessanter wird es. Und es wird unser Symbol sein. Es ist also nicht nur die Keupstraße, ich habe einen Traum, über den ich hier immer gesprochen habe. Dieses Mahnmal muss kommen und es wird Menschen geben, die eines Tages Busse mieten, um es hier besuchen zu können.« Wie nah Vergessen und Erinnern beieinander liegen, zeigt die Situation der Jugendlichen im dem Viertel, die erst nach dem Anschlag geboren wurden. Sozialarbeiter*innen berichten, dass sie nichts über den NSU wussten und erst durch ein Erinnerungsprojekt in der Jugendeinrichtung davon erfuhren. In den Schulen sei das kein Thema. Insofern kann die virtuelle Ausstellung über die Geschichte der Straße und die Kämpfe gegen Rassismus, die auf dem Herkesin Meydanı − Platz für Alle vom Smartphone abrufbar sein wird, diese Lücke füllen und das Mahnmals eine emanzipatorische Wirkung entfalten.
Erinnerungspolitik lebt davon, dass viele Menschen sich auf eine Debatte über Rassismus einlassen. Es ist aber ersichtlich, dass die Aneignung der Erinnerung durch die Betroffenen – womöglich verbunden mit großen Menschenansammlungen – nicht erwünscht ist. Der Platz, an dem das Mahnmal entstehen soll, ist schon jetzt ein wichtiger Treffpunkt für antirassistische und antifaschistische Manifestationen. So wird die offizielle Erinnerungskultur von einer migrantischen, antirassistischen und antifaschistischen Minderheit herausgefordert. »Meine beiden Kinder sind in Deutschland geboren«, sagt der Kuaför von der Keupstraße. (1) »Sie werden hier ihr Leben leben. Ich hoffe, dass ihnen so etwas nie passieren wird und wenn dies der Fall ist, sollte niemand mit Vorurteilen konfrontiert werden! Ich möchte nicht als Mafiosi oder Terrorist angesehen werden. Was das Mahnmal betrifft, denke ich, dass es eine gute Sache ist. Vergesst nicht! Es soll immer im Gedächtnis bleiben, es soll ein Fragezeichen sein! Die nächste Generation muss ihre Rechte einfordern! Wir hatten niemanden, der uns am Arm hielt und unterstützte!«
Anmerkung:
1) Der Kuaför aus der Keupstraße ist der Betreiber des Friseursalons, vor dem das Nagelbombenattent am 9. Juni 2004 verübt wurde.